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Auf digitalen Pfaden - die Autoren
Im Schatten der Computer-Mythen
Forschungsgruppe Medienkultur und Lebensformen
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Die Forschungsgruppe Medienkultur und Lebensformen an der
Universitaet Trier (Abteilung Soziologie) arbeitet seit mehreren
Jahren im Bereich der paedagogischen und soziologischen Medien-
und Kulturforschung. Die Ergebnisse aus den bisherigen Arbeiten
sind in unserer Studie 'Auf digitalen Pfaden' (R. Eckert u.a.
1991, Westdeutscher Verlag) dargelegt. In der Anschluss-Studie
'Kultur und elektronische Kommunikation' werden zentrale Aspekte
der Telekommunikation empirisch und theoretisch vertieft.
I. Der Alltag von Computerfreaks
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Durch den Computer entstehen neue Formen der selbstbewussten und
eigenverantwortlichen Mediennutzung. Hier waere bspw. zu pruefen,
ob Computerclubs und Hackergruppen nicht kritische Aufgaben in
der Medienumwelt uebernehmen koennen, wie es Oekologiegruppen
fuer die natuerliche Umwelt tun. Daneben stellt sich die Frage,
inwieweit ihre autodidaktischen Lernformen nicht auch als Kritik
an der etablierten (Computer)Bildung interpretiert werden
koennen.
Aneignungsformen, Wissensdimensionen
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Computer sind aeusserst voraussetzungsvolle und verwendungsreiche
Apparaturen, mithin ist ihre Aneigung eingebunden in den
komplexen Zusammenhang von Wissen, Erfahrungen und (sub-)
kulturellen Deutungsmustern. Dabei entstehen neue Formen der
'Selbstprofessionalisierung', die auf oeffentliche Graduierungen
verzichten koennen. Gerade die Computerfreaks treten der Tendenz
einer 'gebrauchsfertigen' Reduzierung und Eindimensionalisierung
der Technik entschieden entgegen. Fuer sie schrumpft ihr
Lieblingsobjekt nicht zu einem neuen, trivialisierten
Haushaltsgeraet zusammen, sie sind keine anwendungsorientierten
Minimalisten, sondern wollen die ganze Bandbreite der
'Megamaschine' ausschoepfen. Ob Hacker oder Programmierer,
Cracker oder Mailboxfans, ihr Umgang mit dem Rechner ist durch
einen hohen Grad von Professionalitaet und Kompetenz
gekennzeichnet. Sie eignen sich im Bereich der Hardware und der
Programmierung, der Datenkommunikation, Graphik,
Sounddigitalisierung usw. ein Spezialwissen an, das ihnen -
gleichermassen in den ausdifferenzierten Szenen der
Computersozialwelt wie im Kreis der gestandenen, akademisch
ausgebildeten Informatiker - Geltung, Anerkennung und teilweise
auch Bewunderung verschafft.
Dies vor allem auch deshalb, weil sie ihre Fertigkeiten
autodidaktisch erworben haben. 'Learning by doing' ist die
zentrale Lern- und Handlungsmaxime, die ihren Einstieg und den
Werdegang bestimmt hat. Computerenthusiasten zeigen, dass es
neben der institutionalisierten schulischen und beruflichen
Computerbildung eine nicht zu unterschaetzende Form des
Selbstlernens gibt. Unabhaengig von den starren Konventionen
'verschulter' Wissensvermittlung haben sie individuelle Lernwege
und -beziehungen entwickelt, die quer durch alle
Herkunftsmilieus, Bildungsschichten und Alterskohorten zur
Selbst- und Welterkundung genutzt werden.
