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Singapur - Insel im DatennetzEin Chaos-Vertreter reiste Ende 1995 zu einer European-Asia-Conference der Friedrich-Ebert-Stiftung und EU nach Singapur. Etwas trocken, aber dennoch informativ, hier seine Eindrücke von einem Modellstaat und staatlicher Zensur im Internet. Singapur entwickelt sich mit seiner vor vier Jahren gestarteten Initiative "1T2000" zum Modellstaat der Informationsgesellschaft. Um die Kontrolle im Land zu behalten, unterstellt die Regierung, weltweit einmalig, alle Internet-Dienste und Computer-Netzwerke der staatlichen Rundfunkaufsicht, und damit auch der Zensur. Rama Meyyappan kann sich über Arbeitsmangel nicht beklagen. Er ist einer von 16 staatlichen Zensurbeamten, die jährlich mehr als 25.000 Dokumente, Zeitungen oder Filme kontrollieren und zensieren müssen, um dem Bürgerwillen im Stadt- und Inselstaat nachzukommen. Zensur hat Tradition im hochtechnisierten Singapur. Die knapp drei Millionen Einwohner halten Zensur für zwingend notwendig, um zum Beispiel Aufstände und Blutbäder radikaler Gruppierungen, wie 1964 am Geburtstag des Propheten Mohammeds oder 1969 aus Malaysia zu verhindern - und vor allem Jugendliche vor westlichen Pornographieangeboten zu schützen. Eindeutiges Votum: »Sicherheit und Schutz kommt vor Freiheit«. In Deutschland heftig diskutierte Themen wie »Gewalt in den Medien« rufen bei den Singapurern lediglich Achselzucken hervor. Gewalttätige Comics zählen im staatlichen Fernsehen zu den beliebtesten TV-Serien bei den Kids. Satellitenfernsehen ist in Singapur verboten, lediglich einige Sender wie CNN sind via Kabel-TV in Hotels verfügbar. "Mit Satellitenschüsseln kann man ja unverschlüsselt Pornofilme, zum Beispiel aus England empfangen", begründet Rama Meyyappan das Verbot. Ebenso nicht erlaubt: Der für europäische Verhältnisse eher harmlose "Playboy". Wer bei der Einreise am Changi-Airport mit solchen Hochglanzmagazinen erwischt wird, kann mit der nächsten Maschine den Rückflug antreten. Zensor Meyyappan weiß auch, Satellitenempfänger sind heute so klein wie Blumenkästen, auf CD oder Videokassette eingeschmuggelte Pornoangebote kaum kontrollierbar. Wer sich ein Playboy-Girl auf den heimischen Computerschirm holen will, surft im Internet zur US-Seite des Herrenmagazins. Sehr zum Verdruß einiger Herren in der autoritären Regierung, die zum Angriff auf obszöne Web-Angebote im Internet blasen. Mercedes ab 200.000 DMDie People's Action Party regiert seit der Unabhängigkeit Singapurs im Jahr 1965 unangefochten den multikulturellen und multireligiösen Schicht. Das singapurische Bildschirmtext, genannt "Teleview", zählt knapp 34.000 Abonnenten, denen die Singapur Press Holding in Bälde Internet-Dienste verfügbar machen will, so wie die Deutsche Telekom ihren fast 1.000.000 Kunden seit Herbst 1995. Eine Zensur der lokalen Tageszeitungen findet nicht statt, »im Kopf unserer Redakteure sitzt die Zensurschere", sagt Loong Yoong Wai, Chefreporter der Shin Min Daily News. Das ausländische Nachrichtenmagazine mit kritischem Inhalt über Singapur geschwärzt oder gar nicht erscheinen, stört die Singapurer nicht. Jeder hat ein Recht auf Gegendarstellung, Zeitungen, die wissentlich falsch berichten, drohen horrende Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe. Die Herald Tribune zahlte an Regierungsmitglieder bereits einen Millionentrihut für eine Ente. Gläserne StudentenNeben Sicherheit und Sauberkeit - Slogan: »Eine saubere Stadt macht glücklich« (*) - zählt in Singapur eine gute, militaristisch organisierte, Ausbildung zu den wichtigsten Staatszielen. An der Nanyang Universität tüfteln junge Wirtschaftsstudenten, kaum älter als 20 Jahre, an grafischen Business-Plänen und