============== Page 1/1 ============== HEFT 1 2 DEZEMBER 1986 6 1 D M C 4 1 4 3 E VIETNAM: Zwischen den Kriegen RED WEDGE: Rock against Thatcher Magazin für Politik und Kultur „ a, M % r o i l % 14.,, 00: Loß dich old* erfasson !ss / / / / / 4 tSbl ♦ awe • 414"N ' K . . " " .,„„ 4 o . C. .0" • tr " • • • . ' s , •0111' VOLKSZÄHLUN Auf zum Blackout DerBundesgesundheitsminister:RauchengefährdetIhreGesundheit.DerRaucheinerZigarettedieserMarkeenthält1,0mgNikotinund13mgKondensat(Teer).(Durchschnittswertenach DIN) Links, Bits, Bytes fragt ist nicht Kritik, sondern Know how. Ein StreifDer Computer ist über die z u g durch die digitale Welt Linke gekommen. Aber ge- der GenossInnen Der fatale Hang der Linken, technizistische Allmachtsphantasien mit gesellschaftlichem Fortschritt zu verwechseln, ist noch immer ungebrochen. Das kategorische Nein zu AKWs, Gen- und Reproduktionstechniken u n d ökologischem Raubbau, Ergebnis eines ebenso schmerzhaften wie plakativen Lernprozesses der Linken, hat nicht zu einer generellen politischen Kritik der Naturwissenschaften geführt. Nun sorgt die Computerisierung für linke Begeisterung an reduktionistischen Modellen der exakten Wissenschaften. Seit Anfang der 80er Jahre dringen die Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK-Technologien) massenhaft in gesellschaftliche Bereiche vor, die bislang gegenüber militärischen oder wirtschaftlichen Organisationsprinzipien weitgehend resistent waren. 1,3 Millionen Personal Computer oder Home Computer wurden allein 1988 in der BRD verkauft, hunderttausende davon an private Haushalte. Die von den IuK-Technologien ausgehenden Umwälzungen sind, wenn überhaupt, nur mit der Einführung des Buchdrucks vergleichbar. Zentralisierung der Daten, Rationalisierung der Produktion, Dequalifikation der Arbeitsplätze, Zerstückelung der Arbeitsprozesse, Effektivierung der staatlichen Kontrolle, explosive Vervielfältigung der Information, Verarmung der Kommunikation, Virtualisierung der Sexualität und Pornographisierung des Alltags sind nur einige Phänomene der globalen Digitalisierung. Gleichzeitig sind viele Vorzüge dieser Technologie nicht zu bestreiten: Computer können stumpfsinnige und monotone Arbeiten erleichtern (Administration, Rechnungswesen, Textverarbeitung). Weltweite Überkapazitäten und rasche Vereinheitlichung technischer Standards haben zudem seit der Markteinführung der Mikrocomputer zu Beginn der 80er Jahre schnell den Traum einer low-cost High-Tech wahr werden lassen. Nie zuvor war eine neue lbchnologie so vielen verschiedenen sozialen Gruppen gleichzeitig zugänglich. Längst hat sich die Computer-Regenbogenpresse an den Kiosken mächtig breit gemacht. Ganzseitige Anzeigen für »Workstations« und »Laptops« finden sich immer häufiger auch in »Spiegel« und »Zeit«. Nun kämpft KONKRET mit einem »Computer für lange Winterabende« erfolgreich um neue 6 0 KONKRET 9/89 Abonnentinnen. »Überraschend viele KonkretleserInnen« meinen, für den »ausgelobten« Home Computer auch Verwendung zu haben. Den von der Glücksfee Enttäuschten bietet der Verlag das »Chaos Computer Buch« als Trostpreis an. Was konsequent ist. Immerhin endet in dem Bändchen ein Beitrag zur »Künstlichen Intelligenz« (KI), der die Ideologie und den Imperialismus der KIHardliner verschweigt, mit einer Liebeserklärung an den Mikrocomputer: »Das Ding ist mir irgendwie sympathisch.