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Wie es zum Schlüsselhinterlegungs- und Aufbewahrungs-Gesetz (SchlAG) kam...

Nachdem die Einbruchskriminalität auch dem letzten klargemacht hatte, dass starke Haus- und Wohnungstüren mit ordentlichen Schlössern nötig seien, ja die Industrie geradezu vortrefflich stabile Türen und geradezu geistreiche Schlösser herstellte und verkaufte, stand die Polizei buchstäblich vor einem neuen Problem: Hin und wieder stand sie vor der Tür - und (k)ein Einbrecher war dahinter. Da nun aber das gewaltsame Öffnen der Tür viel schwieriger war und länger dauerte als vorher und die meisten Häuser vier Seiten haben, während Polizeistreifen nur aus zwei Personen bestehen, waren die Einbrecher oftmals schon über alle Fenstersimse, bevor die Polizei sie hätte sehen oder gar fassen können (sofern es überhaupt Einbrecher gegeben hatte - was oftmals hinterher kaum zu entscheiden war). Ähnlich schlecht ging das Ausheben organisiert-krimineller konspirativer Treffen. Unsere Gesetzeshüter waren grenzenlos frustriert.

Deshalb wurde der Arbeitskreis "Strategische Unsicherheits-Studien (StUsS)" beauftragt, Lösungsvorschläge auszuarbeiten. In Nacht- und Nehelsitzungen wurde erwogen:

  • Polizeistreifen werden auf 4 Beamte verstärkt, was die Personalkosten jedoch verdoppelt und deshalb mit der Maxime sparsamen Bürgerschutzes nicht vereinbar schien.

  • Es werden nur noch dreieckige Häuser zugelassen, so dass 3er Streifen ausreichen und die Kostensteigerung nur massvolle 50% erreicht. Das Amt für Denkmalschutz protestierte aufs Schärfste und da die meisten Politikerlnnen viereckige Häuser besaßen, war der Vorschlag hiermit vom Tisch,

  • Die neuen Türen werden verboten. Dies wurde als politisch nicht durchsetzbar erachtet, da jahrelang neue Türen propagiert worden waren und inzwischen jedermensch die Einbruchsproblematik bei schwachen Türen oder Schlössern begriffen hatte.

  • Die neuen stabilen Türh mit einem ordentlichen Schloss erhalten einen zusätzlichen Notknopf, mit dem sie von aussen jederzeit geöffnet werden können. Die missbräuchliche Benutzung des Notknopfs wird mit hoher Strafe belegt, verdeutlicht durch Beschriftung des Notknopfs mit "Nur für den Dienstgebrauch von Polizei und Rettungsdienst bei Gefahr im Verzug oder Vorliegen einer richterlichen Genehmigung". Die JuristInnen betonten, dieser Vorschlag behindere die Türen- und Schlösserindustrie in keiner Form, insbesondere nicht den Export der neuen Hochsicherheitstechnik. Und Missbrauch des Notknopfs sei verboten - sie sähen überhaupt kein Problem. Die PolitikerInnen lobten, die Lösung stehe nicht im Widerspruch zu den bisherigen Presseerklärungen und Wahlversprechen. Der Vorwurf der "Schlüssellüge" könne nicht erhoben werden. Alle waren sich einig, bis der Industrievertreter der Schlösser- und Riegelproduzenten - ein verbohrter Ingenieur ohne jedes juristische und politische Taktgefühl - meinte, warum denn dann nicht gleich das ganze moderne Schloss samt Notknopf weggelassen würde und lediglich das Schild montiert: »Eintritt von Polizei und Rettungsdienst nur bei Gefahr im Verzug oder Vorliegen einer richterlichen Genehmigung«. Das spare Kosten und sei funktional äquivalent.

Der Arbeitskreis StUsS war ratlos, bis Prof. ein. Dr. Dr, h.c. mult. Oberklug auf die rettende Idee kam:

Jeder, der eine neue stabile Tür mit einem ordentlichen Schloss besitzt, muss einen Schlüssel bei der örtlichen Polizei hinterlegen.

Der Vorschlag war grandios, leider aber nur unvollkommen durchführbar: Manche fühlten sich durch den Gedanken, die Polizei könnte jederzeit unentdeckt in die Privatwohnung wie auch das Büro eindringen, gestört - und wurden bei der Schlüsselübergabe noch mit der Nase darauf gestossen. Andere vergaßen einfach, den Schlüssel. zu hinterlegen.

Nach wenigen Monaten wurde der Arbeitskreis StUsS erneut zusammengerufen, um eine bessere Lösung zu finden. Da nun wuchs der Vorsitzende des Dachverbandes der Schlösser- und Riegelproduzenten in staatsbürgerlichem Gehorsam über sich und Prof. Oberklug hinaus und schlug folgendes vor:

  • Bereits der Schlüsserproduzent liefert für jedes Schloss einen Schlüssel bei der Bundespolizei ab. So könne das Schlüsselabliefern nicht vergessen werden.

