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Presserecht in Mailboxen: Probleme mit dem Fernmeldegeheimis
Auf dem diesjaehrigen Hackerkongress in Hamburg steht wiedereinmal die sogenannte "G10-Gesetzgebung" auf der Tagesordnung. Im Grundgesetz Artikel 10 ist das Post- und Fernmeldegeheimnis festgelegt, wobei es allerdings eine Reihe von Ausnahmen gibt. Unter bestimmten Voraussetzungen duerfen die Ermittlungs- und Sicherheitsbehoerden Telefongespraeche abhoeren und Briefpost oeffnen. Im Rahmen der Postreform, die es auch privaten Anbietern erlaubt Telekommunikationsdienstleistungen anzubieten, wurden diese Bestimmungen im Schnellverfahren auf private Anbieter uebertragen, nicht zuletzt, weil die Deutsche Bundespost auf den "Gleichbehandlungs-Grundsatz" pochte. Konsequent zuende gedacht, gelten diese Bestimmungen nun auch fuer Betreiber, die eine Mailbox als Hobby betreiben. Sie muessten, theoretisch, einen Beauftragten stellen, der den Ermittlungsbehoerden im Bedarfsfall den Zugang fuer Abhoer- und Kontrollmassnahmen verschafft. Bereits Mitte der 80er Jahre hat sich in der sogenannten Mailbox-Szene eine Auffassung durchgesetzt, die dieser Gesetzgebung von Ansatz her entgegenkam. Die Hamburger CLINCH- Box, angesiedelt im Umfeld des Chaos Computer Clubs, gehoerte zu den ersten Systemen, die mit einem inhaltlichen Konzept an's Netz gingen und damit den Sysop presserechtlich in eine Art Herausgeberstatus brachten. Unabhaengig davon, dass es im Interesse des Betreibers war, durch gezielte Auswahl ein attraktives Informationsangebot bereit zu halten, fuehrte dieser Ansatz zu teilweise scharfen Auseinandersetzungen, bis hin zum Vorwurf der Zensur. Dem Beispiel CLINCH folgten allerdings viele Mailboxbetreiber, bis hinein in den kommerziellen Bereich. Man kann darueber streiten, ob ein Mailbox-System von den medienspezifischen Eigenschaften her ueberhaupt geeignet ist, als "elektronische Zeitung" genutzt zu werden. An dieser Stelle waere noch sehr viel theoretische Grundlagenarbeit zu leisten, vergleichbar mit der Medienforschung, die es etwa im Bereich des Video gegeben hat. Gleichwohl werden die Systeme heute noch als eine Art "elektronische Zeitung" genutzt - und man hat sich zunaechsteinmal mit dem Status Quo zu befassen. Die bisherigen Debatten sind allerdings ueberwiegend durch die technische Sichtweise und von Juristen gepraegt. Publizisten haben sich bislang wenig mit den Moeglichkeiten dieses neuen Mediums befasst. Aus publizistischer Sicht muesste man eigentlich dafuer plaedieren, dass ein Netzwerkbetreiber einer Art "Verbreitungsplicht" unterliegt - analog der Befoerderungspflicht bei oeffentlichen Verkehrsmitteln, denn: wo kaemen wir hin, wenn der Betreiber einer Kommunikationseinrichtung darueber zu bestimmen haette, was ueber das von ihm zur Verfuegung gestellten Kommunikationsmittel kommuniziert werden darf und was nicht. Damit ueberschreitet er schlicht seine Kompetenz und greift in letzter Konsequenz in die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit ein. Doch nicht nur das. Nach dem vorliegenden Gesetz waere der Betreiber verplichtet, zumindest eine Option offen zu halten, ueber die er die Kommunikation seiner Teilnehmer ueberwachen kann. Dies widerspricht nicht nur geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen, sondern gefaehrdet zudem die Integritaet des Systems, von dem ein Benutzer Vertraulichkeit erwarten muss. In dem Zusammenhang sei auf die Diskussionen