« Ist, so ist zu fragen, die eher moralische denn politische Computerkritik früherer Jahre auch bei jenen einem fröhlichen Pragmatismus gewichen, die noch immer meinen, mit ihrer politischen Praxis den bundesdeutschen Modernisierungskonsens radikal in Frage zu stellen? Ich habe mich umgesehen unter den Linken im Land. Und unter den Hackern, die bei Linken wie Grünen nach wie vor als »unsere Experten« gelten. Der Systembetreiber des Kölner Knotens der Linkssystem-Mailboxen nimmt mich mit zu einem 'Neffen von Hackerinnen aus Holland, Heidelberg und Hamburg. Wau Holland vom Hamburger Chaos Computer Club begrüßt mich unter allgemeinem Gelächter mit einer Schlagzeile aus der »Süddeutschen Zeitung«: »Ein Gespenst geht am Stock.« Für ihn ist die Linke »historisch überholt«. Aber, sagt er mit ernster Miene, »die Umweltinitiativen begreifen jetzt, daß die Computer ihnen Möglichkeiten bieten«. Als Beispiel nennt er die rund sechzig Computer des Zerberus-Netzes, über die die Müslis vor Ort ihre lokalen Öko-Meßdaten schnell und kostengünstig via Telefon und Btx in die Mailbox des Münchner »Global Challenge Network« (GCN) senden können. Binnen Jahresfrist werden sich nach Schätzungen der GCN-Zentrale 20.000 bis 50.000 Ökos auf eigene Rechnung mit Hardund Software ausstatten. Die digitale Vermessung des ökologisch ausgepowerten Landes verspricht den Öko-Sheriffs Lebenssinn, der Computer-Industrie Zugang zu ungeahnten Marktressourcen. Im Vorstand des cleveren Vereins sitzt der Träger des alternativen Nobelpreises Hans-Peter Dürr neben dem Software-Vertreiber Fritz Heimsoeth (Borland). Am selben Wochenende trifft sich im grünen Hause Wittgenstein bei Bonn die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Computer und Medien. Mein Informant will mich darüber nicht informiert haben. Denn die Diskussion berührt empfindliche Stellen: Die Pressestelle der Partei hat seit fast zwei Jahren einen Mailbox-Anschluß. Im März beschließt die Grüne Fraktion, am Modellversuch Parlakom II teilzunehmen, beschränkt sich aber nach heftigen BAG-Protesten auf die Anschaffung von PCs für ParlamentarierInnen und Büros. Nun soll die BAG ihre grundsätzliche Haltung zu den Mailboxen klären, die im grün-alternativen Spektrum immer populärer werden. Udo Schacht, Ökobroker und Spezialist für »sinnvolle Computeranwendung«, stellt der intimen Runde sein »bundesweites Computer-Netzwerk für Frieden, Ökologie etc.« vor. In einem vorbereitenden Papier («nur für Leute im kleinen Verteiler«) wird Klartext gesprochen: »Entweder gelingt es uns, gute Argumente gegen Mailboxen zu finden, oder es wird sowieso niemand auf uns hören.« Doch obwohl die grünen Expertinnen sich alle »seit acht Jahren kennen«, haben sie von ihrem Thema keine Ahnung. Statt in die Niederungen der Praxis zu steigen, wird im Hause Wittgenstein versucht »herauszufinden, ob Mailboxen ein Teil der Gesellschaft sein könnten, die wir uns als Utopie vorstellen«. Dabei wiederholt sich derzeit in den Mailboxen nur, was schon Bertolt Brecht für die Radiodiskussion formulierte: »Man hatte plötzlich die Möglichkeit, allen alles zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu sagen.