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Goldenes Kalb

Zum Querfunkratschlag in Berlin

Der folgende Text ist eine Kritik zu einem Beitrag für die Veranstaltung "Informationsgesellschaft - das goldene Kalb der POST-Moderne" am Sonntag, 6.9.87 neben der Funkausstellung. Der Beitrag selber liegt nur in gedruckter Form vor, unsere Kritik ist aber auch aus sich selbst heraus verständlich.

Zu B.1.b)

Die "Verheimarbeitung" der Arbeitnehmerschaft wird nicht durch die Verhinderung einer Einführung neuer Kommunikationstechniken erschwert/unmöglich gemacht. Im Gegenteil: Mit der existenten Technik kann der Anteil der Kommunikationskosten an den Heimarbeitsplätzen ohne Schwierigkeiten "aus der Portokasse" bezahlt werden und wird durch ISDN voraussichtlich nur teurer.

Die Schwierigkeiten liegen in den Bereichen der Organisation und Mitarbeiterführung, bzw. bei den heutigen Unternehmensstrukturen sind "Heimarbeitsbüros" meist zu teuer und insbesondere gelingt es noch nicht, durch die Netze ein ähnlich dichtes Geflecht von Informationsdynamik (Klatsch!) zu schleusen, wie in einer Bürogebäudesituation mit gemeinsamer Kantine - und das wird nach unseren Kommunikationserfahrungen in den Netzen glücklicherweise auch nie möglich sein. Es stellt sich nämlich heraus, daß die Medienspezifik der digitalen Kommunikationstechnologie weitgehend unerforscht ist und hier auf Kapitalseite erheblich überzogene Erwartungen bestehen, die sich auf Kritikerseite in erheblich überzogenen Befürchtungen spiegeln. Siehe hierzu: "Teleheimarbeit ist kein Renner" in "Die Angestellten" der DAG vom 7.8.87.

Das Argument, daß durch die digitale Verheimarbeitung die gewerkschaftliche Organisation geschwächt wird, stimmt nur teilweise. Klassische Heimarbeitsplätze - mit der bekannten fast Unmöglrchkeit gewerkschaftlicher Organisation - zeichnen sich dadurch aus, daß die Heimarbeiter nur durch persönliches Erscheinen an der Haustür erreichbar waren. Dies ist nun aber - durch das Netz - nicht mehr der Fall und macht ironischerweise gewerkschaftliche Organisation einfacher als früher. Statt sich zum Abliefern eingegebener Texte in den Rechner des Arbeitgebers "einzuloggen", kann sich der Heimarbeiter genausogut in eine Mailbox seiner Gewerkschaftsgruppe einwählen. Damit wollen wir nicht sagen, daß dadurch gewerkschaftliche Organisation besser/einfacher wird, die Situation ist jedoch nicht so hoffnungslos, wie das oft dargestellt wird. Es ändern sich halt - technologiespezifisch - gewerkschaftliche Organisationsformen genauso, wie sich auch die Produktionsformen verändern. Bewußtseinsmäßig ist hier nur die Kapitalseite in der Problemerkennung wesentlich weiter.

Erfahrungen in England zeigen übrigens, daß regionale Vorortzentren für Verwaltungstätigkeiten entstehen, die von mehreren Firmen gemeinsam betrieben und unterhalten werden und in letzter Konsequenz zum "mietbaren" Büro führen, wie dies vor ca. einem halben Jahr vom SPIEGEL aus Hamburg berichtet wurde.

Zu B.1.c)

Wiederum der gleiche Denkfehler der Autoren. Um alle die prognostizierten Entwicklungen im Dienstleistungsbereich eintreten zu lassen, braucht es kein ISDN, das geht VON DER TECHNIK her bereits heute über Telefonteitungen. Was fehlt, sind die "Programme", das Know-How, wie sich solche Dienstleistungen maschinisieren lassen. Es sind die "Hacker", die sich dieses Wissen heute spielerisch aneignen, mag es ihnen auch nicht bewußt sein. Und schon bald werden einige dieser Zunft ihre Erfahrungen verkaufen. Außerdem sollte man in Betracht ziehen, daß auch "den Kapitalisten" inzwischen deutlich wird (wofür sind schließlich die Horden von Psychologen nach '69 ausgebildet worden ... ), daß es so etwas wie "Psychoarbeit" gibt - Stichwort: Verkaufsfördernde Maßnahmen, "human touch" (sic!).

