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bolo`bolo

Abfahrt

25. März 1983, morgens uni sieben Uhr dreissig, im Bus Nummer 32. Es regnet und ist kalt, später wird es schneien. Es hat freie Sitzplätze, ich setze mich. Ich spüre die Nässe durch die Schuhe und die Hosen. Ich sehe die gefassten, ruhigen Gesichter. Eine junge Frau unterdrückt ein Gähnen, zieht die Mundwinkel nach unten. -"Nordstrasse". Einige Passagiere steigen aus und entfernen sich mit zügigen Schritten. Wieder überf'ällt mich dieses Gefühl der Fremdheit. -«Wozu das Ganze - Warum mache ich das noch mit?» «Wie lange noch?» Der Ekel staut sich in der Brust. Die Alltagsmaschine hat mich wieder im Griff. Es geht unaufhaltsam dem Arbeitsplatz entgegen. Kaum gewaltsam dem Schlaf entrissen sitze ich widerstandslos in der Arbeitskräftetransportmaschine.
Ich stelle mir vor. mit dem Bus bis zur Endstation zu fahren und dann noch weiter: durch Österreich, Jugoslawien, die Türkei, Syrien, Persien... nach Indien, Malaya. Auf der Reise verwandelt sich der Bus allmählich, wird er neu bemalt, repariert, umgebaut, mit Betten ausgerüstet, Die Fahrgäste verwandeln sich in eine enge Gemeinschaft. Sie arbeiten unterwegs um den Treibstoff, die Ersatzteile und die Lebensmittel zu beschaffen. Sie erzählen sich ihre Geschichten. Sie handeln von den verschiedensten Formen des Widerstands gegen die Alltagsmaschine: Leistungsverweigerung, Sabotage, absichtliche Schlamperei, Diebstahl, Indiskretionen, Krankfeiern, Brandanschläge, solidarische Aktionen. Die Brutalität der Maschine erklärt sich aus dem Widerstand gegen sie. Fünf Jahre später kehrt der Bus zurück. Er ist bunt, hat Vorhänge, Aufbauten, Inschriften in unbekannten Alphabeten. Niemand erkennt ihn wieder und die Rückkehrer sind Fremde...
Haltestelle. Der Traum ist zu Ende. Wochenenden, Ferien, Illusionen. gehen immer wieder zu Ende und wir sitzen wieder gehorsam im Bus oder im Tram. Die Alltagsmaschine triumphiert über uns. Wir sind ein Teil von ihr. Sie zerstückelt unser Leben in Zeit-Portionen, saugt unsere Energie auf, walzt unsere Wünsche nieder. Wir sind zuverlässige, pünktliche, disziplinierte Zahnrädchen. Warum funktionieren wir?

Deal

Die Alltagsmaschine zermalmt uns zwar, doch immunisiert sie uns zugleich gegen Ekel, Hass und Verzweiflung. Wir spüren sie nur in kurzen Augenblicken, wenn wir nichts zu tun haben und zugleich auch nicht konsumieren können. Am Morgen freuen wir uns auf den Abend, am Montag auf den Freitag, am Ende der Ferien auf die nächsten Ferien. Wir geben der Maschine zwar unsere Zeit und Energie, aber sie verschafft uns dafür (je nach Lohn) eine ganze Reihe von Genüssen: Filetbeefsteak, Stereo-Anlage, Mikonos, Windsurfen, Aikido, Video, Chivas-Regal, Gesamtkunstwerke, Laurie Anderson... Das ist unser Deal mit der Maschine. Das ist unsere Bilanz von Leben und Arbeit. Seit einiger Zeit schon ist sie defizitär. Zwar sind die Reallöhne gesunken und hat sich die Arbeitshetze verschärft,' doch das ist nicht einmal der Hauptgrund unseres Lebensdefizits. Die «Genüsse», die die Maschine uns zu bieten hat, sind in ihrer Substanz vergiftet und wir -selbst sind immer weniger fähig, wirklich zu geniessen. Einerseits erhalten wir Massenprodukte, die uns immer schneller verleiden, andererseits stumpft uns die Arbeit so ab, dass wir passiv, isoliert, ideenlos, träge und engstirnig werden. Im gleichen Mass wie die Befriedigung abnimmt, steigert sich die Vergnügungssucht. Das grosse Loch, das die Maschine in uns gehöhlt hat, lässt sich einfach nicht füllen. Wir können noch soviel Elektronik in unsere Wohnung stopfen, immer weiter reisen, uns init Gvmnast,ken, Psycho-Kursen, Kreativität und Meditation, Drogen und Medikamenten bearbeiten: wir werden uns selbst nicht los.
Der Deal ist faul, weil die «guten Dinge» von der Maschine zerstört werden: wir selbst, die Zeit, die Beziehungen, die Natur, die Traditionen. Obwohl wir immer schneller und immer weiter reisen können, nimmt unser Bewegungsspielraum im Alltag ab. Rationallsierungen, Renovierungen, Sanierungen, Standardisierungen, spüren jede «freie», Sekunde und jeden ungenutzten Quadratmeter auf, Zeit und Raum sind Geld. Mit dem Geld setzt die Maschine ihre Logik durch. Wir sind eingesperrt, verplant, sauber und ordentlich und unglücklich, obwohl wir eigentlich «keinen Grund» haben.

