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Deutsche Kryptopolitik
In der DDR wurde in der Schule gelehrt, daß die Regierung in der BRD im wesentlichen von den Interessen der Wirtschaft bestimmt wird. Nach 1989 stellte sich heraus, daß da noch eine gehörige Anzahl von anderen Lobbygruppen eine Rolle spielt, daß die Regierung aber tatsächlich nichts ernstes gegen die Interessen von Banken, Industrie und ADAC unternehmen kann. Diese Umstände wurden bisher von der Realität nicht widerlegt. In den letzten Wochen kamen Zweifel auf. Das deutsche Innenministerium verfolgt unbeirrbar das völlig realitätsferne Ziel einer Kryptoregulierung in der einen oder anderen Form. Alle in den USA gescheiterten Vorstöße werden nochmal in Deutschland ausprobiert. Ob Schlüssellängenbegrenzung, Key Escrow, Key Recovery oder staatlicher Verschlüsselungschip mit Hintertür - in den USA längst am Widerstand von Industrie und Aktivisten gescheitert, in Deutschland neu aufgelegt. Trotz massiver und klarer Stellungnahmen von Banken und Industrie gegen jedwede Form der Beschränking von Kryptographie gibt es offenbar ein starkes eigenständiges Interesse bestimmter Teilbereiche der Regierung daran, das Mitlesen aller Nachrichten bis in alle Zukunft zu ermöglichen. Nur: für wen? Die deutschen Geheimdienste haben schon immer die Möglichkeit gehabt, Informationen an der Quelle abzuschöpfen. Wenn man in eine Telefonverbindung nicht eindringen kann, verwanzt man halt das Telefon, auch wenn das teurer kommt. Das sich die wirklichen Kriminellen nicht von Verboten beeindrucken lassen, sondern die Werkzeuge verwenden, die optimale Ergebnisse bringen, ist bekannt. Die Mafia läßt sich durch das Kriegswaffenkontrollgesetz schließlich auch nicht daran hindern, Leute mit Maschinenpistolen zu erschießen. All dies wissen die Verantwortlichen im Innenministerium natürlich auch. Wo liegt also der tiefere Grund für ein derart massives Beharren auf einer offensichtlich sinnlosen und nicht durchsetzbaren Regelung? "Höhere Politk" lautet die gängige Floskel. Das ist sowas ähnliches wie "Nationale Sicherheit". Diese Begriffe werden benutzt, wenn es keine rationalen Gründe für Handlungen mehr gibt, sondern es um reine, absolute Macht geht. Wenn es an die elementaren, nicht-öffentlichen Grundfesten eines Staates geht. Im Falle des Kryptoverbotes könnte es sich durchaus um geheime Verträge zwischen der Bundesrepublik und den USA handeln, die die Zusammenarbeit in Sicherheits-, Verteidigungs- und Geheimdienstfragen regeln. Daß es solche Verträge geben muß, ergibt sich zwingend aus der Art des Umgehens mit den Abhörstationen der NSA auf deutschem Boden (z.B. in Bad Aibling). Wie weitreichend die Verträge sind, ist unklar. Nicht unwahrscheinlich ist, daß die deutsche Regierung sich schon zu Zeiten der Gründung der Republik und erneut bei der Neufassung der Verträge 1989 dazu verpflichtet hat, den Amerikanern Mithörmöglichkeiten bis in alle Zukunft zu gewährleisten. Ohne eine Reglementierung der Verschlüsselung wäre eine solche Verpflichtung nichts mehr wert. Davon, daß die US-Regierung schon in der Frühzeit der Bundesrepublik dafür sorgte, daß die Bundeswehr Verschlüsselungssysteme auf Basis einer modifizierten Wehrmachts-Enigma verwendete, kann man heute ausgehen. Die Erkenntnis, daß die Enigma überhaupt geknackt wurde, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht öffentlich. Die USA haben über die Jahre dreistellige Milliardenbeträge in ihre weltweite Überwachungsinfrastruktur investiert. Die diesem Netz zugrunde liegenden Methoden und Verfahren sind teilweise dem zivilen Stand der Technik Jahre voraus. Daß dieses Geld nun nicht einfach so als Verlust verbucht werden kann, dürfte klar sein. Die Daumenschrauben, die bei der Gründung der BRD eingebaut wurden, werden offenbar nun angezogen. Die "Bündnisstreue" wird eingefordert. frank@ccc.de
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[Datenschleuder]
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