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List und Lust der Hacker

Überarbeitetes/ergänztes Gespräch von "Joachim Hans Müller" und "CCC" (vgl. DLF-Sendung 5. 7. 85).

"JHM": "Selten so gelacht. Vic, Steffen und Wau könnten sich ausschütten vor Lachen über den Titel zu dieser Sendung. Der trifft anscheinend ins Schwarze: 'List und Lust der Hacker'.

Die drei sind in der Computer-Szene bekannt. Also unter den Leuten, für die der Computer eine persönliche Herausforderung bedeutet, viel mehr ist als ein Werkzeug, mit dem man Geld verdienen kann. Sie gehören zum hartem Kern des Hamburger Chaos Computer Club, einer 'galaktischen Vereinigung ohne feste Strukturen' - so jedenfalls hat der listenreiche Wau seine Initiative apostrophiert. Sternguckerei geteilt durch Selbstironie ergibt einen Wirklichkeitssinn, der vieles vereinbar erscheinen läßt: Liebe zur Logik und Spaß am Chaos, Perfektionismus in Sachen Technik und spielerische Mehrdeutigkeit in der Kommunikation, Anarchie und Organisation, Absurdität und Sinn.

Wir haben uns in Steffens Eppendorfer Wohnung zusammengesetzt. Sein heim gleicht eher einem Fachgeschäft für Personal-Computer. Die Kühlgebläse erzeugen das für einen Hacker beruhigende Hintergrundrauschen. Monitore signalisieren in giftgrüner Schrift, daß > sie betriebsbereit sind. Steffen, hochaufgeschossen, schlaksig, vierundzwanzig Jahre alt, bewegt sich wie ein Fluglotse im Kontrollzentrum eines Flughafens, doch laufen hier nicht Positionsdaten von Airlinern auf, sondern Anfragen von Computer-Kids: "Wie ist diese oder jene Platine für meinen Rechner zu löten? Oder auch schon mal die Bitte eines Freundes, Steffen soll über Bildschirmtext eine Nachricht weiterleiten: seit Stunden versuche man schon eine Telefonverbindung herzustellen, doch der Anschluß sei ständig besetzt. Rückruf erwünscht."

"CCC": "Die Hacker sind so was wie Spechte im Wald. die in die Bäume Löcher hineinhacken, sich reinsetzen und drin wohnen für 'ne Zeit und dann sich ein neues Nest suchen. Manchmal wird auch was drin ausgebrütet. Das kommt vor, Aber deshalb stirbt der deutsche Wald nicht, Auch wenn einige das vielleicht behaupten mögen. Nur fliegen Hacker jetzt nicht durch die Luft und hacken Löcher in Bäume, sondern wohnen in den Rechnern und gucken sich um, was da so am laufen ist. Sie fliegen durch die Datennetze statt durch die Luft."

"Steffen, Wau und Vic sind deutsche Hacker. Über der Programmiererei haben sie noch nicht den Wald vergessen. Wau, mit vierunddreißig schon der Senior unter den Hamburger Hackern, gibt zu, daß er nach einer Nacht am Bildschirm sich schon mal gern am grünen Rand der Alster entspannt und den Enten zuschaut. Vic, dreizehn Jahre jünger, hat dagegen einen Stil kultiviert, den man schon eher bei einem high-Technology-Jünger vermutet. Müßiggang , das heißt für ihn. nachts allein im Auto bei Kassettenmusik über Landstraßen zu rauschen, Und dann kann schon mal passieren, wovon er in der neuesten Datenschleuder. dem Informationsblättchen des CCC, des Chaos Computer Club. in der für ihn typischen Schreibe erzählt. Er nennt das Autohacking."

