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Ein Mallboxbetreiber erzähltvon Reinhard Schrutzki Ein zarter Lichtstrahl fällt durch das halbblinde Fenster auf meinen Monitor und versperrt den Ausblick auf wichtige Daten. "Aha, es ist wieder Frühling", schießt es durchs Hirn. Mühsam reisse ich den Blick los von der zweidimensionalen Schlichtheit und wende ihn gartenwärts. Langsam dringt Frühlingswirklichkeit in mein Bewußtsein. Ein letztes Mal gleitet das Auge über die Reihe der Bildschirme, die im Licht der jungen Sonne zu verblassen drohen. Schon halb auf der Treppe und auf dem Weg in den nahen Park durchzuckt mich die Frage: "Wie konnte das alles passieren?" Meine erste Begegnung mit dem Computer hatte ich während der Ausbildung zum Elektromechaniker. Der Personalcomputer war knapp zwei Jahre alt und hatte seinen Siegeszug gerade erst begonnen, aber schon waren, zumindest für angehende Techniker, die Springfluten erkennbar, die er mit sich bringen würde. Da die Ausbildungsvergütung, die ich damals erhielt, bei weitem nicht ausreichte, um mich in den Besitz der begehrten Geräte zu setzen, blieb es zunächst bei einer platonischen Beziehung. Die sah so aus, daß ich ständig zum Zeitschriftenhändler lief, um die neuesten Fachzeitschriften zu erstehen und selbige in der Abgeschiedenheit meiner Wohnung zu verschlingen. Rund ein Jahr später erfolgte dann der erste große Einbruch auf dem Computermarkt: Sir Clive Sinciair brachte mit dem ZX80 erstmals einen Homecomputer auf den Markt, der für kleine Geldbeutel erschwinglich war. Für weniger als tausend Mark konnte man nun ein zigarrenschachtelgroßes Etwas erstehen, das bei der kleinsten Berührung die Arbeit von Stunden vergaß und etwa soviel Speicherplatz hatte, wie heute benötigt werden, um die ersten zwei Zeilen einer Grafik darzustellen. In der Tat war die Leistungsfähigkeit dieser Maschine so begrenzt, daß einem gar nichts anderes übrig blieb, als sich mit der Alchimistenküche der maschinennahen Programmierung zu beschäftigen, alles andere hätte in der Ausführung viel zu lange gedauert. Die Werkzeuge, die dem ZX80/81-Programmierer zur Verfügung standen, waren der Rechner selbst, das bis heute unerreicht gute Handbuch, sowie Rod Zak's "Programming the Z80", alle Lektüre selbstverständlich in englischer Sprache, denn der deutsche Markt existierte noch nicht. Die Umsetzung in eine maschinenlesbare Form geschah im Kopf und auf Bergen von Papier, denn es gab keine Programme, die diese Arbeit übernehmen konnten. Der Prozessorbefehl wurde anhand der Zeichentabelle im Handbuch verschlüsselt und das zugehörige Zeichen virtuos auf der fünffach belegten Tastatur in den Rechner gehackt. Es hat eigentlich nie wieder so unmittelbare Erfolgserlebnisse für mich gegeben, wie damals, wenn sich nach fünf Stunden intensivster Arbeit herausstellte, daß man tasächlich schnell bewegte Bilder mit dieser oft als Digital-Türstopper verrissenen Maschine erzeugen konnte. Gewiß, die grafische Darstellung war nicht besser als das legendäre TV-Tennis, das den Ruhm der Videogames begründete, aber erschwingliche Alternativen gab es halt nicht. Der nächste Meilenstein für mich war der Commodore VC20. Diesen Rechner würdigte ich dadurch, daß ich ihn nicht kaufte, denn es war klar, daß da mehr sein mußte als ein farbiger ZX81, bei dem jede Erweiterung einen Monatslohn kostete. Und richtig, wenig später erschien der Commodore 64 auf der Bildfläche, ein vielfarbiger Speicherriese mit vollen 64 kB Speicher, der Möglichkeit, einfach Zusatzgeräte wie Floppy-Laufwerke und Drucker anzuschließen und mit damals 1400 DM unerreicht preiswert, wenn man die neuen Möglichkeiten mit dem Marktstandard verglich. Im Gegensatz zu anderen Maschinen, die vielleicht mehr freien Speicher hatten, oderschneller waren, hatte der C64 den Vorteil, eine wirklich offene Maschine zu sein, die sich mit vergleichsweise geringem Aufwand auch für Dinge nutzen ließ, an die wohl nicht einmal der Hersteller gedacht hat. Dies zeigt sich auch daran, daß dieser Rechner nunmehr im sechsten Jahr steht und sich millionenfach verbreitet hat. Das Angebot an Programmen ist schier unübersehbar geworden, wenngleich auch der Schwerpunkt bei den Computerspielen anzusiedeln ist, weniger bei Gebrauchssoftware. Das Interesse am C64hielt zwei Jahre und flachte dann ab. Irgendwie wurde es unbefriedigend, immer wieder irgendwelche Spiele zu spielen, oder sich mit einem unzulänglichen Textprogramm herumzuärgern. Die unvermeidliche Erkenntnis, daß man seine private Adressenliste doch besser mittels eines Notizbuches führte, statt mit dem Computer, der erschreckend unrationell war, wenn man drei Minuten auf eine Ausgabe warten mußte, die man auch binnen Sekunden hätte nachschlagen können, tötet jede Euphorie. Die Tage, an denen die Kiste ausgeschaltet blieb, mehrten sich und im Frühjahr 1984 war alles zum Stillstand gekommen. Die Situation war ähnlich wie bei einer vom Bankrott bedrohten