|
Strahlende ComputerVan Carola SchoweUrsula Irle arbeitete aushilfsweise drei Stunden täglich an einem Computerbildschirm. Nach vier Wochen litt sie plötzlich unter Schlaflosigkeit, Herzrhythmusstörungen und seltsamen Hautausschlägen nach dem Duschen. Sie gab den Zusatzverdienst wieder auf - und die Beschwerden verschwanden. Jetzt fürchtet sie, ihren angestammten Arbeitsplatz auch aufgeben zu müssen: auch dort werden demnächst Bildschirme installiert. Nach einer Odyssee vom Haus- zum Zahnarzt, über den Internisten zum Nervenarzt ist ihr klar- ihr fehlt sonst nichts. Aber Bildschirmarbeit verträgt sie nicht. Eine Berufsunfähigkeitsrente oder eine Entschädigung wegen einer Berufskrankheit darf sie aber nicht erwarten, Laut amtlicher Sprachregelung können Bildschirmarbeitsplätze gar nicht krank machen. Und wenn sie es doch tun? Die Betroffenen machen EKGs und Allergietests, lassen sich Valium und Psychotherapie aufschwatzen. "Alle Kolleginnen sehen ihre gesundheitlichen Störungen als persönliches Schicksal an und haben sich damit abgefunden", berichtet eine Datentypistin. Behandelnde Ärzteuntersuchen Körperdetails - die Augen, den Unterleib, die Nieren - und verneinen dann jeden Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen. Ursula Irle hat sich einer Selbsthilfe ruppe angeschlossqn, die vor einigen Monaten von der Maschinenbautechnikerin Ingeborg May-Steinhausen gegründet wurde. Sie hatte teilweise ganztags am CAD-Bildschirm gezeichnet und Nieren- und Blasenbeschwerden davongetragen. Im Gegensatz zu vielen anderen suchte sie die "Schuld" für ihre Krankheit nicht bei sich, sondern in ihren Arbeitsbedingungen. Und sie fand sich auch nicht ab. Sie kündigte. "Seit 26 Jahren bin ich im Arbeitsprozeß, ohne einen Tag arbeitslos gewesen zu sein. Da ich noch ca. 20 Jahre im Berufsleben zu stehen habe, möchte ich alles tun, um meinen Gesundheitszustand wieder herzustellen, ehe es zu spät ist", schrieb sie in dem Brief ans Arbeitsamt. Ihre Gutachten waren so überzeugend, daß das Arbeitsamt den Kündigungsgrund anerkannte. Ein Präzedenzfall. Bisher wurden ähnliche Begehren immer mit dem Hinweis auf den wissenschaftlichen Erkenntnisstand vom Tisch gewischt. Noch Anfang Juni antwortete die Bundesregierung auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Urbaniak: "Nach Kenntnis der Bundesregierung hat bisher weltweit keine der abgeschlossenen wissenschaftlichen Untersuchungen gesundheitsschädigende Auswirkungen der Bildschirmarbeit nachgewiesen". Das ist nicht falsch. Nachgewiesen, abgesichert durch eine genügend große Anzahl menschlicher Probanden, ist noch gar nichts. Wer hat schon Interesse, einer Zukunftstechnologie nachzuweisen, daß sie die Gesundheit beeinträchtigt? Die Bundes reg ieru ngj edenfalls nicht. Sie behauptete zwar im letzten Jahr, auch das Arbeitsumfeld in Forschungsvorhaben zu neuen Techniken einbeziehen zu wollen, lehnte aber jetzt eine spezielle Großfelduntersuchung ab. Das Institut für Strahlenhygiene des Bundesgesundheitsamtes bestritt in diesem Jahr einen Zusammenhang zwischen Bildschirmarbeit und Schwangerschaftskomplikationen. Und ganz aktuell äußerte sich eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin e.V. (einem sehr konservativen Berufsverband): BildschirmarbeitkönnezwarHaltungsprobleme und Sehstörungen mit sich bringen. Aber alle anderen Befürchtungen entbehrten jederGrundlage, Diese Grundlagen zu schaffen, ist das Hauptanliegen des Informationsbüros MaySteinhausen. Die Anfrage des Abgeordneten und der harsche Ton der Arbeitsmediziner haben den gleichen Anlaß: Es gibt ein neues Gutachten, das die festgefahrene Diskussion wiederinSchwungbringt. Dr. Ute Bolkat, Richard Donderer und Roland Kollert stellten imAuftrag einer