« Im kleinen Büro von Helga Genrich, der wissenschaftlichen Angestellten der. »Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung« (GMD) organisiert sich Kritik. Zusammen mit anderen hat sie 1984 das »Forum Informatikerinnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung« (FIFF) gegründet, das heute über 900 Mitglieder zählt. Die Poster der Friedensbewegung in Genrichs Zimmer heben sich ab von der unterkühlten Funktionalität der bundesdeutschen Großforschungseinrichtung i n Birlinghoven bei Bonn. M i t einem Etat von 160 Millionen Mark basteln hier ca. 950 Menschen an »technizistischen Visionen« (Genrich) wie Supercomputer, Softwarefabrik, massiver Parallelität und künstlicher Intelligenz. »Wir versuchen als Linke mit der Technik zu leben«, gibt die stellvertretende FIFF-Vorsitzende ihren Pragmatismus zu, »sich ihr zu verweigern, würde ja bedeuten, aus dem Beruf auszusteigen«. Aber auch Genrich ist stolz, daß es »für uns« jetzt mög- Reinhold: Ich kann nicht ausschließen, daß es in der Sowjetunion einzelne Leute gibt, die eine solche Meinung vertreten. Aber objektiv kann ich mir das heute nicht vorstellen. Man muß berücksichtigen, daß die sowjetischen Vorschläge 1952 und 1954 in einer Situation gemacht wurden, als die Bundesrepublik noch nicht Mitglied der Nato war. Heute hat sich die Situation grundlegend geändert, vor allem dadurch, daß sich in beiden Staaten unterschiedliche Gesellschaftsordnungen entwickelt haben, der Kapitalismus in der Bundesrepublik und die sozialistische Gesellschaft in der DDR. Damit und durch viele andere Faktoren wurde die ehemalige Einheit der deutschen Nation zerstört. Es entwickeln sich in einem sehr langfristigen Prozeß zwei unterschiedliche Nationen auf deutschem Boden, eine kapitalistische und eine sozialistische Nation. Solange Kapitalismus u n d Sozialismus bestehen, schließe ich eine Wiederherstellung einer Einheit der beiden deutschen Staaten völlig aus. KONKRET: Die SED und die FDJ sind zunehmend mit Andersdenkenden konfrontiert, die ihre Ansichten nicht mehr verschweigen. Kritik mit marxistischem Anspruch ist dabei, zumal bei Jugendlichen, heute eher seltener als früher zu hören. Bei vielen Jugendlichen und auch bei anderen DDR-Bürgern macht sich Entpolitisierung und Konsumorientierung breit, bei einer Minderheit zeigt sich sogar aggressiver Rassismus und Neonazismus. Reinhold: In der Tat ist bei uns ein neues Selbstbewußtsein entstanden, vor allem bei jungen Leuten. Natürlich hat die Erhöhung des Bildungsniveaus neben internationalen Prozessen darauf einen maßgeblichen Einfluß. Es ist unser Ziel, selbstbewußte Bürger zu erziehen. Das gewachsene Selbstbewußtsein hat dazu geführt, daß heute niemand mehr eine kritische Frage hinter vorgehaltener Hand vorbringt, sondern öffentlich diskutiert. Das ist eine neue, wichtige Entwicklung, die wir als sehr positiv einschätzen. Daß dies manchmal auch für negative Positionen genutzt wird, damit muß man leben und damit können wir sicher leben. Es gab auch einzelne Faschisten und Skinheads, die bei uns aufgetreten sind. Nur besteht der große Unterschied zur Bundesrepublik darin, daß wir mit großer Schärfe gegen diese Erscheinungen vorgehen und bei uns keinerlei Ausländerhaß und faschistische Positionen dulden. Solche Kräfte haben bei uns auch in den neunziger Jahren mit Sicherheit nicht die Möglichkeit, wie in der Bundesrepublik bei Wahlen zu kandidieren und sich ihre Hetze aus Steuergeldern als