Computer-Spezialkulturen
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Die Computerwelt ist in verschiedene Spezialkulturen
ausdifferenziert (wobei die Uebergaenge fliessend sind), fuer die
jeweils eine bestimmte Art des Umgangs mit dem Rechner typisch
ist. Beispiele hierfuer sind die Hacker, Programmierer, Cracker
und Spieler. In ihren Spezialkulturen entwickeln sich, je nach
Kompetenz und Interesse, unterschiedliche Distinktionsmuster. So
werden in der Regel Personen, die in fremde Rechner eindringen,
unter den Begriff des Hackers subsumiert. Dabei gehen einige
Differenzierungen verloren, die aber aus der Sicht der
Betroffenen von Bedeutung sind. 'Echte' Hacker sind am Computer
als l'art pour l'art interessiert. Ihnen geht es um das technisch
Moegliche und die Grenzbereiche der EDV. Innerhalb der
Hackerkultur finden sich wiederum unterschiedliche
Teilnahmeformen: Neugierige, Abenteurer, die eher politisch
orientierten Hacker oder auch die Cybernauten (bei denen sich
Science-Fiction-Begeisterung mit dem Computern verbindet). Ihre
normativen Praemissen (zusammengefasst unter dem Schlagwort
'Hacker-Ethik') grenzen bestimmte Taetigkeiten (z.B. Zerstoeren
oder Verkauf von Daten) aus ihrem Selbstverstaendnis aus. Hacker
distanzieren sich somit von Crashern. Letztere gehen vorsaetzlich
destruktiv an fremde Rechner heran. Ihr Ziel ist es, Schaeden in
fremden Systemen anzurichten, sei es in Form des Zerstoerens von
Daten, der Beschaedigung der Hardware oder dem Implantieren eines
Computervirus. Ihre Motivationen sind unterschiedlich: Ein Teil
erklaert seine Aktionen als politisch motivierte Akte, fuer den
vermutlich groessten Teil der Crasher ist ihre Taetigkeit mit der
der Hooligans oder den Streetgangs zu vergleichen; sie sind die
'Vandalen' der Datennetze. Hacker distanzieren sich auch von
Datenspionen und Computerkriminellen, die fuer Nachrichtendienste
und Wirtschaftsunternehmen oder auf eigene Rechnung arbeiten und
die unrechtmaessig erworbenen Daten an Interessenten
weiterverkaufen.
Pioniergeist und Problembewaeltigung sind eine durchgehende
motivationale Linie bei den Programmierfreaks. Der Computer
eroeffnet fuer sie die Moeglichkeit, staendig etwas Neues zu
schaffen. Die symbolisch abgeschlossene Welt des Programms wird
zum imaginaeren Handlungsraum, dem sie ihr individuelles Signum
aufpraegen. Der sichere und kompetente Umgang mit logischen
Strukturen vermittelt ihnen zudem ein Erlebnis innerer Staerke.
Programmieren ist also nicht nur emotionsloses, kuehles und
logisches Handeln, sondern Herausforderung und Massstab fuer die
eigene Kreativitaet. Hinzu kommt, dass der Rechner fuer viele
Freaks auch besondere aesthetische Qualitaeten hat. Der Umgang
mit ihm wird als Kunst begriffen, die ueber das syntaktische und
semantische Programmierwissen hinausweist. Die gefundenen
Programmierloesungen sind gleichsam 'Design' mit einer eigenen
aesthetischen Eleganz. Programmieren geht auch einher mit dem
Gefuehl, den Computer und seine Moeglichkeiten im Griff zu haben:
Im Code des Programms diktiert man dem Computer die eigenen
Wuensche. Diese zweckfreien Kompetenz- und Erfolgserfahrungen und
die Anerkennung durch die Freakgemeinde stehen zumeist im
Vordergrund, bei manchen weist die Freizeitkarriere aber in
Richtung einer Instrumentalisierung und Vermarktung der
Computerkenntnisse. Das Hobby wird zum lukrativen Nebenverdienst
oder gar zum Beruf.
Eine Subwelt spezialisierter Programmierfreaks bilden die
Cracker- und Demo-Szenen. Die Cracker, bislang nur bekannt als
diejenigen, die die Kopiersperren von Programmen durchbrechen,
sind haeufig hochqualifizierte Programmierer. Ihnen geht es
jedoch nicht nur um das blosse Knacken eines Programms, sondern
zusaetzlich um ein aesthetisches Surplus: Als Beweis fuer ihre
Leistung kreieren sie graphisch und soundtechnisch anspruchsvolle
'Intros', die als Signum vor das eigentliche Programm kopiert
werden. Daneben spielt der indirekte Wettbewerb mit den
Programmierprofis der Softwareindustrie, aber auch die Konkurrenz
zwischen verschiedenen Crackergruppen eine Rolle. Fuer viele
Cracker haben die Raubkopien ihren 'Tauschwert' verloren, ihnen
geht es einzig um die aesthetischen Qualitaeten ihrer Intros.
II. Kultur und elektronische Kommunikation
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Durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ist
eine Erweiterung und Intensivierung des Informationsaustausch
moeglich geworden. Die individuelle Gestaltbarkeit eroeffnet
dabei die unterschiedlichsten Anwendungsmoeglichkeiten, so dass
Mailboxes, BBS, Electronic Mail, Datenbanken, IRC, FTP und Btx
fuer ein sehr breit gefaechertes Publikum interessant sind resp.
noch werden. Gerade fuer betriebliche Aufgaben ist eine
effiziente Netznutzung mittlerweile unerlaesslich, wie einige
Studien in diesem Bereich nachdruecklich dokumentieren.
