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Mailbox-Recht - eine Kritik
Dieser Text bezieht sich auf die Zusammenfassung von Horst Willen-
berg.
Zur Debatte stehen offensichtlich nur die ,,oeffentlich verfuegbaren''
Informationen in allgemein zugaenglichen Rubriken. Nachrichten in
persoenlichen Faechern, die mit dem Briefdienst vergleichbar sind,
stehen deshalb ausserhalb meiner folgenden, auf die Schnelle formulierten
Wertungen.
Das Thema beschaeftigt uns seit Jahren -- Hoehepunkte gab es u.a. Mitte
der 80er Jahre unter anderem in Hamburg mit der Clinch-Box, eines der
ersten Systeme das sich mit einem inhaltlich-redaktionellem Konzept
praesentierte. Damit veraenderte sich die Rolle des Sysops, der nicht
mehr nur als Techniker agierte, sondern gewissermassen auch als
,,Herausgeber'' eines elektronischen Mediums. Aus dieser Zeit stammen
eine Reihe von abstrusen Debatten ueber Zensur und ,,Macht'' des Sysops,
die ihren Ursprung in einer ueberaus emotionalisierten Atmosphaere im
Chaos Computer Club hat -- die allerdings von wenig Sachkenntnis
gepraegt war.
Ich halte es auch heute noch fuer falsch, eine detailierte Rechtsdebatte
mit Paragraphen zu fuehren, denn, wie Willenberg richtig schreibt, fehlt
bei den meisten Juristen, Betreibern und Anwendern der Durchblick.
Daraus nun abzuleiten, es handele sich bei den Netzen um einen ,,rechts-
freien'' Raum, ist im schlimmsten Fall die Uebernahme politische Propaganda
jener, die bestehende Informations-Freiheiten in diesem Medium zurueckstutzen
wollen.
Wenn man hier eine Debatte fuehren will, so waere sie sinnvollerweise als
rechtspolitische Diskussion zu fuehren. Anders gesagt: die Juristen und der
Gesetzgeber sind darauf angewiesen, was wir als Experten an Beratung und
politischen Vorgaben formulieren.
Ich vertrete seit etlichen Jahren die Auffassung, dass der Mailbox-Betreiber
in erster Linie Anbieter einer Kommunikationsdienstleistung ist und
prinzipiell nicht darueber zu bestimmen hat, wie Dritte diese Dienstleistung
nutzen. Gerade und besonders dort, wo es um den oeffentlich angebotenen Teil
geht.
Wo kaemen wir denn hin, wenn wir einer Entwicklung Vorschub leisten, bei
dem (gleiches Recht fuer alle) beispielsweise die Post sich weigern muesste
ein Fernsehsignal zu transportieren, nur weil jemanden das Fernsehprogramm
nicht gefaellt? Wenn eine solche Denkhaltung um sich greift, dauert es nicht
lange und wir haben in Deutschland wieder eine Gesinnungsjustiz deren Buettel
der Betreiber einer Kommunikationseinrichtung ist, gewissermassen er
,,elektronisch ueberwachende Blockwart''.
Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass ein Mailbox-Betreiber selbst-
verstaendlich NICHT fuer ,,Meinungs- und Informationsstraftaten'' seiner
Nutzer herangezogen werden kann. Und das sollte auch sehr konsequent
vertreten werden.
Dazu weitere pragmatische Begruendungen:
1. Eine Rechtsvorschrift muss praktikabel sein. Bei der wachsenden Datenmenge
die heute ueber Netzknoten laeuft, ist der Betreiber eines Netzknotens
faktisch nicht in der Lage, jedes Bit auf strafrechtliche Unbedenklichkeit
zu pruefen. Daran aendert auch nichts, dass ein Zerberus-Netz im Vergleich
zu internationalen Datennetzen ein noch ueberschaubares Informationsangebot
vorhaelt. Bei zunehmender Leistungsfaehigkeit von Hard- und Software, ist
es nur eine Frage der Zeit, bis der Zustand relativer Ueberschaubarkeit
auch im Bereich der Hobbynetze beendet ist. Das ist teilweise schon heute
gegeben.
