|
Andere Netze, andere Sitten
Auf dem Chaos Communication Congress 1989 fand eine Diskussion zum Thema 'Nettiqette' statt. Unter der Nettiqette bzw. Net Guidelines ver- steht man die Anstandsregeln fuer die Benutzung eines Netzes. Damals machte man sich Gedanken darum, was eigentlich in eine solche Nettiqette reingehoert. Eine befriedigende Antwort wurde nicht gefunden. Vermutlich kann auch keine gefunden werden. Die meisten Netze wie UUCP, Bitnet, Zerberus, etc. haben alle IHRE Guidelines. Diese unterscheiden sich an manchen Stellen doch ziemlich. Man darf naemlich nicht vergessen, dass die Nettiqette in der Regel von der Geschichte, der Struktur des Netzes, den Teilnehmern, sowie der Verwaltung eines Netzes abhaengt. Etwas, was auf einem Netz gegen die Nettiqette verstoesst, ist auf einem anderen Netz normal. Im folgenen will ich mal verschiedene Punkte als Beispiel bringen: Auf dem UUCP z.B. ist es ueblich, dass man seinen richtigen Namen ver- wendet. Diese Realname-Pflicht gibt es in aehnlicher Form auf dem Bitnet. Aber schon zwischen den beiden gibt es Unterschiede. Waehrend der Verstoss auf dem UUCP hoechstens ein paar Flames (gehaessige Mails) zur Folge hat, wird man auf den EARN/Bitnet-Relays von der Benutzer dieser Konferenzserver ausge- schlossen. Ganz anders sieht es auf dem Zerberus aus. Dort herrscht keine Realname-Pflicht. Im Gegenteil scheint die Mehrheit fuer das Pseudonym zu sein. Die Pseudonyme sind ja dadurch entstanden, dass in der Anfangszeit der Computer die Benutzerkennungen nicht laenger als 8 Buchstaben sein sollten. Damit diese eindeutig waren, verwendete man die Pseudonyme. Aus dieser Zeit stammt also noch der Trend sich einen Nickname zu geben. Deswegen ist daran noch nichts verwerfliches. Ein anderer Punkt sind die sogenannten Signatures. Dabei handelt es sich um einen kleinen Text, der Auskunft ueber den Sender einer Mail bzw. Artikels geben soll. Auf dem UUCP sind das in der Regel 4 Zeilen, mit Realname, Nickname, Ort, Netzadresse, Telefonnumer und einem kleinen Spruch. Im Gegensatz dazu das EARN/Bitnet: Bei diesem Netz handelt es sich um ein Forschungsnetz. Ein Netzteilnehmer moechte vom anderen nicht nur den Namen und den Ort wissen, sondern auch der Ort wo er arbeitet (in der Regel die Uni und die Abteilung), seine Arbeitsadresse, seine Netzadressen, etc. Daher kommt es haeufig dazu, dass Bitnet Signature ueber 10 Zeilen gross sind. Andere Netze wie Zerberus kennen wiederum kaum Signatures. Beim Zerberus handelt es sich eben um ein Mailboxnetz, waehrend UUCP eher ein Techniker- netz und Bitnet ein Forschungsnetz ist. Auf letzteren kommt es viel haeufiger vor, dass man eben wissen will, mit wem man redet - aeh - mailt. Auf allen Netzen gilt der Grundsatz, dass man nicht vergessen soll, dass auf der anderen Seite AUCH ein Mensch sitzt. Dies vergisst man naemlich relativ leicht. Es faellt eben viel leichter einen Text zu schreiben, als jemand direkt etwas ins Gesicht zu sagen. Man kennt sein Gegenueber nur nur als 'Netzwerkadresse' und in den seltensten Faellen persoenlich. Auf dem Zerberus ist 'Anmache' stark verbreitet und fuehrt in der Regel nur zu einer kleinen Schlammschlacht. Auf dem Bitnet wieder, ist dies fast gar nicht ueblich. Vielleicht liegt es daran, dass die EARNies (EARN=Europaeischer Teil des Bitnet) sich regelmaessig auf Relay-Parties treffen. Man lernt sich kennen, albert und trinkt miteinander, etc. Danach faellt es schwerer, den anderern 'runterzumachen'. Dazu kommt, das der persoenliche Angriff auf den EARN-Relay - wie auch auf dem Zerberus und dem UUCP - verboten ist. Die Verwaltung eines Netzes bestimmt natuerlich auch Teil der Nettiqette. Bei UUCP kann sich jeder selbst anschliessen ohne gross sich irgendwo anzu- melden oder um Erlaubnis zu bitten (dies gilt nicht fuer das UUCP-Eunet). Auf dem Zerberus muss man sich bei der NetzwerkoordinatorIn anmelden. Bevor dieses nicht geschehen ist, sollen Nachrichten von nicht angemeldeten Sites ignoriert werden. Auf Netzen wie EARN/Bitnet muss man verschiedene Vorraus- setzungen erfuellen um ueberhaupt am Netzwerkbetrieb teilnehmen zu koennen. Was ist mit gesetzlichen Bestimmungen ? Leider ist es bis heute nicht ganz klar, ob Mailboxen - wie meistens angegeben - unter das Presserecht fallen. Wenn ja, waere der Betreiber fuer den Inhalt seiner Box verantwortlich, solange er den Namen eines Senders nicht nennen kann. Er waere verpflichtet, Artikel mit