Anzumerken ist, daß ein Dienst wie BTX, der eine deutliche Trennung zwischen Anbieter und Konsument macht, für den Konsumenten extrem im Preis heruntersubventioniert wird, während ein Dienst wie DATEX-P, der insbesondere für die internationale Vernetzung von Einzelnen und Gruppen große Bedeutung hat (z.B. PeaceNet in den USA bzw. GreenNet in GB), im Vergleich zu anderen Ländern sehr teuer ist. Damit pflegt die BP über ihre Gebührenpolitik den Provinzialismus.

Zu B.2

Hier kommen die Autoren uE. endlich an den Kern der ISDN-Problematik. Die Mißbrauchsgefahren, die in dieser zentralisierten "eierlegenden Kommunikationsmilchsau" liegen, lassen die Herzen von Pinochet über Jaruselzki bis George Bush schneller schlagen. So, wie ISDN heute durch die CCITT standardisiert ist, wird es keine anonymen Anrufe mehr geben. In der Beziehung ist auf der politischen Ebene bisher kein Problembewußtsein entwickelt und die Techniker argumentieren Morgenstemmäßig: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Für die Ablehnung von ISDN finden sich sogar Bundesgenossen in der Mailboxindustrie, zumindest beim politisch bewußten Teil derselben. Noch einmal: aus technischen Gründen ist ISDN nicht notwendig. Die einzige Rechtfertigung dafür liegt in den Kapitalverwertungs/Neuinvestitionszwängen der Elektronikindustrie.

Zu B.2.b)

Zum Abspeichern der Gespräche: Dies ist digital zu teuer, da durch die Digitalisierung das zu speichernde Datenvolumen gegenüber analogem Dampftonband zu stark aufgebläht wird. Gefährlich ist in dem Zusammenhang jedoch, daß die Digitalisierung aller Signale einen Schritt näher an automatisierte "Reizworterkennungsautomaten" führt, die dann - in einer Hierarchie steigender "Wichtigkeit" - automatisch bestimmte Gespräche zur Aufzeichnung aus dem Telefonverkehr "herausfischen". Aber auch das ist nichts Neues und wird heute bereits praktiziert. Einfacher wird durch ISDN das Mithören, Mitschneiden und Analysieren von Textkommunikation (z.B. TEXTOR Programmpaket des BKA). Einziger Schutz - und das wird auch aus industriellen Interessen intensiv entwickelt - ist die Verschlüsselung aller Daten, die über irgendeine Leitung gesendet werden.

Zu B.2.c)

Folgendes ist wichtig zu wissen: Nach Tschernobyl wurde kein Katastrophenalarm ausgelöst, so daß potentiell noch alle Telefone funktionierten und nicht nur die rot markierten für den Krisenfall. In ganzen Regionen brach deshalb der Telefonverkehr wegen Überlastung zusammen, so daß das Telefonnetz nicht mehr zum Krisenmanagement taugte. Daraufhin ist auf Kabinettsebene beschlossen worden, in Zukunft das eigentlich veraltete, digital geschaltete DATEX-L Netz als Notstandsnetz weiterhin - parallel zu ISDN - auszubauen. An diesem Netz wird TELETEX als eine Art modernes TELEX betrieben. Für solche Situationen ist DEN GRüNEN in Bonn eine partielle Teilnahme an PARLAKOM zu empfehlen, da im Rahmen von PARLAKOM geplant ist, die Heimatwahlkreise der Abgeordneten via TELETEX mit dem jeweiligen Abgeordnetenbüro in Bonn auf Kosten der Steuerzahler zu verbinden. Damit wäre dann im Katastrophenfall eine eigenständige Informationsmöglichkeit "von der Basis" ins "Raumschiff Bonn" gegeben.
(Siehe dazu auch: 'STUDIE' für den geplanten Computereinsatz der Fraktion DIE GRÜNEN im Auftrag des Deutschen Bundestages, Verlag Der Grüne Zweig, Nr. 117)