Aber auch im Freizeitbereich wird der vernetzte Computer immer
beliebter. Dabei entstehen - so eine unserer Hypothesen - neue
kulturelle Raeume, die bislang aber noch nicht ausreichend
untersucht wurden. Diesen Fragen wollen wir im Rahmen unserer
derzeit laufenden Studie im Auftrag der VW-Stiftung nachgehen.
Dabei interessieren uns verschiedene Aspekte: So sind bspw. die
Auswirkungen der Nutzung von Computernetzen auf die Struktur und
das Selbstverstaendnis sozialer Bewegungen (wie z.B. Oekologie-
Bewegung) nicht erforscht. Auch rechtliche Aspekte
(Zensurbestimmungen, Urheber- und Presserecht, Verantwortlichkeit
von Systemverwaltern, Computerkriminalitaet) sind bislang kaum
thematisiert worden. Aber auch die Frage nach den spezifischen
Lernformen, die mit dem Computer-Hobby einhergehen, ist
Bestandteil unserer Erhebung. Nicht zuletzt die ritualisierten
Interaktionsformen und der szenetypische Sprachstil der einzelnen
Kommunikationsdienste werden von uns untersucht. Um diesen
Fragen empirisch nachgehen zu koennen, verwenden wir verschiedene
methodische Strategien. Gespraechsinterviews, Gruppendiskussionen
und die Analyse von einzelnen Netzbeitraegen und komplexer
Kommunikationsprozesse sind dabei die wichtigsten Datenquellen.
III. Theorie-Perspektiven: Medien und Lebensformen
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Zu den Grundzuegen der modernen Gesellschaft gehoert, dass in
zunehmendem Masse erworbene und nicht mehr zugeschriebene
Merkmale ueber die Verteilung von Lebenschancen entscheiden:
Waren es frueher vorrangig Herkunft, Verwandtschaft und Besitz,
so sind es heute individuelle Leistungen, ihre Bestaetigung durch
formale Qualifikationen und schliesslich das persoenliche
'Auftreten', die die Chancen auf dem Arbeitsmarkt beeinflussen.
Aber nicht nur der berufliche Status, sondern auch die
persoenliche Geltung wird zunehmend von individuellen Leistungen
bestimmt. Mit wachsender sozialer Mobilitaet, mit
fortschreitender Waehlbarkeit sozialer Gruppen und Themenbereiche
verliert die persoenliche Identitaet an Vorgegebenheit und
Selbstverstaendlichkeit. Dadurch ist nicht einfach ein 'Freiraum'
entstanden, sondern eher ein Marktplatz, auf dem Menschen als
Anbieter und Nachfrager von Freundschaft, Liebe, Geborgenheit und
Abenteuer auftreten.
Und genau an diesem Punkt kommen die (neuen) Medien ins Spiel.
Durch ihre Ausdehnung erweitert sich die Zahl der waehlbaren
Selbstdarstellungsmuster und erhoeht sich der
Spezialisierungsgrad der ausserberuflichen, persoenlichen und
privaten Identitaeten. Ihr Ort sind die persoenlichen
Beziehungen, ihre Zeit ist die Freizeit. Es bilden sich
hochspezialisierte Sonderkulturen um Freizeitneigungen (Hobbys),
politische Ueberzeugungen und religioese Erfahrungen, um
koerperliche und erotische Beduerfnisse. Diese gewinnen immer
mehr Bedeutung fuer die Ausbildung der persoenlichen Identitaet.
Die allgemein verbreitete Ueberzeugung, dass das moderne
technologische Kommunikationssystem das Verhalten der Menschen
gleichmache, ist also falsch. Gewiss ebnet es lokale, nationale
und auch verwandtschaftliche Traditionen ein und laesst eine
Allerweltskultur entstehen. Die Furcht aber, dass die kulturelle
Vielfalt verloren gehe, ist unbegruendet. Denn die raum- und
zeituebergreifenden Kommunikationssysteme ermoeglichen
gleichzeitig eine neue Diversifikation und Spezialisierung von
individuellen Sonderinteressen. Im gleichen Zuge, wie
ueberkommene kulturelle Muster abgebaut werden, bilden sich
(neue) Spezialkulturen. Die neo-tribalen Gesellungsformen der
Computerfreaks sind ein Beispiel hierfuer.
===
Wenn Sie unsere Forschungsarbeit durch ein Interview bzw. in
irgendeiner anderen Weise unterstuetzen oder sich zu den
bisherigen Ergebnissen aeussern wollen, wenden Sie sich bitte an
folgende Kontaktadresse:
Universitaet Trier
Forschungsgruppe Medienkultur und Lebensformen
Projekt: Kultur und elektronische Kommunikation
Postfach 38 25
DM I / 116-119, D-5500 Trier
Mailbox: 0651/ 201-3235 (300 - 9600 Baud 8/N/1)
Email : wettstei@uni-trier.dbp.de
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