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Fernsehen

Schütze sich, wer kann?

Ein subjektiver Erlebnisbericht

Die Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM) hatte geladen. Unter dem Titel "Schütze sich wer kann? Programminhalte und Jugendschutz im digitalen Zeitalter" veranstaltete sie einen Tag in der documenta-Halle in Kassel, zu der ich ein einführendes Referat zur Laswell-Formel im digitalen Zeitalter halten durfte; "Who says what to whom in which channel with what effect".

Zunächst jedoch war Geduld, Nachsicht und Stillsitzen gefragt. Meine Lieblingstätigkeiten sozusagen. Crrrr. Die Begrüssungsworte waren noch grad zu ertragen, die Rede des Vorsitzenden der Gemeinsamen Stelle Jugendschutz und Programm der LMA schon weniger. Obwohl sich mein Anfangsverdacht, an einer Veranstaltung mit Menschen teilzunehmen, die ihren Lustgewinn aus Regelung und Kontrolle gewinnen, nur bedingt bestätigt hat. Die Frage lautete anfänglich aber schon erstmal nicht ob, sondern wie man das Internet und die dortigen Inhalte unter die Fitiche nehmen könne.

Wobei die Materie selbst noch eher in unerreichbarer Ferne für die staatlichen Medienhygieneinstitute ist. Die haben erstmal genug daran zu schlucken, dass es Satelliten gibt, die sich nicht um nationale Grenzen und Gesetze kümmern und Sender, die das wissen. So sind dänische und schwedische Fernsehsender sexuell etwas freizügiger als es die deutschen Vorschriften erlauben, aber nicht minder beliebt bei deutschen Zuschauern.

In meinem Referat war ich gebeten worden, auf die "neuen" Medien und ihre Funktionsweisen einzugehen - und dann hieß es auf einmal, auch digitales Fernsehen müsse Erwähnung und Erklärung finden. Damit habe ich dann auch angefangen, mit der Frage, was Fernsehen denn mit neuen Medien zu tun hat.

Ob analog, digital, mit oder Setzdraufkiste - Fernsehen ist nach meinem Empfinden nun mal altes Einwegmedium. Vom Sender zum Empfänger ("Konsument"), werbungsbeladen und wirtschaftlich orientiert. Mit Sportberichten und Lottozahlen in der Tagesschau (und das ist angeblich noch die seriöseste Nachrichtensendung) usw. - mit einem Wort: uninteressant. Von mir aus können Sie Fernsehen auch wegen Volksverdummung verbieten, habe ich ihnen gesagt. Mal sehen, ob es hilft.

Zumindest die Punkte wirtschaftlich orientierte Programmgestaltung, Dominanz von Werberahmenprogramm und sinkender Realanteil stießen auf einige Zustimmung. Man muß sich dabei aber auch klar machen, was für einen Beruf die Leute haben. Die müssen teilweise den ganzen Tag Fernsehen gucken und darüber befinden. Sozusagen psychische Folter gegen finanzielle Entschädigung.

In einer halben Stunde die Dienste des Internet zu erklären und vorzuführen, war zwar nicht wirklich in der ausführlichen Variante möglich, aber irgendwie zumindest im groben. Meine Vorgabe war, denen nicht nur zu vermitteln, an welche technischen Probleme Informationsblockaden stoßen, sondern vor allem, warum das aus gesellschaftlicher Sicht nicht sinnvoll ist. Kernkonflikt ist für mich dabei Kanal- gegen Kommunikationsmodell, genauer: repräsentativ gegen interaktiv.

Denn die Vorstellung, man müsse zum Schutz der Gesinnung repräsentativ für den Zuschauer sorgen, kontrollieren und zensieren stammt genauso wie das Fernsehen selbst aus der alten repräsentativen Medienwelt. Im Fernsehen wird für einen gedacht, gehandelt und getan. Genau das halte ich für den verdummenden Faktor. Durch eine Teilnahmesimulation am Geschehen wird im Gehirn ein Prozess ohne eigene Teilnahme projeziert. Das so Erlebte ist aber eben nicht erlebt, sondern nur rezipiert. Denn durch reinen Medienkonsum - oder etwas netter formuliert, durch reine Informationsaufnahme - entsteht noch keine Weisheit.