Ein Vergleich mit der Plutoniumwirtschaft geht fundamental am Wesen der Rechnervernetzung vorbei, Eine Plutoniumwirtschaft ist extrem schutzbedürftig auf Grund eines materiellen "Plutoniumhaufens", der physikalisch an genau umgrenzter Stelle vorhanden ist und damit mögliches Ziel terroristischer Angriffe darstellt. Demgegenüber zeichnet sich eine weitergehende Computervernetzung dadurch aus, daß das Gesamtsystem immer redundanter d.h. (zer)störungsunanfälliger wird. Ein ausgefallenes Rechenzentrum kann innerhalb von Millisekunden durch Rechenkapazität an anderer Stelle ersetzt werden - dank der Vernetzung. In diesem Sinne wird von den Netzarchitekten durchaus schon in Begriffen von "Dezentralisierung" und "Redundanz" gedacht - ganz im Gegensatz zur Strommafia. Vor zwanzig Jahren hätte die Bombe im Rechenzentrum des Springer Verlags 2 - 3 Jahre Arbeit zunichte gemacht, wenn sie nicht nur eine Kloschüssel, sondern Plattenspeicher zerstört hätte. Die Zeiten sind jedoch lange vorbei und beim letzten Druckerstreik haben sich - dank Rechnerverbund - kanadische Drucker als Streikbrecher einsetzen lassen.

Aspekte einer politischen Debatte zu ISDN

Zur Zeit wird an der Zerschlagung der Bundespost als Kommunikationsmonopol gefingert. Siehe dazu die Dokumentation in der SZ Nr. 174 vom 1./2. August 1987 zu "Feststellungen und Empfehlungen der Regierungskommission". Die Hauptinteressen dabei sind uE. wirtschaftlicher Natur unter dem Motto "Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren".

Nach Einschätzung der Postgewerkschaft ist in Zukunft wahrscheinlich mit folgender Situation zu rechnen:

- Die Post wird aufgeteilt in unabhängige Verwaltungsbereiche für den gelben und grauen Bereich. Beim grauen Bereich verbleibt das Netzmonopol. Ein Minderheitenvotum, auch mindestens einen privaten Netzträger zuzulassen, fiel mit immerhin 6:6 Stimmen äußerst knapp aus.

- Nur die BP ist Berechtigt, den Telefondienst anzubieten, jedoch endet ihr Monopol an der Anschlußdose.

- Die 'Mehrwertdienste' Datex, Telex, Teletex, Temex (die "ex"-Dienste) und der Endgerätemarkt werden zu 50% der BP belassen, der Rest dem Markt. Weder für die BP, noch für die freien Anbieter gibt es irgendwelche Auflagen, und die freien Anbieter müssen sich die benötigte Leitungskapazität beim grauen Monopolisten mieten/kaufen.

- Es wird Privaten gestattet, eigene Grundstücke selber für die interne Kommunikation auch über andere Grundstücke hinweg zu verkabeln.

Dies bedeutet keine Änderung für die bürgerrechtsrelevanten Aspekte von ISDN gegenüber der jetzigen Situation. Auch in Zukunft soll ein Monopolist der Betreiber des geplanten ISDN Netzes sein.

Nebenbei: Die Essenz des Machtanspruchs der DBP leitet sich daraus ab, daß es gesetzlich verboten ist, Kommunikation über Grundstücksgrenzen hinaus von irgendjemand anderem als der Post machen zu lassen. (Sonderfall Bundeswehr). Die Bundesbahn hat nur deshalb ihr eigenes Telefonnetz, weil ihr "Grundstück" sich über die gesamte Republik erstreckt. Ich halte es im Sinne von Dezentralisierung und Basisdemokratie für eine grüne Forderung, die Legalisierung der "Verkabelung" im Rahmen der Nachbarschaftshilfe zu fordern. Unseres Erachtens ist nicht die Vernetzung an sich der Sündenfall, sondern die Monopolisierung der Netzträgerschaft.

Auch nach der heraufdämmernden Neustrukturierung muß bei einem Mißbrauchsversuch nur eine Stelle usurpiert werden. Das kontrastiert immer noch erheblich mit der Situation in den USA, wo auf Grund des Fehlens eines Monopols jenseits der gelben Post eine wahrhaft chaotische Situation in fast allen elektronischen Netzen besteht, die nach unserer Einschätzung die Mißbrauchsgefahr erheblich einschränkt bzw. diese Infrastruktur als Beherrschungsinstrument wenig tauglich macht.

Klaus Schleislek, Reinhard Schrulzki, Jürgen Wieckmann, Tom Todd, Thomas Esher, Udo Schacht

Mitglieder im Arbeitskreis POlitischer Computereinsatz (APOC)

 

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