zu den Ueberwachungsmoeglichkeiten im ISDN verwiesen, wo allein schon die Aufzeichnung der Verbindungsdaten von vielen als verfassungsrechtlich bedenklich gewertet werden. Ein weiterer Aspekt: Ein Mailbox-Betreiber ist bei der staendig wachsenden Nachrichtendichte faktisch ueberhaupt nicht in der Lage, jedes uebertrage Bit auf presserechtliche Unbedenklichkeit hin zu ueberpruefen. Man braucht sich dazu nur die taeglichen Informationsmengen eines durchschnittlichen UUCP-Knoten zu vergegenwaertigen. Bedenklich sind in der bisherigen Debatte zwei Ansaetze, die auch gerade von den sogenannten "Alternativen" verfolgt werden. Zum einen das eher destruktive reagieren auf offensichtlich nicht durchdachte gesetzliche Regelungen, anstatt die Frage zu stellen, wie elektronische Kommunikation beschaffen sein muss, damit sie den datenschutzrechtlichen Bestimmungen gerecht wird. Anders formuliert, welche technischen Massnahmen sind, benutzerfreundlich, einzubauen, damit der Betreiber selbst ueberhaupt nicht in die Lage versetzt wird, irgendwelche Kommunikation seiner Teilnehmer ueberwachen zu koennen. Der zweite Punkt ist, dass sich Netze bilden, die mit einem inhaltlichen Anspruch auftreten und daraus ableitend, andere, die nicht in dieses Konzept passen, von der Kommunikation ausschliessen. Das mag in einigen Faellen sogar verstaendlich, vielleicht sogar unterstuetzenswert sein - allerdings sind die Konsequenzen dieser Haltung fatal, denn damit sind "rechtsphilosophisch" der Willkuer Tuer und Tor geoeffnet. Es bedeutet, dass derjenige, der ueber die Kommunikationstechnik verfuegt, auch darueber bestimmt, was kommunizierte werden darf und was nicht. Wenn man Kommunikation als ein grundlegendes Menschenrecht definiert, ist dieser Ansatz schlicht nicht zu akzeptieren. Gleichwohl gibt es bestimmte Spielregeln in der Kommunikation, wo bei der Aspekt "staatsgefaehrdende Schriften" nur ein "Nebengleis" ist. Fuer den Alltag wichtiger sind zum Beispiel Fragen des Gegendarstellungsrechts, z.B. wenn Personen oder Institutionen durch gezielte Desinformationen diskreditiert und auf vielfaeltige Weise geschaedigt werden. Hier geht es unter anderem auch um einen Schutz der Mailbox- Nutzer vor publizistischer Manipulation, womit das weite Feld des Presserechts, interessanter jedoch, die Empfehlungen des Deutschen Presserates fuer die publizistische Arbeit angesprochen werden. An dieser Stelle ist jeder Mailbox-Betreiber, erst recht, wenn er sein System als Hobby betreibt, ueberfordert. Hart gesprochen, der Schuster sollte bei seinen Leisten bleiben - und sich nicht um Dinge kuemmern muessen, die ihn gewissermassen a) nichts angehen, b) einfach nicht seine Profession sind. Abzulehnen ist, polemisch gesagt, ein "Blockwart-Prinzip", bei dem mir, als Publizist, der Netzwerkbetreiber quasi als Verleger oder Herausgeber vor die Nase gesetzt wird. Ein solches Kommunikationssystem ist fuer mich, als Publizist, uninteressant. Anderes verhaelt es sich natuerlich, wenn sich ein Mailbox- Betreiber publizistisch engagiert und seine Mailbox als Mittel zum Zweck betreibt, er also den Status als "Kommunikationsdienstleister" verlaesst und damit zum Verleger oder Herausgeber einer elektronischen Publikation wird. Derartige Systeme muss es geben, sie tragen wesentlich zur Bereicherung des elektronischen Informationswesens bei. Aber, sie sollten quasi als "externe Rechner" betrachtet werden, fuer die andere Bestimmungen gelten als fuer