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Abschlussbericht "DDRnet"


Die Infrastruktur im Bereich der Telekommunikation in der ehemaligen
DDR genuegt bekanntlich nicht der Erfordernissen einer Gesellschaft
deren Wesen die Kommunikation ist bzw. zwangsweise werden wird.

Da der Aufbau des Telefonnetzes oder digitaler Datendienste in der
ehemaligen DDR noch eine lange Zeit in Anspruch nehmen wird, hat sich
der CCC Anfang des Jahres 1990 zusammen mit dem Neuen Forum ein Projekt
zu initiieren, welches den Aufbau eines Netzes zwischen gesellschaftlichen
Gruppen und Universitaeten mit Verbindung in die bundesdeutschen und
internationalen Kommunikationsnnetze zum Ziel hatte.
Wir gingen damals davon aus, dass die groesseren Firmen (mit westlicher
Unterstuetzung) sowie Regierungsstellen schnell ihre Kommunikatinswee
zwischen Ost und West finden werden, jedoch Umweltgruppen, Buerger-
initiativen und Forschungseinrichtungen weit aus laenger auf die Nutzung
guenstiger Verbindungen warten werden muessen.

Da uns "Wessies" aber auch Kenntniss der Moeglichkeiten, Zielsetzung
und Struktur der Gruppierungen und Einrichtungen in der ehemaligen DDR
fehlte, waren wir zwingend auf die Unterstuetzung der Menschen aus der
DDR angewiesen. Vereinzelte Treffen gab es schon im Rahmen des
Chaos Communication Congress 1989 in Hamburg-Eidelstedt, wo die Idee
geboren wurde und die Vorstellungen des Neuen Forum zur Sprache kamen.

Am 6. Januar 1990 kam es dann zum ersten Treffen zwischen dem Neuen Forum
und dem CCC. Dort wurde das von uns entwickelte Konzept der Projekte
"DDRnet" und "BARBARA" vorgestellt und an einigen Stellen modifiziert.

Beim Projekt "DDRnet" handelt es sich die Vernetzung von oeffentlich
zugaenglichen Kommunikationsraeumen in den 15 Bezirkshauptstaedten
der DDR. Zum grossen Teil sollte das Neue Forum die Systeme erhalten und
warten. Die Systeme sollten aber fuer die Kommunikation allgemein jedem
zugaenglich gemacht werden um so jeder geselslchaftlichen Gruppe und
interessierten Buergern die Moeglichkeit geben Information zu erhalten
und zu verbreiten. Dabei sollten IBM-Rechner mit dem Betriebssystem Unix
eingesetzt werden, weil diese durch die Multi-User/Multitasking Faehig-
keit flexibel ist, eine grosse Palette an freikopierer Software existiert
und das benoetigte Kommunikationsprogramm schon vorhanden ist (UUCP).
BARBARA stand fuer "Buerger-Arbeitsplatz Rechner fuer besondere Aktionen -
Richtig Angefangen" und sollte die prinzipielle Versorgung an PCs, Foto-
kopierern, Textverarbeitung, Datenbank- und Verschluesselungsprogrammen
verbessern.
Die Projekte standen in sofern in einem Zusammenhang, als das BARBARA
der Informationsbearbeitung und -erstellung dienen sollte und das DDRnet
dann zur Informationsverbreitung.
Fuer das Projekt wuerden ca. 350.000 DM notwendig sein, die durch Sach-
spenden aufgebracht werden sollten.

Nach dem Aufruf zu Spenden und unserer Pressearbeit fanden sich auch
schnell die ersten Spender. Dr. Neuhaus spendete 20 Modems, ein
Haendler einen Rechner fuer Dresden im Rahmen von Barbara und die
Firma Aavalon war bereit die gesamten Rechner fuer das Projekt DDRnet
komplett zur Verfuegung zu stellen, wenn die Absetzbarkeit dieser
Spende geregelt werden koenne.

Von da ab began der monatelange Durchlauf durch Instanzen. Nach dem
Paragraph 10b des EInkommenssteuergesetzes duerfen Spenden nur bis
zu einem bestimmten Prozentsatz des Umsatzes bzw. Gewinnes abgesetzt
werden. Diese Grenze wuerde bei der Firma Aavalon ueberschritten werden.
Von nun an war also das Ziel eine Ausnahmegenehmigung oder einen anderen
Weg zu finden, um das Projekt umzusetzen.

