============== Page 1/1 ============== Stellungnahme des Chaos Computer Clubs zum Telekommunikations-Modernisierungs-Gesetz (TKmoG) für die 108. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie des Deutschen Bundestags, am Montag dem 1. März 2021 [1] Autoren: Frank Rieger, Dirk Engling Stand: 25.2.2021 Vorbemerkung Der Chaos Computer Club tritt seit seiner Gründung für einen freien und unbeschränkten Zugang zum weltweiten Netz ein. Mit der zunehmenden Digitalisierung aller Bereiche des Lebens ist für die Teilhabe an Politik, Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Kultur und auch privatem Leben der Zugang zum Netz unabdingbar. Das Bestreben des Gesetzgebers, hier eine nachhaltige Verbesserung der Situation zu erzielen, ist daher grundsätzlich zu begrüßen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist jedoch an kritischen Punkten zu wenig ambitioniert, greift wesentliche Problemstellungen nicht oder nur ungenügend auf und lässt bereits absehbare zukünftige Entwicklungen außer acht. 1. Internet als Grundversorgung Durch die Corona-Pandemie sind die dramatischen Lücken in der Internet-Versorgung in Deutschland von einem Nischen-Thema zu einem den Lebensalltag vieler Menschen bestimmenden Problem geworden. Die Verlagerung großer Teil des Arbeitslebens, der Bildung und des Privatlebens in netzgestützte Dienste hat zu einer drastischen Benachteiligung von Menschen geführt, die in unterversorgten Bereichen leben oder sich keinen breitbandigen Netzzugang leisten können. Im Sinne der Verpflichtung des Staates zur Daseinsvorsorge ist daher die Definition eines Anrechts auf adäquate Internet-Versorgung notwendig. Im vorliegenden Gesetzentwurf werden zwar erste Schritte in diese Richtung gemacht, die jedoch nicht weit genug gehen. Nicht nur im Sinne des Wirtschaftsstandorts Deutschlands sondern auch im Sinne der gleichberechtigten Teilhabe an allen Lebensaspekten ist hier eine härtere, gegebenenfalls einklagbare Anspruchsdefinition notwendig. 2. Festlegung einer Mindestbandbreite Im vorliegenden Gesetzentwurf wird die Definition der Mindestbandbreite einem für Außenstehende schwer nachvollziehbaren Prozess unter der Ägide der Bundesnetzagentur unterworfen. Stattdessen sollte eine für den Bürger nachvollziehbare, klare Definition gewählt werden, die alle zwei Jahre den aktuellen und absehbaren Anforderungen angepasst wird. Die kontinuierliche Anpassung ist aufgrund der rapide fortschreitenden Technologie-Entwicklung [1] Diese Stellungnahme beschränkt sich entsprechend der Einladung auf die Themen Internet als Universaldienst, Mindestbandbreiten-Versorgung und verwandte Bereiche. Zu anderen Aspekten des TKmoG, wie der erheblichen Ausweitung der Überwachungsverpflichtungen, haben andere Sachverständige Stellung bezogen. nötig, die einen klaren Trend zu höheren notwendigen Bandbreiten etwa für die Teilnahme an Videokonferenzen aufweist. Mit dem absehbaren Aufkommen von aus der Ferne gesteuerten Arbeitsprozessen, etwa in der Robotik oder bei der Fernsteuerung von liegen gebliebenen automatischen Fahrzeugen, muss diese Definition jeweils im voraus getroffen werden, so dass die Netz-Anbieter genügend Zeit haben, darauf zu reagieren. Für den momentanen Zeitpunkt ist eine verfügbare Mindestbandbreite von hundert Megabit pro Sekunde sinnvoll. Die erheblichen Bedeutung von Latenz und Zuverlässigkeit der Netzverbindung, insbesondere für ferngesteuerte Arbeitsprozesse, sollte dabei nicht außer acht gelassen werden. Auch hier bedarf es einer klaren, verbindlichen Definition, die nicht einem "weichen" Mechanismus unterworfen ist. 3. Förderung des symmetrischen Bandbreiten-Ausbaus Für viele zukünftige Anwendung ist es notwendig, vom derzeitigen Paradigma der asymmetrischen Netzwerkverbindung abzuweichen. Die Bandbreiten-Definition muss auch eine Mindestgröße für die Upstream-Bandbreite enthalten. Schon jetzt zeigt sich, dass der bisher erfolgte asymmetrische Ausbau den Anforderungen von