Firma, mit dem vorhandenen Material war nichts mehr anzufangen, trotzdem stellte es einen Wert dar, der zu nutzen war. Logische Konsequenz: entweder weiter investieren oder alles als Verlust abschreiben. Da traf es sich gut, daß die Post nach langem Hin und Her endlich die Erlaubnis erteilt hatte, Geräte zur nichtöffentlichen bewegten Datenübertragung zu benutzen, die sogenannten Akustikkoppler, die zu Preisen um 1000 DM den Einstieg ins Weltdatennetz anboten. Epson CX21 hieß der Schlüssel zum globalen Dorf, und war ein unscheinbares, kantiges Etwas, das sich standhaft weigerte, etwas anderes als den Hörer einer grauen Maus, wie der Fernsprechtischapparat 612 gerne genannt wird, zu akzeptieren. Dieses Gerät setzte die Zeichen, die der Computer von sich gab, in hörbare Töne um und konnte entsprechende Töne eines anderen Computers wieder in ein maschinenkonformes Format umsetzen. Die Faszination dieser eher profanen Maschine lag darin, daß es plötzlich egal war, weichen Computer man benutzte, ob am anderen Ende des Drahtes ein Homecomputer oder ein Großrechner war, und wo dieser fremde Rechner stand. Japan, Amerika, Afrika - das alles schrumpfte zu mehr oder weniger langen Vorwahlen und im heimischen Wohnzimmer gaben sich Leute ein Stelldichein im grünen Schimmer ihrer Monitore, ohne sich jemals von Angesicht zu Angesicht gesehen zu haben. Selbst bei der besten interkontinalen Sprechverbindung ist man sich immer der Entfernung zum Gesprächspartner bewußt, so typisch sind die Laufzeiten der Signale, das Rauschen transatlantischer Tiefseekabel und das Echo ferner Satelliten. Beim Gespräch von Tastatur zu Tastatur entfallen diese Merkmale, es gibt keine Hinweise mehr auf die Entfernung zwischen den Stationen und Meldungen wie "Connection 80, Capetown" sind bloße Zeichen auf dem Schirm ohne weitere Bedeutung. Die Sprache der Computer ist Englisch, und das ist auch die Sprache, die man überall im globalen Dorf versteht. Umso größer ist dann die Überraschung, wenn man feststellt, daß der Gesprächspartner, den man im fernen Japan wähnt, nur ein paar Straßen weiter in Hamburg wohnt und sich nur zufällig auf den gleichen Rechner in Übersee eingewählt hat. Meist ist es die Post, die vermittels Ihrer Fernmelderechnungen den Sinn für Realitäten wieder geraderückt. Nach etlichen tausend Gesprächseinheiten tritt die Ernüchterung ein und man beginnt damit, sich Gedanken über andere Nutzungsmöglichkeiten zu machen. Bleibe im Lande und nähre dich redlich, so lautet die Devise und internationale Kontakte schrumpfen auf das unvermeidliche Mindestmaß. Nur gab es damals in Deutschland bloß eine Handvoll von Systemen, die man per Telefon erreichen konnte, und in Hamburg gar nur zwei, nämlich den Rechner der Universität, der hoffnungslos überlastet war und mehr als subversive Müllhalde diente, denn als Kommunikationssystem, sowie MCS. MCS heißt Master Control System, und das ist eine schlichte Ubertreibung, denn hinter dem klangvollen Kürzel verbarg sich ebenfalls ein C64 und ein einigermaßen chaotisches Basicprogramm sorgte dafür, daß alles möglichst absturzfrei funktionierte. Zu einer Zeit, als Datenfernübertragung für die meisten Benutzer noch reiner Selbstzweck war, bot MCS die Möglichkeit, einem der anderen hundert oder zweihundert Benutzer eine Nachricht zukommen zu lassen, oder aber seine Ergüße in einem öffentlichen Brett auf die Allgemeinheit loszulassen. "Warum schreibt mir denn keiner ne PME?" und "Kilroy was here" waren typische Nachrichten in diesen Tagen, nur hin und wieder von einigermaßen inhaltlichen Beiträgen unterbrochen. Aber, und nur das ist letztlich wichtig, MCS war eine der ersten Mailboxen, die es ermöglichten, sich unabhängig von den bestehenden Netzen zu machen, eine eigene DFÜ-(Sub)Kultur zu entwickeln und ich nutzte diese Möglichkeit zweimal täglich, wann immer es ging. Irgendwie kam ich im Herbst 1984 zu einem zweiten Rechner, ebenfalls einem C64. Dieser stand zunächst nutzlos herum und hüllte sich in Staub und Nutzlosigkeit. Das Schicksal wollte es, da ß mein 1nteresse an MCS auch wieder im Erlahmen begriffen war, einfach weil es zuwenig Inhaltliches gab, das meine Neugier weckte oder meine Phantasie anregte, und weil beinahe täglich neue Dinge ins Programm kamen, die man sich merken mußte, wollte man dabeibleiben. Hinzu kam die ständig wachsende Zahl der Benutzer, die es sehr oft unmöglich machten, zu vernünftigen Zeiten in die Mailbox zu kommen, was einem gestandenen Hacker zwar nichts ausmacht, aber doch lästig ist, wenn man Morgens um Sechs aufstehen und arbeiten muß. Andere Benutzer hatten das auch erkannt und der große Mailboxboom in Hamburg begann, denn die logische Folgerung, wenn man mit etwas unzufrieden ist, ist, es besser zu machen. Ich besorgte mir also das Programm der MCS-Mailbox, bastelte eine Apparatur, die den Telefonapparat bediente und machte meine eigene Mailbox auf. Die Tatsache, daß ich auf zwei Computer zugreifen konnte, war