Sicherheit

Der Überdruss steckt uns im Hals Wir spüren schon lange, dass der alte Deal faul geworden ist, immer schon faul war. Die Illusionen des Konsums, der Technik, der «modernen» Industriegeselischaft im allgemeinen, zerbröckeln Warum steigen wir nicht aus? Hat die Maschine uns endgültig verschluckt?
Die Angst vor dem Ungewissen ist stärker als der Ekel vor dem Alltag. Die Maschine erscheint als die einzig mögliche Wirklichkeit, Gewohnheit. Sicherheit. Vernunft. Normalität. Macht. Wer garantiert unser Uberleben, wenn wir die Maschine verlassen oder zerstören? Wo bleibt die medizinische Versorgung, die AHV, die Versicherungen? Wir sind allein und die Maschine ist unsere einzige Sicherheit im Leben.
Daher versuchen wir, unsere Gefühle, unsere Einsichten und unsere Zweifel zu verdrängen, damit wir funktionieren können. Wir reden uns immer wieder ein, dass das Leben eben so ist und dass ein anderes nicht möglich ist. Wir brauchen daher die Normalität, um uns gegen die Einsicht in unser Unglück zu schützen. Wir sind eine Verschwörung der Unglücklichen, die gemeinsam ihr Unglück verteidigen. Wer.das Unglück bewusst macht, es angreift, wird mit Hass und Neid verfolgt, Wer nicht mitmacht, wird zum Störer, zum Parasiten, Weichling, Versager, Träumer oder Terroristen, je nach dem Grad an Hass, den iman gerade empfindet. Gegen die Aussteiger richtet sich die perverse Solidarität derjenigen, die den Ernst des Lebens begriffen haben, die mit beiden Beinen im Leben stehen, die auf ihre Entbehrungen und Frustrationen (auch Leistung genannt) stolz sein können...
Doch wie sicher ist denn die Maschine? Lohnt sich die Solidarität mit ihr? Woher kommt diese merkwürdige Nervosität der Vertreter der Normalität? Die Wahrheit besteht heute darin, dass diese so imposante Maschine, die industrielle Arbeitsgesellschaft, unaufhaltsam dem Zusammenbruch entgegen treibt. Nicht nur saugt sie uns aus, sie macht auch sich selbst kaputt. Der industrielle Reichtum beruht auf Arbeit, doch die Arbeit wird durch Automatisierung und Elektronik überflüssig gemacht und es entsteht Massenarbeitslosigkeit. je komplizierter die Maschine wird, umso mehr Arbeit muss I'ür Reparaturen, Verwaltung und Kontrolle aufgewendet werden. Der Unterhalt der Maschine erfordert mehr Arbeit als sie selbst an Werten erzeugt, Die Schäden an der Natur und an der Gesundheit, die sie anrichtet, wachsen schneller als die Produktion. Der "Gesundheitssektor" explodiert, weil unser Kranksein das wichtigste Produkt der Maschine ist. Die Industriearbeit zeigt sich als reine Zerstörungsarbeit.
Die heutige Dauerkrise der Wirtschaft ist die Folge des inneren Widerspruchs der Maschine. Wenn es Aufschwünge gibt, dann bilden sie nur noch kleine «Erholungen» auf dem Weg nach unten. Nach jeder Konjunktur bleibt ein grösscrer Sockel an Arbeitslosen zurück.
Wenn die Wirtschaft in einer Krise ist, dann gilt das auch für den Wohlfahrtsstaat. Ein Kollaps des Währungssysterns kann unsere AHV, unsere Versicherungen und Pensionen, jederzeit hinwegfegen. Unsere «Garantien» stehen nur auf dem Papier - wir haben nichts in der Hand, um uns zu holen, was uns zusteht. Unser Vertrauen in die staatliche Sicherheit ist nur Ausdruck unserer wirklichen Ohnmacht und Vereinzelung. Ein paar gute Freunde werden mehr wert sein als der AHV-Versicherungsausweis oder das Sparheft.