"Plötzlich ist da so ein gelb lackierter Glaskasten am Straßenrand. Der Datenkoffer wird rasch zur Hand genommen und säuberlich ausgepackt. Man nimmt den unförmigen Schnorchel der gelben Datentankstelle aus der Zapfsäule und steckt ihn in den CCC-geprüften Einfüllstutzen. Die Tankgroschen fallen klöternd in den betagten Münze( und es wird zwischen Normalmailbox, Supermailbox oder PADgas gewählt. Der langen Leitung folgend begibt man sich in den Schutz der molligen Dose. Zwischen bzw. auf den Kanten beider Vordersitzmöbel wartet schon die altvertraute Texi-Tastatur (tragbarer Computer M10. TRS100 o. PX8, der Säzzer) und das lobenswert lesbare LCD-Display."

"Zwischenbemerkung: der Hacker-Jargon sollte nicht darüber hinwegtäuschen. daß hier eigentlich nur über eine Art Telefonat > zwischen Computern berichtet wird (zwischen Menschen an Computern. der Säzzer). Aber das ganze muß natürlich noch eine Pointe haben, Vic erzählt weiter:"
"Während des Genusses von 'Hotel California' und der hermes-VAX (VAX: Großrechnertyp, der S.) kracht es plötzlich. Verärgert durch die vielen hochmathematisch anmutenden Sonderzeichen auf dem Display blicke ich auf, um deren Ursache zu erfassen. So ein blöder Radfahrer hat das Kabel beim Überqueren mitgerissen!"

"Die Bekanntschaft mit Steffen, Vic und Wau hat mein Bild von den Hackern zurechtgerückt. Wenn die drei typisch für die deutsche Szene sind - immerhin gehören sie ja zu den herausragenden Vertretern (nur zu den von den Medien gejagtesten, der Säzzer.) - so bestätigt das mal wieder die alte Wahrheit, daß in Amerika eben alles anders ist. In Berichten aus den USA liest man von fanatischen computersüchtigen jungen Männern, die mit zerzaustem Haar und tief eingesunkenen, brennenden Augen vor dem Bedienungspult sitzen, an nichts anderes mehr denken als THE HACK (kenn ich hier aber auch, der Säzzer). Wenn dieses Bild einfach übernommen wird, so ist das wohl eher ein Ausdruck einer Dämonisierung der Technik als Ergebnis vorurteilsloser Recherche. THE HACK - darunter verstehen Hacker die gelungene Überlistung eines Computersystems. Wau und seine Freunde hatten ihren ersten spektakulären Erfolg (groß nur wegen der Medien, der Äzzer). Ende letzten Jahres, als sie den Computer der Hamburger Sparkasse dazu veranlassen konnten, eine ganze Nacht lang in kurzen Abständen eine gebührenpflichtige Seite ihres eigenen Bildschirmtext-Angebotes abzurufen. Wau bestätigt, daß es allen eine diebische Freude bereitet habe, damit der Bundespost einen gravierenden Mangel im Bildschirmtext-System nachgewiesen zu haben:"

"Man hat hier gehockt und so einen kleinen Heimcomputer an Bildschirmtext angeschossen und 'n kleines BASIC-Programm geschrieben (in der Hackerbibel irgendwo abgedruckt) und das machte immer 'klackklack, klack-klack'. Jedesmal, wenn das 'klack-klack' machte, waren auf dem eigenem Gebührenzähler 9,97 DM mehr. Ein sehr verrücktes Geräusch. - Ich hab' hier geschlafen. Und die ganze Nacht machte es immer so 'klack-klack. klack -klack'. Ich wußte: heute hast du 'nen sehr guten, ruhigen Schlaf. Irgendwie war das ein berauschendes Gefühl, Man hörte das Geld zwar nicht klingeln, aber es machte immer 'klack-klack'. Am Morgen nach dem Aufstehen haben wir ausgeschaltet. Gar nicht genau nachgeguckt, wieviel. War auf alle Fälle genug. Irgendwann muß man das ja mal ausstellen. Kann ja nicht ewig 'klack-klack' machen. - Wir hatten schon 'ne gewisse Angst dabei. Das ist die andere Seite gewesen. Wir haben überlegt, vielleicht kommt bei zehntausend Mark 'ne große Alarmglocke in Ulm (Btx-Zentrale, d. S.), weil das ungewöhnliche Beträge sind, und dann rückt hier eine Horde Polizei ein... Da die Software im Bildschirmtext gerade eben so lief damals, hatten die Programmierer für solche Spielchen wirklich keine Zeit. Unsere Befürchtungen waren völlig unberechtigt. - Wir haben die Software überschätzt. - Aber man muß Bildschirmtext ein Lob machen, weil in dieser Zeit, wo der Abruf lief, nicht ein einziger Systemabbruch passiert ist. Wir brauchten das ganze nicht neu zu starten. Das ging alles in einem Rutsch durch. Was wir normalerweise sonst bei ähnlichen Arbeiten mit dem Btx-System nicht unbedingt gewohnt sind."