das eigentlich Netz. Bei einer Netzstruktur wie Zerberus ist diese Unterscheidung zwar sehr theoretisch, weil Netzknotenpunkte und inhaltlich gestaltete Mailbox quasi indentisch sind. Dennoch sehe ich derzeit noch keinen besseren Ansatz. Wie immer auch. An dieser Stelle muss sehr bald ein differenziertes Umdenken einsetzen, um nicht durch eine fatale Vermischung, presserechtliche Bestimmungen auf das Kommunikationsmedium Netz zu uebertragen. Schliesslich wird auch die Post nicht dafuer presserechtlich verantwortlich gemacht, wenn beispielsweise ueber Fax, Telex oder in der Briefpost Inhalte uebermittelt werden, die strafrechtlich relevant sein koennten. Die Forderung lauten: Die Verantwortlichkeit liegt bei der Quelle einer Information. Im elektronischen Nachrichtenwesen ist es im uebrigen rein sachlich auch nicht moeglich, aehnlich wie bei den Printmedien, die Verbreiter von Information, also Buchlaeden, Drucker oder Vertriebsorganisationen, strafrechtlich zu verfolgen. Zu den medienspezifischen Eigenschaften der elektronischen Kommunikation gehoert naemlich auch die Tatsache, dass der Informationsverbreiter anbetracht der taeglich wachsenden Informationsmengen ueberhaupt nicht mehr weiss, was er eigentlich weiterleitet, da dieses Weiterleiten weitgehend automatisiert und ohne menschlichen Einfluss erfolgt - sofern das System so funktioniert, wie es funktionieren soll. An dieser Stelle koennte man zwar den Empfehlungen des Deutschen Presserates folgen, der seit Jahren dafuer plaediert, nicht nur den Volljournalisten ein Zeugnisverweigerungsrecht einzuraeumen, sondern allen, die an der Produktion und Verbreitung von Information beteiligt sind. Doch bezogen auf die Netwerkarbeit impliziert diese Argumentationslinie wieder eine Vermischung zwischen dem Anbieter einer Kommunikationsdienstleistung und den Anbietern von Information. Anbetracht der Entwicklungen scheint mir die Zeit reif zu sein, um, nach dem Vorbild der Vidogruppen in den 70Jahren, regionale Medienzentren aufzubauen, die, projektorientierte Forschungs- und Grundlagenarbeit leisten. Dies kann Rahmen eines Ladenkonzeptes geschehen, in freier Arbeit oder auch in Zusammenarbeit mit Universitaeten und Unternehmen, vielleicht auch in Kooperation mit staatlichen Bildungseinrichtungen, Volkshochschulen und andren Traegern. Ziel sollte sein, die medienspezifischen Grundlagen der "elektronische Kommunikation" zu formulieren, E-Mail Projekte zu begleiten und eine vielschichte Lobby fuer dieses Medium aufzubauen. Entscheidend ist, dass sich moeglichst unterschiedliche Ansaetze und "Schulen" herausbilden. Ich wuerde mich freuen, wenn sich waehrend des Hackerkongresses in Hamburg ein Kreis zusammenfinden koennte, der einen solchen Gedanken aufgreift und praezisieren koennte. Fuer alle Mailbox-Betreiber seien an dieser Stelle noch die Jahresberichte des Deutschen Presserates empfohlen. Die Berichte enthalten ausfuehrliche Fallbeispiele aus Grenzbereichen der Publizistik sowie umfangreiche Empfehlungen fuer die publizistische Arbeit. Die Berichte koennen beim Deutschen Presserat zu einer Schutzgebuehr von 10.- DM bestellt werden. Fuer Redaktionen ist der Jahresbericht kostenlos. Adresse: Geschaeftsstelle des Deutschen Presserates Wurzerstrasse 46 5300 Bonn 1 Tel.: 0228/36 10 87 (Fax 0228/36 10 89) Juergen Wieckmann ------------------------------------------------------------------------------ |
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