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RückblickIn dieser Podiumsdiskussion ging es um die Vergangenheitsbewältigung des Chaos Computer Clubs. Die Ereignisse der letzten Zeit, insbesondere die Verhaftung Steffen Wernerys, hatten zur schmerzlichen Erkenntnis geführt, daß die interne Clubkommunikation doch nicht so gut funktioniert wie angenommen. Aber fangen wir von vorne an:Steffen Wernery wurde auf dem Pariser Flughafen unter einem fadenscheinigen Vorwand festgenommen. weil die französischen Behörden in der Bundesrepublik während der Hausdurchsuchungen bei CCC-Mitgliedern nicht die rechtliche Handhabe für ausführliche Verhöre hatten. Obwohl der CCC vorher bei dem Veranstalter des Congresses SECURICOM, zu dem Steffen als Referent eingeladen war, angefragt hatte, ob es zu Komplikationen kommen könnte und die Antwort bekam, daß keine Aktionen der französischen Behörden zu erwarten seien, wurden Steffen und der Redakteur der Zeitschrift "Datenschutzberater" an der Grenze abgefangen. In Mailboxen und Zeitungen wurde heftig diskutiert: "Darf Frankreich jeden an der Grenze krallen, um ihn auszuquetschen?" Da sich auch noch andere Gruppierungen und Parteien einschalteten, gelang es den Anwälten schließlich, Steffen nach für Frankreich relativ kurzer Zeit aus dem Gefängnis zu holen. Neben den Kosten für Anwälte, Telefon etc. entstanden dem CCC noch erhebliche Nachteile durch die Beschlagnahmung des Redaktionsmaterials der Datenschleuder. Dadurch kam es auch zum völligen Zusammenbruch der BTX-Redaktion, so daß erboste Besteller von CCC-Materialien nach mehreren Mahnungen, die bestellte und schon durch BTX-Konto bezahlte Ware zu liefern, Strafantrag stellten. Auf den Vorwurf, diese Verhaftung sei vermeidbar gewesen. wird erwidert, daß dem CCC die gefahrlose Einreise Steffens versichert wurde. Außerdem sei dieser Congress besonders wichtig gewesen, da man dort direkten Kontakt zur Wirtschaft hätte knüpfen können. Daher habe man beschlossen, dieses Risiko einzugehen. Ein Interessanter Nebenaspekt ist bei dieser Angelegenheit, daß gerade an dem Tag der Verhaftung die neuen Computerkriminalitätsgesetze in Frankreich in Kraft traten, die den Versuch des Einbruchs in ein Rechnersystem mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestrafen. Da bei dieser Angelegenheit dem Einbruch bei Philips in Frankreich, der der Auslöser für die Hausdurchsuchungen und Ermittlungen gegen CCC-Mitglieder war, auch internationale Computernetze betroffen waren, wurde der Fall auch an Interpol weitergeleitet. so daß inzwischen 27 Länder (u.a. Neuseeland. Brasilien, Israel. usw.) gegen die deutschen Hacker Ermittlungen laufen. Einige Congressbesucher stellten sich nun die Frage, ob sie automatisch verdächtig sind, Hacker und damit, wie viele Bürger denken, "Terroristen ohne Waffen" zu sein. Soll man sich nun besonders schützen, das Ausland meiden, um nicht in die Hände verhörwütiger Kriminalbeamter zu kommen und sein Datenschleuder-Abo kündigen? Man sollte es nicht überstürzen. Vorsicht ist zwar angebracht, aber das Einstellen sämtlicher öffentlicher Aktivitäten, die das Image der Datenreisenden aufpolieren sollen, schadet dem Ansehen der Hacker eher als das Fortsetzen der Demonstration der Möglichkeiten und der Grenzen von Computern. Gerade jetzt beginnt die Öffentlichkeit, Hacker nicht gleich mit Terroristen in einem Atemzug zu nennen, wie man an dem "Chaos-Werbe-Video" vom österreichischen Fernsehen sieht. Man könnte fast denken, daß der ORF vom CCC gespensort wurde, aber der CCC ist, im Gegensatz zur Post, noch nicht in die Produktion von Fernsehfilmen und Shows eingestiegen. Die Mitarbeit der Medien war auch besonders hilfreich bei den Hausdurchsuchungen in Hamburg - die Aktion wurde live übertragen. Bemerkenswert dabei: die französischen Ermittier versuchten sich so gut wie möglich mit Kleidungsstücken vor den neugierigen Linsen der Kameras zu verstecken. Da fragt man sich. wer hat hier etwas zu verbergen - die Hacker oder die Behörden? Nachdem nun Steffen schon lange wieder auf freiem Fuß ist, versucht
der CCC aus seinen Erfahrungen bei der Bewältigung einer solchen Extremsituation
zu lernen. Es war unmöglich, die Mitglieder, die nicht alle in Hamburg
wohnen und daher schwer zu erreichen sind, ausreichend zu informieren.
Die "User" der Computernetze sind teilweise unfähig, diese richtig
und sinnvoll zu nutzen. Daher versucht der Club nun, ein Netzwerk zur Verfügung
zu stellen, mit dem sich jeder Benutzer schnell und umfassend informieren
kann. Diese dezentrale Vernetzung soll über das Zerberus-Netz laufen,
da es schon weil verbreitet und für jeden relativ leicht und ohne
hohe Kosten zugänglich ist. Man will auch dagegen kämpfen, daß
Hamburg als "Nabel des Chaos" angesehen wird und die "Provinzen" vernachlässigt
werden. Vielleicht kann dieses System zu einer neuen Einigkeit in der zerrissenen
Hackerszene führen, so daß man effektiver Erfahrungen austauschen
kann.
Henne 281748 Dec 88 |
[Datenschleuder]
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