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Chaos-Dienstreise nach Graz

Eines Tages wurde uns durch den Besuch des Vorsitzenden der Studentenschaft der Technischen Universität Graz bekannt, daß die TU Graz anläßlich ihres 175- jährigen Bestehens eine Veranstaltung mit dem Titel "TECHNIK FEIERN" geplant hatte, da es ja zu langweilig wäre, ständig maschinenstürmerisch auf die Technik zu schimpfen, und man ja nun endlich einmal einen Kontrast dazu schaffen müsse. Das Schaffen eines Kontrastes ist den Organisatoren zumindest mit ihrem Ankündigungsplakat gelungen: Rote Schrift auf grünem Grund. Wir bekamen netterweise eines dieser kontrastreichen Plakate überreicht, worauf zu lesen war, daß der Chaos-Computer-Club aus Hamburg bei der Veranstaltung mitwirken würde. Der Veranstalter teilte uns mit, daß man nunmehr nicht mehr auf uns verzichten könne, da unser Vortrag bereits durch Verbalpropaganda als der "Hammer" angekündigt worden sei. Wir beschlossen, uns den Tatsachen zu fügen und uns für den "Tag X" in Köln zu verabreden, da dort etwa zeitgleich die Organtechnik- Messe stattfand, die ohnehin besucht werden mußte. Ähnlich geschah es auch wenig später in Köln. Wir trafen uns nach einigen orgatechnischen Problemen tatsächlich auf der Messe und begaben uns nach dem einen oder anderen, nebenbei bemerkt, recht erfrischenden Kölsch und einer gutbürgerlichen Mahlzeit mit etwa zwanzig Hackern aus rund vier Bundesländern, in Clinch's Chaos-Mobil, welches den Antritt der Reise schon dadurch erheblich vereinfachte, daß es sofort ansprang.
An diesem Punkt wäre vielleicht zu bemerken, daß dieses für eine derartige Reise recht bemerkenswert ausgestattet ist. Es besitzt nicht nur Sitze für Fahrer und Beifahrer sowie zwei weitere Personen der technologischen Zukunft, sondern auch ein eingebautes Digitalvoltmeter, diverse Antennen und eine gut zugreifbare Gerätesteckdose für TV, Amateurfunkgeräte und, optionales digital equipment (tin). Eine zweifarbige Leuchtdiode zeigt stets den Betriebszustand der Aggregate an, deren Nachrichten zu verstehen, ich jedoch mangels ausreichender Morsekenntnisse, nicht in der Lage war. Es vergingen einige Minuten Fahrzeit bis wir in München eintrafen um uns ein Quartier für die Nacht zu suchen. Mit freundlicher Hilfe der Kollegen von der B.H.P. ließ sich relativ schnell eine komfortable Übernachtungsstätte in einem Rehabilitationszentrum am Rande der Stadt ausfindig machen. Am nächsten Morgen gerieten wir aufgrund bisher ungeklärter Ursache erneut auf die Autobahn, die uns ohne Umwege an die Österreichische Grenze leitete. Nun wurde vieles anders. Das Essen auf den Raststätten wurde deutlich besser, auch der Geldsack konnte sich etwas von den kölner Strapazen erholen. Die primäre Euphorie wurde jedoch schon nach wenigen K metern durch den Ärger über die Straßenverhältnisse kompensiert. Außer einem vergrauten Verkehrsschild ließ kaum noch etwas darauf schließen, daß wir uns auf einer Autobahn befanden. Der Übergang zwischen Autobahn und Krautacker wurde durch regen Regen zunehmend fließender. Die erste Begegnung mit der Zivilisation des Zielgebietes hatten wir auf einer Autobahnraststätte ca. 50 K meter vor Graz. Dort kämpfte eine ganze Armee Österreicher mit einer nicht zu öffnenden Kaffeemühle. Sie hatten die Maschine mittels eines Vorhängeschlosses gegen den Zugriff unauthorisierter Wesen zu sichern gesucht, was unweigerlich dazu führen mußte, daß die Sicherungen den authorisierten Benutzern den Zugriff versperrten. Ich halte es für höchst zweifelhaft, anzunehmen, daß sich ein unauthorisierter Benutzer durch eine derartige Sicherung von seinem Vorhaben hätte abbringen lassen.

