============== Page 1/1 ============== Samstag, 03. August 1985. taz hamburg . Aktuelles . Seite 1 Neue Medien: Erziehung durch Zensur VI Zombies in Hamburger Videotheken hail len wir von ihm wissen. Die erste nauso unübersichtlich angeboten Reaktion ist ein ungläubiger Blick, wie bei der kleinen Konkurrenz. dann folgt ein unsicheres „Ja... das Doch die ärgsten Auswüchse des wird wohl so sein ... wenn sie da Videomarktes fehlen. Geschäftsliegen." Aber eigentlich ist er nicht führer Erwin Nevers: „Wir haben zuständig, „die Kollegin kommt erst aufgemacht, als auch die grogleich". Jung, modebewußt, dem Ben Majors mit ihrem Angebot Arbeitsplatz in einer mit Comic- von klassischen und UnterhaltungsSzenen bedruckten Bluse ange- filmen auf den Markt gingen. Das paßt, gibt sie sich selbstbewußt- hat v o n vomeherein unsere kompetent. „Das sind doch alles Einkaufspolitik bestimmt, und als harmlose Filme, die wir hier ha- diese Angebote spärlicher flossen, ben. Wenn es nach dem Gesetz griffen unsere Kunden auch auf ginge, müßte die Abteilung wohl Horror- und Sexvideos zurück. irgendwie abgetrennt werden. Die schlimmsten Sachen haben wir Aber bis jetzt hat sich noch nie- dann 1983 herausgenommen, und mand beschwert. Mit Leuten vom durch geschickte Steuerung liegt Jugendschutz hatten wir noch nie unsere Ausleihquote fur Pomograetwas zu tun." phie jetzt bei knapp 2%." Auch Nevers ist auf den JugendEine Frau mit einem etwa vierzehnjährigen Jungen taucht zwi- schutz und das neue Gesetz nicht schen den lieb- und planlos einge- gut zu sprechen. „Die verlagern räumten Regalen auf. Erdeutetauf doch die Probleme nur. Tun so, als drei der Hüllen, die fast alle nur ob die Welt wieder in Ordnung Actionszenen, Pistolen und viel wäre, wenn sie uns den schwarzen Die Eingangstür ist mit giftig oranBusen, aber in den seltensten Fal- Peter zuschieben. Was auf den gener Folie beklebt; die Schaufen- Die Videothek „um die Ecke". Bis zum Ausleihverbot an Sonn- und Feiertagen Ersatz für das len Hinweise ü b e r A l t e r s - Wolunimmerfemsehem d a n n untergegangene Stadtteilkino, heute Observierungsobjekt für Jugendschutz-Trupps. ster sind derart zugebaut, daß kein beschränkungen auf den Deck- weiter über den Schirm flimmert, Blick mehr in das Innere des ca. 20 blättern haben. Die Mutter nimmt kümmert sie nicht mehr. Dann gramm haben, weil die Kunden das mich entschlossen, überhaupt keilele zu ziehen: Als das gute alte qm kleinen Lädchens dringen kann. Im Inneren werden neben Stadtteilkino noch seine Sonntags- ne Personen unter 18 mehr reinzu- so w o l l e n . D i e Familien- und bezahlt. „So geht das hier, müßten sich die sauberen Herren ja auch einmal Gedanken machen, unterhaltung gibt es doch im Kauf- kommentiert die Verkäuferin. den wahllos zusammengestellten, Jugendvorstellungen hatte, hätte lassen. Wenn jetzt eine Mutter ihr warum Kinder und Jugendliche so grellbunten Kassettenhüllen Shorts, immer ein neues Foyer mit extra Kind mitbringt, muß ich sie raus- haus." Das Video-Großparadies etwas sehen wollen." Die ist im „Kaufhof' am AltonaKasse gebaut werden müssen, werfen. Auch deshalb sind die UmT-Shirts und Second-Hand-LiteraBitter resümiert Neven: „Durch er Bahnhof schon durchs Fenster wenn in der Abendvorstellung ein sätze in letzter Zeit um 50% gesunEin, zwei Namen fallen bei den tur vom Bianca-Heft (50 Pfennig) bis zum großen Knaur-Lexikon Film ab 18 Jahre lief. Die meisten ken." Unser Gesprächspartner einzusehen. D e r Verkäufer am Video-Hökern beinah schwärme- das neue Gesetz bin ich auch geVideotheken schmissen das Hand- lacht. „Als Videothekar stehst du Tresen, Mitte zwanzig, langweili- risch. „Ja, wenn wir das so machen zwungen worden, Fox-Video erst angeboten. Der „Chef", knappe dreißig und tuch und gaben ihre Läden generell immer mit einem Bein im Kittchen. ger brauner Schlips undgrauer An- würden wie Fox-Video oder Vi- ab 18 zugänglich zu machen. Obimmer zu einem kleinen Scherz ab 18 Jahre frei. Damit ist die Bran- Das gesamte Gewerbe wird viel zu zug, ist sichtlich gestreßt. D i e deoland in der Innenstadt, dann wohl wir auch bei den Behörden, was Altersauszeichnung undInforaufgelegt, ist erstaunt über unser che noch mehr im moralischen Abmation betrifft, als eine der solideKommen. „Eigentlich ist der