Wahlkampfkostenerstattung bezahlen zu lassen. KONKRET: Dennoch gibt es in Teilbereichen der Bevölkerung der DDR wachsende Ressentiments gegen Ausländer, etwa gegen Vietnamesen und Algerier, die sich zur Arbeit oder Ausbildung in der DDR aufhalten. Reinhold: Ich bezweifle, daß diese Tendenzen wachsen. Wir führen dort, wo sich so etwas zeigt, eine sehr harte Auseinandersetzung. Wir tun alles, um ein gleichberechtigtes Miteinander von einheimischen und ausländischen Bürgern bei uns zu erreichen. So gehört die DDR anders als die Bundesrepublik zu den wenigen Ländern, die das aktive und passive kommunale Wahlrecht für alle Ausländer eingeführt hat. KONKRET: Ihre Schwesterpartei in der Bundesrepublik, die DKP, befindet sich gegenwärtig in einem Prozeß der Spaltung. Heftig umstritten sind die Bedeutung des Klassenkampfes, die Lehren aus der Perestroika, eine Annäherung an sozialdemokratische Positionen und nicht zuletzt das Verhältnis zur DDR. Reinhold: Manche Entwicklungsprozesse in der DKP sind bedauerlich und in mancher Hinsicht tragisch. Das ist die innere Angelegenheit der Kommunisten der Bundesrepublik. KONKRET: Die SED hat bei den Auseinandersetzungen in der DKP sehr eindeutig Position gegen die »Erneuerer« bezogen. Reinhold: Wir sind der Meinung, daß die Lösung der Probleme Sache der DKP selbst ist und daß eine Spaltung sehr tragisch wäre. Wir würden es als sehr positiv einschätzen, wenn es gelänge, eine solche Spaltung zu verhindern. KONKRET: Die Geschichte der Stalinzeit und der Verbrechen Stalins wird gegenwärtig von Historikern der Sowjetunion und der DDR kontrovers diskutiert. Wie gehen Sie mit der Tatsache um, daß auch zahlreiche deutsche Kommunisten, die vor den Nazis in die Sowjetunion geflohen waren, in den dreißiger Jahren von der Stalinschen Geheimpolizei unter absurden Anschuldigungen verhaftet und in vielen Fällen ermordet wurden ? Reinhold: Ich kann die pauschale These nicht akzeptieren, daß die sowjetischen und die DDR-Historiker kontrovers diskutieren. Wir haben eine gute und enge Zusammenarbeit mit vielen sowjetischen Historikern, die eine fundierte und sehr solide Arbeit machen. Dabei berücksichtigen wir, daß erst im vorigen Jahr die Archive für die Historiker beider Länder geöffnet wurden. Um wissenschaftlich fundierte Ergebnisse zu erreichen, ist sicher eine bestimmte Zeit notwendig. Inzwischen haben eine Reihe von sowjetischen Historikern und Publizisten mit Halbwahrheiten, Verdrehungen und Nichtwahrheiten versucht, Sensationen zu erzeugen. Mit diesem Sensationshistorismus sind wir nicht einverstanden. Wir wollen eine solide Forschung machen, gemeinsam mit sowjetischen Kollegen, und wollen diese Forschungen auch gemeinsam vorlegen. Unsere Partei hat sich zum ersten Mal 1956 sehr gründlich mit der Stalinzeit und den Ermordungen und dem Terror gegen deutsche Kommunisten befaßt. Schon damals haben wir unter Leitung des Politbüromitgliedes Hermann Matern eine Kommission gebildet, die sechs Jahre lang, von 1956 bis 1962, gearbeitet hat. Diese Kommission hat alle damals bekannten Fälle untersucht und alle Betroffenen rehabilitiert. Viele der Überlebenden sind heute in führenden Funktionen unserer Partei tätig. Ich gehe davon aus, daß wir sicher noch nicht alle Fälle kennen. Keine Angst vor »Geisterfahrer »Während die herrschende Ordnung den Individuen Rechtsverkehr vorschreibt und sie nötigt, dieser Regel besinnungslos z u folgen, auch wenn sie dabei Kopf und Kragen riskieren, setzen einzelne Geisterfahrer (und Geisterfahrerinnen) durch ihr ordnungs- und verkehrswidriges Verhalten ein Signal, das anzeigt, es gehe, wenn man nur wolle, auch anders herum. Daß solche Geisterfahrerei für die, die sich gegen den >Mainstream< bewegen, gelegentlich ungemütlich, ja gefährlich sein kann — auch davon zeugen diese Portraits.