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SPASS INVADERS
"Man muß als Mann den Ernst wiederfinden, den man als Kind beim Spielen hatte." Nietzsche
Das erste Computerspiel spielte ich Ende der sechziger Jahre. Es lief auf meinem "Logicus", einem sogenannten Spielcomputer der Firma Kosmos ("Das Spezialversandhaus für Naturfreunde"). Lief ist vielleicht ein wenig übertrieben. "Logicus" war eine Art Makrochip. Ein menschärgeredichnichtschachtelgroßes, beiges Plastikgehäuse, vorn acht rote Schieberegler (input), hinten acht Glühbirnchen unter einer rauchglasfarbenen Kunststoffhaube (output). Hob man die Haube ab, ließen sich verschieden bedruckte Transparentfolien über die Birnchen stülpen. Jungs lieben es, Folien über Birnchen zu stülpen. Programmiert wurde das Gerät über ein Steckfeld, in das man - nach Plänen in einem Beiheft - die abisolierten Enden himmelblauer Drähtchen stöpselte. Es sah aus wie die Taschenbuchausgabe einer Telefonvermittlung aus den dreißiger Jahren. Handverdrahtete Software! No kidding. Auf einer der Folien waren sechs Fußballspieler, vor jedem Birnchen einer, und links und rechts ein Tor. Mit jedem Reglerschieben leuchtete ein anderes Birnchen auf. Die Verschaltung war notwendigerweise undurchschaubar. Licht im Tor gab einen Punkt. "Theoretisch kann ein Echter Programmierer seine Programme zum Laufen bringen, indem er sie direkt über die Schalttafel in den Computer eingibt", schreibt Ed Post in einer Betrachtung über Echte Programmierer. "In den frühen Tagen, als die Computer noch Schalttafeln hatten, wurde das gelegentlich so gemacht." Die Legende sagt, daß Seymour Cray, der Erfinder des nach ihm benannten Supercomputers, das Betriebssystem aus dem Gedächtnis über die Schalttafel eingab, als die neue Maschine zum ersten Mal hochgefahren wurde. Soviel, um dem Mythos entgegenzutreten, Computerspiele seien was für Kinder. Der "Logicus"-Episode folgten die langweiligen siebziger Jahre, deren erste Hälfte ich damit zubrachte, Leonard Cohen zu imitieren. In der zweiten fing ich an, ernsthaft zu flippern. Das Flippern habe ich immer als einen tief befriedigenden Tanz erlebt, in immer eleganteren Bewegungen, je besser ich das Spiel beherrschte. Die Mittelfinger links und rechts an den Knöpfen, das RattRatt KLONK! dingdingding anstelle urzeitlicher Trommeln, das Bekken kreist neben dem Münzeinwurfschlitz. Perfekt der Rhythmus der akrobatischen Route der spiegelnden Stahlkugel. Und jede Hüftknochenkarambolage mit dem Gehäuse knapp, aber kunstvoll eben noch unter den TILT-Horizont gesetzt. Ein bedeutendes Prinzip, das bereits im Flipper begründet war, und das sich heute in den Computerspielen wiederfindet, ist die Ungreifbarkeit, besser: Unfaßbarkeit der Spielfiguren. Anders als bei den klassischen Karten-, Geschicklichkeits- und Brettspielen, sind die Hände aus dem eigentlichen Spielbereich ausgeschlossen. Nur die Gesichtssinne haben noch Direktkontakt. Spielvergnügen durch mechanisches Fernwirken kennen wir von nichtkriegerischen Waffenanwendungen wie dem Bogenschießen oder dem Speerwerfen. Die Kugel im Flipper weist auf die militante Abkunft des Genres. Ende der siebziger Jahre erschienen die ersten, wie man damals sagte: Bildschirmspiele. In den ältesten Videogames wurde die Kugel substituiert durch einen Strich mit senkrechter ("Breakout") oder Strahlenkanonenstreifchen mit waagerechter Freiheit ("Space Invaders"). Hinter dem Bildschirm gab es nicht einmal mehr was zu greifen, wenn man die Scheibe einschlug. Das Videospielen kostete dreimal soviel wie das Flippern, war jedoch faszinierender weil neuartig. Ein paar Jahre später, als ich einen Artikel über verbesserte Software zur automatischen Kuherkennung auf einem amerikanischen Bauernhof las, begriff ich, was die Faszination ausmacht. Es wäre wohl einfacher, einen Landarbeiter hinzustellen, statt mit riesigem Rechenaufwand und Methoden aus der Satellitenbildauswertung vorbeiwankende Euter von Nichteutern zu unterscheiden. Aber es wäre nicht