Computerzeitschrift den in- ternationalen Erkenntnisstand zum Thema"Biologische Effekte elektromagnetischer Strahlung vonComputer-Bildschirmen" zusammen und maßen erstmals die konkreten Werte von 16 Homeund Personal-Computern. Daß es einem nach Bildschirmarbeiten vor den Augen flimmert, daß man nachts weniger sieht, daß Daten-Tippsen unter verspanntem Nacken leiden - das bestreitet heute kaum nochjemand. Aber schon bei der Frage der RöntgenStrahlung, die aus den Geräten austritt, scheiden sich die Geister. Es gibt schwedische und kanadische Untersuchungen, die eine Gefährdung von Föten und Schwangeren für wahrscheinlich halten. Eine finnische Studie fand dafür keine Beweise. Aber die Langzeitwirkungen geringer Röntgenstrahlung sind nicht ausreichend erforscht, Seit die Diskussion darüber gegen Ende der siebziger Jahre breites öffentliches Interesse fand, haben sich die Computerhersteller mit Erfolg bemüht, die Röntgenstrahlung ihrer Geräte zu minimieren. Die neuesten Forschungen im Ausland und auch das Gutachten von Boikat und Co. beschäftigen sich mit einer anderen Art von Strahlung: der elektromagnetischen, die alle elektrischen Geräte erzeugen. Die Wechselströme , die sie in menschlichen Körpern hervorrufen, sind sehr schwach - niederfrequent und damit langweilig. Akut passiert deshalb nichts Besonderes. Neben einem elektrischen Föhn zu stehen, läßt einenja auch nicht plötzlich krank werden. Aber der sogenannte Elektro-Smog ist bereits ein vieldiskutiertes Problem: Menschen schlafen schlecht unter Hoch spannungsleitungen; Herzschrittmacher versagen in der Nähe von Starkstromkabeln, Säuglinge werden unruhig neben Elektroherden. Bei Bildschirmen werden diese elektromagnetischen Felder gepulst, d. h. biszu sechzig Mal inder Sekunde an- und ausgeschaltet. Das verstärkt deren Wirkung enorm. Wenn die Frequenz dieser elektromagnetischen Strahlung diejenige beeinflußt, mit der die Zellmembranen im Körper miteinander "flüstern", können die Zellen in ihrer Funktion gestört werden. Äußerlich meßbar ist dann der Verlust von Calcium aus den Zellen. Kalk ist für die Reizübertragung äußerst wichtig. Wie die Störungen ablaufen, und ob elektromagnetische Strahlung etwa auch Krebs hervorrufen kann, erforscht zur Zeit das USamerikanische ,National Council of Radiation Protection". Und auch aus anderen Ländern, vor allem aus dem Ostblock, liegen Studien mit Anhaltspunkten dafür vor, daß die Wirkung elektromagnetischer Strahlung schon bei Null beginnt. Anhaltspunkte dafür, daß Bildschirmarbeit auf jeden Fall gefährlich ist. Dies ist der Punkt, der die Arbeitsmediziner, die sich der Industrie verpflichtet sehen, so garstig werden läßt. Jeder Bildschirm sendet elektromagnetischeStrahlung aus. Die meisten sorgen mit ihren elektromagneti schen Entladungen außerdem für ein regelrechtes Staubpartikel-Bombardement auf die Haut der BenutzerInnen - ein weiteres Phänomen, dessen gesundheitliche Folgen noch nicht erforscht sind. Bei ihrem Warentest fanden Boikat/Donderer/Kollert keinen Computer, den sie bedenkenlos empfehlenkönnten.GuteWertein einem Meßbereich wurden meist durch miserable in einem anderen zunichte gemacht. Strahlungsarme Bildschirme mit Flüssigkristall- oder Plasma-Technik werden frühestens in sechs Jahren marktreif. Ein provisorischer Filter, Erdung und Ummantelung können allerdings die Strahlung um bis zu neunzig Prozent verringern. Dr. Ute Boikat weiß, mit welchen Gegnern sie es zu tun hat: "Die greifen mich leidenschaftlich an", meint sie ein wenig furchtsam. Und sie findet auch ' daß ihre Ergebnisse nur ein Anfang seinkönnen, um weiterzuforschen. Bleiben noch die Gewerkschaften. Sind sie zu arm, um eigene e xperimentelleStudieninAuftragzu geben? Oder liegt ihr mangelndes