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Das Ende der Welt


oder


Warum wir manchmal doch noch telefonieren können

Wer in der letzen Woche versuchte, jemand beim Innenninisterium zum Thema Technoterrorismus zu befragen, traf dort, und an einigen anderen Stellen, auf eher ungehaltene Beamte. Eine gewisse Unsicherheit machte sich allenthalben breit über die Sicherheit der Technologie im allgemeinen und der Kommunikationsnetze im speziellen. Das Thema "Technoterrorismus" ist in aller Munde. Sowohl Journaille als auch Politik waren bisher nur zur altgewohnten Standartreaktionen in der Lage: Sobald eine bisher unbekannte Gefahr am Horizont dräut wird ein neues Feindbild kreiert, anvisiert und aufgebauscht (wie z.B. bisher Islam, Atomschmuggel, Organisierte Kriminalität). Hektisch werden Gesetzesvorlagen kreiert, Sicherheitsmaßnahmen überprüft und Besorgnisse bekundet. Anlass der Unruhe waren einige durchtrennte Glasfaserstrippen am Frankfurter Flughafen, für die sich ein "Keine Verbindung e.V" verantwortlich fühlte. Dieser plötzliche und unerwartete Hinweis auf die Unsicherheit der KommunIkationstechnik erfolgte bewußt an einem der Orte in Deutschland, die mit besonderer Abhängigkeit von einer sicheren Informationsver- und Entsorgung gesegnet sind.
Die nun anstehende Kampagne gegen die bösen Technoterorristen wird mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einem für einige Wochen geschärften Bewußtsein für Netzsicherheit führen und eventuell einige Verantwortliche zur Anschaffung von erheblichen Mengen Sicherheitsequipirtent für ihre Netze bewegen.
In den letzen Jahren fand eine im Gesamtzusammenhang weitgehend unbermerkte Durchsetzung von Technologien auf allen Ebenen der Gesellschaft statt, die zwar einerseits sehr effektiv und fortschrittlich, andererseits aber auch extrem anfällig für äussere Einwirkungen aller Art sind. Die Abhängigkeit ganzer Industriezweige von einem zuverlässigen Netzanschluß (z.B. Telefonmarketing, Reisebüros, Montagebetriebe mit just-in-time Lieferung oder die Börsen) ist den meisten Leuten nicht oder nur sehr ungenügend bewußt.
Die Möglichkeiten eines einfach zu realisierenden, aber schwerwiegenden Eingriffs in neuralgische Infrastruktur haben sich in den letzen Jahren und Jahrzehnten exponentiell vermehrt. Auch die denkbaren Varianten einer gefahrloseren Ausführung "koventioneller" Anschläge und sonstiger Straftaten haben sich enorm erweitert. So ist z.B. das Problem der Aktivierung einer beliebigen technischen Einrichtung, wie etwa einer Kaktusgießautomatik, aus der Ferne im Zeitalter von Funkrufdiensten ohne Fixkosten und individuelle Anmeldung, zu einem Hobbyelektriker Problem herabgesunken, Das Erscheinen neuer Technologien, wie etwa der atomwaffenlosen EMP-Waffe, stellt die Informationsgesellschaft vor Probleme, die bisher ins Reich der Endzeitphantasien gehörten.
Die Konzeption der wesentlichen Netzwerke berücksichtlgte zwar In Ansätzen die Tauglichkeit für Kriegsbedingungen, nur war die Sicherheit gegen kleine Böswilligkeiten nie Planungsziel. Insbesondere die gegenseitigen Abhängigkeiten und Vernetzungseffekte verschiedener Strukturen mit ihren speziellen Eigenheiten und Fehlern erzeugen eine immense Zahl von potentiellen Angriffspunkten, die nicht mehr komplett zu analysieren sind. Die Komplexität moderner Softwaresysteme führt zu einer enormen Zahl von möglichen bewußt oder unbewußt implementlerten Sicherheitslöchern und Angriffsmöglichkeiten. In Deutschland gibt es z.B. nur zwei Varianten von Telefonvermittlungstellen (SEL und Siemens), die in den meisten Fällen über Modern fernwartbar sind. Ein langfristig angelegtes Sicherheitsloch könnte so zum Zusammenbruch des gesamten deutschen Telekommunikationsnetzes auf Kommando führen - analog zur offiziell vorhandenen Möglichkeit, das Systern im Eroberungsfall lahmzulegen.
Eine spezifische Eigenschaft von Straftaten, die unter qualifizierter Nutzung moderner Technologien begangen werden, ist das wesentlich verminderte Risiko, erwischt zu werden. Somit erscheinen auch die angedrohten Strafverschärfungen und Gesetzesänderungen als eher stumpfe Waffe, um potentielle Terroristen abzuschrecken. Vielmehr wird sich die Verwendung von neuer Technologie bei Staftaten in genau dem Maße zum Standard entwickeln, wie dies auch im Rest der Gesellschaft geschieht. Mit dem Stand und der Verbreitung von technischem Wissen in immer breitere Schichten der Bevölkerung hat sich logischerweise auch die Anzahl der potentiellen Technoterroristen erhöht.
Nichtsdestotrotz wird die Einführung von Gesetzesverschärfungen und erweiterten Fahndungsbefugnissen zu einer erheblichen Veränderung des Umfelds für kreative Techniknutzung im Sinne des CCC führen. Eine Techniknutzung ausserhalb der vom Handbuch vorgegebenen Nutzungsfelder wird (zumindest nach den Vorstellungen der Gesetzesmacher) eine ähnliche strafrechtliche Würdigung erfahren wie der illegale Umgang mit Kriegswaffen. Der implizite Verdacht des Technoterrorismus wird zu einer Vergiftung des Klimas im Umgang mit Journalisten und externen Interessenten führen. Neue Formen der Fahndung wie Kommunikationsüberwachung, elektronische Beweissicherung und der flüchendeckende

