Stellungnahme des Chaos Computer Club e.V. zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste (IUKDG)
zur öffentlichen Anhörung am 14. Mai 1997 in Bonn beim Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie und Technologiefolgenabschätzung
Teil 1: Teledienstegesetz (TDG), Teledienstedatenschutzgesetz (TDDG) und zu den Regelungen der Verantwortlichkeit und den damit zusammenhängenden Fragestellungen Fragenkatalog der SPD / Bündnis 90 / Grüne
Die Trennung in Medien- und Teledienste ist rein theoretischer Natur und schon anhand der Unterscheidungskriterien nicht trennscharf. Spätestens mit der Auflistung der "Informations- und Kommunikationsdienste" nach §2 TDG wird die Distanz zur Realität deutlich; die dort aufgeführte "Individualkommunikation" etwa ist entscheidendes Merkmal aller neuen Kommunikationsdienste der neuen Medien im Gegensatz zu den "alten" Medien wie Fernsehen und Rundfunk wo der Apparat auch ohne Interaktion aussendet ("Massenkommunikation").
Freundlich formuliert dokumentieren die Urheber der beiden Gesetzesentwürfe ihren Nachhhilfebedarf im Umgang und Verständniss der neuen Medien.
Die Abgrenzung ist insofern nicht sinnvoll und eine von Juristen ausgemessene Flexibilität hat nur eingeschränkten Realitätsbezug.
Die Abgrenzungsprobleme sind bereits jetzt in vielschichtiger Art und Weise feststellbar. Zwischen IUKDG, Mediendienstestaatsvertrag und TKG gibt es Wiedersprüche und Überschneidungen neben der bereits erwähnten fehlenden Nähe zur Praxis.
Auch am Beispiel von Newsgroups lässt sich dies deutlich machen. Obwohl eine Newsgroup durchaus als "elektronischer Informations- und Kommunikationsdienst, der für eine individuelle Nutzung von kombinierbaren Daten..." verstanden werden könnte (also unter § 2 TDG fällt), ist jeder Teilnehmer dort gleichberechtigter Sender wie Empfänger (§ 3 TDG ist in diesem Zusammenhang eine Regelung die nur für einen kurzen Augenblick von wenigen Minuten klar bestimmbar ist und insofern als unpraktikabel bezeichnet werden müsste). Zudem könnte man eine Newsgroup auch als "Verteildienst" nach § 2 (2) des Mediendienstestaatsvertrages ansehen.
Die Konsequenzen dieser Gesetzgebung wäre vermutlich eine Überlastung von Gerichten, Ministerialbeamten und Politikern beim Versuch im Nachhinein festzustellen, was denn eigentlich gemeint war. Gerichtliche Klärungen der Zuständigkeit könnten Neubearbeitungen der Gesetze notwendig machen etc.
Die gewünschte Rechtssicherheit wird nicht hergestellt; Arbeitsplätze werden lediglich im Bereich der Juristen, Politiker und sie beratender / kurierender Stellen geschaffen.
Die Absicht der Zuordnung wird nicht deutlich und kann nur als "Kompetenz- rangelei" interpretiert werden.
Der Begriff der "individuellen" Kommunikation (Kommunikation mit einem Computer findet immer individuell, also zwischen einem Menschen und einer Maschine statt) und die Abgrenzung zum Begriff der "Massenkommunikation" (Fernsehgeräte die ungeachtet vom Verhalten des Zuschauers dasselbe Bild wiedergeben) sollte beispielsweise geklärt werden.
Die Zuordnung kann so nicht für alle Dienste des Internet gelten (z.B. E-Mail).
Die Frage nach der Einordnung der Internet-Telephonie macht deutlich, dass der Gesetzgeber mit einer Erweiterung des Telekommunikationsgesetzes besser beraten wäre als mit der Schaffung zweier wiedersprüchlicher und praxisferner Regelungen durch Bund und Länder.
Zulassungs- und Anmeldefreiheit sollten bei klaren Zuständigkeitsregelungen bestehen bleiben. Die Trennung zwischen "geschäftsmässigen" und gewerblichen Anbietern kann nur bedingt als sinnvoll angesehen werden, da die nichtgewerblichen Anbieter (z.B. Mailboxen) genauso wie öffentlich-rechtlichen (z.B. ARD Angebot im WWW) vergessen wurden.
Die Regelung zur Verantwortlichkeit ist von der nicht-technischen Absicht her nachvollziehbar; in der Realisierung jedoch schwammig und in der Umsetzung unrealistisch.