Engagement darin begründet, daß vor Bildschirmen meist Frauen sitzen? Während Frauen oft acht Stunden täglich auf den Monitor starren müssen, haben Männer meist Mischarbeitsplätze. Sabine Kaiser, zuständig beim DGBBundesvorstand, findet, daß die Gewerkschaften sehr wohl aktiv sind in diesem Punkt - aber man verfügehaltüber so wenig abgesicherte Erkenntnisse... Ihr nächster wichtiger Termin in einerPolitik der kleinen Schritte ist die Herbstsitzung eines berufsgenossenschaftlichen Fachausschusses, deru. a. Regelwerke zur Vorbeugung gegen Unfälle und Berufskrankheitenerarbeitet. Für Bildschirmarbeitsplätze gibt es bisher nur sogenannte "Sicherheitsregeln", die keine Gesetzeskraft haben. Ansonsten gelten die Vorschriften für den Strahlenschutz. Der DGB möchte eine rechtsverbindliche "Unfallverhütungsvorschrift" erstellt wissen, mit folgenden Inhalten:
l> Als Bildschirmarbeitsplätze im Sinne der Vorschrift sollen die gelten, an denen jemand am Terminal sitzt - und sei es auch nur eine halbe Stunde am Tag. Bisher galt die Definition nur für "überwiegende" Tätigkeit am Computer - ein beliebtes Schlupfloch für die Arbeitgeber. > Herabsetzung der Grenzwerte und Zuschnitt auf die Situation an den Monitoren. Ziel: auch Langzeitschäden sollen vermieden werden. > Die Hersteller sollen dazu gezwungen werden, jede Art von Strahlenbelastung zu minimieren also Ummantelungen und Filter; schon im Werk einbauen. > Schwangere sollen aufWunsch einen anderen Arbeitsplatz bekommen. Software soll möglichst benut-zer/Innenfreundlich gestaltet sein.
Die Berufsgenossenschaften sind partitätisch mit Arbeitgebern und Gewerkschaften besetzt. SabineKaiserwirdalsoMühehaben, ihre Forderungen durchzusetzen. Betroffene, die sich im Betrieb engagieren, haben dennoch ganz gute Chancen, sich selbst zu helfen. Ein Mitglied der Selbsthilfegruppe erkämpfte sich einen bildschirrnfreien Arbeitsplatz mit Unterstützung des Werksarztes. "Er bat mich, keinem zu erzählen, daß diese Störungen von derArbeit am Bildschirm kommen", gab er zu Protokoll. Und Ingeborg MaySteinhausen weiß, daß zehn weitere KollegInnen nach ihr kündigten. Dem Chef war das eine Warnung, er versprach Verbesserungen. Obiger Artikel erschien am 30. Juli 1987 in der "tageszeitung". Die Autorin hat inzwischen ei Buch über das Thema geschrieben. Es erscheint wahrscheinlich im Januar 1989 unter dem Titel 'Krank durch Computer? Die neue Volkskrankheit Und was Sie dagegen tun können" im Rowohlt Verlag. 1) Das Boikay-Gutachten ist in populärwissenschaftlicher Form nachzulesen in der Juni Ausgabe des P.M.-Conputerbefts. Bestellung per Einzahlung von DM 7,50 auf Konto Nr. 7115-203 Postgiro Hamburg.
2) Informationsstelle Ingeborg May-Steinhausen, Brükkenstr. 50,
6000 Frankfurt 70,
3) Dir Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin e.V.
erscheint in
der Nr. 7 der Zeitschrift für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin,
Praeventivmedizin, schirmfiltern her (vom billign Nylon-Filter gegen Flimmern bis zu Metallfiltern für militärische Zwecke). Sie ist ein deutscher Hersteller für Carbonfilter gegen elektromagnetischeStrahlung. T.1.: 089/59 61 34/5, Bayerstr. 2, 8000 München 2
5) Auch Alu-oder Kupfefolie hilft Strahlung verringern. Es besteht aber die Gefahr der Überhitzng des Computers bei unsachgermäißer Montage. 6) Computer der Firma Memor,x sind angeblich mit Filter und Erdungsvelle ab W~irk heferbar.DieskandinavischeFirn. Nokin stellt streustrahlungsarme Bildschirme her. 7) Die Sicherheitsregeln für Bildschirmarbeitsplätzc' müßten sich beim Personal-/Betriebsrat finden. Gegen eine geringe Gebühr verschickt sie die Verwaltungs-Berufsgenossen-Schaft, Postfach 60 28 60, 2000 Hamburg 60. |
[HaBi 2]
Strahlende Computer