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KGB-Hacker Karl Koch: Der Mann hinter dem "23"-Mythos

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Daten, Drogen, Verschwörungstheorien Einer der ersten deutschen Hacker - der mysteriöse Tod des Karl Koch

In einem Wald bei Celle verbrannte Karl Koch, mit 23 Jahren am 23. Mai 1989. Er wähnte sich auf der Spur der Illuminaten und verkaufte dem KGB Daten der US-Regierung. Tragödie oder Kriminalfall?

Man kann sich schwer vorstellen, was einen Menschen dazu bringt, sich selbst zu verbrennen. Als am 1. Juni 1989 die verkohlte Leiche des 23-jährigen Karl Koch in einem Wald knapp 60 Kilometer östlich von Hannover gefunden wurde, mündete das entsetzte Unverständnis in wild wuchernde Gerüchte. Die einen sahen Kochs Tod als Suizid eines süchtigen, psychisch kranken Menschen. Andere halten ihn bis heute für das Opfer eines Geheimdienst-Rachemordes.

"Selbstmord oder Hinrichtung?" titelte die Hannoveraner "Neue Presse". Das tragische Ende von Karl Koch begründete eine Verschwörungstheorie, die Jahrzehnte nachwirkte, verfilmt, in Büchern beschrieben und für das Theater aufgearbeitet wurde - weil sie perfekt in die Zeit passte.

Die dramatischen Zutaten waren wie dafür gemacht:

  • Hacker im Drogenrausch, die Regierungsrechner ausspionieren und ihre Daten im ausgehenden Kalten Krieg an den russischen Geheimdienst KGB verkaufen,

  • clevere Computer-Nerds, die sich auf die Datenspuren der Hacker setzen und sie identifizieren,

  • ein Opfer, das selbst fest daran glaubte, einer weltweiten Verschwörung auf der Spur zu sein,

  • der psychische Zusammenbruch dieses jungen Mannes und sein grausamer Tod, dessen Ablauf bis heute nicht vollständig geklärt werden konnte.

Viele fragten sich damals: War Karl Koch Täter oder Opfer, ein Daten-Robin-Hood oder ein Krimineller? Die Hacker-Story befeuerte Fantasien. Polizei, Geheimdienste und Justiz hielten Koch und Kumpane für gefährlich, seine Freunde eher für gefährdet. Der Boulevard dramatisierte Kochs kurze kriminelle Karriere, seriösere Medien sahen stattdessen auf die tragischen Hintergründe  - beides Stoff für Schlagzeilen.

Rückblick: Geschichte einer Zerrüttung

Karl Koch wird am 22. Juli 1965 in Hannover geboren. Er hat keine leichte Kindheit: Die Eltern trennen sich früh, er wächst bei der Mutter auf. Sie erkrankt an Krebs und stirbt, kurz zuvor kehrt der Vater ins Haus zurück. Karl, 11, leidet unter dem Mann mit dem Alkoholproblem. Zwei Jahre später zieht die Freundin des Vaters ein, Karl hadert mit beiden und sie mit ihm.

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KGB-Hacker Karl Koch: Der Mann hinter dem "23"-Mythos

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So bleibt das Elternhaus ein rauer Ort. Eine Schwester, behauptet Koch in einem Lebenslauf, den er kurz vor seinem Tod verfasst, habe versucht sich umzubringen. Auch Karl, behaupten Freunde später, habe das später mehrfach versucht.

Als er 14 Jahre alt ist, schenkt sein Vater ihm die "Illuminaten"-Trilogie von Robert Shea und Robert Anton Wilson: eine anarchische Sex-und-Drogen-Gesellschaftssatire im Gewand einer Weltverschwörungs-Abenteuergeschichte. Der Held Hagbard Celine bekämpft von seinem selbstgebauten goldenen U-Boot aus und mit Hilfe eines sprechenden Delfins die tödliche Weltverschwörung der "Illuminaten".

Karl ist zu jung für das Buch: Er liest es wie einen Bericht. Und glaubt bald an die irre Geschichte.

