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Computer, Angst und Herrschaftoder:Mit dem Computer gegen Volkszählung und maschinenlesbaren PersonalausweisDer Lehrbeauftragte am Fachbereich Informatik der Universität Hamburg, Otto Ulrich, vertrat kürzlich die These, daß die "Computertechnik schon wegen ihrer formalen Eigenschaften prinzipiell und logisch unversöhnlich einer fundamentalen Entwicklung gegenüberstünde, die sich an einem ganzheitlichen und ökologisch geprägten Weltbild orientiert". Folgt man dem, bleibt es "prinzipiell und logisch unversöhnlich", die Idee der Videofrauen aufzugreifen und ein "starkes feministisches Nachrichtennetz" mit Mikrocomputern und Akustikkopplern zu fordern. Über Frauen als "Dauertippsen" am Computer regt man sich nicht auf. Das hat System. Sind es wirklich nur die formalen Eigenschaften des Computers, die eine gegen den Strich gebürstete Computeranwendung unmöglich macht? Dahinter steckt eher die politische Konzeptionslosigkeit der kleinen und großen Generalstreiks, die als einzige Strategie nur noch private Verweigerung und verbale Attacken kennt, in der das Politische ins Psychologische abgeleitet und die politische Konzeptionslosigkeit in individuelle Ohnmacht und private Perspektivlosigkeit umschlägt! Die amerikanische Friedensbewegung hat schon längst begriffen, daß nichts dümmer - und vor allem auch von den Mächtigen erwünschter ist - als die Möglichkeit der Computertechnik stets der Gegenseite zu überlassen. Klaus Modick, der sich auch vorstellen kann, daß die Literatur, ähnlich wie Kunst, Film und Musik Einzug in die Computertechnik halten wird, berichtete in der Zeitschrift "medium" über Mitglieder der "Computer Professionals United" (CPU), die eine Organisation gründeten, mit deren Rechnernetzwerk, dem sogenannten "Peace Net", auf gemeinsame Datenbanken zugegriffen und Informationen schnell ausgetauscht werden können. Wieso sollte nicht ein ähnliches Netz den Kritikern in der Auseinandersetzung über die Entwicklungen in der Gen- und Biotechnik eine Hilfe sein? Die Problematik hat die gleiche Dimension wie die Atomenergie, Die Anwendung gentechnischer Verfahren in Industrie, Landwirtschaft, Medizin und die schönfärberisch als "Umweltbiologie" bezeichnete Nutzung werden gesellschaftliche Entwicklungen nach sich ziehen, deren Folgen heute in keiner Weise abzusehen sind. Dies alles entwickelt sich mit einer von der Öffentlichkeit unkontrollierten Schnelligkeit. Während in der Öffentlichkeit noch über Moral und Recht gestritten wird, hat sich längst, vergleichbar mit der Atomlobby, ein Interessenkartell zusammengefunden, das in Politik und Wirtschaft die Weichen stellt. Schon vor Jahren stand im Deutschen Ärzteblatt - ohne jedwede Distanzierung durch Herausgeber - ein Artikel eines Bremer Professors mit den Aussichten auf Züchtung von Mensch-Tier Mischwesen für einfache (!) Arbeit. Auf dem 88. Deutschen Ärztetag (taz 31. 7. 85) gings in ähnliche, aber wohlformulierte Richtung. Dem sich derzeit auf internationaler Ebene formierenden Widerstand gegen Gen-, Bio-und sogenannte Reproduktionstechniken (Retortenkinder u.ä.), steht eine Lobby biotechnologischer Forschung und marktgerechter Nutzung gegenüber, die sich von den Ministerien über die Hochschulen, die halbstaatlichen und privaten Forschungseinrichtungen bis in die Konzernzentralen der Multis erstreckt. Die zukünftigen Nutznießer sind zudem in Kontroll- und Ethikkommissionen personell miteinander verflochten. Allein die Auflistung der Verschachtelungen dieses Interessenkartells ist eine gewaltige Arbeit, die nur von vielen gemeinsam geleistet werden kann. Für solche Arbeiten müssen einfach die Vorteile einer Textverarbeitung mit Computer genutzt werden - nicht zuletzt deshalb, weil diese oder ähnliche Vorarbeiten in der Regel unbezahlte "Freizeitbeschäftigung" sind. Freilich nutze ich den RATIONALISIERUNGSEFFEKT des Computers, um mir diese unbezahlte Alltagsarbeit so einfach wie möglich zu machen. Nicht zuletzt deshalb, weil ich "nebenbei" mit einem acht Stunden Tag die Brötchen verdienen muß. Aber vielleicht habe ich in den tieferen Sinn der (beherrschenden) Angst vor dem Computer noch nicht verstanden. Je mehr