Nur durch verstandene Erfahrung entsteht Bewußtsein, wenn überhaupt. Also etwa

Erfahrung + Information (Verständnis) =
Bewusstsein

Das Schöne an Kommunikation ist, daß man dadurch Erfahrung macht. Will sagen, man muß nicht gegen jede Wand selbst fahren, es genügt oft, mit jemandem zu reden, der es gemacht hat. Und manchmal sogar, mit jemandem die Möglichkeit des Vorhandenseins der Wand mit Hilfe Dritter zu erörtern.

Die Förderung freier und ungehinderter Kommunikation steht vielleicht aus diesem Grund sogar in der Satzung des Chaos Computer Club. Inzwischen habe ich für mich jedenfalls klar, wie wichtig dieser Gedanke ist. Und das ist sozusagen das Kommunikationsmodell, interaktiv. Damit meine ich sozusagen die volle Interaktivität zwischen den Teilnehmern. Wer Interaktivität auf die "Auswahlinteraktivität" einer Fernbedienung reduziert, begeht eigentlich ein Verbrechen am Wort, wenn nicht an der Menschheit. Mit der Errichtung einer technischen Infrastruktur, die volle Kommunikationsinteraktivität zulässt, ist allerdings noch keine Vernetzung der Teilnehmergehirne erreicht. Oder, um es mit Waus Worten zu formulieren: durch technische Netzwerke entstehen keine sozialen Netzwerke, Zumindest nicht zwangsläufig.

Erwähnenswert erscheint mir im Rahmen dieses Gedankenspiels noch etwas, was ich im Rahmen einer Podiumsdiskussion auf den "Multimediatagen Schleswig-Holstein" neulich erlebte. Zusammen mit Helmut Thoma, Geschäftsführer von RTL und einigen anderen "Persönlichkeiten" durften wir laut über die Frage nach der zukünftigen Entwicklung sinieren.

Thoma war vor mir dran und kam gleich zum Kern: "Aber der Konsument will doch gar keine Interaktivität, der will Unterhaltung, Sport und Spannung" faßte er seine Auffassung etwa zusammen.

"Ralf Brunowsky:
Herr Thoma, was ist mit dem Vorwurf, daß das Fernsehen das Aktivitätspotential systematisch abgebaut hat?

Prof. Dr. Helmut Thoma:
Das haben Unterhaltungsangebote schon seit dem Alterturr an sich. Auch in einer Oper kann man nicht eingreifen und den Handlungsablauf wesentlich verändern. Da würden kleine Revolutionen geschehen."

Auf meine zunächst vorsichtig formulierte Frage, ob denn das Fernsehen den Menschen nicht in eine Rolle presse, aus der er gar nicht mehr herauskommt und nur die Auswahl zwischen den verschiedenen Programmen und dem Ausschalter (noch) lässt und vor allem, ob denn die Möglichkeit einer aktiven Mediennutzung erst einmal geschaffen werden müsse, um zu beurteilen, welche Anforderungen die Menschen haben, wußte Thoma gleich die Antwort: "Der Konsument will das nicht."

Ich dachte zunächst, er hätte mich nicht verstanden. Und führte das noch etwas aus: Es wäre ja zumindest möglich, daß ein veränderter Mediengebrauch (vom Konsumenten hin zum Aktivbenutzer) durch veränderte ("neue") Medien eintritt. Doch - wie ich schließlich einsehen mußte - scheiterte das Gespräch und der Informationsaustausch an einem begrifflichen Definitionsproblem. jedesmal, wenn ich "Mensch" sagte, verstand Thoma "Konsument". Traurig, aber wahr. Für ihn besteht die Menschheit aus Konsumenten - andere Bilder passen da nicht rein.

Im Grund genommen, möchte ich abschließend sinnieren, hat sich Thoma in seiner eigenen VR eingeschlossen: in einer Begriffswelt, aus der er blöderweise nicht mehr rauskommt. Dumm gelaufen. Viel dummer gelaufen ist allerdings die Entwicklung - die beschert Thoma wohl Zeit seines Lebens noch ein fettes Einkommen. Und wir und zukünftige Generationen müssen dann mit den so produzierten Konsumenten klarkommen. Bleibt als Trost nur Wargames: "Things will never be the same."

Andy M,-M.
 
 
 

 

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