Videokonferenzen und Medienproduktion im Home-Office nicht überall gerecht wird. Spezifisch sollten daher Technologien wie der Glasfaserausbau gefördert wird, die für symmetrische Bandbreiten von Natur aus geeignet sind. Die preiswerte Verfügbarkeit symmetrischer Tarife oder solcher mit ausreichend hoher Upstream-Bandbreite, sollte auf allen Netzen vorgeschrieben werden, die technisch dafür geeignet sind. 4. Weitergehende Rechte zur Kündigung oder Zahlungsminderung bei Unterschreitung der Mindestbandbreite In der Praxis zeigt sich bei heutiger Nutzung von Internetanschlüssen häufig eine deutliche Unterschreitung der effektiv zur Verfügung stehenden Bandbreite und eine Überschreitung der Parameter für Paketverluste und Latenz. Insbesondere bei Netzanschlüssen, die auf ehemaligen Fernsehkabeln beruhen, ist häufig eine lokale Überbuchung des geteilten Netz-Mediums (etwa in einzelnen Straßenabschnitten oder Häuserblocks) zu beobachten. Dies führt zu Zeiten hoher Nutzungsintensität – die durch die absehbar andauernde Home-Office-Nutzung immer weiter über den Tag verteilt sein werden – zur deutlichen Unterschreitung der für sinnvolle Nutzung angemessenen Bandbreite, Latenz und Paket-Verlustrate. Diese Probleme sind zwar lokalisiert auf einzelne Kabelabschnitten, treten jedoch in der Fläche an sehr vielen Orten auf. Um solche Probleme zeitnah erkennen und den Anbietern Verstöße gegen die zugesicherte Mindestbandbreite nachweisen zu können, wenn sie ihre Infrastruktur aus Gewinnerzielungsgründen überbuchen, ist ein verteiltes Monitoring notwendig. Der einfachste Weg dazu ist, betroffenen Kunden kostenlose Open-Source-Software zur Installation auf ihrem Computer bereitzustellen. Hiermit können einfach Langzeit-Protokolle über die tatsächlich zur Verfügung stehende Bandbreite, Latenz und Paket-Verlustrate erhoben und dann von der Bundesnetzagentur dafür verwendet werden, zeitnahe Verstoß-Verfahren gegen die entsprechenden Anbieter zu führen. Ein stärkeres Recht betroffener Kunden auf Kündigung beziehungsweise Zahlungsminderung würde die Motivation der entsprechenden Anbieter weiter steigern, ihre Verpflichtung zu erfüllen. Da es in vielen Gebieten keine echte Anbieter-Konkurrenz gibt und Alternativen nicht verfügbar sind muss mindestens in lokalen Monopolsituationen wahlweise ein Recht auf Vertragsstrafen bzw. Schadenersatz vorgesehen werden. Ohne eine klare, eindeutige Definition von Mindestbandbreite, maximaler Latenz und maximalem Paketverlust ist es für die betroffenen Kunden heute jedoch sehr schwer, ihre Ansprüche nachzuweisen und geltend zu machen. Im Einzelfall, der leider jeden Tag tausendfach auftritt, sind Einschränkungen der Netzverfügbarkeit und Qualitätsmängel in der Netzanbindung eine erhebliche Behinderung bei der Ausführung von Arbeit und wirtschaftlicher Tätigkeit. 5. Stärkung lokaler und kommunaler Internet-Ausbauprojekte Insbesondere außerhalb der Großstädte ist eine adäquate Internet-Versorgung mit Glasfaser häufig am effizientesten und kostengünstigsten durch kommunale Projekte, lokale Initiativen und Stadtwerke realisierbar. Diese haben jedoch in der momentanen Struktur häufig Mühe, die bereitgestellten Fördermittel auch tatsächlich abzurufen. Oft entsteht auch das Problem, dass große Anbieter, die die entsprechende Region seit Jahren vernachlässigt haben, direkt nach dem Beginn des lokalen oder kommunalen Ausbauprojekts in Konkurrenz zu diesem einen eigenen Ausbau ankündigen. Hier bedarf es wirksamer Regelungen, die deutliche Anreize für in lokaler Regie realisierte Glasfaserausbauprojekte erzeugt und dadurch eine Arbeit auf einer kostendeckenden Basis erlaubt. Priorität muss dabei immer derjenige Anbieter bekommen, der eine schnellere Erschließung mit zukunftssicheren Technologien verbindlich zusichern kann, die auch über Jahre hinaus für Hochbandbreiten-Anforderungen geeignet sind. Insbesondere auf dem Land wird der Bedarf nach zuverlässiger hochbandbreitiger InternetVersorgung in