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Generation @

Ein Brief an die Generation X.
Ihr seid unsere Eltern. Ihr steht morgens auf und fahrt zur Arbeit ins Büro oder ins Werk. Ihr geht mittags in die Kantine und abends setzt Ihr Euch vor den Fernseher. Oder Ihr geht in die Kneipe, um Freunde zu treffen. Zu Weihnachten und zu Geburtstagen bekommt Ihr Post von Bekannten und versprengten Mitgliedern der Familie. Und am Wochenende fahrt Ihr raus ins Grüne. Oder in den Actionpark da unten im Süden.

Wir haben unsere Pubertät vor irgendwelchen Fernsehern verbracht, beschäftigt damit, geheimnisvolle Zeichenfolgen in sinnlose Geräusch- und Grafikeffekte umzuwandeln. Wenn es dann geklappt hat, sind wir im Freudentaumel aus dem Keller gestürrnt und haben von Euch nur verständnislose Blicke geerntet. Ihr habt uns seit einigen Jahrzehnten jede Weihnachten neues Spielzeug gekauft und wir haben damit lange Nächte dem Knistern und Quäken irgendwelcher Sender in fremden Ländern gelauscht.

Und wenn wir dann früh morgens mit dicken Ringen unter den Augen ins Bett gekrochen sind, haben wir von Euch nur ein unwirsches Murmeln geerntet. Wir haben gespielt. Und ihr habt darüber gelächelt: Fasziniert von blinkenden Lichtern, gefesselt von kleinen schwarzen Käfern. Ihr habt Witze über uns gemacht.

Und wir haben weiter unsere kleinen Kabel verlegt. Überall. Und damit haben wir Euch inzwischen die Welt gestohlen.

Ihr steht morgens auf und fahrt zur Arbeit ins Büro. Und da sind sie nun, die Kabel und die Blinklichter. Das Lotus-Notes-Windows95-SAP-Office-Automation-Netz ist da. Oder ins Werk, wo jetzt eine CNC Maschine Teile herstellt, die von einem Roboter unter die automatische Qualitätskontrolle gelegt werden. Mittags in der Kantine steckt Ihr die Chipkarte in die elektronische Kasse, um Euer Essen zu kaufen. Und abends setzt Ihr Euch vor den Fernseher und schaltet die Set-Top-Box ein, um ein Abendprogramm zu kaufen, in dem der Bunderkanzler ersten Musterdrucke der brandneuen Euro-Noten vorstellt. "So ein Unsinn" hört Ihr uns sagen. "Wir haben eCash - wozu sollten wir das ausdrucken?"

Oder Ihr geht in die Kneipe, um festzustellen, daß an der Stelle jetzt ein Internet-Cafe aufgemacht hat. Zu Weihnachten oder zu Geburtstagen bekommt ihr Post von versprengten Mitgliedern der Familie. Nur daß jetzt seltsame Absender darauf stehen und Sätze wie "Ich habe mir jetzt eine eMail-Adresse zugelegt." oder "Fax mal wieder." Aber Ihr seid stolz darauf, nichts neueres in die Hand zu nehmen als ein Telefon.

Welches Telefon übrigens? Denn Eure Tochter hat das Telefon abgemeldet und stattdessen ISDN legen lassen. "Ist billiger, Papa. Und bequemer." Und einen Brockhaus hat sie sich besorgt, da auf dieser komischen Silberscheibe. "Ist billiger, Papa. Und bequemer." Ihr kennt das schon.

Als Ihr jung ward, da seid Ihr aufgestanden und habt gegen Eure Eltern kämpfen müssen. Ihr habt ihnen die Welt abgerungen, in einem offenen und fairen Kampf, damals, als wir geboren wurden. Und dann habt Ihr so weitergemacht wie sie. Wir sind anders. Wir haben sie Euch gestohlen, Stück für Stück. Arbeit, Freizeit, Geld, Telefon, Post, Kneipe ... ohne daß Ihr es gemerkt habt. Und wir haben sie umgebaut, klamm und heimlich.

Inzwischen sind einige von Euch aufgewacht und haben gemerkt, daß diese Welt nicht mehr die ist, für die sie die Regeln gemacht haben. jetzt müssen sie schnell neue Regeln machen, für eine neue Welt, die sie nicht mehr verstehen.

Macht nur. Noch vier fahre bis ins nächste Jahrtausend. Wir sind die Generation @.
Kristian Köhntopp

kris@schulung.netuse.de
 

 

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