Nazistischen Gedankengut, Auslaenderhetze, etc zu loeschen. Diese Einstellung ist wieder auf dem Zerberus und dem Subnet (hauptsaechliche Verbreitung: Deutschland) zu finden. Also eben auf die weitgehend national begrenzten Netze. Auf den internationalen Netzen, werden die gesetzlichen Regelungen garnicht erwaehnt. Schliesslich waere es absolut unklar, welche Bestimmungen zu gelten haetten. Gelten die Gesetze des Landes, von dem der Artikel abgeschickt wurde oder die des Landes, wo der Artikel hingeschickt wurde ? Und was ist mit den Laendern, wo der Artikel nur transportiert wird ? Ein weiterer Knackpunkt ist das Senden von kommerzieller Werbung. Auf den Netzen wie UUCP und EARN darf man dies in der Regel garnicht. Auf dem Zerberus muss ein Anbieter dafuer 5 DM pro KB und erreichbarer Site bezahlen. Auf dem Geonet ist dies natuerlich - als kommerzieles Mailboxsystem - ver- staendlichweise wieder anders. Grundsaetzliche Probleme entstehen ich durch die verschiedenen Kostenstrukturen auf den Netzen. EARN wird von dem BMFT und ab naechstes Jahr primaer von der Universitaeten pauschal (unabhaengig von den Datenmengen) bezahlt. Bei GeoNet sind es die Benutzer in Form von Gebuehren. Auf dem UUCP die Systembetreiber, auf dem Zerberus die Benutzer oder die Betreiber. Man geht natuerlich mit einem Netz ganz anders um, wenn 'sinnloser' Traffic sich direkt in der eigenen Brieftasche bemerkbar macht. Umso weniger man mit der Finanzierung zu tun hat, desto eher wird man einfach grosse Datenmengen ueber die Netze verschicken - wobei in der Regel die Aufregung ueber den Sender grosser Datenmengen, mehr Traffic verursacht, als der 'Ausloeser' selbst. :-) Was bleibt ? Man sollte auf jeden Fall tolerant gegen jeden Netzteilnehmer sein. Man sollte 'Neulinge' nicht gleich fertig machen, wenn sie etwas falsch machen. Wenn ein Benutzer z.B. auf dem Bitnet immer gearbeitet hat und zum ersten mal sich auf dem UUCP bewegt, wird er sich erstmal so benehmen wie auf dem Bitnet. Eine Eingewoehnungszeit sollte jedem zugestanden werden. Ein Anfaenger auf dem UUCP braucht ja noch kein Netzwerkanfaenger sein. Man darf nicht vergessen, dass das Netz auf dem man sich selbst befindet, nicht das Non-Plus-Ultra und das Mass aller Dinge ist. Andere Netze - andere Sitten. An der Stelle kommt es z.B. immer wieder zu Problemen mit der Struktur der verschiedenen Netze. Beispiel(Achtung ! Kompliziert !): 1) Ein Betreiber auf dem UUCP bekommt mit, dass ein Benutzer aus dem Bitnet immer wieder grosse Datenmengen an einen Benutzer auf seiner UUCP-Site sendet. 2) Da dies dem Betreiber (UUCP) Kosten verursacht bittet, er den Bitnet Benutzer dieses einzustellen. Dieser denkt aber nicht daran. 3) Daraufhin sendet der Betreiber (UUCP) eine Nachricht an den Verantwortlichen der Bitnet-Node, diesen Benutzer doch zu verwarnen. 4) Der Betreiber (UUCP) bekommt eine Mail vom Betreiber (Bitnet), dass dies ihm nix angehe und das dies ein Problem der Betreiber (UUCP) sei. Dies kommt zwar selten vor, aber unmoeglich ist es nicht. Probleme dieser Art sind sogar wahrscheinlich, wenn es sich um technisch gleiche Netze, aber um verschiedene Strukturen und Konzepte wie z.B. Dnet und Subnet (beide UUCP) handelt. Grundsaetzlich sollte man immer auf die andere Seite Ruecksicht nehmen. Im Zweifelsfall diplomatisch handeln - andere Netze sind im weitesten Sinne nix anderes als andere Laender mit Grenzuebergaengen. Durch die verschiedenen Netze wird der Aufbau dieser Grenzuebergaenge (Gateway) erschwert. Wenn z.B. auf dem Zerberus fuer Persoenliche Mails gezahlt werden muss, auf dem MagicNet jedoch nicht, entstehen prompt Probleme. Genauso sieht es aus, wenn ein Netz wie Zerberus ein Uebergang zum UUCP aufmachen will. Zerberus ohne Realnamen. UUCP mit Realnamen. Dann entstehen auch Widerstaende. Meiner Meinung nach haben sich die Netze zu ihren heutigen Strukturen entwickelt. Sie koennen sich jedoch nicht also isolierte Welten betrachten und brauchen auch die Verbindung in andere Netze. Wenn solche Verbindungen existieren und intensiviert werden, werden sich die Nettiqetten schon von selbst langsam anpassen. Terra Quellen: Nettiqette des Zerberus (KERSTIN@TTB.ZER) UseNet Netiqette (UUCP) Subnet Nettiqette (cmk@chiuur.uucp) Conduct of Code (EARN/Bitnet) Relay Guidelines (EARN/Bitnet) --------------------------------------------------------------------------- |
[Contrib]
[Chalisti]
[02]
Andere Netze, andere Sitten