Wie am Beispiel Generalbundesanwaltschaft vs. "Radikal" im Fall des DFN e.V. gegen XS4ALL deutlich wird, ist eine Sperrung von Servern beispielsweise wissenschaftlich nicht haltbar, da dies lediglich zur Anlegung sogenannter Mirrors (Kopien der Inhalte auf anderen Servern) führt.
Solange es national unterschiedliche Empfindungen und Empfindlichkeiten gibt, welche Inhalt zulässige Meinungsäusserungen darstellen und welche hiergegen verstossen, wird eine effektive Sperrung von Inhalten gar nicht möglich sein.
Lediglich bei solchen Inhalten, bei denen zweifellsfrei und grenzüberschreitend eine Verletzung gegen Menschenwürde u.ä. vorliegt (z.B. Darstellung von Kinderpornographie) ist eine Sperre sinnvoll, weil Sie auch im Interesse der Netzbenutzer liegt und eine "öffentliche Unterwanderung" nicht zu erwarten ist.
Die Schwerpunkte des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft,Forschung und Technologie und der Länder sollten nach unseren Vorstellungen daher in der allgemeinen Vermittlung von Medienkompetenz liegen und nicht in der Erschaffung von Gesetzen, die letztlich ins Leere greifen.
Die Gewährung informationeller Selbstbestimmung im Sinne des Datenschutz wird mit den Regelungen nicht ausreichend gewährleistet, auch wenn der Grundsatz der Datenvermeidung bereits aufgenommen wurde. Artikel 2 § 3 (2) sollte dahingehend formuliert werden, daß eine Verwendung von Daten für andere Zwecke als erhoben grundsätzlich unzulässig ist, es sei denn der Benutzer willigt dies ausdrücklich ein.
Um sicherzugehen, daß diese Entscheidung bewußt getroffen wurde, sollte Artikel 2 § 3 (7) (elektronische Einwilligung) ersatzlos gestrichen werden.
Der in Artikel 2 § 3 (4) formulierte Grundsatz der Datenvermeidung geht in die richtige Richtung, bleibt aber ohne entsprechende Regelungen (Bussgeld / Strafandrohung) ein frommer Wunsch des Gesetzgebers, der von Diensteanbietern ignoriert werden kann.
Die in Artikel 2 § 3 (5) formulierte Problematik der Re-Identifizierung ist bei der Nutzung elektronischer Medien fast grundsätzlich gegeben und wird von den Regelungen des Artikel 2 § 3 nicht hinreichend eingeschränkt (beispielsweise fehlt ein Verbot der Übermittlung an solche Stellen in Ländern, in denen Datenschutz gar nicht existiert wie z.B. an die Firma EDS (USA)).
Die Regelung des Gesetzesentwurfes in Art. 2 § 5 Absatz 3 stellt einen weitreichenden Eingriff in die Privatsphäre von Benutzern elektronischer Dienste dar, der nur nach richterlichem Beschluß erfolgen sollte und in der jetzigen Form nicht akzeptabel ist.
Die Aufteilung in Bestands-, Nutzer- und Abrechnungsdaten ist zwar theoretischer Natur, zur Klarstellung der juristischen Rechten und Pflichten allerdings sinnvoll. Der Begriff der "Bestandsdaten" ist vom Gesetzgeber zu beschränken auf die tatsächlich notwendigen Daten und die Verwendung auf den tatsächlich notwendigen Zweck.
Dem vorliegenden Entwurf des IuKDG fehlt u.a. auch ein Datenschutz-Audit. Das Fehlen einer solchen Regelung kann nur dahingehend beurteilt werden, daß der Aspekt des Datenschutzes bei der Erstellung keine wirkliche Rolle spielte und der in Artikel 2 § 2 Absatz 4 formulierte Grundsatz der Datenvermeidung nicht einmal ein frommer Wunsch, sondern eine bewußte Täuschung darstellt.
Bei der Erstellung des Mediendienstestaatsvertrages wurde das Anliegen des Datenschutzes offenbar etwas ernster genommen.
Die Regelungen sind - wie bereits in Frage 7 angemerkt - unserer Ansicht nach nicht ausreichend, gerade auch im Bezug auf internationalen Datenaustausch.
Die Regulierung kryptographischer Verfahren wurde zudem eine weitreichende Beschneidung informationeller Selbstbestimmung und Privatsphäre in elektronischen Medien bedeuten, dem umfassend im Sinne des Datenschutzes entgegengewirkt werden müsste und trotzdem weitreichende Datenschutz- und Sicherheitsprobleme hinterlässt.
Schon deswegen wird eine Regulierung kryptographischer Verfahren von uns abgelehnt.