INNOVATIV. Die Videospielmaschinen strahlten kühl und graublau, nichts mehr von den Feuerfarben der Flipperfrontscheiben, und sie gaben Töne ab, die auf ungemein moderne Art künstlich und reduziert, um nicht zu sagen pionierhaft simpel klangen. Neben den Standgeräten tauchte kurzzeitig ein Tischgerät auf, an dem man zu zweit spielen konnte. Jeder lenkte einen Wurm, der immer länger wurde und weder mit sich selbst noch mit dem anderen Wurm kollidieren durfte. Naja, die meisten Leitmedien des 20. Jahrhunderts haben auf dem Rummelplatz angefangen. Der besondere Reiz an dem Prinzip der anthropoevakuierten Spielräume liegt in der magischen Anmutung, den alles Fernwirken hat. Auf Deutsch: Ich bin Merlin, der Zauberer, der mit winzigen Handbewegungen macht, daß es sich da drin abspielt wie blöde. Im Videospiel wird der Spaß noch gesteigert durch die Basisbegeisterung, die aller Computerei zugrunde liegt: Eingreifen zu können in den Bildschirmraum, der - inbildhaft der Fernsehbildschirm - jahrzehntelang den großen programmproduzierenden Anstalten (dieses Wort!) vorbehalten war. Nun kann jeder steuernd eindringen in das vormalige Macht-Vakuum der Bildröhren. Eine gleichermaßen fremdartige wie zeitgemäße Facette der körperfreien Spielräume ergibt sich aus der Modellhaftigkeit einer gespenstischen Anstrengung des Menschen: sich aus ganzen Weltbereichen auszuschließen. In den Clean Rooms der Chipfertigung stört der Mensch nur noch als Verunreinigungsfaktor. Musterhaft auch die Exklusion am Beispiel nuklearer Industrien. Hier wird der Aufenthalt teils für Zeiträume von aberhunderten von Generationen ausgeschlossen. Auch 'ne Art von Naturschutz. Vordringlich gewünscht wird die Menschenfreiheit (dieser Doppelsinn!) vor allem von den Militärs. Die Welt als ein von Gefühl und Skrupel abgekoppeltes Kriegstheater; was das bedeutet, wissen wir seit dem Golfkrieg. DAS ist die Übung beim Videospielen, und nicht Reaktionstraining, wie Ronald Reagan irrtümlich annahm. Nochmal Ed Post: "Im Goldenen Zeitalter des Computerns war es einfach, die Männer (auch "Echte Männer" genannt) von den Bubis (auch "Müslifresser" genannt) zu unterscheiden. Aber die Zeiten ändern sich. Heute sehen wir eine Welt, in der kleine, ältere Damen einen computerisierten Mikrowellenherd haben, zwölfjährige Kids einen Echten Mann bei Asteroids oder PacMan spielend in die Tasche stecken, und jedermann seinen höchstpersönlichen Personal Computer kaufen und verstehen kann." Anfang der achtziger Jahre erfuhren die Pocketvideospiele, zugleich mit dem Mikrocomputer, einen ersten Boom. Ich legte mir einen C-64 zu und kaufte von zwei Jungs in der Spielzeugabteilung bei Karstadt um einen Fünfer eine Diskette mit Spielen. "Frogger" - der Frosch muß über die stark befahrene Straße. "Squish 'em" - immer hochklettern, die Spinnen tottreten und den Waschbecken ausweichen, die sie von oben runterschmeißen. An "Loderunner", mein Lieblingslabyrinthspiel, setzte ich mich glattrasiert und hatte einen beinah weichen Bart, als ich das nächste Mal in einen Spiegel schaute. Klimper, mein Mitbewohner, hatte ein sogenanntes Fachbuch erworben und tippte zwei Tage und Nächte lang ein Spielprogramm ab ("Wildwasser"), das sich nach dem ersten Startversuch selbst auffraß. Die Rechner wurden schneller, die Bedienungsanleitungen kürzer: "If it moves: shoot it. If it don't move: blast it." ("Goldrunner"). Das erste Text-Adventure, das ich durchspielte, hieß "Stein der Weisen" und war zweifellos von einem Schweizer geschrieben worden. Mitten im wildesten Phantastistan erschien der Hinweis: "Sie befinden sich vor der Kantonalbank." Computerspielen ist alles andere als harmlos, denn es ist nicht wirklich Spiel, es ist Kult. Kult im dramatischen Sinn. Nur aus den Tiefen des Spirituellen kann eine solche Inbrunst und fanatische Motivation, eine derartige obsessive und konvulsivische Steigerung kommen. Nirgendwo sonst ist eine so unbedingte Bereitschaft, eine so schmerzliche Verzückung zu beobachten, außer vielleicht