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Sorgen und NöteEin Internet-Service-Provider hat's schon schwer. Nicht nur, daß er sich mit diesen nervigen Kunden, auch User genannt, auseinandersetzen muß. Nein, er muß auch immerzu sein System am laufen halten, seine Anbindung auf den preisgünstigsten Leitungen fahren und nun auch noch seinen privaten kleinen Wirtschaftsstandort vor Existenzgefährdung durch böswillige Terroristenjäger schützen.Die Bundesanwaltschaft, kurz BAW, runzelte nun gegenüber dem neugegründeten ISP-Verein PrivatePornojäger e.V., auch Internet Content Task Force genannt, kräftig die Stirn wegen der Zugänglichkeit von Seiten, die die Texte der in Deutschland inkriminierten Zeitschrift" radikal" enthalten. Diese Seiten liegen beim holländischen ISP XS4ALL der vor einigen Jahren von der ehemaligen Crew der Hacktik (holländische Hackerzeitschrift) gegründet wurde. Da XS4ALL die Idee des Freedom of Speech ernst nimmt haben sie vor einigen Monaten auch nicht das Knie vor der doch recht mächtigen Scientoloy-Sekte gebeugt, die einige Seiten eines XS4ALL-Users beanstandete. Um Arbeitsplätze, Gewinnmargen und Seelenfrieden zu gewährleisten, empfahl die ICTF, im Netz vertreten durch Herrn Rechtsanwalt Michael Schneider, nun ihren Mitgliedern, X54ALL für ihre User unzugänglich zu machen. Die Holländer begannen daraufhin, ihre IP-Nummern zu rotieren, was eine Sperre auf IP-Nummer-Basis etwas schwierig macht. Somit war XS4ALL von den allermeisten ISPs aus trotzdem zu erreichen. Da einige ISPs daraufhin begannen, ganze Class-C-Netze zu blocken, wurde die Rotation zwischenzeitlich wieder eingestellt, um nicht völlig unerreichbar zu werden. Die ICTF argumentiert, daß sie nur die allernötigsten, von der BAW geforderten Schritte unternimmt, um Schaden von ihren Mitgliedern abzuwenden. Den Vorwurf vorauseilenden Gehorsams weist sie scharf zurück, eine Argumentation, die stark an "Aber ich habe doch nur Befehle von Oben ausgeführt" erinnert. Zugegeben: Es ist schwer für ein Ideal einen mühsam aufgebauten Betrieb zu riskieren. Nur, auf mittlere Sicht wäre es deutlich schlauer gewesen, wenn die ICTF auf gerichtlichem Wege eine Beschlagnahme o.ä. bei ihren Mitgliedern verhindern würde, indem sie höchstinstanzlich feststellen läßt, daß sie nicht für die Bits verantwortlich gemacht werden können, die auf den Platten dieser Welt liegen. Der jetzige Weg führt geradewegs in die Falle, daß etliche Großbeamte zur Überzeugung gelangen, daß Internet-Zensur zumindest partiell möglich ist, wenn man nur genügend Druck auf die ISPs macht. Das letzte, vor Redaktionsschluß vorliegende Schreiben der BAW an die ICTF spiegelt diese Erkenntnis sehr deutlich wieder: "Mein Telefax-Schreiben vom 30. August 1996 bezog sich ausdrücklich auf die vorgenannte URL und nicht auf eine einzelne IP-Nummer. Daher scheinen mir die Betreiber, welche bislang nur eine IP-Nummer gesperrt haben, ihrer Verpflichtung nicht vollständig Genüge getan zu haben, sofern hierdurch mögliche strafrechtliche Konsequenzen vermieden werden sollen . Vielmehr erscheint es hierzu notwendig, sämtliche technischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um einen Abruf der Druckschrift "radikal Nr. 154" über die o.a. URL zu unterbinden." XS4ALL wird jedenfalls alle technischen und juristischen Möglichkeiten nutzen, um auch den Internet-Usern in Deutschland eine weitere Betrachtung ihrer Seiten zu ermöglichen. Erwogen werden Klagen gegen die ICTF und die BAW wegen Geschäftsschädigung usw. Die von der BAW beanstandeten Seiten sind mitt lerweile auf dutzenden Servern auf der ganzen Welt gespiegelt (siehe Mirrorliste), wie das halt bei verfolgten Inhalten im Netz so üblich ist. Ob auf längere Sicht ein Widerstand gegen ein internationale koordinierte Netzzensur möglich ist, wird sich noch erweisen müssen, aber jetzt schon vor den beamteten Moralhütern in die Knie zu gehen ist ein echter Fehler. Eine langfristige Erhaltung der Freiheit des Wortes im Netz wird nur dann erfolgreich sein, wenn um jeden Fußbreit Boden gekämpft wird. Kompromisse sind hier definitv der erste Schritt in die falsche Richtung. frank@ccc.de
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[Datenschleuder]
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Sorgen und Nöte