den nächsten Jahren zunehmen, da durch die Pandemie viele Unternehmen Arbeit vom Home-Office aus normalisiert haben. Dies führt dazu, dass viele Menschen ihren Lebensmittelpunkt in ländliche Region verlagern – insbesondere in der weiteren Peripherie der Städte – wenn sie dort adäquate Internetversorgung vorfinden. Dieser Trend wird durch die hohen Wohnkosten in den Großstädten noch befeuert. Die Bereitstellung schneller, hochqualitativer Internetversorgung in ländlichen Regionen kann daher auch einen Beitrag zur Entspannung des Wohnungsmarktes in den Großstädten leisten. Dafür ist jedoch die Mobilisierung aller lokalen Player notwendig, die vor Ort schnell und kostengünstig Glasfaser verlegen können. Alle Barrieren für solche Projekte sollten schnellstmöglich beseitigt, die Fördermittelvergabe entbürokratisiert und die Planungsprozesse beschleunigt werden. 6. Beseitigung von regulatorischen Netzausbau-Hemmnissen auf allen Ebenen Für den zügigen Ausbau von Glasfaser-Infrastruktur, auch durch lokale und kommunale Anbieter, ist es nötig, bestehende bürokratische und regulatorische Hemmnisse zu beseitigen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass im Rest der Welt Gigabit-Anschlüsse über auf Masten verleg- ten Glasfaser innerhalb von Tagen realisiert werden, während im Hochtechnologieland Deutschland aufgrund ausgeschöpfter Tiefbau-Kapazitäten und der organisatorischen Komplexität von Schachtarbeiten Jahre ins Land gehen können. Es ist ebenso unverständlich, warum mit komplexen Regeln für die Umlegung von Nebenkosten für Hausnetze jongliert werden muss, statt wie in anderen Ländern, bei Neubau und Modernisierung ein ausreichend dimensioniertes Leerrohr für Hauseinführung und in die Wohneinheiten vorzuschreiben. Darüber können dann Netzanbieter die vom Mieter gewünschte Infrastruktur direkt verlegen. Mieter sollten fehlende HochgeschwindigkeitsAnbindung direkt über den Wohnwert berücksichtigen dürfen. Die Hemmnisse für OpenAccess über FTTH-Netze, insbesondere für kommunale und lokale Netzanbieter, müssen beseitigt werden. Die Wahlfreiheit für den Kunden, im Sinne einer Trennung von Infrastruktur und Internet-Angebot über diese Infrastruktur, ist erforderlich, um lokale Monopolsituationen zu verhindern. 7. Netzneutralität Um die tatsächliche Nutzbarkeit von Internetverbindungen auch für neue innovative Dienste und plötzlich entstehende erhöhte Bedarfe sicherzustellen – wie derzeit die von Videokonferenzen – ist eine starke Verankerung der Netzneutralitätsverpflichtung notwendig. Die Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Dienste oder Anbieter durch die Internet-Versorger führt den Gedanken vom Internet als Universaldienst, auf dem hohe Innovationsgeschwindigkeit möglich ist, ad absurdum. Hier muss eine klare Definition zulässiger Mechanismen für Qualitätsicherung und Netzmanagement erfolgen, die für die Bereitstellung eines Netzes in hoher Qualität mit niedriger Latenz und hoher verfügbare Mindestbandbreite nötig sind. Davon abweichende, häufig verdeckte Motivationen für die Beschränkung oder Bevorzugung einzelner Netzdienste oder Anbieter müssen stärker unterbunden werden. 8. Einbeziehung neuer Netzanschluss-Technologien Die absehbare Verfügbarkeit von schnellen Satelliten-Verbindungen mit niedriger Latenz zu niedrigen Kosten, wie etwa StarLink, sollte im Gesetz berücksichtigt werden. Anbieter solcher Dienste in Deutschland müssen den selben Verpflichtungen für Bandbreite, Kundenservice, Beschwerdemanagement, Datenschutz und Vertraulichkeit der Kommunikation unterliegen. Gerade für die Versorgung geographisch abgelegener Regionen, bei denen eine Glasfaserverbindung nicht zeitnah realisierbar oder extrem unökonomisch ist, bieten die neuen Satellitendienste eine sinnvolle Ergänzung zur Glasfaserinfrastruktur. Die entsprechende Regulierung sollte jedoch einerseits gleiche Bedingungen für alle Anbieter sicherstellen und andererseits ihre Realisierung nicht unnötig behindern.