An jeder Ecke entdeckt er fortan die Zeichen und Zahlencodes der angeblichen Weltverschwörung: Die Zahl 5, mystische Symbole und immer wieder die 23, die unheilschwangerste der Illuminaten-Zahlen. Mit 16 Jahren beginnt Karl zu kiffen, schluckt dazu Valium und Lorazepam, sein psychischer Zustand verschlechtert sich. Allmählich fällt er aus dem Schulsystem. Als er 18 ist, stirbt auch der Vater an Krebs.

Hacken für die Weltrettung (und die Kokain-Rechnung)

Karl ist nun frei in mehrfacher Hinsicht: ohne jede Aufsicht und durch Erbschaft durchaus vermögend. Und er ist besessen von seiner Verschwörungstheorie, die er immer weiterspinnt, in die reale Welt hinein.

Im Jahr 1983 hat er in der Landesschülervertretung Niedersachsen ersten Kontakt mit Computern. Im Jahr zuvor kam der legendäre C64 auf den Markt, dieser frühe erschwingliche Rechner für Jedermann: erster Höhepunkt der Computer-Steinzeit. Wer dabei ist, wird zum digitalen Pionier.

SPIEGEL TV

Karl kauft sich 1985 einen Atari ST, stürzt sich ins Hacken. Er ist nun 19 Jahre jung, hat eine eigene Wohnung und ungewöhnliche finanzielle Freiheit.

Bald schon steht er im Ruf eines versierten Hackers und wird zum Mitgründer des Hannoveraner Ablegers des Chaos Computer Clubs (CCC). Sein Deckname ist nun Hagbard Celine - wie in der Illuminaten-Trilogie, ein Pseudonym als Selbstbeschreibung: Wie der Romanheld Hagbard sieht Koch sich als Kämpfer gegen die Illuminaten. Er empfindet seine Computer-Hackerei als Auftrag im Dienste des Weltfriedens.

Als ihm Anfang 1985 der Vorschlag gemacht wird, per Hack geheime US-amerikanische Daten zu stehlen und an die Sowjetunion zu liefern, entdeckt er darin einen Beitrag zum Gleichgewicht der Kräfte, denn der Ostblock hinkt digital hinterher. Die KGB-Zahlungen finanzieren seinen wachsenden Drogenkonsum.

Die Kombination von Hacks und Highs hat drei Konsequenzen:

  • Die wachsende Sucht nach immer härteren Drogen frisst Kochs kleines Vermögen und setzt ihn finanziell unter Druck, mehr zu hacken.

  • Kokain und Aufputschmittel ermöglichen ihm Hack-Sessions von ungesunder Menge und Länge.

  • Die Drogen verstärken seine paranoiden, psychotischen Tendenzen.

Anfang 1986 ist er psychisch am Ende. Als Tschernobyl explodiert, glaubt Koch, er habe den Atom-GAU verursacht, weil er sich kurz zuvor in ein AKW eingehackt hatte. Seine Freunde lassen ihn einweisen. Und machen fleißig weiter mit dem "KGB-Hack".

Nach dem Kollaps: Koch wird zur "Quelle"

Was sie nicht ahnen: Clifford Stoll ist ihnen auf den Fersen. Der Astronom und IT-Freak stolpert in den Serverkosten des Lawrence Berkeley National Laboratory über einen winzigen Fehlbetrag von 75 Cent, den er sich nicht erklären kann. Als Stoll die Erklärung findet, nimmt er die Fährte der deutschen Hacker auf - und lässt ein volles Jahr nicht locker, bis er sie identifiziert. Die "KGB-Hacker" stehen unmittelbar vor der Enttarnung.

Dazu trägt auch Karl Koch bei. Stoll identifiziert seine Hack-Partner "Pengo" und "Urmel", noch aber können die Behörden nicht zugreifen. Doch Stoll veröffentlicht erste Erkenntnisse, deutsche Journalisten bekommen Wind davon. Bei Karls Partnern prallen sie ab. Karl dagegen redet, weil er Geld braucht, um seine Sucht zu finanzieren. Er lässt sich dafür bezahlen, zwei Journalisten des ARD-Magazins "Panorama" Unsinn zu erzählen. Die pflegen den Kontakt zu ihm trotzdem weiter.