ich mich allerdings mit den Aussagen computerbegeisterter Technokraten und den Alpträumen negativer Utopisten befasse, um so mehr erscheint mir der Computer als Mittel zur "Psychologischen Kriegsführung" zur Kontrollpropaganda - Träger einer Ideologie, die sich auf globaler Ebene immer perfekter durchsetzt und den Geist der Aufklärung, der Befreiung und der Egalität zerlöchert. Benutzt wird das Mittel der Angst und einer subtilen, kaum noch entwirrbaren Form geistiger Umweltverschmutzung. Wenn ich beispielsweise den für den Umgang mit der Computertechnik typischen Satz lese, daß "künstliche Intelligenz das Wissen von Experten 'ausschlürft', um damit als technisches Expertensystem den Menschen von seinen im Lebensprozeß erworbenen Erfahrungen zu entleeren", so sind dies vor allem angstschürende Metaphern aus dem Genre der Horrorfilme. Wie soll sich einer noch gegen ein solches, die Seele ausschlürfendes Technikmonster wehren können? Joseph Weizenbaum sagte einmal, daß die negative Utopie, Computer könnten so denken wie Menschen, längst nicht so erschreckend sei, wie die Realität, in der Menschen so funktional denken und handeln wie Computermaschinen. Gegen diese Bürokratenherrschaft in Ost und West müssen wir etwas positives setzen. Wenn mir während einer Diskussion vorgeworfen wird, daß der von mir verwendete Begriff "Menschlichkeit" zu schwammig sei und genauer definiert werden sollte, dann habe ich mit der künstlichen Intelligenz des Universitätslebens, der Verwissenschaftlichung des Menschen in der Tat mehr Schwierigkeiten als mit toten Maschinen. Die erschreckenden Realität die Weizenbaum meinte, hat Walter Volpert kurz und prägnant beschrieben: Wir leben in einer Weit der in Zeit-Not-Geratenen, eine graue Weit ohne Muße, ohne schöpferisches Spiel und vor allem ohne mitmenschliche Wärme und - Liebe. Wir behandeln unseren Körper wie eine Maschine, mit Fitness-Programmen und einer Medizin nach Art der Wartung, Reparatur und Instandsetzung von Maschinenteilen. Wir verwechseln Vernunft mit rationalen Problemlösungs-Prozeduren und freuen uns, daß wir alles Stück für Stück abhaken und einordnen können. Wir sperren unsere Gefühle in dunkle Vertiese und wundern uns, wenn sie als Monster zurückkehren. Wir sehen die Mitmenschen als Lust-und Agressionsobjekt an und ansonsten als Werkzeuge, mit denen wir beliebig umgehen können. Das alles macht uns krank, leer und einsam. Und weil wir es nicht wahrhaben wollen, platzen wir vor Leistungs- und Konkurrenzsucht und hängen unsere Liebe und unsere Achtung an chromglitzernde Autos und türkis flimmernde Heimcomputer. Das sind Verhaltensformen von Menschen und nicht von Computern. Mir bleibt nur die Überzeugung, daß sich gesellschaftliche Bruchlinien und private Widersprüche niemals mit technischen Mitteln oder einer reduktionistischen Philosophie lautlos ausschalten oder bewältigen lassen. Manch tumber Linke denkt wie die Mächtigen, wenn er - nur kritisch - davon ausgeht, daß sich der Mensch wie eine Marionette durch Computertechnik und Kabelanschlüsse letztendlich harmonischharmlos gängeln ließe. Diese Leute halten Menschen für willenlose Geschöpfe und machen ihn in unseren Köpfen zur Maschine. Die negative Kritik ist auf dem besten Wege, menschliche Kreativität totzuschlagen und selbst entscheidend dazu beizutragen, daß sich ihre Prophezeiungen am Ende erfüllen könnten. Orwell steckt nicht in den Computern, sondern in den Köpfen!!! Doch zurück zum Computer und möglichen Formen einer "gegen den Strich gebürsteten" Anwendung. Zu Beginn hatte ich die Videoszene als Beispiel alternativer Nutzung elektronischer Medien genannt. Niemand käme heute auf den Gedanken, die Videoszene im gleichem Atemzug mit den menschenverachtenden Horror- und Pornovideos zu nennen, nur weil beide das gleiche Medium benutzen. Die dahinter steckende Ideologie, die den Menschen als Rohstoff verwendet, ist die gleiche, mit der wir es in der angewendeten Computertechnik überwiegend zu tun haben. Wilhelm Steinmüller spricht in diesem Zusammenhang von der Industrie der geistigen Arbeit. Es gilt deshalb, in Theorie und Praxis eine davon eindeutig abgrenzbare Anwendung zu entwickeln. Der Hamburger HASPA-Hack