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Gute Zusammenarbeit zwischen Technikern und Publizisten
Hamburg (mik) - Zwei Stunden nach dem Putsch in der Sowjetunion liefen die ersten Meldungen ueber das Computernetz der Associated for Progessive Communications (APC). APC ist ein Nachrichtennetz der internationalen Buergerrechtsbewegungen. Informationsbueros in Lettland, Litauen und Estland sendeten Vorort-Berichte, Dokumente und Analysen der Situation. GlasNet, ein russisches Buergernetz in Moskau, ist unter anderem ueber einen Knotenrechner in San Francisco mit APC verbunden. Ueber verschiedene Wege gelangten die Nachrichten auch ins ComLink, das Netz der deutschsprachigen Buergerrechtsbewegungen. Die Nachrichten- Uebertragung zwischen den Systeme an verschiedenen Plaetzen der Welt geschah im Zweistunden-Takt. Das hat sich fuer ein nicht kommerzielles Netz als guter Kompromiss zwischen Telefonkosten und schneller Nachrichtenverbreitung erwiesen. Bei ComLink erfolgt, wegen hoher Telefonkosten der Post, normalerweise ein taeglicher Nachrichtenabgleich in der Nacht, weil fuer Buergernetze die Sondertarife fuer Presseagenturen nicht gelten. Schon waehrend des Golfkrieges zeigte sich, wie wichtig ein auch publizistisch unabhaengiges Nachrichtennetz ist. Kommentare, Analysen und Fakten, die nicht in die Linie der bundesdeutschen Politik passten, konnten im Netz frei verbreitet und diskutiert werden. Zum Beispiel Hintergrundinformation von islamischen Studenten oder Berichte ueber desertierende US-Soldaten. APC, als Zusammenschluss mehrerer Buergerrechtsnetze in Kanada, der UdSSR, Grossbritannien, den USA, Schweden, Lateinamerika, Australien, Afrika, Japan und der Bundesrepublik, laesst sich schon heute als eine internationale Nachrichtenagentur besonderer Art bezeichnen. Es bleibt eine Frage der Zeit, bis auch die deutschen Journalisten begreifen, dass es neben den bekannten Nachrichtenagenturen ein modernes Nachrichtennnetz gibt, das wirkliches Rohmaterial liefert - internationale Informationen aus erster Hand. Von besonderer Art ist auch die Copyright-Situation in einem Netz, wo eigentlich alles einfach weiterkopiert werden kann. Zum einen fanden sich offen zugaenglich "freie" Informationen wie Erklaerungen von Buergerrechtsbewegungen und Verfuegungen der russischen Regierung zum zivilen Ungehorsam. Ebenfalls frei zugaenglich waren Kurzfassungen mit Anregungen und Handlungsvorschlaegen aus "Handbuechern zum gewaltfreien Widerstand". Berichte aus Moskau belegten, dass diese ins russische uebersetzt wurden und Laserdrucker zur Flugblattherstellung dienten, bis der Toner alle war. Aus Copyrightgruenden wurde die "Erklaerung" der Putschisten zunaechst nur unter Freunden verschickt, da an diesem Dokument der staatliche Gesinnungs-Service TASS sein Eigentum behauptete. Ueber eine kostenlose Weitergabe der TASS-Nachrichten mit 24 Stunden Verzoegerung war die Agentur nicht gewillt zu verhandeln. Auch die mehr als dreissig in Deutschland ueber Funk mit Computer empfangbaren Presseagenturen wurden nicht ins Netz eingespielt (ask your local radioamateur). Techniker und Journalisten der koopulierenden Buergernetze zeigten, dass Professionalitaet und ein alternatives Nachrichtennetz kein Widerspruch sind. In kurzer Zeit war APC auf die Situation eingestellt. Schneller und kooperativer Nachrichtenaustausch zwischen den verschiedenen Netzwerkbetreibern sorgte fuer eine effektive Nachrichtenweiterleitung und notwendige Umschaltungen in den Netzen. Das funktionierte dank ComLink jetzt auch in Deutschland. Netzwerker haben einiges gelernt, auch wenn Computernetze hierzulande noch zu oft als Spielzeug fuer begeisterte Computerfreaks gelten. Selbst wenn es um Aktualitaet und Schnelligkeit geht, koennen diese Netze mit den bekannten Nachrichtenagenturen konkurrieren. Sogar dem aktuellen Nachrichtensender CNN war diese neue Form eines direkten Daten-Drahts nach Moskau ein Beitrag wert. Die Staerke der Netze liegt jedoch nicht so sehr in der Geschwindigkeit des Austausches, sondern bei der Hintergrund-Berichterstattung. Wenn die Massenmedien ihre Sensationen "abgefeiert" haben, dann erst beginnt bei den Buergernetzen die eigentliche Arbeit. Was Regierungen miteinander vereinbaren, ist eine Sache. Entscheidend ist die Buergerdiplomatie, der Informations- und Wissensaustausch zwischen den Menschen vor Ort - ueber Kontinente und Staatgrenzen hinweg. GlasNet, mit Datenknoten in Tallin (Estland), Leningrad, Kamtschatka, Dnjepropetrowsk und Kiew, wird deshalb an Bedeutung gewinnen. Realitaetsfern wirken da manche deutsche Diskussionen, die in den letzten Monaten ueber die Finanzierung eines Buergernetzes gefuehrt wurden. Nicht nur bei GlasNet arbeiten derzeit vier hauptamtliche Mitarbeiter, die von zwei Teilzeitkraeften unterstuetzt werden. Eine aehnliche Struktur ist auch beim deutschen ComLink erforderlich, um stabilen Netzbetrieb zu gewaehrleisten. Zur Finanzierung sollten aber nicht nur die Medien, die Netzneuigkeiten einer breiteren Oeffentlichkeit weiterverkaufen, beitragen. Neben den einfachen "Usern" haben auch die Organisationen, die mit dem Werkzeug Computernetz international arbeiten koennen, ihren Beitrag zu leisten, damit auch kuenftig ein internationales Buergernetz stabil funktionieren kann. Ein sowjetischer Teilnehmer des Telekommunikations-Workshops waehrend der END-Convention fasste die Perspektiven dieses neuen Mediums wie folgt zusammen: "Im Krisenfall wie in Diktaturen wird Information zensiert, um die Bevoelkerung zu beschwichtigen. Mit den Datennetzen ist es nicht mehr moeglich, Informationen zu unterdruecken". Quelle: MIK-Magazin Nr. 35, Juergen Wieckmann ------------------------------------------------------------------------------ |
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