eine der idealen Startbedingungen für die eigene Mailbox. Im Gegensatz zu den meisten anderen Betreibern, die ihren einzigen Computer zweckentfremdeten, war ich in der Lage, die Dienste der Mailbox von Anfang an rund um die Uhr anzubieten, wenn man von kleinen Pausen zwecks Eigennutzung des einzigen Telefonanschlusses mal absieht. Die ersten drei Monate gab es nur einen inoffiziellen Probebetrieb, die Rufnummer war nur guten Freunden bekannt, die das Programm auf Herz und Nieren testen sollten. Große Fehler waren nicht zu erwarten, so dachte ich, da das Programm ja schon mehrfach von anderen Betreibern eingesetzt wurde. Daß dies ein Denkfehler war, stellte sich erst im Laufe der Zeit heraus, als ein versteckter Fehler nach dem anderen zutagetrat. Das brannte die Erkenntnis in mein Hirn ein, daß kein Programm fehlerfrei sein kann, und die Wahrscheinlichkeit, schwerwiegende Fehler vor ihrem Auftreten zu entdecken, umgekehrt proportional zu dem Schaden ist, den sie anrichten. Wohl in keinem anderen Bereich werden einem Murphy's Gesetze so deutlich bewußt, wie beim Umgang mit dem Computer. Eine Hürde gab es noch zu überwinden, nämlich einen sinnreichen Namen zu finden, der sich einprägsam abkürzen ließ, genau wie MCS, RAM und wie sie alle heißen. Da für mich feststand, daß mein System sich deutlich von den anderen abgrenzen sollte, war es nur konsequent, zuerst die Abkürzung zu ersinnen, und dann einen Begriff zu schaffen, der sich passend abkürzen ließ. Da ich wenige Jahre zuvor bei einer Rockgruppe namens Goblin mitgemischt hatte, und diesen Namen dann als Pseudonym für meine Datehreisen benutzt hatte (und das auch heute noch tue), lag es nahe, auch für die Mailbox einen Namen aus diesem Bereich zu wählen. Nach drei Flaschen Bier und wehmütigem Hineinhorchen in alte Aufnahmen der Band war es dann sonnenklar: CLINCH sollte das Projekt heißen, ein Kürzel, das eine gewisse Eigendynamik mit sich bringt und beim Leser Assoziationen weckt. Nur - für was um Alles in der Welt ist das eine Abkürzung? Etliche Biere später, dem Vollrausch und dem Wahnsinn gleich nahe, hatte ich dann endlich einen Anglizismus ausgebrütet, der sich passend abkürzen ließ: Communication Link - Information Network Computer Hamburg, auf schlecht Deutsch: Verständigungsglied - Informationsnetzwerkcomputer Hamburg, ein absolut hochtrabender Name, der keinsfalls mit der Realität übereinstimmte, die in Gestalt eines C 64 vor sich hindümpelte. Nun, die Netze entstehen in den Köpfen. Und eines Tages war der Tag da, an dem ich den großen Schritt wagte: Die Rufnummer der Box wurde auffällig unauffällig in einer anderen Hamburger Mailbox plaziert und ich wartete gespannt auf das, was kommen sollte. Die Stunden verrannen und nichts geschah. Nicht ein Anrufer verirrte sich in meinen Computer und Verzweiflung machte sich breit. Später begann es zu dämmern, und zwar sowohl dem dahingehenden Abend, als auch mir. Ich warf die Lacklederkutte über und begab mich treppab zur nahen Telefonzelle. Der Kontrollanruf bei mir selbst ergab, daß offenkundig doch jemand angerufen hatte, natürlich just in dem Moment, als ich auf dem Weg zur Zelle war. Also flugs zurück in die heimische Wohnung, drei Stufen auf einmal nehmend, die Türe aufgeschlossen, ein Blick auf den Monitor und - Ratlosigkeit. Der Rechner wartete nach wie vor stoisch auf den ersten Anrufer. Eine genaue Analyse der Ereignisse und Nichtereignisse legte den Schluß nahe, daß wohl ein Fehler in der ausgefeilten Abhebemechanik vorlag, die ich ersonnen hatte, um mich nicht völlig ins Gesetzesabseits des illegalen Modemeinsatzes zu begeben. Mein kleiner Roboterarm, dessen Aufgabe es war, die Telefongabel niederzudrücken, wenn der Rechner es ihm befahl, hatte offenbar nicht genügend Kraft, um das Telefon sicher aufzulegen. Eine kleine technische Änderung wurde vorgenommen, und es funktionierte wieder zufriedenstellend. Programmgemäß kam der erste Anruf dann auch fast unmittelbar nach Beseitigung der Störung. Gespannt verfolgte ich die Schritte, die der Anrufer in der Box unternahm. Offensichtlich war er schon an Mailboxen gewöhnt, die nach dem MCS-System arbeiteten, denn er hatte kaum Probleme, sich zurechtzufinden. Selbst die Abweichungen, die ich mir erlaubt hatte, um die schwindende Befehlslogik des Programms aufrechtzuerhalten, machten ihm nichts aus und er entschwand nach etlichen Minuten mit dem Kommentar "Hier steht ja noch gar nichts drin...". Das war der Zeitpunkt, an dem mir klar wurde, daß es nicht ausreicht, einen Rechner übrig zu haben und darauf ein halbwegs funktionierendes Mailboxprogramm laufen zu lassen, sondern daß man sich auch darum kümmern mußte, was in der Mailbox passierte. Diese Erkenntnis kommt bei manchen Betreibern leider nie, und ich bin diesem ersten Anrufer heute noch dankbar für dieses erste, vernichtende Urteil. Ich begann also, mir Gedanken zu machen, was ich denn in meiner Box anders machen wollte, als die anderen