Die Beseitigung der bisherigen Rechtsunsicherheiten wird durch die Änderung des Schriftenbegriffs sogar noch verstärkt; elektronische Dokumente erlauben vielfältigere Verfälschungsmöglichkeiten ohne das dies im Nachhinein feststellbar ist.
Angesichts der Unkenntnis der genauen Konsequenzen keine exakte Beurteilung. Die genannten "Vorkehrungen [...] daß das Angebot oder die Verbreitung im Inland auf volljährige Nutzer beschränkt werden kann" sind jedenfalls in der Praxis unrealistisch und entbehren einer praxisnahen Betrachtung des Problems. Der Jugendschutz bedarf hier einer nähergehenden Betrachtung; verweisen sei auf unsere Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung "Jugendschutz und neue Medien..." vom 09. Oktober 1996 des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Siehe 12.
Nein.
Der Aspekt der Grundversorgung zur Volks- und Allgemeinbildung zur Einrichtung von kostenfreien Nutzung von Datenbanken u.a. etwa für Schulen, Schüler, Studenten und Arbeitslosen etc. fehlt.
Die Frage erfordert eigentlich eine weitreichende Antwort, die hier aus Zeit- und Längengründen nur eingeschränkt gegeben werden kann. Informations- transporteure wie Internet-Service-Provider (ISP) sollten lediglich bei aktiver und bewusster Anbieten und vor allem gegebenen effektiven Sperrmöglichkeiten (also z.B. bei Newsgroups die unzweideutig kinderpornografisches Material enthalten) zur Sperre verpflichtet werden, wenn sichergestellt ist, daß die Nutzung zulässiger Inhalte nicht gefährdet ist (wie es etwa bei der Sperrung eines kompletten WWW-Servers bzw. seiner technischen Adresse nicht gegeben ist).
Abgewägt werden muß auch die unter Medienkompetenzgründen zu unter- suchende pädagogische Sinnhaftigkeit einer solchen Massnahme im Gegensatz zur Alternative der bewussten Auseinandersetzung (in- und ausserhalb der neuen Medien).
Die gegenwärtige Praxis der Strafverfolgungsbehörden stellt eine Katastrophe mittleren Ausmaßes dar, die geeignet ist schweren wirtschaftlichen Schaden und zu bewirken und politisch langfristig die falschen Signale setzt. Der Versuch, die neuen Medien mit den alten Konzepten zu regulieren, ist schon aufgrund der Nichttrennung in Sender und Empfänger beim Netzteilnehmer sinnlos.
Unter dem Gesichtspunkt der Schadensprävention erscheint dies bei der jetzigen Version des TDG sinnvoll.
Beim TDDG dokumentieren sie die fehlende Ernsthaftigkeit beim Umgang mit Datenschutzverstössen.
Insbesondere die Umgehungsmöglichkeiten der gewünschten Regelungen durch elektronische und nichtelektronische Stellen im Ausland wurden nicht berücksichtigt und Schrumpfen die gewünschten Zustände auf ein unrealistisches Wunschdenken.
Die aufgezeigten Probleme sollten ausreichen, um weitgehende Änderungen / Streichungen der Gesetzesentwürfe zu bewirken. Nähergehende Problembetrachtungen sind unter Gewährung von angemesseneren zeitlichen Fristen möglich.
Nein. Begründung siehe Fragenkatalog der SPD/Bündnis90/Grüne. Sinnvoller erscheint eine Erweiterung des TKG und die Streichung von IUKDG sowie Medienste-Staatsvertrag.
Angesichts der gegebenen unscharfen und wiedersprüchlichen Trennungen als wenig hilfreich. Sinnvoller wären klare Abgrenzungen die unter Einbeziehung von praxisnahen Betrachtungen entstehen sollten.
Siehe Frage 1 des Fragenkatalogs von SPD/Bündnis90/Grüne.
Angesichts der Unschärfe des Begriffs "Individualkommunikation" (siehe Antwort zur Frage 1 von SPD/Bündnis90/Grüne) ist die Frage schwierig zu beantworten. Die Regelungen für die neuen Dienste sollten im Effekt jedenfalls bundeseinheitlich, zukunftskompatibel und global integrierbar sein.
Siehe Frage 4 des Fragenkatalogs von SPD/Bündnis90/Grüne.
Die Zuordnung ist - im Angesicht der in Frage 16 des Fragenkatalogs von SPD/Bündnis90/Grüne angemerkten Aspekte - unzureichend und sollte unter Einbeziehung dieser Aspekte konkretisiert werden.