"Solche despektierlichen Töne hört man bei der Deutschen Bundespost nicht gerne, zumal Bildschirmtext noch längst nicht den erhofften Zuspruch gefunden hat. 1983 prognostizierte man eine Teilnehmerzahl von 150.000 bis Ende letzten Jahres, bis Ende 1985 sollten 400.000 Anschlüsse vergeben sein. Tatsächlich sind erst gut 25.000 auf den neuen Informationsdienst eingestiegen. Die Hamburger Hacker, besonders Steffen, sind Profis, was Bildschirmtext betrifft. Aber sie kritisieren das System als zu träge, technisch antiquiert, unsicher und nicht benutzerfreundlich. Den Beweis für seine Unsicherheit gegenüber Hackerangriffen konnten sie erbringen. Sie hatten das schon vorher auf einer Tagung indirekt angekündigt, waren aber auf unterschiedliche Reaktionen gestoßen."

"Genau vier Tage vorher waren wir in Köln auf 'ner Datenschutzfachtagung und haben von unserer Erfahrung mit dem System berichtet und eine Reihe von Fehlern und Schwächen aufgezeigt. Die Leute, die da zugehört haben, also Datenschutzbeauftragte von der Industrie, haben das sehr nachdenklich aufgenommen. Die Sachen, die sie da gehört haben, die konnte vom Podium kein Industrievertreter sagen, die konnte kein Behördenvertreter sagen. Auch Leute von den Datenschutzbeauftragten haben sich im Verhältnis da noch sehr vorsichtig geäußert. Die können nicht direkt Softwareschwächen von IBM (Immer Besser Manuell, der Hetzer) beim Namen nennen oder andere Fehler so offen aufzeigen. In deren Interesse ist es, Ruhe zu bewahren und das hinter den Kulissen zu klären. Wir haben ein paar Sachen einfach an die Öffentlichkeit gebracht, die Post und Industrie in der Situation weh getan haben.

- Wir haben die Narrenfreiheit, daß wir so was tun können. Und werden sogar dazu eingeladen. Das als unsere Chance und Aufgabe haben wir aber erst in letzter Zeit begriffen: diesen Dunstschleier, der vor der ganzen Computerszene und vor der ganzen Computerwelt an sich steht, einfach wegzuwischen und reinzutreten manchmal, wenn's mal sein muß. - Das ist jetzt schon die Formulierung dessen, was wir tun können oder könnten - soweit wir's eben schaffen, soweit es uns gelingt - als 'ne positive Chance. Eben nicht nur wie kleine Kinder mit einem neuen, schönen Spielzeug rumzuspielen, sondern auch zu überlegen, was das für Folgen hat und welche Möglichkeiten man da hat, das aufzuzeigen, möglichst exemplarisch, Möglichst plastisch und verständlich."

