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Die Freiheit der Wissenschaft kann nicht grenzenlos sein


Ein kleiner Bericht ueber die Bremer Unitage.
Ziel der "Bremer Universitaets-Gespraeche" ist es, aktuelle
Probleme aus Wissenschaft, Forschung und Lehre aufzugreifen, zu
diskutieren und nach Loesungsmoeglichkeiten zu suchen. Ins Leben
gerufen wurde diese Reihe vom Initiativkreis "Bremer und ihre
Universitaet", der sie seit 1988 mit Foerderung der Wolfgang-
Ritter-Stiftung und mit Unterstuetzung aus der Universitaet
Bremen einmal im Jahr organisiert. Schirmherr dieser Veranstal-
tung war der Bundesminister fuer Forschung und Technologie, Dr.
Heinz Riesenhuber.

Im Zentrum der Veranstaltung standen zunaechst drei Hauptvortrae-
ge von Prof. Dr. Heinz Georg Wagner aus dem Max-Planck-Institut
fuer Stroemungsforschung Goettingen und gleichzeitig Vizepraesi-
dent der Deutschen Forschungsgemeinschaft, von Hartmut Mehdorn,
Mitglied der Geschaeftsfuehrung der Messerschmidt-Boelkow-Blohm
GmbH Hamburg, und von Dr. Beatrix Tappeser, Oeko-Institut
Freiburg. "Forschung heute - Forschung morgen", "Die Rolle der
Wirtschaft" und "Die Freiheit der Forschung kann nicht grenzenlos
sein" lauteten die Ueberschriften. Zwei Diskussionsrunden "Was
ist zu erwarten?" und "Was ist zu tun?" schlossen sich an.
Ueber das Ergebnis berichtete das Handelsblatt, Duesseldorf, am
11./12.11.89:
Wissenschaft und Forschung verfuegen heute mehr als frueher ueber
Moeglichkeiten, in das System Natur einzugreifen und es zu
stoeren. "Die Freiheit der Wissenschaft kann darum nicht mehr
grenzenlos sein, muss sich ethischen und oekologischen Grenzset-
zungen unterordnen." Dieses Fazit zog Prof. Juergen Timm, Rektor
der Universitaet Bremen, zum Abschluss des 2.Bremer Universi-
taets-Gespraechs.
Strittig, ergaenzte Prof. Heinz-Georg Wagner, Vizepraesident der
Deutschen Forschungsgemeinschaft, sei zwischen den Teilnehmern
des eintaegigen Gedankenaustausches weniger die prinzipielle
Notwendigkeit von Grenzen fuer die Wissenschaft gewesen als
vielmehr die Frage, wo diese Grenzen zu ziehen seien. Ein
waehrend der Tagung besonders kontrovers diskutiertes Beispiel
fuer diese Problematik sei die Gen-Technik.
Den in der Hansestadt versammelten Wissenschaftlern und Wirt-
schaftsvertretern ging es um die "Forschung an der Schwelle zum
3.Jahrtausend - Wissenschaft zwischen oekologie und oekonomie".
Dabei sei deutlich geworden, so Timm, dass sich inzwischen alle
ihrer oekologischen Verantwortung bewusst seien. Weitgehend habe
Einigkeit darueber bestanden, dass Wissenschaft auch auf einen
Konsens mit der Gesellschaft reflektieren muesse.
Beispielsweise habe Dr. Beatrix Tappeser vom Freiburger oeko-
Institut fuer angewandte oekologie eine freiwillige Selbstbindung
fuer nicht ausreichend erklaert. Zur Einhaltung gesellschaftlich
geforderter Tabus muessten Forschung und Wissenschaft auch durch
gesetzliche Regelungen angehalten werden, hatte Frau Tappeser
betont. Mit ihren "Die Freiheit der Forschung kann nicht
grenzenlos sein" ueberschriebenen Ausfuehrungen sorgte die
Geologin in besonderem Masse fuer Zuendstoff.
Als ein entscheidendes Problem bei der Frage, wo die Grenzen von
Wissenschaft und Forschung zu ziehen sind, stellte Tappeser die
Frage der Risikodefinition heraus. So akzeptiere sie traditionel-
le Betrachtungsrisiken nur dann als solche, wenn sie entschieden
unmittelbar - moeglichst noch experimentell - von einer Ursache