« Aus dem Vorwort FahrenSie mit Günther Anders Margarete Mitscherlich Sartre Trotzki Bloch Marcuse Brückner Am&y Semprün u. a. Hans-Martin Lohmann Geisterfahrer Blanqui, Marx, Adorno & Co. 22 Portraits der europäischen Linken Sammlung Junius, 228 Seiten gebunden, mit Lesebändchen 24,80 DM Junius Verlag GmbH' Stresemannstraße 375 • 2000 Hamburg 50 KONKRET 9/89 5 9 lich ist, mit Nicaragua über ein Computer- natürlich: »Rebellion ist gerechtfertigt, unbedingt«. Also wäre jeder Kampf gegen eingenetz via Washington in Kontakt zu treten. »Antwort und Rückantwort binnen 48 Stun- führte Computertechnik legitim. Die Notden, das war auf keinem anderen Weg bisher wendigkeit einer politischen Kritik an den IuK-Technologien sieht er »im Moment« möglich. Das finden wir schön.« Das FIFF unterstützt ein nicht unumstrittenes Projekt trotzdem nicht. Denn die Computertechnovon BRD- und USA-Linken, das dem sandi- logic sei im Gegensatz zu Atomenergie und nistischen Nicaragua bei der Computerisie- automobiler Gesellschaft »als Grundtechnorung unter die Arme greift. Die aus der So- logie für beide antagonistischen Möglichkeimoza-Zeit stammenden und nunmehr ver- ten nutzbar«. Im Sinne der privatkapitalistiwaisten IBM-Rechner sollen wieder in Be- schen und diktatorischen Herrschaftssichetrieb genommen werden. In der Soli-Zeit ka- rung und Rationalisierung ebenso wie im Sinmen 1.500 BRD-PCs dazu. Geleitet wird das ne der Mandel'schen Massendemokratie. »Für Sozialismus«, sinniert der ChefredakProjekt von einem ehemaligen DKP-Mitglied, der sich aus der GMD beurlaubt hat. teur andererseits, »wäre keinerlei Wachstum Der Aufbau des sandinistischen Nicaraguas notwendig«. Wirklich beschäftigt aber habe biete, so Genrich, dem »lhchnikfreak« eine er sich mit den Folgen der Computerisierung »sinnvolle Möglichkeit, seinen technischen nicht: »Ich müßte wissen, was die ChaosAmbitionen nachzugehen«. Die Not ist groß, Computer-Leute so diskutieren.« Arbeitskräfte fehlen, »da kann Technik den Die Computerisierung des links-alternativen Spektrums hat vielen angenehme Mangel ein wenig beheben«. Hierzulande herrscht Mangel vor al- Jobs eingebracht. Die Nachfrage nach PClem in den kleinen linken Projekten. In einem Beratung und Service steigt. Der linksradikaKölner Hinterhof wird die »Sozialistische le Computer-Berater Beppo hat sich vor zwei Zeitung SOZ« der aus maoistischen und Jahren selbständig gemacht. Für die Computrotzkistischen Parteien der 70er Jahre her- terszene sei er nicht ganz typisch, betont er. vorgegangenen »Vereinigten Sozialistischen Als Mathematik-Student ist er schon 1973 Partei« gemacht. Gedruckte Auflage alle auf die Computer gestoßen. In den siebziger vierzehn Tage: 3000 Stück. Vor zwei Jahren Jahren hatte Beppo das Gefühl, seinen Umwurde mit der Computerisierung der »SOZ« gang mit Computern vor einem Großteil der Linken geheim halten zu müssen. »Wenn ich begonnen. Heute arbeiten alle sechs in der mir 1978 in der WG einen PC gekauft hätte, »SOZ« beschäftigten Männer und Frauen an PCs. »Wir haben klar eine Stelle eingespart«, hätte er da nicht lange gestanden.