Spendenbescheinigungen fuer das Projekt haetten von verschiedenen Vereinen
die mit uns zusammenarbeiten ausgestellt werden koennen, wie zB der MUT eV
oder die Heinrich-Boell Stiftung. Bei diesen Stellen war eine unbuerokratische
Zusammenarbeit moeglich.

Bei der Suche nach Ausnahmegenehmigungen kamen aber ganz schnell die
hiesige Buerokratie in den Weg. Finanzaemter sahen sich nicht zustaendig
oder keien Moeglichkeit zu helfen oder zu beraten.

Paralell zu diesen Versuchen der Umsetzung wurden aber die Kontakte und
Arbeiten zur Vernetzung in der ehemaligen DDR ausgebaut. Es wurde eine
Mailling-List (Verteiler fuer elektronische Post) eingerichtet, in dieser
die Gespraeche zwischen Interessierten in der DDR (TH Leipzig, HU Berlin,
Charite, Gruene Liga Berlin) und hiesigen Initiativen (Uni Dortmund/EUnet,
GMD, DFN, CCC) zusammengefuehrt wurden um einen Informationsabgleich zu
ermoeglichen.

Im Rahmen des 2. EUnet-Benutzertreffen Mitte Juli 1990 kam es zu dem ersten
Treffen der Vertreter von west- und ostdeutschen Universitaeten, hilfs-
bereiten Privatpersonen, Firmen und Vereinen um die Vernetzung weiter zu
foerdern. Als zentrale Anlaufstelle fuer Aktivitaeten in der DDR
kristalisierte sich die Firma gki in Berlin heraus. Von nun an traf
mensch sich regelmaessig alle 4-6 WOchen um neue Aktivitaeten zu besprechen
und abzugleichen.
Die gki bekam die Zusage fuer die Vernetzung das S1-Netz der NVA nutzen
zu koennen. Dabei handelt es sich um ein NVA internes Telefonnetz mit
guter Qualitaet. Anschluesse an dieses Netz befinden sich bei Polizei-
Meldestellen, Regierungs- und Parteigebaeuden.

Der Zugang zum S1-Netz sollte auch den gesellschaftlichen Gruppen
offenstehen, soweit sie sich ueber die gki zur Teilnahme anmelden. Diese
Moeglichkeit fuer das Neue Forum kam dann auch bei einem Gespraech
zwischen Neuen Forum, GKI und CCC Mitte Juli in Berlin zur Sprache.

Weiterhin gab es ein informelles Gespraech mit dem Postminister der
DDR ueber den Betrieb eines "Netzes". Prinzipiell wurde uns gesagt,
wuerde es keine Probleme damit geben. Es wurde nur eine Anmeldung
gewuenscht.

Zu diesen Zeitpunkt wurde eine alternative Moeglichkeit zur Absetzung
der Spenden gefunden. Laut dem Bundessteuerblatt 1990, Teil I, S. 122
ist es moeglich bei Zuwendungen einer bundesdeutschen Firma an eine
karikative Einrichtung oder einer Firma in der DDR Sachzuwendungen
vollstaendig als Betriebsausgabe zu verbuchen. Wir teilten diese
Moeglichkeit der Firma Aavalon mit, die daraufhin ueber ihren Steuer-
berater Kontakt mit dem Finanzamt Muenchen aufnahm. Als Kontaktfirma
in der DDR sprachen wir mit der Firma GKI, die dann als Empfaenger
der Geraete laufen wuerde. Die Rechner waeren dann gemaess der zu
dem Zeitpunkt geltenen Gesetze in der DDR an die Endbenutzer weitergegangen
und der Volkskammerpraesidenten als Spende genannt worden.

Das Finanzamt Muenchen teilte auf Grund der Anfrage vo Aavalon mit, dass
die Sachzuwendungen in die DDR in ihrer Verkaufspreis mit Mehrwertsteuer
belegt werden wuerden, sowie weitere 9% an Steuern anfallen wuerden.
Insgesamt haette Aavalaon mehrere Zehntausend DM an das Finanzamt zahlen
muessen, um das Projekt umzusetzen. Dazu war Aavalon verstaendlicherweise
nicht bereit.