ableitbar seien. Als entscheidend fuer die Frage, wie weit
Wissenschaft und Forschung gehen duerfen, nannte sie u.a. die
Kriterien Notwendigkeit und Nutzen, zeitliche und raeumliche
Begrenzung sowie Reversibilitaet und gesellschaftliche Akzeptanz.
Auch Prof. Wagner betonte, dass die Nutzung wissenschaftlicher
Forschung im Konsens mit der oeffentlichkeit erfolgen und
moeglichst reversibel sein muesse. Voraussetzung hierfuer sei
aber nicht nur die Entwicklung eines Bewusstseins der Wissen-
schaftler fuer ihre ethische und oekologische Verantwortung.
Vielmehr erfordere ein solches  Konsens-Modell auch die Bereit-
schaft der Gesellschaft zum Kompromiss und zur Sachkenntnis.
Gerade hierbei sei es in der Bundesrepublik weit schlechter
bestellt als in anderen Industrienationen.
Die Kenntnis-Defizite sind nach Ansicht Wagners eine entscheiden-
de Ursache auch fuer das in der Bevoelkerung weit verbreitete
Misstrauen gegenueber Forschungsergebnissen. Mangelnde Kenntnis
naturwissenschaftlicher Zusammenhaenge be-und verhindere jedoch
den auch in Bremen geforderten Konsens mit der oeffentlichkeit.
Zugleich appellierte Wagner an die Wissenschaft, sich darauf zu
beschraenken, zuverlaessiges Wissen zu sammeln, aufzuarbeiten und
weiterzugeben. "Mehr kann sie nicht", und daran sollten Wissen-
schaftler und Forscher sich halten, meinte er. Wenn Vermutungen
und Erwartungen als Wissenschaft ausgegeben wuerden, so sei das
"Scharlatanerie".
Zugleich betonte er die Notwendigkeit von Forschung. Viele der
heutigen technischen Moeglichkeiten beruhten auf weit zuruecklie-
genden Forschungsergebnissen, sagte er. Zwar liessen sich
Forschungsergebnisse nicht bestellen und organisieren wie
beispielsweise ein Haus, doch duerfe das moegliche Fehlen
kurzfristiger Anwendungs-Perspektiven nicht darueber hinwegtaeu-
schen, dass gerade Grundlagenforschung Weichen fuer die Zukunft
stelle.
Das Verhaeltnis der Wirtschaft zur Wissenschaft beleuchtete
insbesondere Hartmut Mehdorn, Geschaeftfuehrungs-Mitglied der
Messerschmitt-Boelkow-Blohm GmbH. Der Forschung, meinte er, falle
im zukuenftig verstaerkt internationalen Wettbewerb eine
besonders wichtige Rolle zu. Notwendig sei, die Interessen der
Wirtschaft mit den oekologischen Notwendigkeiten besser in
Einklang zu bringen. Einerseits muesse die Wirtschaft schneller
und konsequenter auf umweltverbessernde Forschungsergebnisse
reagieren, andererseits muessten umweltverbessernde Massnahmen
und Produktionstechniken staerker als bisher in den marktwirt-
schaftlichen Prozess eingebunden werden. "Insgesamt", so Mehdorn,
"muessen Oekologie und Oekonomie in weitgehenden Einklang
gebracht werden, wenn dirigistische Marktmassnahmen vermieden
werden sollen."
Insgesamt ergab das zweite Bremer Universitaets-Gespraech durch
das umfassende Herkunftsspektrum der Teilnehmer eine breite
Vielfalt der Auffassungen, und ein Tag erwies sich als zu kurz
fuer die auch nur annaehernd erschoepfende Diskussion eines
solchen Themas.
Menschen und Gruppierungen, die sonst selten das gemeinsame
Gespraech suchen, nutzten die Gelegenheit zum Meinungsaustausch.
Und einen Tag lang war, wie erhofft, der Blick frei fuer die
laengerfristigen, die eigentlich wichtigen Fragen der Zukunft,
abseits von der taeglichen Routine.

Mitteilung aus Projekt Wissenschaftsjournalisten (Pressebuero Eurokom)
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