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Recht auf Bargeld/emp MR 10.11.96 - Die Einführung von Geldkarten führt schleichend zur Einschränkung des Rechts auf Bargeld. Dabei wird gefährlicher sozialer Zwang ausgeübt. Der Verkehrsverbund in Hessen zeigt jetzt in Marburg, wie das gemacht wird. Rentner sind die ersten Opfer.Mit der Macht der "Tarifhoheit" wurde die ermäßigte Sammelkarte für Rentner abgeschafft (25 Fahrten für 30 DM). Wenn Rentner zukünftig eine Ermäßigung von DM 2,00 auf den "Normalpreis" haben wollen, müssen sie Busfahrten mit einer neuen maschinenlesbaren Karte bezahlen. Dann zahlen sie "nur" DM 1,70 statt bisher DM 1,20. Auch die anderen Sammelkarten werden in Marburg abgeschafft und Ermäßigungen gibt es nur noch für die Maschinenkartenbenutzer. Das erinnert an die Einführungsstrategie für Girokonten in den 60er Jahren. Mit dem Argument, Girokonten seien viel rationeller als die Lohnzahlung in bar gab es damals Gratis-Kontoführung. Aus Sicht der Unternehmer wurde das Überfallrisiko auf Geldtransporte vermindert und aus Sicht der Ehefrauen das Heimtransportrisiko am Freitag mit Kneipenumweg. Später hieß es dann von den Banken, die Kontoführung sei so kompliziert, daß sie Geld kosten müsse. Eine ähnliche Entwicklung ist beim Plastikgeld zu erwarten. Bei den Geldersatzkarten wird in Marburg ein finnisches Modell verwendet. Die Karten sind kontaktlos. Rechts und links der Türen ist in den Bussen ein "Entwerter" angebracht. Er hat zwei Tasten, eine für "Einstieg" und eine für "Ausstieg". Oben drauf ist eine rote, gelbe und grüne Lampe, innendrin eine Bimmel. Die Karte muß beim Einsteigen mehrere Sekunden lang flach an den Automaten gehalten werden und die Taste "Einstieg" gedrückt werden, vor dem Aussteigen entsprechend. Gerade für ältere Menschen, denen das Gehen schwerfällt, sind zeitliche Koordinationsprobleme beim Aussteigen absehbar: entweder wird der Ausstieg zu früh angegeben oder zu spät: "zisch" schließen die Türen und der Bus fährt weiter. Da der maschinelle Dialog einige Sekunden dauert, ist zudem Gedränge bei vollen Bussen zu erwarten. Der Versuchsbetrieb verzögerte sich aufgrund der deutschen Gründlichkeit. Der finnische Hersteller hat sich vermutlich gedacht "eine Software, die für ganz Finnland gilt, wird vom Tarifschema auf einen Teil von Hessen anpaßbar sein". Der Hersteller irrte gründlich und grausam. Im historischen Rückblick auf deutsche Kleinstaaterei sind die Gebührenmodelle der regionalen Verkehrsverbünde mit Ausnahmebestimmungen an den Grenzen der Tarifgebiete jedoch erheblich komplizierter als alle Zollsysteme des Mittelalters. Im Oktober 1996 war es geschafft und die pilzförmig gewachsene Software in den Automaten war in der Lage, den Fahrpreis zu ermitteln - zumindest für Marburg. Örtliche höhere Versuchstiere fuhren Probe mit den Karten, darunter Redakteure der Lokalpresse. Ende Oktober war es dann soweit und die Umschaltung vom Versuchsbetrieb zum Regelbetrieb erfolgte. Doch weil die Umstellungsphase über Wochenende lief, gab es lustige Szenen. Versuchstiere mit der Karte hielten sie wie bisher gegen den Automaten, aber da ging die rote Lampe an und es bimmelte fürchterlich. Alle Fahrgäste schauten auf den Mann am Automaten, der wie ein Chamäleon sich mit der Lampenfarbe zu tarnen versuchte. In Richtung zum Busfahrer stammelte er "gestern ging es noch". Der Busfahrer drehte sich um und sagte "Sie dürfen mitfahren" und der Mann am Bimmelpranger suchte sich, noch immer leicht verschüchtert, einen Sitzplatz. Ab 04.11.96 konnten Karten für fünf DM "Pfand" in Besitz genommen werden. Der Begriff "Pfand" legt nahe, daß sie Eigentum des Verkehrsverbundes bleiben ebenso wie Einkaufswagen bei ALDI. "Aufladen" kann der Busfahrer die Karten bis 50 DM; Verkaufsstellen der Stadtwerke bis 400 DM. Das ist ausreichend für den Fahrpreis beim Schwarzfahren. Die Kontrolleure haben Geräte, mit denen sie prüfen können, ob die Karte beim Einsteigen an den Automaten gehalten wurde. Die Frage, ob Kontrolleure auch gleich das "erhöhte Beförderungsentgelt" von der Karte abziehen, erübrigt sich. Denn sie könnten Karten einbehalten, weil sie ja Eigentum des Verkehrsverbundes seien und als "mißbräuchlich nicht benutztes Beweismittel" sicherstellen. Die Geldkarte von Banken und Sparkassen Das "Marburger Modell" ist nur eines der gegenwärtigen Karten-Modelle, die das Recht auf Bargeld einschränken. Mehr Erfolg am Markt, aber ähnliche Probleme bescheren die Karten von Banken und Sparkassen. Auf der "Zähbit Home", Hannover wurde die "Geldkarte" Ende August 1996 gut verkauft. Der erste Satz im "Kleingedruckten" schaltet den Datenschutz ab: "Diese Karte ist übertragbar". Dadurch sind die Kartendaten Daten ohne "Personenbezug". Halbwegs nachvollziehbar sind sie trotzdem. Für jede Karte wird ein "Schattenkonto" bei der Börsenevidenzzentrale geführt. Auf der Rückseite vermerkt sind: Kreis- und Stadtsparkasse Hannover, Großraum Verkehr Hannover und Deutsche Messe AG. Auch das "Pfand"-Prinzip wurde beibehalten: "Diese Karte ist Eigentum der Nord/LB Hannover" steht drauf. Das Verkehrsverbund-Prinzip funktioniert jedoch etwas anders. Die Ausgabestelle, der Karteneigentümer, hat freie Speicherplätze für Dritte auf der Karte vorgesehen. Ein "Dritter" ist der Verkehrsverbund "Grossraumverkehr Hannover". Irn Unterschied zum Marburger Modell ist nur eine Aktion notwendig zum Erwerb eines Fahrscheins: an der Einstiegshaltestelle wird die Karte in einen Automaten geschoben und das Fahrtziel sowie die Preisgruppe (z.B. Vollzahler, Hund oder Kind) gewählt. Diese Daten, also Haltestelle, Datum, Uhrzeit, Preisgruppe werden auf der Karte gespeichert. Der Kontrolleur hat ein Lesegerät, das "nur" diese bankfremden Speicherstellen auslesen kann. Nach einer Anlaufzeit könnten die Kontrolleure die Vollmacht der Nord/LB (o.ä.) bekommen, Karten angeblicher Schwarzfahrer einzubehalten (das Adjektiv "angeblich" könnte wichtig werden). Auf der Zähbit wurden Karten mit 30 DM darauf verkauft. Da man ein Lesegerät benötigt, um zu wissen, wieviel auf der Karte ist, wurde dort eine Art "Selbstkostenpreis" kalkuliert. So gut wie jeder, der auf der Zähbit Home so eine Karte kaufte, erwarb auch ein Lesegerät für fünf DM und der erste Akt war, daß diese 5 DM von den 30 DM abgebucht wurden. Auch "unpassende" Chipkarten mit ISO-Kontaktfeld (Telefonkarten, Krankenkassenkarten, Sky Pay-TV Karten usw) können in das Sparkassenlesegerät gesteckt werden. Doch dann erscheint nur eine Fehlernummer E 1, E 2 usw. (E wie Error). Bei "korrekten" Geldkarten wird nach dem Einschieben angezeigt, wieviel Geld noch "drauf" ist. Am Lesegerät ist ein einziger Knopf. Damit wird mit jedem Knopfdruck der letzte Zahlungsvorgang anzeigen, bis 15 Stück. Danach werden die zwei letzten "Ladungen" der Karte angezeigt: Ladesumme 1 und Ladesumme 2. Allmählich sollen die Kontoauszugsdrucker bei Banken und Sparkassen umgestellt werden auf Chipkarten mit Lademöglichkeiten für Geldkarten oder Kontokarten (die werden auch von Magnet auf Chip umgestellt). Es ist jedoch zu hoffen, daß zumindest Kontokarten von vermuteten Schwarzfahrern nicht von den Kontrolleuren einbehalten werden:-( - Aber das bleibt abzuwarten. Ausblick In der Perspektive wird es zu Kaufhäusern kommen, die (fast) ohne Personal 24 Stunden rund um die Uhr betrieben werden. Die Kunden werden die Waren an einer "Kasse" selbst buchen und mit Karte bezahlen. Zuerst werden das die großen Franchise-Kettenläden durchziehen. Denn nur dann, wenn die Bargeldannahrne verweigert wird, kommt der Rationalisierungseffekt der Karte zum Tragen und die runde halbe Stunde zur abendlichen Kassenabrechnung fällt weg - bei Mischsystem Karten und Bargeld wird die Kassenabrechnung nur kürzer. So auf die BRD bezogen, kann das System, konsequent durchgezogen, nochmal drei Millionen Arbeitslose mehr bringen. Vor allem dann, wenn nicht nur das Regalnachfüllpersonal reduziert wird, sondern auch das Kassenpersonal. Modellprojekte dazu gibt es schon. Eine Kombination von Strichcode-Scanner mit der "Waren-Entsicherung" (elektromagnetische Freischaltprozedur) macht das möglich. Darüber hinaus gibt es in den USA längst "intelligente Gebäude", die Eindringlinge gefangen nehmen, indem der Fahrstuhl zwischen zwei Stockwerken hält; das berichtete die Zeitschrift "BEUTE" vor über zwei Jahren. Ähnliches ist für deutsche Ladendiebe auch denkbar. Als Entwickler kann man solche Projekte durchaus seriös kalkulieren. Es hilft nicht, vor bekannten und absehbaren Entwicklungen die Augen zu verschliessen. Marx-Exegeten der 60er Jahre (die es heute noch gibt) haben heftig und verzweifelt diskutiert, ob und wie Distributions-Arbeiter (z.B. Kaufhausangestellte) an der Mehrwertproduktion beteiligt sind oder ob sie zum "Lumpenproletariat" gehören. Angesichts der weltumspannenden Automatisierung ist diese Debatte überholt. Auf dem Chaos Communication Congress wurde bereits vor mehreren Jahren in Zusammenarbeit mit der Verbraucherzentrale Hamburg über die Notwendigkeit des "Rechts auf Bargeld" diskutiert. Nun wird es ernst. (c) Wau Holland - verbreitet von eMailPress - die agentur gegen den strich Erstverbreitung in cl.magazine.nlik - Alle Rechte vorbehalten Anfragen an die Redaktion via emp@nadeshda.gun.de |
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