Zu diesem Zeitpunkt sah der CCC keine weitere buerokratischen Moeglichkeiten
mehr, dass Projekt umzusetzen. Daher wurden Briefe an den Bundesfinanz-
minister und den Bundeskanzler geschickt, mit der Bitte um Hilfe bei der
Projektumsetzung. Wir beschrieben das Projekt, die Probleme mit dem
Finanzamt. Dr. Michels teilte uns mit, dass er unser Schreiben im Auftrag
des Bundeskanzlers an das BMF weiterleiten wuerde.

Kurz nach diesen Schreiben erhielt der CCC ein beglaubigtes Schreiben aus dem
Bundesfinanzministerium von Herrn Weiss. DIeser verwies auf die Kompotenzen
des Laender, legte ein Auszug aus des Bundesgesetzblatt, Teil I, S.122 bei
und leitete das Schreiben "zwecks weitere Veranlassung" an das Bayr.
Staatsministerium der Finanzen weiter.

Dieses Schreiben wurde uns am 13.9 1990 von dem Leitenden Ministerialrat
Dr. Zeitler beantwortet. Dieser teilt uns mit, dass uns ja vom BMF die
Gesetzesblaetter zur Behandlung von Hilfeleistungen in die DDR uebermittelt
wurde und das es weiter Aufgabe des firmlichen Steuerberaters waere, den
Sachverhalt aufzubereiten. Weiter schreibt er: "Bei entsprechender
Aufbereitung des Sachverhaltes und der steuerrechtlichen Loesungsmoeglich-
keiten, was zunaechst in jeden Fall Aufgabe des steuerlichen Beraters ist,
wird sich das Finanzamt einer Mitwirkung nicht entziehen".
In unseren Schreiben (das dem Bayr. Staatsministerums zugeleitet wurde)
schreiben wir deutlich unseren Versuch die Regelung des BGBlatt I,122
zu nutzen und der Probleme bezuegl. Mehrwertversteuerung. Dies sind ja
in diesem Fall unsere konreten steuerlichen Probleme, bei denen uns
Dr. Zeitler anheimstelle ihm "diese Probleme im einzelnen darzulegen".

Wir leiteten das Schreiben des Dr. Zeitler an die Firma Aavalon weiter.
Diese teilte uns mit, dass es sich bei der Regelung um jene handelt, die
schon vom Finanzamt Muenchen mit Hilfe der Mehrwertsteuererhebung beant-
wortete und in diesem Schreiben des Dr. Zeitlers auf unsere Problemstellung
garnicht eingangen wurde. Zu diesem Zeitpunkt stand die deutsche Einheit
kurz bevor. Die beteiligten Stellen haben nach gut 10 Monaten Gespraechen
mit verantwortlichen Stellen, Behoerden und Menschen gelernt, dass es nicht
nur die ostdeutschen Behoerden sind die sich wenig kooperativ zeigen,
sondern auch unsere eigenen Behoerden nicht in der Lage sind "zuegig und
unbuerokratisch" zu handeln.

Es ist sicher nicht falsch zu sagen, dass sich der CCC an den Projekten
uebernommen hat. Allerdings konnten wir trotz (oder gerade) wegen dieser
Ueberforderungen alle administrativen Probleme mit Neuen Forum, Firmen,
ostdeutschen Behoerden, Vereinen und Netzbetreibern loesen. Es wurden
Spender gefunden. Verschiedene Leute hatten sich fuer Schulung und
Installation freiwillig gemeldet. Es waere also nicht mit den "Rechner
hinstellen" getan gewesen. Abschliessend koennen wir also uns auf der
Aktivaseite zu gute halten, dass wir Modems besorgt haben, ein Rechner
nach Dresden ging, die Erfahrungen mit Behoerden bezuegl. Hilfsprojekten,
dass wir in dem Arbeitskreis zum Aufbau von Netzen in der DDR mitwirken
konnten, so dass auch gesellschaftliche Gruppen und Privatpersonen
einbezogen wurden. Eine Tatsache die selbst in der Bundesrepublik als
Beispiel fuer Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen wirken koennte.
Auf der Passivaseite ist sicher zu erwaehnen, dass wir Hoffnungen geweckt
haben und sie nicht realisieren konnten, dass wir in der Anfangszeit
selbst im Chaos zu ersticken drohten und dauernd der Bearbeiter des
Projektes im CCC wechselte und schliesslich die Pressemitteilungen die wir
rausgaben und von Dingen sprachen, von denen wir _annahmen_ das sie nicht
mehr "schief" gehen koennen.

Terra
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