Grabrede für Karl ...

Objekt

Titel
Grabrede für Karl ...
Beschreibung
Nachricht aus Brett CHAOS-HH
Aufbewahrungsort
Hacker Archiv Hamburg
Veröffentlichungsdatum
2 Oktober 1989
Is Referenced By
Zusatz zu Karl's Grabrede
Identifikator
ark:/45490/bzYzUW
Tag
KGB
content
Nachricht von: CHAOS-HH
Nachricht Nummer: 315
Nachricht von: STEFFEN§NETW.ZER
Betrifft: Grabrede für Karl …

Datum: 02.10.89 12:25
Grabrede für Karl (+23.5.89)
von einigen FreundInnen und Bekannten,
Hannover/Seelhorst, 8.9.89

"Wenn die Nacht am tiefsten,
ist der Tag am nächsten" -
Das war nicht nur ein Lieblingslied von Dir, Karl,
sondern auch ein selbstgewähltes Motto.

Wut und Trauer über Deinen Tod
verdecken nicht die Erinnerungen und Gefühle,
die wir zusammen gelebt haben.
Da sind nicht nur geglückte und mißglückte Versuche,
m-
Konzerte zu organisieren,
nicht nur unsere Feten in lauen Sommernächten,
da sind nicht nur ein toller Sommer in Spanien,
ein gemeinsam gestalteter Schülerkalender,
sondern auch viel alltägliches Leben.

Du warst einer von uns, weil wir uns nahe gewesen sind.
Obwohl wir es nicht beweisen können und
obwohl es eine Reihe von Indizien und Gerüchten gibt,
die den Grund Deines Todes im Unklaren lassen
oder bewußt mystifizieren, gehen wir als Deine Freunde davon aus, daß Du in eine Situation getrieben wurdest,
in der Du Dich schließlich selbst getötet hast.
Den physischen Schritt in den Tod bist Du selbst gegangen,
doch mitverantwortlich sind die Sensationsgier der Medien und die Kriminalisierungskampagne von Kripo und Staatsschutz.

Sie teilten das Interesse, die Sache gewaltig aufzubauschen, um ihren finanziellen und politischen Nutzen daraus zu ziehen.
Die Bedeutung eines Menschenlebens tritt dahinter zurück -
das hat Deine Geschichte einmal wieder gezeigt.

Die medienwirksame Ausschlachtung Deines Wissens haben zunächst die NDR-Journalisten Axel Lerche und Bernd Scheunemann betrieben.
Dir haben sie Geld geboten, für ihre Karriere.
Innerhalb der NDR-Hierarchie haben sie Dich weitergereicht
an die Panorama-Redaktion, die sich alle Mühe gab,
daraus den größten Spionagefall seit Guillaume zu kreieren.

Panorama's Doppelspiel mit dem Verfassungsschutz kann als "Goodwill-Aktion" gegenüber den Behörden gewertet werden, nicht als Hilfe für Dich.
Die guten Beziehungen zwischen Panorama-Chefredaktuer Wagner und
Verfassungsschützer Lochte verschärften Deine Situation.
Über diese Verbindung wurdest Du gedrängt, Deine Aussage zu machen, mit dem Versprechen, Dir Straffreiheit zu gewahren und Dir einen Therapieplatz anzubieten.
Als Du Dich einließest,
hatten sie dich als gefügige Informationsquelle in der Hand;
ansonsten haben sie Dich abgelinkt;
eingelöst wurde nichts.
Sie wollten lediglich Deine "Beichte";
Du solltest Deine Freunde verraten und Dich selbst isolieren.
Dafür haben sie Dich kriminalisiert,
indem sie Dich zum Feind der Inneren Sicherheit machten,
der den technologischen Vorsprung gegenüber dem Osten gefährdet.
Sie forderten Dich in ihrem Interesse auch dazu auf,
daß Du Dich von Deinem Freundeskreis abspaltest,
nachdem sie ihn kurzerhand zur Terrorszene erklärten.

Doch nach Deinem Tod ging das Geldverdienen erst richtig los. Buchautoren wie Ammann, Photographen, Fernsehjournalisten, Zeitungen meideten sich mit d e r wahren Geschichte und mit Schlagzeilen Wie "Selbstmord oder Hinrichtung“, "CDU-Fahrer im Wald verbrannt" in der Öffentlichkeit zu Wort.
Die Story auszuschlachten, war sich auch die SPD nicht zu schade, aus Deinem Tod noch schnell vor der Europawahl einen CDU-Skandal zu inszenieren (als ob es nicht genug gäbe).

Sie hatten es geschafft; Du warst zu ihrer Marionette geworden.
Du hast versucht, einen Weg in Ihre Maschinerie zu finden.
Du hattest Dir Dein eigenes Weltbild geschaffen,
Dich selber in Ihren Psychoknast gebracht -
Deine letzte Chance auf Geborgenheit? -
nur um gleich wieder zu versuchen, ihm zu entkommen:
Zu verhindern, daß sie Deine Träume, Deine Gefühle,
Dein Verrücktsein mit ihrem Allheilmittel Haldol lahmlegen.

Geschafft hast Du's nicht;
Du hast versucht, den einfacheren Weg zu gehen:
Das zu fressen, was sie Dir gaben.
Du hast •versucht, ihrem Staat zu glauben,
an die Sicherheit, die Verfassungsschutz, Presse&Co Dir versprachen,
hast versucht Dir Deine - innere und äußere -
Normalität zurückgeben zu lassen.

Aber wir glauben, Du warst schon viel zu sehr isoliert,
denn der Zwiespalt zwischen Deiner unmittelbaren Realität und der, die Du Dir "eingebildet" hast, wurde immer größer.
Zu dieser Zeit, in der Du für jeden vermeintlich klaren Halt dankbar warst,
hast Du sogar mit Deinen einstigen Feindbildern
Geheimdienst und Polizei - zusammengearbeitet,
einfach weil sie Dir offenbar glaubten.
Deine Einsamkeit wollte oder konnte dort jedoch niemand verstehen.
JETZT BIST DU TOD - DIE SPRACHE VERSTEHT JEDER.

Du bist geworden, was Du Dir vielleicht gewünscht hast:
Ein Mysterium - der Anarchist, Drogenabhängige,
Superhacker und Verrückte.

DASS DU EIN MENSCH WARST, IST GESCHICHTE ...
isPartOf
Archiv Ordner 48