mag ein kleiner Schritt in die richtige Richtung sein. Es ist, wie Walter Volpert schreibt, "ein positiver Ansatz, daß gerade Computer-Enthusiasten den Mythos der unangreifbaren Maschine zerstören können - das bringt ihnen viele Sympathien ein". Allerdings ist nicht es ratsam, jeden Monat publikumswirksam irgendwelche Datenbanken aufzuhacken. Am Ende bleibt nur, wenn überhaupt, ein nach Sensationen lüsternder Presserummel, der schnell verebbt. Dies kann nicht die einzige Perspektive eines "Robin-Data-Widerstandes" sein. Doch wenn ein Teil der Hacker die kompetentesten Kritiker der Datensicherung und des Datenschutzes sind, warum sollen dann Hacker und Computerfreaks nicht in einem ähnlichen Sinne die kompetentesten Kritiker einer menschenverachtenden Computertechnik sein? Warum sollten nicht Anti-Kabel-Initiativen und Computerfreaks zusammen eine fundierte Kritik entwickeln und eine gegen den Strich gebürstete Computeranwendung erarbeiten, eine Computerkultur, in der der Aufbau sozialer Netze den absoluten Vorrang vor der technischen Vernetzung erhält. Es ist eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, bis die sogenannte "Szene" die Computertechnik nutzen wird. Das beste Beispiel dafÜr ist die taz, deren Existenz ohne Textverarbeitungssystem überhaupt nicht denkbar wäre. Und schließlich gibt es kaum eine andere gesellschaftliche Gruppe, die so "versessen" auf Informationen ist, deren überwiegende Arbeit in der Anhäufung von Wissen und dem Füllen von Archiven besteht. Dennoch wird beispielsweise ein "Chaos Communication Congress" niemals durch ein eng geknüpftes Netz von Mailboxes ersetzbar sein. Technische Kommunikation ist immer auch reduzierte Kommunikation. Als kommunikationsförderndes Medium hat der Computer in sehr wenigen Fällen einen wirklichen Nutzen und wird nie mehr leisten können als das Telefon - im Gegenteil. Hier gilt auch, die Diskrepanz zwischen Bedeutungszuweisung, die im Interesse der Computerindustrie liegt, und den wirklichen Möglichkeiten der Computertechnik zu überwinden. Es müßtä auch gefragt werden, ob mehr Technik zwangsläufig auch zu mehr und zu weichen Informationsmöglichkeiten führt - und was aus dieser Mehrinformation an praktischen Handeln resultieren kann. Die Informationstheorie unterscheidet sinnigerweise zwischen Daten und Informationen. Daten sind im Sinne der Informationstheorie quantitativ meßbare Größen - gemessen in bit oder byte. Sie haben zunächst keinen Informationsgehalt. Dieser nicht meßbare Informationsgehalt entsteht erst dann, wenn den Daten eine subjektive Bedeutung beigemessen wird, wenn sie in letztlich soziale Zusammenhänge gestellt werden. Ohne diese Zusammenhänge, ohne praktischen Zweck ohne Ziele und Inhalte wäre ein alternatives Computernetz nichts weiter als ein "alternatives Btx". All' diese Fragen können im Rahmen dieses Beitrages natürlich nur angedeutet werden. Ich würde es deshalb begrüßen, wenn auf dem nächsten Chaos Communication Congress" (Hamburg 28.-30. 12. 85) Arbeitsgruppen aus der Computerszene und diejenigen, die in verschiedenen Initiativen arbeiten und über Anwendungsmöglichkeiten der Computertechnik nachdenken, sich treffen - gegenseitig beraten, um Perspektiven zu entwickeln. Es gilt, eine Computertheorie zu erarbeiten, die als Gegenposition zur herrschenden Computermythologie gelten kann, die den respektlosen Umgang mit der Technik d.h. auch mit der dahinter stehenden Macht fördert und die Ehr/Furcht durchbricht. Aber Theorie formuliert immer Erfahrungen - eine Theorie vor allem Handeln zu setzen wäre denkbar ein Unding - hierzulande aber sehr beliebt, Doch weil maschinenstürmende Romantik die Entwicklungen ebensowenig zurückdreht wie sentimentaler Kulturpessimismus, wird es höchste Zeit, die kreativen Kräfte zu vernetzen und gemeinsam gegen die verordnete Tendenz zu experimentieren. Da wird man sich gegen Technikfetischismus und Kulturpessimismus gleichermaßen zur Wehr setzen müssen - eine nicht leichte Aufgabe - aber wie sagte Erich Kästner so weise: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! Alioscha Ischdons VOLKMPH1.WS 850731 1302
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Computer, Angst und Herrschaft