Mittlerweile hatte sich der Wasserstand im Chaos-Mobil derart dramatisch erhöht, daß eine Gefährdung der technischen Einrichtungen nicht mehr auszuschließen gewesen wäre, wenn wir nicht den Unterboden mit einem Loch versehen hätten. Mit der üblichen Präzision durchschlugen wir den Fahrzeugboden mittels eines Spezialwerkzeuges (CCC genuine part No. 1254/VSM),so daß ein fließendes Regenwasser (ER) und ausfließendes Schmutzwasser (AS) sich exakt nach der Ungleichungsformel ER-AS=0 verhielten. In Graz erhellten sich die Straßen wieder, doch das beleuchtete unsere Vorstellung vom genauen Ziel nur unwesentlich. Nicht zuletzt deshalb sah sich unser Amateurfunker genötigt, seinesgleichen in der Fremde zu suchen. Glücklicherweise gibt es auch in Graz einige wenige amateurfunkende Spätaufsteher. Amateurfunker sind eine ganz seltsame Sorte Mensch, Erst bewerfen sie sich eifrig mit Q-Gruppen und Rufzeichen, um danach vergessen zu haben, was sie eigentlich sagen wollten. Da braucht selbst BeuNett, obwohl von HAL, weniger Overhead. Wir fragten also die freundlichen Funker, wo's denn zur TU gehe. Sofort entbrannte eine heiße Diskussion zwischen den Lokalamateuren, wo wir uns wohl befanden und was wohl der geeignetste Weg dorthin wäre. Unserem Mobilfunker gelang es nicht seinen Ein-Watt-Phallus dazwischenzuhalten, und so begab es sich, daß wir uns schon längst nicht mehr an der spekulativ ermittelten Stelle befanden.