2. Ein Anklaeger, sei es nun der Staat oder eine Privatperson, hat den
eigentlichen Taeter zur Rechenschaft zu ziehen - und nicht jenen, der in
einer eher theoretischen Betrachtungsweise eine Tat ermoeglicht hat. Das
waere ja so, als wuerde man den Verkehrsminister dafuer anklagen koennen,
weil auf dem Strassennetz Verkehrsdelikte begangen werden. Das ist rechts-
politischer Schwachsinn!!!
M.E. ist die Sorgfaltspflicht eines Mailbox-Betreibers an voellig anderer
Stelle anzusetzen. Als Betreiber einer Kommunikationsdienstleistung hat er
die Integritaet seines Systems sicherzustellen, also Aspekte des Datenschutzes
und der Datensicherheit. Er kann in Regress genommen werden, wenn die von ihm
angebotene Dienstleistung nicht funktioniert und Schaeden verursacht,
beispielsweise bei Datenverlust oder Informationsfaelschungen -- letztes
allerdings auch nur, wenn sie auf bewusstes Handels des Betreibers zurueck-
zufuehren sind. Auf keinen Fall dann, wenn ein Nutzer ,,Mist baut''.
Weitere Themen des Maibox-Betreibers sind das Fernmeldeanlagengesetz,
Urheberrechtsfragen bei der verwendeten Mailbox-Software - kurz gesagt, die
Produzentenhaftung, die sich aus dem TECHNISCHEN Betrieb ergibt. Vor diesem
Hintergrund kann und muss er Benutzer- und Geschaeftsbedingungen definieren,
die die TECHNISCHE Funktion des Kommunikationsnetzes sicherstellen. Alles was
darueber hinausgeht, ist m.E. anfechtbar.
Selbstverstaendlich kann ein Mailbox-Betreiber sein System bestimmten
Zielgruppen zur Verfuegung stellen - oder negativ formuliert - fuer bestimmte
Zielgruppen seine Dienstleistung verweigern. Das ist dann allerdings sein
,,Privatvergnuegen'', aus dem sich keine rechtlichen Ansprueche ableiten
lassen.
Hierzu wieder ein Vergleich: Ein Einzelhaendler, der ein Eisenwaren-Geschaeft
eroeffnet, eroeffnet halt ein Eisenwaren-Geschaeft und kann rechtlich nicht
dazu gezwungen werden auch Butter anzubieten. Das heisst, saemtliche
INHALTLICHEN Einschraenkungen die ein Mailbox-Betreiber fuer sein System
definiert, haben rein FREIWILLIGEN Charakter, sie sollten in der Debatte auf
keinen Fall in die haftungsrechtliche Ebene gehoben werden.
Der ,,heisse Stuhl'' auf dem ein Mailbox-Betreiber sitzt, ist die Rechts-
gueterabwaegung zwischen durchaus nachvollziehbaren Informationsinteressen
zum Zwecke der Strafermittlung des Staates (zu dem dieser verpflichtet ist)
und das ebenso hoch angesetzte Recht des Staatsbuergers auf informationelle
Selbstbestimmung, Datenschutz, Meinungsfreiheit ect.
Gerade weil es sich hier im Einzelfall um eine durchaus schwierige Rechts-
gueterabwaegung handelt, muss auch im Einzelfall geprueft werden. Es kann
nicht angehen, dass der rechtlich ungebildete Betreiber einer Kommunikations-
einrichtung indirekt Aufgaben uebernimmt, die ausschliesslich Angelegenheit
der Strafverfolgungsbehoerden ist.
Er kann als ,,Zeuge'' oder wegen seiner technischen Kompetenz als Gutachter
geladen werden, koennte allerdings an der Stelle auch Probleme kriegen, wenn
sich herausstellt, dass er ueber Kommunikationsinhalte und das Kommunikations-
verhalten seiner Nutzer Auskuenfte geben kann, in die er ueberhaupt keine
Einsicht nehmen DARF!!!!!
Hier gilt es deutlich und politisch scharf, die Uebergriffe staatlicher
Kontrollinteressen auf ein politisch verantwortbares Mass zurechtzustutzen.
Das ist eines der Hauptthemen der sich wandelnden Informationsgesellschaft
und jeder Sysop steht in diesem vorrangig gesellschaftspolitischen
Spannungsfeld.