Einsatz von Systemen wie Schlüsselworterkennern in Telefonund Datennetzen werden die Komniunikationsgewohnheiten umkrempeln. Der Erwerb bestimmter "dual-use"-Geräte wird Überwachungsmaßnahmen unterliegen, gegen die die Aktionen gegen nicht zugelassene Modems als Kinderspiele erscheinen,
Die Auswahl der Ziele für terroristische oder erpresserische Aktionen folgt nur den bisher verwendeten Prinzipien: Ziel ist immer die verwundbarstc Stelle. Die Logik der militärischen Doktrinen der 80er Jahre, die Entsorgung des Gegners durch gezielte Schläge gegen seine Kominunikationsstrukturen (NATOErstschlagsplan), hat nun auch seinen Weg in den Rest der Gesellschaft gefunden.
Die große Furcht, Angriffe auf die Kommunikationsinfrastruktur und die Verwendung von neuen Technologien für illegale Zwecke, könnte sich zu einem Problem mit Dimensionen entwickeln, die weit über die RAFAktionen hinausgehen, scheint nicht unbegründet.
Im Kern bedeutet Technoterrorismus nichts anderes, als daß die Hemmschwellen logistischer und moralischer Art, irgendwelche subversiven Aktionen oder Anschläge zu begehen, wesentlich niedriger gehängt wird als bisher. Die Möglichkeit, Aktionen mit sehr großen Auswirkungen durchzuführen, ohne sich moralische Probleme wie das Töten oder Verletzen von Menschen aufzuladen oder risikovolle Materialien wie Sprengstoff und Schußwaffen handhaben zu müssen, wird zweifellos viele Leute reizen.

Die Komplexität derartiger Taten führt aber auch mit Sicherheit dazu, daß nicht alle Folgen, z.B. bei der Durchtrennung eines Kabels, abgesehen werden können. Die Abhängigkeit diverser lebenserhaltender Systeme von Kommunikationseinrichtungen wie z.B. Flugleitsysteme, Alarrnsysteme für alte und kranke Menschen, Krankenhäuser, Rettungsdienste und andere Notrufsysteme führt zu einer teilweise erheblichen indirekten Gefährdung von Menschenleben, nur wird dies bei vordergründiger Betrachtung nicht deutlich. Die Kompetenz zur realistischen Abschätzung der möglichen Folgen ist bei den potentiellen Tätern meist nicht vorhanden.
Der Anspruch legitimen und verantwortungsbewußten Handelns, das in fast allen Bekennerschreiben zu Anschlägen erhoben wird, ist im Fall von Technoterrorismus schlichte Lüge, entweder wider besseren Wissens oder aus Dummheit.

 

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