Betreiber. Leider war das Grundkonzept des von mir verwendeten Programms nicht gerade dazu angetan, die mir vorschwebenden Anderungen durchzuführen. Hinzu kam, daß die Art, wie das Programm erstellt worden war, nicht gerade dazu animierte, eigene Änderungen und Verbesserungen durchzuführen. Noch heute sträuben sich mir die wenigen verbliebenen Haare, wenn ich auf ein Programm stoße, das mit dem Aufruf eines Unterprogramms beginnt, ohne daß die Notwendigkeit dieses Tuns ersichtlich wäre. Wie dem auch sei, der Not gehorchend machte ich aus selbiger eine Tugend und begann recht bald damit, mich nach anderen Programmen umzusehen. Im Lauf derZeit hatte ich eine recht stattliche Anzahl davon zusammen und begann damit, mir anzusehen, wo die jeweiligen Vor- und Nachteile lagen. Ich habe an anderer Stelle davon gesprochen, daß der C64 ein Speicherriese sei; diese Aussage gilt es nun zu relativieren, wenn es um so komplexe Dinge wie ein Mailboxprogramm geht. Der verfügbare Speicher reicht einfach nicht aus, um all das hineinzupacken, was man meint, zu brauchen. Das hat sich auch bei den jetzt üblichen Megabyte-Giganten nicht geändert. Es scheint, als wäre jeder Computer für den Zweck, zu dem man ihn einsetzen will, zu klein. Aus dem Sammelsurium der verschiedenen Programme entstand schließlich mein erstes selbstgeschriebenes Mailboxprogramm, das meiner Meinung nach die Vorteile der verschiedensten Mailboxkonzepte vereinigte, ohne ihre Nachteile zu haben. Die Benutzer waren zunächst anderer Meinung, so gravierend waren die Abweichungen in der Bedienung von dem, was in der Mailboxszene als Standard galt. Einige dieser Abweichungen waren technisch bedingt, da ich nicht einsehen konnte, warum ich wertvollen Speicherplatz für Suchroutinen verschwenden sollte, wenn sich jeder Benutzer die Position seiner Daten selbst merken und diese dem System beim Anruf nennen konnte. Viel wichtiger war es, so fand ich, dem Benutzer mehr zu bieten, als einen stupiden Befehl, der ohne Berücksichtigung der Nutzerinteressen die vorhandenen Nachrichten in einem Stück abspulte. Folgerichtig hatte dieses Programm bereits eine Brett-Struktur, die es gestattete, beliebigen Einfluß auf die Ausgabe der Texte zu nehmen und das erschien mir als wesentlich sinnvollere Nutzung des Speicherplatzes. Im Lauf der Zeit wurde das neue System schließlich akzeptiert und es gab sogar etliche andere Mailboxen, die das Programm übernahmen. Für mich wurde es langsam Zeit, mal wieder etwas Neues zu machen, denn am Horizont zogen bereits die Sturmwolken auf, die anzeigten, daß nunmehr der C64 an die Grenzen seiner Fähigkeiten gestoßen war. Mittlerweile war ein Jahr vergangen, seit dem Tag, an dem CLINCH ans Netz ging und die Computerwelt hatte nicht aufgehört sich weiterzudrehen. IBM - Personalcomputer waren zum Industriestandard geworden und fanden, dank sin kender Preise und qualitativ hochwertiger Nachbauten aus Fernost, auch Verbreitung bei Privatleuten. Der erste PC kostete mich noch knapp 8000 DM, rund dreimal soviel, wie ich bisher in Computer überhaupt investiert hatte. Dafür war ich endlich in den Besitz eines Gerätes gelangt, dem von der Post die Absolution in Gestalt der Zulassung für Datenfernübertragung erteilt worden war. Wenige Tage nach dem Erwerb des Gerätes lagen meine Anträge für Fernsprechmodems und einen Datex-Hauptanschluß an die Post im Briefkasten. Das postmoderne Melodram, das der Antragstellung folgte, bis schließlich ein halbes Jahr später alle Anträge ausgeführt waren, möchte ich an dieser Stelle nicht beschreiben, es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Einen Computer besitzen, und mit diesem Computer umgehen zu können, sind beim heutigen Stand der Technik zwei verschiedene Schuhe. War es mir beim ZX80 und beim Commodore 64 noch möglich, viel Zeit zu investieren, um auch intimste Detail dieser Maschinen zu erforschen, so ging dies beim PC nicht mehr, schließlich hatte ich ja nicht diese Riesensumme aufgebracht, um ein oder zwei Stunden am Tag durch das Labyrinth eines neuen Betriebssystems zu wandern. Der Computer sollte den C 64 als Mailbox ersetzen und so neue Möglichkeiten für das neue Medium erschließen. Ich brach also meinen Schwur, nie wieder ein nicht von mir selbst geschriebenes Mailboxprogramm zu verwenden und trat zwei Schritte zurück. Ich besorgte mir die nötige Software, baute meinen Abhebemechanismus auf die Notwendigkeiten des neuen Rechners um, und begann noch einmal von Null, mit nichts als dem mittlerweile recht guten Namen CLINCH im Rücken. Zwei Probleme waren vordergründig: Zum Einen mußte ein weiterer PC her, damit die nötige Softwareentwicklung unabhängig vom Betrieb der Mailbox geschehen konnte. Der andere Punkt war die Tatsache, daß die Postmodems und der Datexhauptanschluß, wenn sie denn eines schönen Tages mal kommen sollten, Fernmeldegebühren von monatlich rund 500 DM.