Rum- seits. sten Videotheken gelten, sind wir Das Verbot, sonnund feiertags mel um Video doch vorbei. Die nun im Red-Light-Distrikt". Kleinen müssen dicht machen. Ich Videos auszuleihen, ist vorläufig muß auch aufgeben." Doch diese der letzte Punkt im SaubermannÄngstlich und aggressiv an und für sich bittere Feststellung IdeinIcrieg gegen den ungeliebten viBis auf Erwin Meyers wollte tupf tut seinen kleinkapitalistischen suellen Wildwuchs. Das natürliche niemand seinen Namen nennen. Unternehmensträumen k e i n e n Hereinwachsen der Videotheken Auch Kunden wichen unseren FraAbbruch. Voll Stolz erklärt er „Es in die Stadtteile als Ersatz für die gen ängstlich aus oder wurden agmuß einfach größer und anders eingegangenen Stadtteilkinos wurgressiv. Ähnlich die Kommentare werden. Vorne ein Pub mit Vide- de somit gestoppt. Hier reichten der Ausleiherinnen und Ausleiher, othek, hinten ein Body-Building- sich die behördlichen Saubermändie v o r Abfälligkeit strotzten: ner und die Vertreter der InnenStudio." „Hier sind viele Männer mittleren Einen Überblick über Ham- stadt-Restkinos die Hand — ohne Alters, die schleichen hier rum wie burgs unzählige Videotheken gibt allerdings dafür zu sorgen, daß die die Sex-Monster und Zombies, die es kaum. In der Freibeuterphase Stadtteile wieder attraktive Kinos sie sich ausleihen? der Branche sind sie aus dem Bo- erhalten. In einer der kleinenVideotheken den geschossen, heute macht eine wurden wir gleich gefragt, ob wir „Die vom Jugendschutz ..." Videothek auf und zwei andere zu. denn auch wirklich nicht von der Vom Jugendschutz und den gro- Beim Stichwort „Jugendschutz" Kripo k o m m e n . Ansonsten ßen Verleihfirmen mißtrauisch be- sprudeln die Geschichten aus den herrscht das St. Floriansprinzip: obachtet und von den Nobelvide- befragten Videothekaren nur so „Bei uns ist alles saube- h a l t e n otheken für den schlechten Ruf der heraus. „Früher sind die Herren uns an die Bestimmu t . Aber Branche verantwortlich gemacht, vom Jugendschutz dreimal die der Kollege X im Stac Y , der krebst die Mehrzahl derwie Imbiß- Woche gekommen. Erst fahren sie Steril, mit „Familienangeboten" und seichtem Horror und Sex haben die Videoabteilungen der großen läßt nicht nur Kinder in seinen LaKaufketten vom Jugendschutz kaum etwas zu fürchten. Namen wie „Kaufhof", „Plaza" u.a. sind den, sondern gibt ihnen auch die buden betriebenen Läden am Ran- mit dem Auto vorbei, dann ein offensichtlich „out of limit". verbotenen Sachen? Sogar von de des Existenzminimums dahin. Blick ins Schaufenster, ob für 'ne Kindern, d i e d i e Konkurrenz Das neue Jugendschutzgesetz tut indizierte f a ;seile geworben wird, leicht mit Verbrechen gleichge- Sommerschlußverkaufshektik mit sähe alles ganz anders aus? Dabei unterscheidet sich Fox- schickte, u m z u r Verbotsein übriges. Was im Sinne der Ju- tja, und dann kommen sie rein, um setzt." ihrer realen Klau-Kriminalität ingendschützer nicht gefährdend ist, zu überprüfen, ob Kinder im Lateressiert ihn mehr als irgendein Video auf den ersten Blick nur übertretung zu provozieren, wurde Für die Familie das Kaufhaus Jugendschutzgesetz. Ob denn die durch die Größe von den kleinen berichtet. soll absolut mit eigenem Eingang den sind." Über die verlangte Abteilung Beide Videothekare sprechen voll und eigener Kasse vom Red-LightDie Stigmatisierung der Bran„Griechischen Feigen" unddiesex- Schmuddelvideotheken. Außer eiDistrikt der stigmatisierten Sadi- der „harten" Sachen im neuen Ju- Verachtung v o n d e n Videobesessene „Doha Flor und ihre ner Musikvideo-, Fremdsprachen- che und der verbotenen Filme besten, Perversen und Pornographen gendschutzgesetz ist der Chef ein- abteilungen der Kaufhäuser. „Ich zwei Ehemänner" so einfach jedem und „klassischen" Filmabteilung ginnt, traurige Früchte zu tragen. abgetrennt werden. Um eine Feral- deutig sauer. „Danach hab' ich muß die harten Sachen im Pro- Kind zugänglich sein dürfen, wol- wird hier in zwei Stockwerken gep.kylcarAkt Bisher wurden in dieser Serie die Zusammenhänge zwischen neuem Jugendschutzgesetz und pädagogischer Zensur dargestellt. Heute beschreiben wir direkte Schauplätze des Geschehens, einige Hamburger Videotheken. Was wir erlebten, war aufschlußreich: Kunden, Verkäufer, Jugendschützer und Zombies.