Marktanalysen mit Hilfe von Microsoft-Software ebenso selbstverständlich wie an der Editierung von Internet-Seiten in der »Hypertext-Sprache« des World Wide Web. Die Studenten werden nach dem IT2000-Plan lückenlos mit ihrem Foto und allen Lebens- und Lerndaten zu Beginn in der "Integrated Student Data Bank" erfasst, um eine kontinuierliche Kontrolle der Bildungspolitik zu gewährleisten und ihnen nach der Devise "Bildung ist Lebensqualität" ein lebenslanges Lernen und Trainieren zu ermöglichen. Diese Daten sind zusammen mit maschinellen Daten zentral im EDUNET abrufbar, einer Entwicklung des National Computer Boards und Bildungsministeriums, "Die Fotos werden eingescannt, damit Lehrer und Professoren die Studenten mit Namen ansprechen können", meint eine Universitätsmitarbeiterin. Um Argumente ist man in Singapur nicht verlegen, und der Europäer lernt sehr schnell die von den Bürgern als "Singapore Style" geprägte, freundliche Konversation um drei Ecken. Wörter wie Datenschutz zählen in Singapur zu Fremdwörtern, lediglich ein Arztgeheimnis schätzt den Einzelnen. Die Gesellschaft hat jederzeit und überall ein wachsames Auge auf ihre Schäfchen: Jeder beobachtet einfach Jeden. Dies fängt an der Nanyang Universität auf den Toiletten an, die sich Frauen und Männer teilen. "Die Gelegenheit mal einen nackten Mann zu sehen", erklärt eine ehemalige Studentin mit Blick auf staatliche Einschränkungen. Doch die Prüderie täuscht: Hygiene ist extrem stark ausgeprägt, Aufklärung über Aids zum Beispiel findet permanent und offen statt, Krankheitsfälle sind kaum bekannt. Sauberkeit ist in Singapur ein politisches Ziel: Zahlreiche Warnschilder weisen Touristen und Einwohner auf drakonischen Strafen hin, die jedem "Schmutzfinken" drohen. Urinieren im Aufzug: 500 DM; Nichtspülen auf öffentlichen Toiletten: 150 DM; Spucken auf die Straße. 1000 DM; Drogenbesitz oder -Konsum (auch in Milligramm). Todesstrafe. Mit rund 62.000 Internet-Nutzern und einer monatlichen Steigerungsrate von 1000 Online-Neulingen wächst auch die Internet-Gemeinde in Singapur rapide an. Ein Drittel aller Haushalte besitzt einen Computer, insgesamt sind auf der Insel 640.000 PC installiert. Drei Provider versorgen die Interessenten mit Internet-Zugängen, einer davon ausschließlich im wissenschaftlichen Bereich. 38 Schulen hängen am Netz der Netze, und in spätestens drei Jahren, so plant das Bildungsministerium, sollen alle Schulen in Singapur über einen Internet-Zugang verfügen. Global ausgerichtete Online-Dienste, ob via Kabel oder Satellit, treiben die Regierung jedoch in Argumentationsnot gegenüber den eigenen Bürgern. So dürfen Sender wie MTV oder Walt Disney ihre asiatischen Satellitendienste von singapurischem Terrain für Asien anbieten, diese aber nicht ins lokale Kabelnetz einspeisen. Nur die private Fernsehkabelgesellschaft" Singapore CableVision" erprobt zur Zeit in 15.000 Haushalten den Einstieg ins multimediale Konsumentenzeitalter. Besonderes Augenmerk richtet sich aufs Tele-Shopping sowie Video-on-Demand, vor allem aber auf das lückenlos überwachte Käuferverhalten. Bedürfnisse und Wünsche ihrer Landsleute, stehen bei den stark angelsächsisch geprägten, vielfach an englischen oder amerikanischen Universitäten ausgebildeten singapurischen Geschäftsleuten an erster Stelle. Bildung als StaatszielOhne Entwicklung und Einsatz solcher Hochtechnologien ist Singapur nicht überlebensfähig, und ohne Kontrolle der Informationsflut schwinden Sicherheit und damit gleichzeitig Vertrauen in der Bevölkerung. Hochdotierte Zensurbeamte sind Mangelware im Arbeitsmarkt, die Kosten für Kontrollaufgaben explodieren mit der Informationsflut und geeignete Zensurtechnologie nicht verfügbar. Für die Wissenschaftler der Nanyang