- verursachen würden, die es zu finanzieren galt. Da es ein Grundprinzip jeder marktwirtschaftlichen Ordnung ist, daß für erbrachte Leistungen derjenige zahlt, der diese Leistung in Anspruch nimmt, wurde ein Konzept entwickelt, das - im Gegensatz zu den bisher üblichen Verfahren - darauf beruht, daß der Mailboxbenutzer einen festen Monatsbeitrag zahlt und somit hilft, die Kosten für den Mailboxbetrieb zu tragen. Das bedeutete auf der anderen Seite, die Mailbox gegenüber denen abzuschotten, die nicht bereit waren, wenigstens einen kleinen finanziellen Beitrag zu leisten. Mittlerweile nehmen über hundert zahlende Benutzer an der CLINCH - Mailbox teil, was die Betriebskosten etwa zur Hälfte deckt, allerdings ohne daß die mit dem Betrieb verbundene Arbeit entsprechend honoriert wird. In Zusammenarbeit mit den Wüschen und Bedürfnissen der zahlenden Benutzer entstand so ein Mailboxsystem, das sowohl von der Bedienung, als auch von den Inhalten her seinesgleichen sucht. Trotz alledem sind die Möglichkeiten, die die heutige Technik bietet, noch nicht voll ausgeschöpft und es ist wieder an der Zeit, ein gutes Stück auf dem eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Bisher habe ich eigentlich nur davon berichtet, wie es mir persönlich beim Umgang mit dem Werkzeug Computer und den Streifzügen durchs globale Dorf gegangen ist. Mittlerweile habe ich mein eigenes Gasthaus in diesem Dorf gebaut und folgerichtig mu ß nun auch die Rede von den Gästen sein, die dieses Haus bewirtet. Der Menschenschlag, dem man im globalen Dorf begegnet, ist gebrandmarkt, tief ins Fleisch ist der Stempel "User'eingebrannt. Das läßt sich ausnahmsweise sehr treffend mit "Benutzer" ins Deutsche übersetzen. Ein "User" ist halt jemand, der einen Computer benutzt. Dabei wird dieses Prädikat völlig vorurteilsfrei verliehen, ohne Ansicht der Person, des Alters, des Geschlechts oder der politischen Weltanschauung. Der einzige Grund, weswegen man manchmal schief angesehen werden kann, ist der Besitz des falschen Computers. Aber selbst dieses Diskriminierungsmerkmal verliert zunehmend an Bedeutung, je länger man im Dorf lebt. Die Zeit der Familienfehden, als Atari gegen Commodore kämpfte, ist mit dem Aussterben der Prozessorpatriarchen zuende gegangen und einträchtig hocken die ehemals verfeindeten Sippen zusammen und brüten über einem gemeinsamen Betriebssystem. Natürlich gibt es User, die schon seit Urzeiten dabei sind, und solche, die gerade ihre ersten tapsigen Schritte unternehmen. Für den Mailboxbetheber sind beide Gruppen interessant, denn nichts ist unterhaltsamer, als einem alten Hasen zuzuschauen, wie er mit viel Elan all die Befehle eingibt, die er woanders schon im Schlaf beherrscht und die hier unweigerlich ins Leere führen müssen. Nichts ist schlimmer, als immer wieder von der Mailbox darauf hingewiesen zuwerden, daßdereingegebene Befehl nicht erkannt werden konnte und daß die Eingabe des Wortes "Hilfe" weiterführen würde. So etwas ist grundsätzlich unter der Würde desjenigen, der sich für einen geübten Netzflaneur hält. Allenfalls ist er bereit, gelegentlich mal ein "Help" einzustreuen, nur um wiederum beschieden zu werden, daß es einen solchen Befehl nicht gibt und er doch bitte deutsch reden möchte. An dieser Stelle scheidet sich gewöhnlich die Spreu vom Weizen, entweder derAnrufer legt genervt auf, oder er schafft den Sprung überden eigenen Schatten und bedient sich der angebotenen Hilfe. Nur im letzteren Fall hat er natürlich eine Chance, jemals in den Genuß der Vorzüge des Systems zu kommen. Sollte er zur Gruppe der notorischen Aufleger gehören, nun, dann ist es kein allzugroßer Verlust, denn was kann man schon von jemand erwarten, der so schnell aufgibt ?Der andere Typus, also derjenige, der gerade erst versucht, sich im Dorf zu orientieren, zeigt ähnliche Verhaltensmuster, nur vielleicht ein Spur ausgeprägter. Wobei er naturgemäß kein selbsterworbenes Wissen mitbringt, sondern allenfalls ein umfangreiches Repertoir angelesener Fehler. Wenn dazu noch ein leicht cholerisches Naturell kommt, ist das Ergebnis programmiert: Die Informationen der Mailbox erschlagen den Neuling und er legt frustriert auf, mit dem Schwur auf den Lippen, nie wieder anzurufen. Oder er stellt fest, daß sein angefesenes Wissen nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt, die er nun vorfindet. Das ist wie mit den Fahrbahnmarkierungen auf unseren Straßen, die weißen sind Ergebnis sorgfältigster Verkehrsplanung, aberdie gelben sagen, wo es wirklich langgeht. Die meisten Autofahrer folgen, bewußt oder unbewußt, den gelben Streifen, aber ein kleiner Teil verschwindet als Geisterfahrer auf der Gegenfahrbahn und kein Warnlicht kann ihn davon abhalten. Warnlichter und gelbe Leitmarkierungen sollte jedes Computerprogramm haben, man nennt dies dann Benutzerführung und dieses Prinzip stö ßt exakt da auf seine Grenzen, wo der Benutzer sich nicht führen läßt. Die Mehrzahl der heutigen Mailboxen Überträgt die Informationen mit einer Geschwindigkeit von 30 Zeichen pro