"Mit ihrer Aktion hatten die Hacker gegen Recht und Ordnung verstoßen. Doch weil sie ohne zu Zögern informiert hatten, keine Anstalten unternahmen, die Gebühren einzutreiben, und glaubhaft machen konnten, daß es ihnen nur um eine Demonstration ging, verzichtete die Bundespost darauf, sie wegen einer Ordnungswidrigkeit zu belangen, die mit bis zu 50.000 DM geahndet werden kann (hier irrt der Autor, der Hamburgische Datenschutzbeauftragte ermittelte noch bei Redaktionsschluß dieses Buches - der Säzzer). Man muß ja auch froh darüber sein, daß hier Schwächen offenbart wurden, bevor Computerkriminelle daraus ihre Vorteile ziehen konnten. Doch wer glaubt, es wäre nur sportlicher Ehrgeiz, besser zu sein als die Programmierer der Industrie. was die Hacker motiviert, oder die Absicht, als unbezahlte Tester den Sicherheitsstandard immer höher zu treiben, der irrt. Ihr Auftreten mag an Eulenspiegeleien erinnern, ihre Aktionen haben aber mehr Ähnlichkeit mit der Strategie begrenzter Regelverletzungen. die ja in der Studentenrebellion formuliert worden ist. Und es ist nur folgerichtig daß sie für sich selbst den Anspruch erheben. in der Tradition der Aufklärung zu stehen. - Was heute die Computer sind. war vor über fünf Jahrhunderten die Erfindung des Buchdrucks Das erste Buch. was gedruckt wurde, war die Bibel. Diderots Enzyklopädie, eine Sammlung des Wissens, des Erfahrungsschatzes der Menschen jener Zeit, wurde erst später gedruckt und vom Papst verboten.

- Und das was jetzt gerade mit Datenverarbeitung läuft, ist das Setzen von Strukturen. Eine herrschende Minderheit setzt die Strukturen. Das Gros der Menschen überblickt sie gar nicht, Durch unsere extreme Nutzung der neuen Techniken stoßen wir schon jetzt auf bestimmte Probleme Und dann versuchen wir zu berichten über z.B. schon praktizierte Zensur in den neuen Medien, wie sie bisher noch gar nicht oder nicht mal in Gedanken vorhanden waren. weil die Art von Präsentation noch nicht da war, die so eine Zensur überhaupt erlaubt ...

Beispiel: die Firma SEL baut öffentliche Bildschirmtext-Geräte, die in Banken oder Postämtern oder halt in Firmengebäuden für den öffentlichen Abruf von Btx-Seiten bereitstehen. Sie haben da gleich die Möglichkeit eingebaut, daß man Btx-Seiten bestimmter Informationsanbieter nicht abrufen kann mit diesem Gerät. Durch eine Vorauswahl, eine Negativauswahl können, wie es heißt, unerwünschte Anbieter ausgeschlossen werden... - Konkret: man kann (u.a.) unser Programm dort nicht abrufen Das ist gesperrt. Das verstößt zwar. so sagte uns ein Datenschutzbeauftrager, nach dessen Empfinden - oder, na ja, beim Datenschutzbeauftragen spricht man da vielleicht besser: nach dessen juristischer Beurteilung, nicht dem Staatsvertrag, da Bildschirmtext ein neues Medium ist und das so ist, als wenn man aus der Zeitung etwas rausruppt. Aber so ein Konzern kann sich's gegenwärtig erlauben "