beim Triathlon oder bei der Steuerhinterziehung. Wie illuminierende Beichtstühle stehen die Geräte in den Daddelarkaden. Längst erfüllen die westlichen Kirchen ihre Pflicht, das Kultische lebendig zu halten, nicht mehr; längst vermögen sie nicht mehr zu fassen, wie sich dieses tiefe Bedürfen in die heutigen Zeiten einformt. Unfähig und starr haben die Kirchen die geradezu phantastische Andachtsbereitschaft der nachmals Computerspieler verschenkt. "Das Beispiel Japan könnte die Neuentdeckung kultureller Bedingungen der Technikstile auch in Europa inspirieren", schreibt Joachim Radkau in einer Rezension des fünften Bands der Propyläen Technikgeschichte. "Im übrigen zeigt die Entstehungsgeschichte des Personal Computers ..., daß auch die Bedeutung des privaten Spiels bei der Technik-Genese nicht zu vernachlässigen ist." Ich muß an Chris Markers außergewöhnlichen Filmessay "Sans Soleil" denken. Da betrachtet jemand in einem tokioter Großkaufhaus eine Ausstellung von Schätzen aus dem Vatikanmuseum, "die das Museum seit Jahrhunderten nicht mehr verlassen haben." In den Augen der japanischen Kaufhauskunden vermeint der Betrachter einen Glanz von Industriespionage wahrzunehmen, der ihn daran denken läßt, daß die Japaner möglicherweise in ein paar Jahren mit einer leistungsfähigeren und billigeren Version des Katholizismus auf den Markt kommen könnten. Schon geschehn. Zwar vermissen wir noch das Sony Taschenbeichtgerät, der Nintendo- oder Sega- Handaltar jedoch ist lieferbar. Daß neben den proletarischen Mario Brothers, in denen die Arbeiterklasse zum Gegenstand der Verehrung wird, ausgerechnet das im Hort des Atheismus von dem Sowjetrussen Alexei Pazhitnov programmierte "Tetris" zum globalen Götzen geworden ist, wirft ein bezeichnendes Licht auf unsere Zeit und die kraftlosen Großkirchen des Westens. Im Ritual reduziert sich das Erzählen aufs Zählen. Die Wiederholung oft sinnloser Floskeln, Formeln, Bewegungen führen zur Ekstatisierung. Gameboygambling hat das Rosenkranzherbeten abgelöst und hilft zur Erleuchtung. Das Ziel stundentagewochenlanger Computerspiele ist - eine Zahl. Wie in Douglas Adams "Per Anhalter durch die Galaxis", wo der zweitgrößte Computer der Welt die Frage nach dem Leben, dem Universum und allem ("Die Antwort wird euch aber nicht gefallen") mit "42" beauskunftet. Ein Eintrag in der Hall of Fame. Was Vergänglichkeit bedeutet, vermitteln nicht die eitlen PC-Spiele, in denen der Highscore sich auf Disk speichern läßt, sondern der geniale Gameboy, dessen LeadershipList nach jedem Ausschalten wieder erlischt. Die Gimmicks, kleinen Animationen, Extrabildchen oder Minimelodien beim Durchbrechen bestimmter spielerischer Schallmauern sieht weißgott niemand als Spielziel an. Es geht um mehr. Das Spiel ist Opfer. Wir geben das Wertvollste: Zeit. Das Videospielen übertrifft die TV-Verzückung, indem es aktiv betrieben wird, derwischhafter ist. Schon Jiddu Krishnamurti sagte, daß es egal ist, ob man Omm oder Cocacola murmelt - oder Düdeldüt, möchten wir ergänzen -, das Ergebnis ist immer dasselbe. Kids spielen um zu spielen. Und sie nehmen sich wesentlich mehr Zeit dafür als Erwachsene, auf den ersten Blick jedenfalls. Erwachsene spielen, um zu gewinnen. Sie gewinnen Zeit, zu opfern. Was Erwachsene alles anstellen, um spielen zu können, belegen Untersuchungen über die Effizienz von EDV und die Tricks, mit denen Spielesoftware für's Büro ausgestattet ist. Ein Druck auf die Taste P (wie Panik) oder I ("If The Boss Wanders By...") hält das aktuelle Spiel an und zeigt ein Arbeitsblatt aus einer Tabellenkalkulation am Bildschirm. Mein Freund Dieter hat sich einen neuen Rechner gekauft. Riesenspeicher, Riesenbildschirm, Riesenalles. Gut 15.000 Mark ausgegeben; Powerusergurke. Den Großteil der Zeit spielt er. Sein Lieblingsprogramm ist ein Flipper in 16.777.216 Farben. Man kann, über die Leertaste, sogar virtuell dagegentreten.
(c) Peter Glaser |
[Contrib]
[Peter Glaser]
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