Sekunde, was langsam genug ist, um bequem mitlesen zu können. Um so seltsamer muß es erscheinen, daß es eine Menge Leute gibt, denen es offenbar völlig genügt, irgendetwas auf ihrem Bildschirm dargestellt zu bekommen, ohne auch nur eine Sekunde daran zu verschwenden, was denn nun in dem Text drinsteht. Beispielsweise'gab meine Mailbox lange Zeit hindurch den Hinweis aus "Gäste bitte Name : GAST benutzen", um darauf hinzuweisen, wie man als Besucher in das eigentlich geschlossene System herein kommt. Unmittelbar auf diesen Hinweis folgte dann die Aufforderung, den Benutzernamen einzugeben: "Name : " Meist folgte dann eine Denkpause von bis zu drei Minuten, die der Anrufer damit verbrachte, dieses offenbar äußerst seltsame Verhalten der Mailbox zu deuten. Einige kamen zu dem Schluß, daß dies zuviel geistige Anstrengung bedeute und legten schlicht auf, ohne etwas eingegeben zu haben, andere gaben den Namen ein, unter dem sie in anderen Mailboxen registriert waren, oder ignorierten die deutsche Sprache und gaben sich als "Guest" zu erkennen. Die von mir erwartete Reaktion, daß nämlich entweder der in meinem System bereits registrierte Benutzername, oder aber das schlichte "Gast" eingegeben wurde, kam in den seltensten Fällen. Beispiel Zwei: Wenn die Mailbox einen Befehl nicht versteht, weil er im Programm nicht vorgesehen ist, bietet das System die Möglichkeit an, durch Eingabe des Befehls "Hilfe" weitere Erklärungen abzurufen. Ich glaube, ich erwähnte es weiter vorne schon. Wenn der Anrufer diesen wohlgemeinten Rat befolgt, erscheint folgender Text auf seinem Bildschirm: "Gerne. . . Hilfstexte gibt es für folgende Befehle: ", gefolgt von einer Liste der möglichen Befehle, dann geht es weiter: ". . und zu den Stichworten: ", gefolgt von einer Liste möglicher Stichworte, abschließend kommt noch der Hinweis: "Hilfstexte werden abgerufen, indem man HILFE, gefolgt vom Befehl oder Stichwort eingibt, zum Beispiel HILFE BOXKONZEPT". Danach wartet die Box mit der ihr eigenen Gelassenheit auf die Eingabe des Benutzers. In meiner Vorstellung ist das eine ziemlich klare Hilfestellung, die wenig Deutungsmöglichkeiten offen läßt. Ob es nun daran liegt, daß ich als langjähriger Computerbesitzer schon zu sehr in computernahem Denken gefangen bin, oder ob es halt doch ein Unterschied ist, ob man etwas auf Papier gedruckt liest, oder in der diffusen Präsenz einer Datenverbindung, jedenfalls ist es für 90 Prozent aller Anrufer zunächst unmöglich, diese Hinweise zu befolgen. Der häu figste Fehler, der hier auftaucht ist es, einen Begriff aus der Stichwortliste einzugeben, selbstverständlich ohne das Wörtchen "Hilfe" davor. Absoluter Spitzenreiter ist dabei das Stichwort "Neueintrag". Amateurfunker haben die Gewohnheit, sich gegenseitig Bestätigungen über zustandegekommene Verbindungen zuzusenden, die sogenannten OSL-Cards. Ähnliches gilt scheinbar auch im globalen Dorf, selbst wenn man sicher ist, nie wieder in dieser Mailbox anzurufen, so will man sich wenigstens in der Benutzerliste verewigen, um allen anderen zu dokumentieren, wie weit man schon herumgekommen ist. Die zerfallenden Säulen der Akropolis sind übersät mit ähnlichen "Beweisen" der Anwesenheit von Touristen aus aller Herren Länder. Ähnlichen Motiven dürften auch die eingangs erwähnten Nachrichten "Kilroy was here" in den öffentlichen Brettern der diversen Mailboxen entspringen. Schauen wir uns doch interessehalber mal ein paar der Typen an, die den geplagten Sysop manchmal schier zur Verzweiflung treiben und am eigenen Verstand zweifeln lassen. Ein Vertreter dieser Gattung ist der Schüchterne Die Tatsache, daß nach vielen erfolglosen Wählversuchen nun doch endlich der ersehnte Datenton aus dem Hörer schallt, verstört ihn völlig und er legt sicherheitshalber sofort wieder auf, ohne auch nur den Versuch zu machen, ein Datengespräch zu beginnen. Viele Leute, die diesem Typus entsprechen, verkaufen ihren Akustikkoppler sofort nach diesem unerfreulichen Erlebnis, damit sie nie wieder in so eine peinliche Lage geraten können. Diejenigen, die es fertigbringen, trotzdem weitere Versuche mit Mailboxen zu unternehmen, tasten sich Bit für Bit weiter in den Datendschungel vor, der Sysop erkennt sie später daran, daß sie immer noch völlig unmotiviert die Verbindung unterbrechen, weil irgendeine Reaktion der Mailbox sie völlig verstört hat. Dabei kann es sich um eine schlichte Fehlermeldung handeln, oder aber auch um die Tatsache, daß die Mailbox genau das macht, was man ihr gesagt hat. Mit anderen Worten:Jedes einzelnen Zeichen, das die Box sendet, kann für den Schüchternen Anlaß sein, kommentarlos aufzulegen. Ein di-, rekter Verwandter des Schüchternen ist der Skeptiker Er glaubt einfach nicht, daß Mailbox so einfach sein kann, wie sie sich ihm am Bildschirm dar- bietet. Folgerichtig probiert er das, was die Mailbox ihm vorschlägt, gar nicht erst aus, falls doch, so besteht er darauf, seine eigenen Vorstellungen einzubringen