Technologie Universität und der Regierung, die nach einer umfassenden Lösung forschen, aus Angst, der Marktplatz Internet könnte zu einem Schlachtfeld von radikalen Ideen ausarten, eine der größten Herausforderungen. Denn auch in anderen asiatischen Staaten steigt die Zahl der Internet-User sprunghaft an - und damit auch die Zahl der radikalen religiösen Gruppen. Entertainment-Offerten für eine breite Masse wie TV-Programme, die unter den dortigen Rundfunkbegriff fallen, werden vom für Zensur zuständigen Informations- und Kulturministerium, wie in Deutschland von den zuständigen Landesmedienanstalten, lizensiert und strenger kontrolliert als beispielsweise Bildungs- oder Wirtschafis-, meist auf einzelne oder wenige Personen, ausgerichtete Informationsangebote. Das sich selbstverwaltende Internet wirkte auf die Zensurwissenschaftler zunächst wie ein Fremdkörper: Es fehlt ein zentraler Betreiber, das mit militärischen Forschungsgeldern entwickelte Netz ist extrem ausfallsicher, funktioniert selbst nach regionalen Atombombenangriffen noch einwandfrei und ist nur kaum kontrollierbar. Hauptbestandteil des scheinbaren »Online-UFO« aus den USA, so das Ergebnis ihrer Untersuchung, ist E-Mail. Wer elektronische Postdienste abwickelt, benötigt eine Lizenz von der staatlichen Telekommunikationsaufsichtsbehörde. E-Mail-Inhalte werden zwar nicht zensiert, wer jedoch seine Geschäftspost verschlüsseln will, muß bei Singapore Telecom rund 1000 DM für solche Funktionen berappen. Abschließendes Ergebnis der Singapurer Internet-Forscher: Cornputer-Services wie beispielsweise Diskussionsforen im Usenet und Internet-Web-Seiten fallen unter den dortigen Rundfunkbegriff, da sie öffentliche Angebote für die breite Masse darstellen. Erst kürzlich entschied sich daher Singapurs Regierung, Internet-Dienste in sogenannten "Singapore Broadcasting Authority Act" zusammenzufassen - erste Grundlage für eine staatliche Lizenzierung von Angeboten im Netz. Reine Netzanbieter bedurften schon vorher wie in vielen liberalisierten Telekommunikationsmärkten der Welt eine Art Beförderungslizenz zum Datentransport. Damit wäre nach singapurischer Definition jeder Student, der an Usenet-Foren teilnimmt, ein eigener potentieller Rundfunksender. Insel im DatennetzErfahrungen aus anderen Ländern wie die heftigen Reaktionen der Intemet-Gerneinde auf die vom US-Senat geforderte Verbannung von "obszönen Informationen" aus dem Internet, führten zur hoheitlichen Erkenntnis, daß lokale Intemet-Anbieter vorerst keine Rundfunklizenz benötigen. »In der Cyberspace-Kultur wird ein Höchstmaß an Freiheit und Anarchie zelebriert. Der freie Zugang zu Ideen und Informationen ist Bestandteil sozialer Entwicklung«, philosophiert Ang Peng Hwa und erklärt damit im "Singapore Style" das Zögern seiner Regierung. Im "globalen Dorf" möchte der Inselstaat kein Inseldasein führen. Bereits 1992 erkannten Mitglieder einer staatlichen Zensurkommission, daß Singapurs traditionelle Zensurpolitik sich kontraproduktiv zum wirtschaftlichen Strukturwandel in Richtung Hochtechnologiestaat verhält. Eine Liberalisierung schien zunächst möglich. Drei Jahre später verschaffen sich Singapurs Auslandsstudenten in zensurfreien, internationalen Internet-Foren wie "Soc.Culture.Singapore" mit sarkastischen Sprüchen über die Zensurpraxis Luft: "Singapur wird frei sein, endlich auch US-TV-Kanäle empfangen dürfen, wenn in Bosnien der Krieg beendet ist und die Hölle gefriert". Die US-Studenten aus Singapur erfahren krasser denn je, was Zensur bedeutet, sehen viele doch US-Serien in zwei Fassungen, die bild- und wortärmere einheimische "Snip-Fassung" und später dann die Originalfassung im Ausland. "Die Zensurbehörde behandelt zum Beispiel Homosexualität als