Jeder Betreiber einer Kommunikationsdienstleistung tut schon im eigenen
Interesse gut daran, technische Massnahmen zu ergreifen, durch die er
juristisch nachweisbar belegen kann, dass er keine Kenntnis ueber das
Kommunikationsverhalten seiner Nutzer erhalten KANN. Auch vor diesem
Hintergrund sollte die Diskussion ueber rechtliche Konsequenzen fuer
Mailbox-Betreiber schwerpunktmaessig auf der Ebene ,,Integritaet von
Kommunikationssystemen'' gefuehrt werden.
Nun zu den Kommunikations-Inhalten, fuer die m.E. ohne Wenn und Aber die
Nutzer verantwortlich sind. Das muss langsam mal in die Koepfe kommen.
Die hier moeglichen ,,Informations- und Meinungsdelikte'' sind oft genug und
hinreichend definiert worden. Hierzu gehoeren ueble Nachrede, Rufschaedigung
mit geschaeftsschaedigendem oder beleidigenden Charakter, Volksverhetzung,
Aufruf zu Straftaten und dergleichen mehr. Die Rolle des Sysops ist hier
vergleichsweise einfach zu definieren. Verantwortlich ist, wie immer der
Absender - also derjenige, auf der urspruenglich fuer die Straftat zur
Rechenschaft zu ziehen ist.
Der Betreiber muss die beanstandete Nachricht erst dann entfernen, wenn ihm
diese Straftat unzweifelhaft und begruendet zur Kenntnis gebracht wurde. Dies
sollte eine klare Linie sein. Es ist schliesslich nicht Aufgabe des Sysops,
den Anklaeger zu spielen. Einen Strafantrag hat derjenige zu begruenden, der
ihn stellt.
An der Stelle wird es allerdings kritisch. Hier waere naemlich zu definieren,
was ,,unzweifelhaft'' sein kann. Darueberhinaus duerfte es anbetracht der
Undurchschaubarkeit und der wachsenden Informationsflut in verteilten
Kommunikationssystemen mit Sicherheit nicht ausreichen, auf blossen Zuruf von
irgendwem dazu verpflichtet zu sein, eine Nachricht zu loeschen. Da koennte
ja jeder kommen und irgendetwas behaupten.
Der deutliche, unzweifelhafte und auch RECHTSVERBINDLICHE Hinweis ist m.E,
auch vor dem Hintergrund einer tendenziell noch bestehenden Rechtsunsicher-
heit bei den Mailbox-Betreibern ein wesentlicher Aspekt. Wenn irgendwelche
,,Szeneautoritaeten'' die Loeschung einer Nachricht verlangen, hat dies mit
Sicherheit keinen rechtsverbindlichen, hoechstens moralischen Charakter.
Auf alle Faelle ist der Mailbox-Betreiber nicht dazu verpflichtet in einer
Art vorauseilendem Gehorsam im Vorfeld einer moeglichen Gerichtsverhandlung
irgendwelche Rechtsinterpretationen vorzunehmen. Hier muss m.E. eine
Einstweilige Verfuegung rechtsverbindlich zugestellt werden - und zwar an
den Betreiber, von dessen Knoten die Nachricht abgeschickt wurde.
Eine Einstweilige Verfuegung oder aehnliches wird, zugegeben, den Rechts-
anspruechen des Geschaedigten nicht gerecht, da wir es mit einem weltweit
verteilten Kommunikationsnetz zu tun haben, was zudem nicht zentral
organisiert ist. Heisst, die Entfernung einer Nachricht im Absendersystem
kann aus technischen Gruenden nicht sicherstellen, dass die umstrittene
Information weltweit aus dem Nachrichtennetz entfernt ist. Dies wird
wahrscheinlich die spaeteren Schadensersatzansprueche gegenueber dem ABSENDER
hochschrauben. Aber auch das ist keine Frage, mit dem sich ein Mailbox-
BETREIBER zu beschaeftigen hat.
Nun zu den Publicboxen. Sicherlich ist der Vertrieb von Raubkopien
strafrechtlich relevant. Voraussetzung ist m.E., dass dem Betreiber eines
elektronischen Vertriebssystems ein bewusst krimineller Akt NACHGEWIESEN
werden kann. Das kann in Einzelfaellen vergleichsweise einfach sein. Daraus
abzuleiten, dass prinzipiell jeder Betreiber kriminell ist, der vielleicht
unlizensierte Software auf seinem System vorhaelt, hiesse, das Kind mit
dem Bade ausschuetten.