Realpolitik

Vielleicht lässt sich die Maschine noch verändern und umbauen, damit sie sicherer und menschlicher wird? Warum nicht die Arbeitslosigkeit durch Einführung der 20-Stunden-Woche auffangen und gleichzeitig die Freizeit zur Selbsthilfe und Selbstversorgung in den Quartieren und im Sozialbereich einsetzen? So hätten alle Arbeit und der Staat könnte sich die meisten Wohlfahrtsausgaben sparen. Warum nicht den Privatverkehr einschränken, mehr in den öffentlichen Verkehr investieren, Energie einsparen (keine AKWs, mehr Isolation), Abfälle wiederverwerten, weniger Fleisch essen, strenge Umweltgesetze einführen, die Gesundheitsvorsorge verstärken, die Verwaltung an die Quartiere delegieren ("autonomer Sektor"), die Armeen abschaffen? Diese Reformvorschläge sind vernünftig, realistisch und eigentlich auch durchführbar, Sie bilden daher auch das offizielle oder inoffizielle Programm der «aufgeklärten» alternativ-sozialdemokratisch-grünbunten nunft richtet sich genauso, wer eine Volksinitiative für die 40 Stundenwoche startet oder wer einem Spekulanten die Villa anzündet. Beide wissen, dass die 40-Stundenwoche die Maschine kaum verändert und dass die Spekulation trotzdem weiter gehen wird. Hinter dieser politischen Vernunft steckt also eigentlich eine Lüge: man tut so, als ob man von seinem Handeln noch etwas haben würde, weiss aber, dass man, selbst wenn der eingeschlagene Weg Erfolg hat, längst tot sein wird, wenn das «Ziel» erreicht wird. Man wird zum geschichtlichen Helden, fühlt sich bald einmal betrogen. Die Enttäuschung verlangt nach einer «Belohnung», und die kann nur die Maschine geben. So wird aus dem Partisanen von gestern der Polizeiminster von morgen...
Wir kommen nicht darum herum, zuerst einmal mit unseren ganz «privaten» Wunschträumen herauszurücken, damit wir uns nicht gegenseitig betr-ügen. Moral und Realismus sind die ideologischen Waffen der Maschine und daher müssen wir es wagen, sowohl egoistisch als auch lächerlich zu sein. Vielleicht zeigt es sich dann, dass die "andern" gar nicht so «anders» sind, sondern dass wir uns alle mehr gleichen als wir denken. Vielleicht ist die Mehrheit, das Volk, die Masse, die Gesellschaft, die Wähler usw. nur ein Popanz der Maschine. Gegen die «erste Wirklichkeit» der Maschine müssen wir unsere «zweite Wirklichkeit» entwickeln. Sie ist unsere einzige Chance, weil die erste (inklusive ihre Verbesserungsmöglichkeiten) definitiv in der Sackgasse ist.
Die Maschine versucht die «zweite Wirklichkeit» zu erfassen und als Kultur zu verdauen. Träume sind als Filme, Musik, Romane, Feriendörfer usw. eingeplant und abgegrenzt. Eine Vermischung der ersten und der zweiten Wirklichkeit wird sorgfältig verhindert. Diese Kanalisierung unserer Wünsche müssen wir durchbrechen.
Es gibt heute als «realistische» Haltung nur noch das«Nichts oder Alles». Entweder schaffen wir ziemlich schnell einen Sprung von der ersten in die zweite Wirklichkeit oder beide zusammen gehen zu Grunde. Apokalypse und Evangelium. Weltuntergang oder Utopie, stehen sich heute schroff gegenüber. Wir müssen wählen zwischen einem endgültigen, zynischen Pessimismus und einem «salto vitale» in eine völlig andere Weit. Entweder endzeitliche Begeisterung oder totale Resignation. Mittlere Haltung wie «Hoffnung», «Zuversicht» «Geduld» sind heute nur noch Selbstbetrug oder Demagogie.
Das «Nichts» ist heute möglich und es ist auch eine Lebensanschauung geworden, mit der man durchaus leben kann. Wir müssen nicht unbedingt überleben. Es ist dem «Leben» und auch der «Natur», völlig egal, ob sie weiter existieren oder nicht. Aus dem Überleben und der Natur einen «Wert» zu machen bringt nur totalitäre Risiken (Oekofaschismus). Die Apokalyptiker, Nihilisten und Pessimisten haben gute Argumente für ihre Entscheidung. Sie haben ihren Lebensstil, ihre Mode, Musik, Philosophie (Schopenhauer, Cloran, Buddhismus). Vielleicht sind die Pessimisten sogar die wirklich «Glücklichen» und ist der bevorstehende atomare oder ökologische Weltuntergang die grosse Erlösung vom qualvollen «Lebenstrieb». Darum geht es nicht.
Das «Nichts» ist eine Möglichkeit, das «Alles» eine andere, Wenn ich daher versuche, meine Phantasien zum «Alles» darzustellen, dann ist damit noch nichts gegen das «Nichts» gesagt. Im Gegensatz zum Nichts ist das Alles heute relativ schlecht definiert und erscheint es als weniger realistisch. Niemand macht sich lächerlich mit pessimistischen Voraussagen. Es lohnt sich nur darum schon, das Alles etwas auszubauen, damit dadurch vielleicht das «Nichts» noch verlockender wird...