So rückt auch Karl Koch ins Visier der Fahnder. Er stellt sich dem Verfassungsschutz, wird ans BKA weitergereicht, immer wieder verhört. Der Druck wächst: In der Szene gilt Koch vielen als diskreditiert, und anders als versprochen wird auch gegen ihn ermittelt. Zudem bekommt er sein Drogenproblem nicht unter Kontrolle.

Bald berichtet die ARD über den "größten Spionagefall seit Guillaume"; über den Stasi-Spitzel Günter Guillaume stürzte einst Bundeskanzler Willy Brandt. Die Hackerszene habe "ihre Unschuld und damit auch viel von ihrem Chaoten-Charme verloren", schreibt die "Zeit" am 10. März 1989  . "Mehrere Computerfreaks stehen seither unter dem dringenden Verdacht, ihre Geisterfahrten nicht nur zum Spaß, sondern für den sowjetischen Geheimdienst KGB absolviert zu haben."

Der Druck auf Koch und Co. wird übermächtig, sie stehen am Pranger - auch wenn beispielsweise der SPIEGEL die Geschichte von den vermeintlichen Superspionen Monate vor Kochs Tod detailliert relativiert . So sieht es inzwischen sogar die deutsche Justiz: Vor Gericht entweicht die Luft aus der Geschichte vom vermeintlichen Superhack .

Boten-Job ausgerechnet für die CDU

Für Koch kommt das zu spät. Im Frühjahr 1989 schreibt er einen ausführlichen, inhaltlich erschütternden Lebenslauf, den seine Freunde nach seinem Tod im Rahmen einer Dokumentation veröffentlichen . Verfassungsschützer hatten versprochen, einen Therapieplatz für ihn zu suchen. Der Lebenslauf sollte als "Bewerbung" dienen - er liest sich wie ein Hilferuf.

Doch zur Therapie kommt es nie, die ausgewählte Einrichtung lehnt ihn ab, weil er die falschen Drogen nimmt. Noch ein Problem mehr für Karl Koch, 23 Jahre jung und bald darauf tot.

In seinen letzten Monaten arbeitet er als Fahrer und Bote für die CDU in Niedersachsen. Seine halbe Jugend hatte er sich selbst als linken Anarchisten, Aktivisten und Atheisten definiert, jetzt arbeitet er für die Konservativen. Und Hilfe sucht er statt bei Therapeuten nun auch bei einer christlichen Sekte - für seine Freunde noch ein Symptom seines mentalen Zusammenbruchs.

Am 23. Mai 1989 steigt er für einen Botenauftrag in einen Dienstwagen. Karl Koch kommt nicht mehr zurück. Rund eine Woche später wird seine verkohlte Leiche im Wald gefunden. Er starb wohl bereits am 23., so "wie die meisten großen Anarchisten".

Das behauptet Hagbard Celine im Roman, Koch hat es geglaubt. Gut möglich, dass er es am Ende auch wahr machen wollte: 23 und 5, im Kontext seiner Illuminaten-Fantasien mag das wie ein nahezu magisches Datum auf ihn gewirkt haben, wie ein Zeichen. Karl Koch wurde 23, in mehrfacher Hinsicht: der tote "Beweis" seiner eigenen Verschwörungstheorie.

Zum Weiterlesen

- Freke Over u.a.: Dokumentation  über Karl Koch
- Thomas Amann u.a.: Hacker für Moskau. Wunderlich-Verlag, 1992
- Hans-Christian Schmid, Michael Gutmann: 23. Die Geschichte des Hackers Karl Koch. Dtv, 1999
- Clifford Stoll: Kuckucksei. Die Jagd auf die deutschen Hacker, die den Pentagon knackten. Fischer-Verlag, 2015

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