Auch hier sollte man, nach dem Prinzip ,,im Zweifel fuer den Angeklagten''
davon ausgehen, dass der Betreiber schlicht nicht in der Lage ist, alle
Lizenzbedingungen der ueber seinen Netzknoten vielfach ohne sein Wissen
laufenden und vorgehaltenen Programme zu kennen und zu pruefen.
Verantwortlich ist natuerlich auch hier der Einsender der Programme und nicht
der Betreiber einer Kommunikationseinrichtung.
Darueber laesst sich streiten, doch entgegen der von Willenberg wieder-
gegebenen Ansicht Gravenreuths bin ich der Auffassung, dass in der
strafrechtlichen Bewertung sehr wohl die besonderen Bedingungen
elektronischer Kommunikationsnetze zu beruecksichtigen sind. Wesentlicher
Punkt ist, dass es sich um automatisch arbeitende Vertriebssysteme handelt,
bei dem der Betreiber lediglich ,,Funktionskontrollen'' und ,,technische
Wartungsarbeiten''wahrnimmt. Bei zunehmender Qualitaet der Software
reduziert sich die Funktionskontrolle auf ein Minimum. Eine technisch gut ii
nstallierte Box laeuft bekanntlich auch ohne Anwesenheit des Sysops.
Nun noch einige Anmerkungen aus publizistischer Sicht:
Was sich heute auf den Mailboxen abspielt, sind Meinungsaeusserungen von
Buergern. Die freie Meinungsaeusserung ist ein staatspolitisches Ziel, dass
unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes gestellt ist. Im Rahmen dieser
Meinungsaeusserung sind m.E. auch die vielgehassten Nazimails nicht von
strafrechtlicher Bedeutung, sondern eine Frage des politischen Meinungs-
bildungsprozesses.
Auch hier gilt, was bereits Eingangs gesagt wurde. Es ist ein FREIWILLIGER
Akt von Netzwerkbetreibern, wenn sie zu der Auffassung gelangen, dass
derartige Nazimails in einem Netzwerk nichts zu suchen haben. Dem wird die
Mehrheit der Netzteilnehmer wahrscheinlich zustimmen - insofern handelt
es sich hier um eine POLITISCHE und demokratisch legitimierte nicht aber um
eine rechtlich einklagbare Entscheidung.
M.E. hat die Auseinandersetzung mit Nazi-Propaganda politisch zu erfolgen und
nicht auf der Ebene rechtlicher Verbote. Hier zeigt sich auch in einigen
Buergerrechtsnetzen ein gewisser Hang zur ,,Gesinnungsjustiz'', weniger
polemisch formuliert, der Versuch politische Unfaehigkeiten mit dem Ruf nach
den Juristen zu ueberbruecken.
Die teilweise auch von mir verfolgte Linie nach einer presserechtlichen
Bewertung der ,,Meinungsaeusserungen'' auf Netzen ist kritisch zu hinter-
fragen. Sie bedeutet in der Konsequenz eine Einschraenkung des Rechts auf
freie Meinungsaeusserung. Indem der Betreiber einer elektronische
Kommunikationseinrichtung ein ,,freies Buergerforum'' zur Verfuegung stellt,
unterstuetzt er den Auftrag des Grundgesetzes und bietet ein voellig
neuartiges, bidirektionales Medium, das der politischen Bildung dient.
Dieses eben nicht nur innerhalb nationaler Grenzen - sondern auch im Rahmen
der internationalen Voelkerverstaendigung. Ich bin der Auffassung, das
dieses Engagement eines besonderen Schutzes bedarf und nicht durch eng-
stirnige Rechtsauslegungen in seiner informationskulturellen Entfaltung
begrenzt werden darf.
Fuer die sich eindeutig als ,,publizistische Dienstleistungen'' definierenden
Informationsdienste, wie beispielsweise MIK, RBI, SOZ und andere gelten die
einschraenkenden Bestimmungen des Presserechts. Hier ist ohnehin eindeutig
geklaert, dass nicht der Betreiber fuer die Verbreitung von Nachrichten
verantwortlich ist.
Juergen Wieckmann
(J.Wieckmann@link.hh.comlink.de, J.Wieckmann@link-hh.zer)
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