« 1985 habe resümiert »SOZ«-Chefredakteur Winfried das dann »völlig umgeschlagen«. Nun waren Wolf, der als pragmatischer Computer-An- die »Frischbekehrten« die Schlimmsten. Sowender sehr lange an seiner Schreibmaschine bald sie »so ein Ding zu Hause hatten«, war festhielt und noch heute »bei wichtigen Sa- die Distanz dahin. chen« i m Büro a u f seinem antiquierten Beppo hält die Hacker-Szene für Schreibgerät besteht. Doch das Büro ist ge- »absolut unpolitisch«: »Die Chaos-Leute spalten. Zwei avancierte Computerleute ge- werden immer überschätzt.« Er selbst ist peshen, so Wolf, »kreativ und spielerisch« mit simistisch. Der PC werde nicht mehr in Frage den Geräten um und sind »immer auf neue gestellt. Viele Alternativbetriebe setzen aus Systeme und neue Software aus«. Rationalisierungsgründen a u f Computer. Daß es i m »SOZ«-Team weniger »Es läuft darauf hinaus, daß diese Betriebe Trennung von Technik- und Kopfarbeit gibt, eine Vorreiterrolle spielen.« Linke, meint werde von ihnen als »Riesenerfolg verkauft«. Beppo, orientieren sich am IBM-Standard, Das linke Dilemma im Umgang mit Bits und »man ist ja Profi«. Für viele Männer sei das Bytes kennt Wolf gut: »Leute wie ich, die kon- Tolle am Computer, »daß e r Probleme servativ sind und eine bestimmte natürliche schafft, die man mit seiner Hilfe wieder lösen Abwehr gegen Computer haben, haben da- kann«. Obwohl es »für den Privatmenschen« von keine Ahnung. Und diejenigen, die weni- eigentlich keine Computer-Anwendungen geger kritisch sind, sind die Könner.« Wolf weiß be, könne er das den Leuten kaum vermitteln. Chaos im Computer-Raum: Der Sozialist als biologisches Datenendgerät Bonn, Bad-Godesberg. Im Bundeshaus ist Ruhe eingekehrt, längst sind die MdBs ins Wochenende. Mein Gesprächspartner aber betritt sein Büro erst nach 19 Uhr. Ulrich Briefs, der für die luK-Technologien zuständige grüne MdB, hat an der grünen Mailbox-Diskussion im Hause Wittgenstein nicht teil genommen. »Bei den IWF-Aktionen«, erzählt Briefs, »habe ich mir ständig überlegt, was hättest du jetzt gewonnen mit den Mailboxen. Soll ich ein tragbares Ding rumschleppen? Was soll ich damit, wenn ich vor den Polizisten weglaufen muß, oder wenn ich mich bei den anderen einhake?« Er hält die ganze Diskussion für »gefährlich«: »Der typische Hacker ist für mich jemand, der eigentlich der sozialen Bewegung fern ist. Das sind nicht die kommunikativen Typen, sondern eher Leute, die am PC sitzen.« Briefs hat die »ersten Goldgräberjahre der EDV« als Spezialist für technischwissenschaftliche Anwendungen bei I B M verbracht. Die Faszination der universellen Maschine ist ihm vertraut. »Große Teile der Linken«, sagt Briefs, »haben die Wachstumskritik ja immer als kleinbürgerliche Variante abgetan«. Andererseits »erlauben die luK-lbchnologien auch einen kleinen Ausweg«: Das sei doch »eine saubere, umweltfreundliche Technik«. Die Linke müsse die Entwicklung der Technik kontrollieren, verändern und an bestimmten Punkten unterbinden, an anderen Punkten aber auch fördern. In den Gewerkschaften seien die kritischen Stimmen gegen die »technologiepolitische Wende« verstummt. Doch Briefs hofft, »daß wir Grünen es noch hinkriegen«. Sein Büro ist (noch) nicht computerisiert. Szenenwechsel. Eine Stadt in NRW. Die Straßenbahn bringt mich in ein Sanierungsviertel. Die Mauern der verwahrlosten Mietskasernen schicken »feurige Grüße an unsere Gefangenen«. Im zweiten Stock einer ehemaligen Fabrik legt mein junger Gesprächspartner Wert auf Datenschutz. Als sein Kollektiv sich vor drei Jahren Computer anschaffte, »wurden wir in unserem besetzten Haus schon komisch angeguckt«. Doch mit den PCs werde »unheimlich vielen Leuten für relativ wenig Geld Möglichkeiten zur Verfügung gestellt, die früher monopolisiert waFoto: Christel Becker-Rau mibeg Unternehmensberatu EDV-Beratung omputerCöllege Überlebenstraining im Computer-Dschungel - seit 1969 - medienberatung H G M Desktop Publishing D T P Satz, Grafik, Layout, Print... CG Computer Grafik Dia, Overhead-Folie, Print... BTX Bildschirmtext Marketing, Datenübertragung... mibeg EDV IUK Lösungen ergonomische Hard- und Software LAN Service Computernetzwerke SQL Service • •• • Umfrage-Analysen, Datenbankdienstleistungen ART Software Adressenprogramm, Galerieverwaltung 5000 Köln 1 Sachsenring 37-39 Telefon: 0221/3360434 Telefax: 0221/3360444 62 KONKRET 9/89 Links,... ren«. Ihre dezentrale Zeitung, »die aus der Praxis gemacht wird«, kommt aus einem Laserdrucker. Das sei zwar attraktiv, aber »das bedeutet nicht, daß diese Technologie Demokratisierung bringt«. Genau da verlaufe die »Trennlinie zwischen Reformismus und revolutionärer Politik«. Ihm gehe es nicht um die »Veränderung der Arbeitsinhalte«, sondern um die »Zurückdrängung und Abschaffung der Arbeit«. Der Computer habe »eine Gefährlichkeit, die weit über die einer Schreibmaschine hinausgeht«: »Immer wieder erzählen Leute, die am Computer arbeiten, daß sie dabei die Zeit vergessen.« Hinter den luK-Itchnologien stecke ein »widersprüchlicher Prozeß von Atomisierung und Vergesellschaftung«. Mehr als zwei Millionen Bildschirmarbeitsplätze existieren heute in der BRD. Die Daten- und Texteingabe wird vorwiegend Frauen überlassen. In linken Projekten ist es nicht anders. Aber der Druck auf Frauen, in die digitale Männerwelt einzusteigen, ist groß. Das Bändchen »Go Stop Run« aus dem neuen Programmschwerpunkt des Berliner Orlanda-Frauenverlags »Verständlich geschriebene Computerbücher mit ganzheitlichem Lernstil« ist mit 16.000 verkauften Exemplaren ein Renner. Seit vier Jahren hält die InformatikStudentin Ingrid Willms Computerkurse für Frauen an der Kölner Volkshochschule ab. Zwei Gruppen von Frauen besuchen ihre Kurse, die Einführung in die Technik mit Kritik an den Anwendungen verbinden. Die einen müssen oder wollen die Technik im Büro oder im Studium benützen, die anderen kommen »aus der linken politischen Ecke«. Ihnen will Willms ein »Grundgerüst zur Verfügung stellen, damit sie über die politischen Gefahren besser reden können«. Computerfreaks sind männlich, sagt sie. Keine der Frauen in den Kursen sei »je darauf abgefahren«. In Frauenprojekten haben sich Computer »noch lange nicht so durchgesetzt« wie in linken Projekten. Ingrid Willms' Informatik-Studium ist auch eine Folge des wirtschaftlichen Drucks: »Da kann ich noch hoffen, nach dem Studium einen Job zu bekommen«. Im Gegensatz zu meinen männlichen Gesprächspartnern betont sie, daß »mit dem Computer Dinge machbar sind, die ohne ihn nicht zu machen sind«. Die wesentliche Gefahr sieht sie nicht darin, daß die Computer jemals so intelligent werden könnten wie Menschen, sondern darin, daß menschliche Intelligenz auf Rationalität und Logik reduziert werde. »Eigentlich müßten alle die Augen aufreißen und sagen, nein, Computer nicht.