Unser Mobilfunker hatte auch nicht gerade die Gabe, sich besonders präzise auszudrücken. Er gab dem Lokalfunker so aussagekräftige Hinweise wie etwa "Auf der rechten Straßenseite sehe ich ein Vorfahrtschild" oder "Direkt hinter uns fährt ein roter Käfer, und zwar genau in Decklinie mit einem mittelgroßen Haus", Die Antwort (nach eingehender Diskussion natürlich) fiel etwa ähnlich informativ aus: "Wenn ihr die Straßenbahnschienen seht, müßt ihr sofort halb-rechts abbiegen!" Wären wir dieser Auskunft gefolgt, hätten wir uns wohl in Wien wiedergefunden, da in Österreich bekanntlich alle Wege nach Wien führen-früher oder später. Das Gelände der Uni war im Grunde unverfehlbar, da Graz zu einem ungewöhnlich hohen Prozentsatz aus Universität besteht, so verfehlten auch wir es nicht. Wir fuhren die Auffahrt hinauf zum großen Portal. An dem Tor war ein Zettel angeheftet auf dem in Caps-Lock drei riesige C's zu sehen waren. Der inliegende Text wies aus, daß der Organisator im Restaurant "Laufke" zu finden sei. Es kostete uns nur zwanzig Minuten, das zwei Straßen weiter gelegene Restaurant aufzusuchen, welches ohne jeden Zweifel in der Lage war, uns für jeglichen Mangel des Zielgebietes zu entschädigen. Das beschriebene Restaurant ist eine gastronomische Oase am Rande des Universums. Man kann bequem dem Weltuntergang entgegensehen. Die erste Nacht, die nun über die Stadt hereingebrochen war, verbrachten wir in unterschiedlich komfortabel ausgestatteten Unterkünften. Zwei ppl. bei einem Architekturpuristen, drei Leute in einer Mädchen-WG. Ich selbst schloß mich ersterer Möglichkeit an, da diese gesicherte Nachtruhe zu versprechen schien. Der folgende Tag meldete sich vorsichtig mit einem laserartigen Sonnenstrahl von höchstens zwei Milliwatt Leistung und einem vorzüglichen, unverlängerten türkischen Kaffee an. An der TU standen zwar ein paar VAXen im Glaskasten, ein Telefon zu finden, jedoch, war ein aussichtsloses Unterfangen. Der freundliche Organisator war stets bereit, uns jede nur erdenkliche Hilfestellung angedeihen zu lassen, so machte er sich auf den Weg ein Telefon zu besorgen. Ich muß gestehen, daß ich ein wenig entsetzt dreingeschaut haben muß, als er zurückkehrte. Er überreichte mir freudestrahlend einen Fernsprechapparat. "Hier hast du ein Telefon ", sagte er in erhebender Tonlage. Es gelang uns, ihm zu erklären, daß Wasserhähne, um Wasser zu speien, an eine Wasserleitung angeschlossen werden müssen, und es sich mit Telefonen nicht wesentlich anders verhalte, mit dem einzigen, feinen Unterschied, daß in diesem speziellen Falle eine Wasserleitung nicht helfe. Dieses Problem sollte sich erst später, ca. 5 Minuten vor Beginn des Vortrags, klären. Ich rief dann erst einmal die Post an, um die Telefonnummer für den Grazer Datex-P Vermittlungsrechner zu erfragen. Man informierte mich postwendend, daß der Telefonzugang für Datex-P geplant, über den Beginn der Arbeiten jedoch noch nichts bekannt sei. Ich mußte erneut schlucken. Das also war der Grund für die unangemessen schwache Vertretung Österreichs in der NetworkerCrew. Glücklicherweise hatte eine der Uni-VAXen einen Datex-P10 Hauptanschluß und die SysOps der VAXen waren SEHR KOOPERATIV (!!!), Leider hat das Packet Switching Interface (PSI) unter dem dort laufenden VMS 4.1 noch eine kleine Macke, so daß ich unabsichtlich die DECNET-links zwischen den Nodes "JMCH: :" und "STG: : " - unwiderruflich bis zum nächsten re-boot beider Maschinen - in den Wald geschickt hatte. Wie bereits erwähnt, kam in letzter Sekunde die rettende Idee. Wir schraubten das einzige voll amtsberechtigte Vierteltelefon im Erdgeschoß auseinander, klebten die ungleichen Sprech- bzw. Hörkapseln mit denen eines Haustelefonanapparates zusammen und stellten einen Mann für die Aufgabe des Wählens im Erdgeschoß ab. Im Hörsaal Sechs, in den die Veranstaltung verlegt worden war, da dort der einzige Terminalanschluß möglich war, gab es murphylogischerweise keinen Haustelefonanschluß. Generell war in Graz die technische Ausstattung für eine technische Universität eher dürftig. So mußte die Veranstaltung erneut umziehen - In die Aula, wie eingangs geplant. Der Computer, der auch nur durch das Ausleihen einer CGA-Karte im wohl einzigen Compi-Shop von Graz dazu überredet werden konnte, auf dem Video-Beam sinnvolle Zeichen abzubilden, sowie der Großbildprojektor selbst, mußte mit vereinten Kräften in den ersten Stock getragen werden, wo mein mitgebrachtes Schlabberphon an einem Haustelefonhörer lauerte. Der im Erdgeschoß abgestellte Mann wählte den hamburger PAD an und siehe da, der hatte nichts dagegen, uns die große weite Datenwelt zu offenbaren. Wir ließen also den üblichen Senf von Vernetzung, Technik, Post, Fun und so ab, pilgerten über die lange Leitung nach CERN, dem Mekka der Hacker, und demonstrierten dort noch ein bißchen BeuNett. Der Vortrag selbst verlief recht ordentlich, wie mir schien. Ich selbst verlor nur zweimal den Faden und drehte nur eine einzige Schleife in meinem Konzept. Auch der Veranstalter zeigte sich zufrieden. Nach dem Vortrag giftete noch irgendein konservativer Zwerg aus der Reihe Mitte rechts, daß das doch aber alles illegal und destruktiv sei, konnte sich aber mit dieser Ansicht nicht ganz durchsetzen. Ein erfreulicheres Erlebnis war da schon, einige alte Bekannte zu Gesicht zu bekommen: die ausgesprochen nette, durch Zweiradfahrt etwas durchgefrorene Schwester unseres Chefredakteurs und desselben Mitbewohner eines hamburger Appartements. Auf der Rückfahrt waren uns Österreichs Wettergötter erheblich wohlgesonnener, wodurch wir eine etwas wohlbesonnere Heimkehr betreiben konnten. Nach dem obligatorischen Überfall der Straßenräuber (Mautgeldjäger) trafen wir erneut in München ein. Dort plauderten wir nachmittags noch etwas mit dem Boxmanager "KR" von Markt & Technik, versuchten unseren Greuel einzufangen, stießen dabei nur auf eine verschlafene Hackersfrau, und mußten die Stadt doch unverrichteter Dinge verlassen. Pünktlich um sieben Uhr morgens konnte unser Chaospostler Clinch wieder seinen Dienst bei der Bundespost in Hamburg antreten.

Vic.

 

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