Tabuthema. Da werden bereits zweideutige Worte wie das Ding aus den Fernsehfilmen geschnitten", berichtet Daniel Lau vom Apple Design Center in Singapur später in einem Usenet-Forum. Sämtlich verfügbare Computer-Software soll künftig von Filmzensoren stichprobenartig kontrolliert werden, da nach deren Ansicht jede Windows-Software rein theoretisch aus einzelnen Aktbildern bestehen könnte. Um der unliebsamen Nacktenschar Herr zu werden, ist allerdings eine Gesetzeserweiterung notwendig. Neben den bewegten Kinobildern, sollen auch Standbilder - und damit Computerprogramme - zensurkompatibel werden. Großrazzia Im InternetEines ist sicher: Singapur würde ein Proteststurrn internationaler Konzerne drohen, da deren lokale Niederlassungen Web-Seiten in Singapur anbieten und von dort zur "llome Page" im Mutterland verzweigen. Singapore Press Holding verrnarktet Web-Seiten für 950 Singapur Dollar (Kurs etwa 1.- 1) monatlich. Jedes Unternehmen kann eine Seite mieten und frei gestalten. Geschickte Web-Surfer könnten so über mehrere Querverbindungen ohne Probleme zur Penthouse- oder Playboy-Seite - ohne staatliche Zensur - gelangen. Sogenannte "GIF-Files", für den Austausch grafischer Daten standardisierte Dateien, fielen den Zensoren bereits zum Opfer. Nur durch ein Mißverständnis eines hohen Beamten, kommentiert Ang Peng Hwa eine Internet-Großrazzia, wurden alle Accounts eines kommerziellen Internet Providers nach grafischen Dateien durchsucht. In 80.000 gescannten GIF-Files fanden die Zensurbeamten mit Hilfe eines speziellen Programms tatsächlich fünf Dateien mit pornographischem Inhalt, nach dem Gesetz auch Aktfotos. Die Besitzer erhielten eine schriftliche Ermahnung, was bei vielen Nutzern heftigen Protest auslöste. "Nur um den Zensurbeamten das Leben schwer zu machen, gaben die Nutzer den Grafikdateien neue Namen. Ergebnis: die Suchprogramme funktionieren nicht mehr", berichteten die Moralhüter nach der Aktion. Durchforstet werden aber nicht nur Dateien, die Nackbildchen von den hochfrequentierten Playboy-Web-Seiten enthalten könnten, nach Richtlinien des Informationsministeriums zählen auch UsenetGroups zu den zensurfähigen Angeboten. Alle über den öffentlichen Internet Provider Singpore Telecom zugänglichen Usenet-Foren oder Web-Seiten sind nur über ein spezielles Menü zugänglich, angeblich aus"Sicherheitsgründen" , so die um Singapur besorgte Telekorn. Inwieweit auch der Zugriff auf globale Web-Seiten von Firmen eingeschränkt werden soll, lassen die Behörden und Zensurforscher zunächst offen. Zur Teilnahme an den globalen Internet-Foren waren auch für Universitäten spezielle Server angedacht, mit jeweils separaten Systemen für Studenten und Universitätsmitarbeiter. Lediglich die jährlichen Maschinenkosten von 70.000 US Dollar und ein immenser Personaleinsatz zwangen die Behörden, ihr Vorhaben abzubrechen. Staatliche InformationsoffensiveZensur in Singapur ist Wissenschaft und Sport zugleich, wen wundert's, daß die Mitarbeiter im Informationsministeriums nicht ohne einen "ordentlichen Kampf" aufgeben wollen, wie die englischsprachige Tageszeitung Straits Times verkündete. Im Frühjahr startete Singapurs Regierung daher eine eigene Informationsoffensive im Netz. Das als "Singapore Map" offziell zugelassene Internet-Angebot soll der globalen Gemeinde das "wahre Singapur" zeigen - ein hochentwickeltes, zufriedenes und sauberes Land. Selbstironisch stellen die Singapurer Behörden auf ihrer Web-Seite unter anderem Häuserwände mit Holz-, Beton- oder Steinmustern vor und laden zu elektronischer Graffitimalerei ein, Überschrift: "Der einzige Platz in Singapur, wo Graffiti nicht mit Geldbußen bestraft wird" bishop@ccc.de |
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