"Tatsache ist, daß Standard Elektrik Lorenz ein Bildschirmtext-Gerät entwickelt und auf der Hannover-Messe vorgestellt hat, bei dem einzelne Anbieter ausgesperrt werden können Wer ein solches Gerät dem Publikum zum unentgeltlichen Gebrauch zur Verfügung stellt, wie es SEL auf der Hannover-Messe auch zu Demonstrationszwecken tat, kann darüber bestimmen, welche Programmangebote er zulassen will. Von dieser technischen und rechtlichen Möglichkeit hatte die Elektronikfirma Gebrauch gemacht, als sie medienkritische Seiten sperrte. Das gleiche wäre es, wenn ein Arzt aus den Zeitschriften, die in seinem Wartezimmer ausliegen, Anzeigen eines bestimmten Arzneimittelherstellers herausschneiden würde, weil er dessen Produkte ablehnte. Mit dem einzigen Unterschied, daß eine solche private Zensur auffälliger wäre und sehr schnell offenbarte, was dieser Arzt von der Kritikfähigkeit seiner Patienten hielte. Ein Eingriff, der einer Pressezensur gleichkäme, läge freilich dann vor, wenn die Bundespost bei gebührenpflichtigen, öffentlich aufgestellten Geräten auch eine Vorauswahl träfe, Doch davon kann bislang noch keine Rede sein. Die Hacker sind mißtrauisch gegenüber gesellschaftlichen Kräften, die das demokratische Potential, die kommunikative Hefe, die in den neuen elektronischen Medien steckt, unter Kontrolle bringen wollen."

"Die neuen Technologien sind Bürgersteige, auf denen wir Wegerecht beanspruchen", sagt Wau und verweist auf die Schlußakte von Helsinki, in der die Unterzeichner aus Ost und West einen freien Informationsaustausch anstreben. Freie Kommunikation sollte das oberste Prinzip beim Aufbau der elektronischen Netze sein, national und international."

"Wir sagen, daß wir heute eine Zeit erreicht haben, wo es nicht nur ein Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit gibt und Essen und Trinken, was auch heute in vielen Teilen der Welt noch nicht gewährleistet ist, sondern auch ein Menschenrecht auf freie, weltweite Kommunikation. Das ich einfach das Recht habe, jetzt hier der Telefonhörer abzuheben und meinetwegen einen Freund in New York anzurufen und mit ihm zu sprechen, Und das da nicht einfach irgend jemand kommen kann und sagen kann: 'Das darfst Du jetzt nicht sagen! Zack, ich trenne die Verbindung!'- Selbstwählgespräche in den Ostblock sind z.Z. nicht... - Halt! In die Sowjetunion! DDR und diese ganzen Sachen, die gehen auch okay. Aber die Sowjetunion nur über Amt, - Wähle 007-1234567 und du hörst: 'Der Selbstwählferndienst in die Sowjetunion ist zur Zeit nicht möglich. Bitte melden Sie Ihre Gespräche über das Auslandsfernamt 0010 an.' - Das ist 'ne politische Bankrotterklärung, wenn das ein Land macht!"

"Keine Einfuhrbeschränkungen für Informationen weltweit, aber auch keinerlei Behinderungen für den Datenfluß auf nationaler Ebene, dafür treten die Hacker ein. Vom Datengeheimnis halten sie nicht viel, weil sie der Meinung sind, es würde nur für die Aufrechterhaltung irrationaler Herrschaft gebraucht werden. Datenschutz bedeutet nach ihrer Meinung, daß sich die Mächtigen im Staate nicht in die Karten gucken lassen wollen. Den Geheimniskrämern aber nachzuweisen, daß sie nicht unbeobachtet bleiben, darin lägen List und Lust der Hacker. Auch Bildschirmtext, vom Anspruch her eigentlich ein Medium der Breitenkommunikation, entspricht nicht ihren Vorstellungen."

"Bei den elektronischen Medien, wie wir sie uns vorstellen, hat jeder die Gelegenheit, zu informieren und auch jeder die Gelegenheit, informiert zu werden. Beim Bildschirmtext ist das im Augenblick nicht unbedingt gegeben. Man muß Anbieter sein, um irgendwas machen zu können... - Die Post hat gleich wieder eine Zwei-Massen-Gesellschaft: geschaffen. Das ist deren Konzept. Und die Zwei-Klassen-Gesellschaft heißt, daß wir hier als Anbieter, um effektiv dabei sein zu können, uns ein teures Gerät von der Post leisten müssen, das eine schnelle Übertragung in beiden Richtungen gestattet. Der gewöhnliche Bildschirmtext-Teilnehmer kann nur ein sechzehntelmal so schnell Nachrichten schicken wie er vom System mit Meldungen vollgemüllt wird. Beim Fernsehen ist das Verhältnis ja noch viel schlimmer. Da ist es nicht eins zu sechzehn, wo Du irgendwas kriegst, sondern noch viel schärfer... Aber das sind ja auch Verhältnisse, die bestimmte Strukturen. bestimmte Kommunikations und gesellschaftliche Strukturen beschreiben. Und es gibt auch andere Konzepte..."