Politik Real

Bei meinen Erkundungsfahrten in der zweiten Wirklichkeit bin ich auf bolo'bolo gestossen. Es ist mein provisorischer, persönlicher Wunschtraum von einer Welt, in der ich als Vagabund oder in einem bestimmten bolo gerne leben würde. Insofern ist es purer Ernst. Andererseits ist es nur eine Vorstellung unter vielen, eine Hypothese, die man sich ausdenken und dann wieder vergessen kann, eine Wegwerf-Utopie. Ich möchte wirklich, dass bolo'bolo so in etwa fünfjahren verwirklicht wird, aber ich weiss auch, dass es nur ein Flipp unter vielen sein kann. Und wenn es nur eine Anregung und eine Aufmunterung an andere ist, ihre Zukunftsphantasien auch herauszulassen, dann hätte bolo'bolo auch schon einen Zweck erreicht...
Ich stelle mir vor, dass bolo'bolo oder andere Wunschträume die realpolitisch Resignierten wieder aus ihrer Apathie locken könnten und dass damit so etwas wie eine neue «Politik Real» entstehen könnte. Eine Politik (d.h. Umgang mit sich selbst und den andern), die nicht nur darauf aus ist, das «Schlimmste» zu verhindern, sondern die von bestimmten, möglichst praktischen, aber auch umfassenden Vorstellungen ausgeht und dann versucht, sie in die Gegenwart zu projizieren. Das könnte z.B. bedeuten, dass man schon heute versucht tega'sadis (siehe unten) einzurichten und entsprechende Gebäude verlangt.
Doch eigentlich geht es nicht um die Einschätzung der Realisierbarkeit von bolo'bolo und nicht um seinen (bescheidenen) möglichen Nutzen in heutigen Situationen, sondern um es selbst. Darum habe ich mir einige (aber nicht zu viele) Mühe gegeben, in groben Zügen abzuklären, ob bolo'bolo z. B. in einem Gebiet wie der Schweiz (die es dann aber nicht mehr unbedingt geben wird) rein technisch funktionieren könnte und wie lange es braucht, um es zu verwirklichen. Die verfügbaren Fakten zeigen, dass bolo'bolo innert fünf jahren im wesentlichen eingeführt werden könnte. Ich habe die Angste vieler Leute gerade in der Schweiz (eines der am höchsten versicherten Länder der Welt) ernst genommen und herausgefunden, dass keiner verhungern, erfrieren oder früher sterben müsste als heute. boto'bolo garantiert eine sanfte Landung in der zweiten Wirklichkeit.
Fünf Jahre (gemäss dem Delegierten für wirtschaftliche Kriegsvorsorge sogar nur drei) genügen zur Umstellung der Landwirtschaft auf Eigenversorgung. Mit Improvisationskunst, Verständigung und Freude am Chaos kann das grosse Durcheinander bewältigt werden. Wenn die nimas stark genug sind, die Staatsmaschinerie gelähmt werden kann und die Fabriken still stehen, gibt es genug Zeit und Energie für den grossen Zügeltag X.
bolo'bolo ist allerdings eine planetarische Veranstaltung und kann nur bestehen, wenn es weltweit zumindest vorherrschend ist (etwa im gleichen Grade wie heute die Geldwirtschaft). bolo'bolo als Anfang in einem Land, z. B. in der dafür besonders gut geeigneten Schweiz, Ist trotzdem denkbar, wenn es Teil des weltweiten Prozesses ist. Die Schweiz könnte vorangehen, weil sie übersichtlich ist, keine grossen machtpolitisehen Verschiebungen auslöst, im Grad der Industrialisierung einen gewissen Modellcharakter aufweist und auch mitten in Europa gelegen ist. Die Störungen im internationalen Rankensystem dürften auch zu verkraften sein...
Doch es kann auch ganz anders kommen.

 

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