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KiPo-Hetze der Kripo

Von den Opfern redet niemand

Gern angefragt werden CCCler für Vorträge und Diskussionen. Eines der beliebtesten und zugleich lästigsten Themen ist Kinderpornographie im Internet.
Zuletzt war dies am 22.09.1998 bei der Jahrestagung der GI, der Gesellschaft für Informatik in Magdeburg. Auf dem Podium der suboptimal vorbereiteten Tagung waren neben dem Moderator der GI, Herrn Prof. Rüdiger, noch Herr Piel von der Polizei aus München sowie pluto und wau vom CCC.

Die Veranstaltung war wie üblich. Der Staatsvertreter begann mit einem Vortrag, den er mit einem neuen Begriff garnierte: "Pädokriminelle". Diesen Hetzbegriff nutzte er recht geschickt zur Verteufelung des Internet. "Straftäter sind die Bedrohung" meinte er. Bei den Zahlenangaben praktizierte er das "How to lie with statistics" (das Buch kann bei http://www.loompanics.com bestellt werden) in der üblichen Form. Denn was bitte sagt eine Zahlenangabe von "300 Pädokriminelle pro Minute im IRC" denn aus?

Auch die Nichtunterscheidung zwischen verschieden zu wertenden Formen der Pornographie gehörte zu seinem auf Gefühlsalarm zielenden Appell gegen Kinderpornographie.

Der Berichterstatter versuchte sich an einer anderen Darstellung. Zum einen verdient der Begriff "Straftäter" eine Relativierung. Denn Hacker, die vor zehn Jahren technisch korrekte Selbstbaumodems nutzten waren Straftäter und die Höchststrafe von fünf Jahren nach Par. 15.1 FAG war mehr als die Strafe für das fahrlässige Auslösen einer atomaren Explosion. Ich erinnerte daran, daß zu Zeiten Konrad Adenauers die öffentliche Aufstellung von Kondomautomaten wegen Förderung der Prostitution verboten war und bereits eine nackte Brustwarze als pornographisch galt. Immerhin bestätigte uns der Polizeivertreter, daß trotz inzwischen geänderter Moralvorstellungen mit der Fleischbeschau am Zeitschriftenkiosk und dem von der CDU eingeführten Tuttifrutti-Privat-TV die Zahl mißbrauchter Kinder in den vergangenen Jahrzehnten in etwa unverändert geblieben ist.

Mir geht es um die mißbrauchten Kinder, überwiegend Mädchen. Wie kommt es zum Mißbrauch und wo findet er statt? Genau diese Frage wird in der Regel verschwiegen. Es sind völlig normale Menschen, völlig normale Familien. Die Ehe ist monoton bis zerrüttet, im Bett findet nichts mehr statt. Die Frau hat keine Lust mehr, viel für den einst geliebten Mann zu tun. Der taucht im Leben nur als abendlicher Schatten auf, der TV glotzt und sich von flüssigem Brot ernährt. Da besorgt eben die älteste Tochter den Haushalt. Oft tut sie das bereits mit zehn bis zwölf Jahren. Irgendwann kommt sie in die Pubertät und spätestens dann meint der Vater, wenn sie für ihn kochen kann, dann gehts auch im Bett.

Was soll ein Kind in der Lage tun? Fremde wie Frau Nolte anrufen hilft ganz bestimmt nicht, denn die können sich das Standard-Problem in familiärer Form eher nicht vorstellen. Das liegt vielleicht an einer rosa christlichen Brille, die sogar den Mißbrauch von Kindern durch triebgehemmte Pfarrer möglichst übersehen will. Der Mutter kann sie es meist auch nicht erzählen, denn das gäbe die nächste Katastrophe. Erst wenn ein paar Jahre später einer jüngeren Schwester das gleiche Schicksal droht, bekommt die Mutter Klartext erzählt.
Dann knallt es in der Familie. Oft ist die Tochter reifer als die Mutter und es kommt zu keiner Anzeige. Was soll die noch ändern? Dem Kind wurde vom Vater die Jugend gestohlen, die erste Liebe, das Glück und die Freude. Gewalt, Macht und Druck war der Alltag; Geheimnisse und Drohungen die Musik. Das ist keine Story für die Yellow Press oder ein TV-Magazin wie GRELL-TV. Das Zeigen auf KiPo-Bilder und auf das böse, böse Internet ist eine praktische Ersatzhandlung, die ablenken soll von der Banalität des Bösen im bekannten Familienalltag.

Die Umwelt schreit empört auf: "Was sind das für Monster, die so etwas tun!" Um sie zu bekämpfen, sollen Cybercops im Internet "anlaßunabhängig" nach Dreck suchen und Internet-Provider ihre Benutzer überwachen. Michael Meister, der stellvertretende Vorsitzende der Medien-Enquete-Kommission des Bundestages fordert sogar:

"Man müßte (dem Internet) eine Redaktion vorschalten, die auswählt, was ins Netz geht", so auf http://www.taz.de/~taz/980924.taz/is_T980924.167.html
Die Hetze zeigt Wirkungen. So konnte die Einrichtung von Gendatenbanken gesellschaftlich durchgesetzt werden, obwohl die Ausnutzung herkömmlicher Ermittlungsmethoden in dem Fall ausgereicht hätte, der dazu mißbraucht wurde.
Der Alltag Betroffener ist kein Thema. Eine junge, mißbrauchte Frau im Frauenzentrum in Freiburg erzählte vor etwa zehn Jahren, als Kindesmißbrauch noch weit mehr Tabuthema war als heute, in etwa: "ich habe geträumt, daß ich an der Uni war und daß ich für eine Klausur eine bessere Bewertung bekommen habe, weil ich es wegen dem Mißbrauch so schwer gehabt habe. Und dann bin ich aufgewacht und alles war genauso schwer wie vorher und ich wußte, daß es das in unserer Welt nicht gibt".

Genauso ist es immer noch. Nicht einmal offen darüber sprechen können die Opfer. Die in ihrer Kindheit von sexueller Gewalt verstörten Kinder müssen Jahre ihres Lebens darauf verwenden, um vom Zustand des Überlebens wieder zum Leben zu kommen, um wieder Vertrauen zu finden und Nähe ohne Angst erleben zu können. Diesen Opfern hilft die Hysterie mit Kinderpornographie keinen Deut. Es geht auch nicht um die Täter, die als Unmenschen dargestellt werden. Wenn es um Vorbeugung ginge, müßte versucht werden, zu verstehen, wie es überhaupt dazu kommt, daß sie Täter werden. Denn man kann solche Gewalttaten erst dann wirksam zu verhindern versuchen, wenn man zumindest einen Teil der Gründe kennt, die dazu führen. Dieser Weg ist unbequem. Einfacher ist es, nach dem Motto vorzugehen "wir tun was". Stimmungsmache ist besonders elegant und das unbekannte Internet ist ein praktisches Mittel um vom eigentlichen Nichtstun abzulenken.

Es geht nicht einmal darum, Kinder besser zu schützen. Sonst würde man versuchen, Kinder aufzuklären. Und Kindern mehr Rechte geben statt die Rechte aller einzuschränken. Sonst würden zuerst mögliche Täter überprüft, bevor man DNA-Datenbanken anlegt. Sonst würde man Geld in Organisationen wie Wildwasser und Kinderschutzbund investieren.

Worum es wirklich geht, braucht hier nicht erklärt zu werden, denn es liegt auf der Hand und es zu sehen, bleibt dem intelligenten Leser selbst überlassen.

wau@ccc.de (dankt mel@muc.de)

 

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