und erweitert die Befehle um eigene Eingebungen, mit dem Erfolg, daß entweder gar nichts passiert, oder aber etwas ganz Anderes als das, was er wollte. Hat er sich so ein ausreichendes Maß an Frust erworben, beendet er die Verbindung mit dem vorgesehenen Befehl, nur um sich selbst zu beweisen, daß er so blöd nun auch wieder nicht ist. Eine ansteckende Nebenform des Skeptikers ist der Überflieger Er hat erstens ohnehin keine Zeit, ausgerechnet in dieser Mailbox anzurufen, zweitens kennt er andere Mailboxen schon seit Jahren und drittens weiß er ohnehin alles besser als der Sysop. Er ignoriert alle Systemmeldungen völli und zieht seine eigene ghow ab, egal, ob was dabei rauskommt oder nicht. Fehlermeldungen verursachen lediglich Achselzucken, gefolgt von nochmaliger Eingabe der falschen Kommandos. Interessanterweise kennt der Überflieger genau die Befehle, mit denen man Schmähbriefe an den Sysop sendet, löscht seine Texte aber meistens wieder, bevor er das System verläßt. Er benutzt dazu grundsätzlich den Befehl Logoff, weil er das mal so gelernt hat, und legt dann auf, ohne abzuwarten, ob das tatsächlich der richtige Befehl war. Die weitaus meisten Vertreter dieser Spezies sind sqlber Sysop oder waren es zumindest einmal. Ahnlich verhält sich auch der Forscher
Auch ihn interessieren die funktionierenden Befehle der Box überhaupt nicht, er verwendet
stattdessen viel lieber seine Fantasie auf die
Erfindung neuer Befehle und führt minutiöse
Aufzeichnungen darüber. Er hat ein umfangreiches angelesenes Wissen aus Computerzeitschriften und wendet dieses erbarmungslos
auf alle Mailboxen an, die er in die Finger kriegt.
Als extrem störend empfindet er es, wenn einer
seiner Befehle tatsächlich einmal zu einem
sinnvollen Ergebnis führt, meist reagiert er
dann wie der Schüchterne und legt einfach auf.
Ganz anders dagegen
der Computerlegastheniker Er würde nichts lieber sehen, als wenn die Mailbox nur ein einziges Mal das tun würde, was er will, aber leider nie in der richtigen Form eingeben kann. Seine bedeutendste Geistesleistung besteht darin, seitenweise Erklärungen zur Boxbedienung zu lesen, ohne deren Inhalt auch nur annähernd zu erfassen. Eine Zeichenfolge, die einmal sein Auge passiert hat, verdampft rückstandslos in den öden Korridoren seiner Ganglien. Er hat irgendwo mal gelesen, daß man in Mailboxen mit dem Befehl Help weiterkommt und gibt diesen folgerichtig immer wieder ein, wobei es ihm gar nicht zu Bewußtsein kommt, daß die Mailbox ihm ständig erklärt, daß er doch das deutsche Wort Hilfe benutzen möge. Gemeinsam ist diesen Typen, daß eigentlich nicht viel dazugehört, um ihr Verhältnis zur Mailbox nachhaltig zu verbessern. Ein bischen weniger Ignoranz vielleicht , und etwas mehr Aufmerksamkeit für das, was zur Bedienung einer Mailbox wichtig ist. Immerhin zwingt ihre Anwesenheit in den Mailboxen die Betreiber dazu, ständig darüber nachzudenken, wie die Benutzerführung idiotensicher gemacht werden kann, ohne sie und die Folgen, die ihr Dasein hat, wäre die Mailbox einer anderen Gruppe hilflos ausgeliefert. Hauptvertreter dieser Gruppe ist der Schmierer er kennt sich in der Bedienung der verschiedensten Mailboxsyste m e bestens aus, zumindest weiß er, wie er mit seinen geistigen Ergüssen ein möglichst breites Publikum erreicht. Die Nachrichten, die er hinterläßt, sind entweder völlig inhaltslos , oder dienen ausschließlich der Selbstdarstellung und der Beschimpfung anderer Benutzer. Treffen in einer Mailbox zwei oder mehr Schmierer aufeinander, so ist die Vorstellung gelaufen und Megabyte auf Megabyte verschwindet zu Lasten sinnloser Nachrichten, bis das ganze System zugemüllt ist. Es gibt Boxen, die dieses Stadium schon lange erreicht haben, ohne daß es bemerkt wurde. Der andere Hauptvertreter ist der Hacker Eigentlich ist er kein wirklicher Hacker, sondern lediglich eine Person mit destruktivem Charakter. Von Hackerethik hat er noch nie gehört und schöpft sein Wissen aus den,halbseidenen Publikationen dubioser Verlage. Da sein angelesenes Wissen nicht ausreicht, um in großen Systemen tätig zu werden, beschränkt er sich darauf, in den lokalen Mailboxen Unsinn zu machen. Seine Kenntnisse von Software und Hardware beschränken sich auf das, was er vom Hörensagen her kennt, dementsprechend lächerlich nehmen sich auch seine Versuche aus, die Mailbox zum Absturz zu bringen. Er hat immer noch nicht begriffen, daß seine Aktionen letztendlich gegen sich selbst gerichtet sind, denn wenn seine Strategie erfolgreich sein könnte, würde er sich selbst jeder Möglichkeit berauben, im globalen Dorf mitzumischen. Ein halbwegs fehlerfreies Mailboxprogramm und nötigenfalls wirksame Zugangsbeschränkungen befreien den gestreßten Sysop recht wirkungsvoll von diesen unangenehmen Zeitgenossen und sorgen für erfrischende Ruhe im System, ohne der Spontanität Abbruch zu tun. Man sollte nun meinen, daß der Rest der Mailboxbenutzer in aller Ruhe mit dem System arbeitet, ohne den