« Aber »ganz viele Leute sind ausgepowert, weil sich an den Arbeits- und Lebensstrukturen nicht viel geändert hat«. Da haben sich »linke Träume zerschlagen«. Unser Biedermeier heißt Computer. Diesmal ist die Gemütlichkeit streng militärisch organisiert. Links, Bits, Bytes. Der Krieg ist der Vater aller Dinge. Doch der Personal Computer ist nicht nur ein Abfallpro- dukt militärischer Technologiekonzepte, er nistet auch militärische Strukturen im beruflichen und privaten Alltag ein. Denn die ideale Maschine für Verwaltung, Kontrolle und Herrschaft vereint die reduktionistischen Modelle der Naturwissenschaft m i t den Denkmustern der Generalität. Die Maschine funktioniert nur, wenn die Benutzerinnen akzeptieren, daß es zwischen Ja und Nein nichts geben darf. Nichtberechenbares und Mehrdeutiges wird zur Fiktion. Selbst die am höchsten entwickelten Programmiersprachen haben mit Sprache im Wortsinn nur so viel gemein wie machistische Rülpser auf dem Kasernenhof. Die Maschine ist hierarchisch organisiert. Auch der Computerjargon ist klar, knapp und eindeutig. Programmabläufe sind notfalls zu »killen«. Mitunter läuft die Maschine im »Slave«-Modus. Ohne »Befehlsinterpreter« ist auch eine biedere Textverarbeitung nicht lauffähig. Ein tatsächlich harmloses Beispiel: Ich schreibe diesen lbxt mit einem Computer. Ich werde zu »Eingaben« aufgefordert und lasse »Befehle« ausführen. Die Arbeit am Tht verflüchtigt sich im Augenblick seines Entstehens. Ob Rohfassung, Überarbeitung, fertiges Manuskript, Original oder Kopie, die Form ist immer makellos perfekt, unabhängig vom Inhalt. Veränderungen des Textes sind jederzeit zu bewerkstelligen, von wem auch immer. Meine Festplatte ist indiziert, in Sekundenschnelle ist zu erfahren, daß ich in diesem Jahr 100 mal »Kultur«, 17 mal »129a« und ein mal »Kopfschmerz« eingetippt habe. Was für das BKA zwar interessant sein mag, über inhaltliche Zusammenhänge aber nichts verrät. Ich hatte mich immer geweigert »Eingaben« zu machen und »Befehle« zu erteilen. »Ja« und »Nein« waren für mich eine unzulässige Verkürzung. Die Lust am Widerspruch und die Freude am Mehrdeutigen hielt mich lebendig. Fast alle in meiner Umgebung arbeiten mit Computer. Wenn sie Probleme haben, rufen sie an. Dann höre ich mich Befehlsfolgen aufsagen, gedankenlos und mit schlafwandlerischer Sicherheit. Statt darüber zu sprechen, wie diese Maschine unser Leben, Denken und Handeln verändert, helfe ich mit, daß sich ihr alle bedingungslos unterwerfen. Die politische Kritik an der globalen Diffusion der luK-Technologien ist erst zu leisten. Der Versuch einer widerständischen Annäherung an den Computer steht noch aus. Auch auf die Gefahr hin, daß unsere digitale Welt empfindlich gestört wird. Gelingt es uns nicht, die Computerisierung der Politik durch die Politisierung der Computer zu ersetzen, sind wir auf dem besten Weg, zu biologischen Datenendgeräten zu mutieren. Martin Fischer ist freier Journalist in Köln