"Wir leben in der besten aller denkbaren Welten wohl nicht. Technische Normen, die im Laufe der Zeit die Gestalt von natürlich Gewachsenen annehmen, können zum Hemmschuh der gesellschaftlichen Entwicklung werden - auch wenn sie zum Zeitpunkt ihrer Festlegung dem Entwicklungsstand entsprochen haben mögen. Ob Bildschirmtext und die Struktur anderer Datennetze schon heute überholt sind, darüber läßt sich streiten - auch mit den Hackern, auch wenn sie ihren Club einen CHAOS Computer Club genannt haben. Das Beispiel USA zeigt, daß sie mit ihren Vorstellungen so ganz falsch nicht liegen können. Dort gibt es schon Tausende von Mailboxen, also elektronischen Briefkästen, die als frei zugängliche Datenbanken fungieren."

"Zu unseren Netzen gehören freie Mailboxen, die irgendwelche Leute machen, weil sie sehen, sie haben Computer und sie können 'ne Kommunikation aufbauen. Und dann machen sie halt 'ne Mailbox. Klemmen sich irgendwie ans Telefon ran und jeder kann anrufen und mit jedem anderen, der angerufen und eine Nachricht hinterlassen hat, irgendwie in Verbindung treten. Das gehört zu offenen Netzen. Und das sind die Kommunikationsnetze, die uns vorschweben. Nicht irgendwas, das vom Staat einem irgendwie vorgesetzt wird und: 'Macht damit, was erlaubt ist!' Dazu gibt's dann Staatsverträge und was weiß ich nicht alles und Gesetzesbestimmungen, die nicht sachgemäß sind, sondern Ergebnis von Interessenklüngeln.

Auch wenn wir geistiges Eigentum respektieren, ist die Vorgehensweise der Post in Berlin ungehörig. Dort standen in Mailboxen die Namen von Leuten, die Softwarescheinkäufe tätigten. Das läßt sich nicht verbieten. Denn auch viele Leute, die nur selbstgeschriebene Software vertreiben, legen keinen Wert auf derartige Geschäftsbeziehungen. Aber die Mailboxen, die den Telefonhörer nicht mit einem Selbstbaukran abgehoben haben oder ein Modem mit Postgenehmigung hatten, bekamen Ärger beim unangemeldeten Hausbesuch von der Post. Egal ob es Data Becker, Atari oder sonstwer veranlaßt hat: Die Post hat da sehr anschaulich versucht, das Fernmeldeanlagengesetz als Vorwand für Zensur zu benutzen. Die Medien berichten darüber kaum. Positiv formuliert: sie begreifen die Bedeutung derartiger Fälle nicht.

Zum Glück gibt es etliche Freaks, die in ihrer Bude vor ihrem Rechner sitzen und sich überlegen: 'Was kann ich damit machen?' Im Rumexperimentieren und den dabei stattfindenden Debatten und Debakeln entsteht ein Kommunikationsnetz, das in unserem Sinne ist - Ansätze gibt es. Wir haben hier in Deutschland, kann man sagen, die im Verhältnis meisten Mailboxen in Europa. Das ist immerhin ein Anfang, auch wenn es inhaltlich noch lange nicht so weit ist wie in den USA, wo es neben den mailboxinternen Debatten schon umfangreiche Literatur wie etwa das Buch NETWEAVING gibt."
ULUSTH1.WS 850730 2157

 

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