Sysop in den frühen Wahnsinn zu treiben, aber weit gefehlt, auch unter den allseits geschätzten seriösen Benutzern gibt es welche, deren Ansprüche den Sysop auf den Zimmer-Yucca schießen. Da ist zum Beispiel der Vollprofi Er hat seine Erfahrungen auf kommerziellen Mailboxen gesammelt und überträgt sie nun weitgehend unreflektiert auf private Systeme. Wenn er nicht auf Anhieb eine Verbindung zustandekriegt, verzieht er sich in seinen Schmollwinkel und hadert mit sich, der Box und Gott und der Welt. Er benutzt vorzugsweise die Befehle, die er von der kommerziellen Box gewöhnt ist und registriert meistens nicht einmal, wenn die Mailbox etwas ganz anderes macht. Als Ausgleich für den durchlebten Frust überschüttet er den Sysop mit Forderungen, was alles am Programm wie zu ändern wäre. Unglücklicherweise hat der Vollprofi meist ausgezeichnete Kenntnisse gängiger Mailboxkonzepte und Porgrammiersprachen-, so daß seine Vorschläge meist peinlich detailliert ausfallen. Bei Sysops, die nur aus moralischer Not das Programmieren gelernt haben, kann dies durchaus Auslöserfür Suizidversuche sein. Etwas harmloser ist da schon der Semiprofi Er ist sich der Tatsache durchaus bewußt, daß er es mit einem unzulänglichen System zu tun hat und ist auch an und für sich bereit, mit den Mängeln zu leben, wenn man nur dieses und jenes eventuell, wenn es nicht zuviel Mühe macht, und wenn es die Zeit erlaubt, in dieser undjener Hinsicht ändern könnte. Erwiederholt diese Bitte sooft, bis dq~r Sysop entnervt aufgibt und zumindest etwas Ahnliches programmiert, weil er genau das schon seit langem machen wollte. Selbstverständlich gibt es dann noch Leute wie Du und ich , die dem Sysop das Leben erleichtern, wo sie nur können, die inhaltlich arbeiten und selbst Verantwortung übernehmen. Die Zeit der ersten zaghaften Schritt durchs globale Dorf sind vorüber und die teils reißehsche Berichterstattung der Fachpresse hat ein Heer von Datentouristen mit sich gebracht, die auf die Ureinwohner losgelassen werden und ihre eigene Kultur verbreiten. Die Szene muß diese Leute auffangen und das Verhalten aller regulieren, oder sie geht unter. Als Betreiber einer Mailbox steht man diesen Ungereimtheiten im Benutzerverhalten einigermaßen hilflos gegenüber. Wenn man seine Mailbox gerade eben eröffnet hat und sehnsüchtig darauf wartet, daß sich etwas tut, ist man bereit, um jeden User zu kämpfen, man lauert stundenlang, tagelang, nächtelang vor dem Monitor, ist sofort bereit, einen stundenlangen Dialog von Tastatur zu Tastatur zu führen und unterstützt die Anrufer, wann immer man auch nurentfernt befürchtet, es könnte der letzte Anruf gerade dieses Menschen sein, der so viel Gutes in anderen Mailboxen produziert. Jede Kritik, die ausgesprochen wird, trifft mitten ins Herz, und man setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um aus dem Programm das her- auszukitzeln, was die Benutzer wünschen. Mit wachsender Erfahrung und steigender Frequentierung der Mailbox wird man meist ruhiger und es kommt zu einem Lernprozeß für den Betreiber, der zwangsläufig auf eine Entscheidung hinausläuft. Dabei stehen drei Alternativen zur Verfügung, die je nach Temperament des Betreibers gewählt werden. Einige geben ganz auf, motten ihre-n Computer ein , nur um ihn nach mehr oder weniger langer Zeit wieder hervorzukramen und sich erneut ins Leben des globalen Dorfes, zu stürzen, entweder um endlich, endlich konstruktiv an den eigenen Utopien und denen der Anderen weiterzubauen, oder aber um sich mit Elan in eine fremde Mailbox zu stürzen und dort hingebungsvoll all die Befehle zu probieren, die man bei anderen belächelt hat. Andere denken sich ihr Teil und machen einfach weiter, ungeachtet dessen, was in der Welt um sie herum geschieht. Diese Mailboxen erkennt man daran, daß sie völlig abgeschottet von dertechnischen und gesellschaftlichen Weiterentwicklung über Jahre hinaus vor sich hin existieren, ohne nach dem Wenn und Aber zu fragen. Wieder andere erarbeiten sich eine dicke Hornhaut und ziehen ihre Vorstellungen durch, allein oder in Zusammenarbeit mit anderen entwickeln sie die technischen und inhaltlichen Möglichkeiten dieses faszinierenden Mediums weiter. Dabei verselbständigen sich zwangsläufig gewisse Dinge und niemand sollte erwarten, daß sich ein Mailboxbetreiber, dessen System jährlich 15000 Anrufe verarbeitet, noch so intensiv um jeden Einzelnen kümmern kann, wie in den ersten Monaten. Je umfangreicher das Projekt Mailbox wird, desto schwieriger wird es, Allen gerecht zu werden und desto mehr bleibt der Idealismus auf der Strecke. Es gäbe noch eine Menge mehr zu erzählen, Anekdoten und Anekdötchen, von Usern und Abusern, von Frust und Lust des Sysops, von Hoffnungen und Wünschen, erfüllten und unerfüllten Erwartungen, aber es soll jetzt genug sein. Ich hoffe, es waren einige Denkanstöße dabei und ich habe eine Menge erzählt, von dem was wirklich los ist. . . |
[HaBi 2]
Ein Mallboxbetreiber erzählt