Der Staatsminister Dr. Behueteuchall war entzückt und nahm sich vor, dies in den Entwurf des Schlüsselhinterlegungs- und Aufbewahrungs-Gmtzes (SchlAG) hineinzuschreiben. So geschah's und die Unruhe in der Bevölkerung nahm ab, denn die Schlosskäufermassen wurden geschont und über die zentrale computergestützte Schlossverbleibsdatenbank zum Schlossendverbraucherverwendungsnachweis kaum öffentlich diskutiert. Manche PolitikerInnen fühlten sich zwar zur Information der Öffentlichkeit verpflichtet - sie konnten aber mit dem Argument, nicht der organisierten Kriminalität den Weg zu den Schlüsseln zu weisen, davon abgebracht werden. Denn in einem waren sich alle einig: Solch eine Datenbank ist nicht zu schützen - hier hilft nur verstecken und schweigen. Und so fiel dann auch niemand auf, dass das weitere Ansteigen der Einbruchskriminalität weniger an zu laschen Gesetzen als vielmehr daran lag, dass viele Schlüssel doch in die falschen Hände gelangten. Auch nahmen die konspirativen Treffen nicht ab - sie fanden nur woanders statt. Auffällig waren die gesündere Gesichtsfarbe der organisierten Kriminellen im Sommer und häufigere Erkältungskrankheiten im Winter.

Sie halten diesen AnSchlAG auf Sicherheit Unverletzlichkeit der Wohnung und Privatsphäre für frei erfunden und aberwitzig unsinnig.

Mit dem zweiten haben Sie recht, mit dem ersten leider nicht:

Stellen Sie sich statt Wohnungen und Häusern Rechner in der künftigen Inforrnationsgesellschaft vor, statt Schlössern kryptographische Systeme, statt materieller Schlüssel digitale Bitmuster, statt Notknöpfen leicht brechbare kryptographische Systeme, statt versteckter konspirativer Treffen ausserhalb von Wohnungen mittels Steganographie unentdeckbar gut versteckte geheime Nachrichten. Überlegen Sie, wie viel leichter und unentdeckter immaterielle Schlüssel aus der Datenbank entwendet werdet können als materielle Schlüssel. Und dann denken Sie an die Key-Escrow-Debatte (Clipper etc,) in den USA, die Diskussion über ein Kryptogesetz hinter verschlossenen Türen (ohne Notknöpfe) in Bonn, lesen Sie das Prachtwerk unserer Regierung, die Femmeldeverkehrs-Überwachungs-Verordnung (FUEV), insbesondere Par. (4). Sie finden Sie unter http://www.thur.de/~ulf/ueberwach.

Wenn Sie danach nicht nur ungläubig staunen, sondern zutiefst entsetzt sind, dann tun sie was dagegen - das ist in einer Demokratie nicht nur Ihr Recht, sondern fast auch Ihre Pflicht. Schreiben Sie beispielsweise an den Innenminister, den Minister fuer Post und Telekommunikation (Bundesministerium fuer Post und Telekommunikation, Postfach 8001, D- 53105 Bonn, Tel. 0228 / 14-0), den Bundeskanzler, die Parteien. Und wenn Sie einen Polizisten oder eine Polizistin treffen - spenden sie Trost, falls der Schlüssel zur Verbesserung der Welt fehlt. Nicht dass uns noch alle der SchlAG trifft.
Andreas Pfitzmann
pfitza @inf.tu-dresden.de

Verschlüsselungsverbot: der Stand der Debatte

Briefumschläge werden seit altersher verwendet, Postspionage gibt es auch schon eine geraume Weile. Ziemlich früh kamen die Kommunikationsabhängigen auf den Trick mit dem Siegelwachs, die etwas Schlaueren benutzten primitive Verschlüsselungsverfahren, die heutzutage unter dem Begriff Verschleierung laufen.

Die Briefumschläge für das e-mail-Zeitalter heißen RSA, IDEA oder PGP und haben eins gemeinsam: bei genügender Schlüssellänge wird das heimliche Mitlesen extrem schwer bis unmöglich.

Was tun? Organisiert bombenlegende Drogenhandelsnazikriminelle müssen schließlich überwacht werden. Das Beste ist, Briefumschläge einfach für alle zu verbieten. So dachten jedenfalls die verantwortlichen Sicherheitsbeauftragten in Geheimdiensten und Beratergremien. Um die Öffentlichkeit nicht allzusehr zu beunruhigen, erfand man in den USA den bedingt durchsichtigen Briefumschlag und nannte ihn Clipper-Chip. In mehr diktatorisch verfassten Staaten wie Rußland und Frankreich machten sich die Großen Führer nicht allzuviele schlaflose Nächte und verboten das ganze Teufelszeug einfach. Wer dort verschlüsseln will, braucht eine regierungsamtliche Lizenz und muß, weil der Staat ja dortzulande bekanntlich absolut vertrauenswürdig und korruptionsfrei ist, seine Schlüssel bei einer entsprechenden Behörde hinterlegen.

In Deutschland ist der Umgang mit Verschlüsselung in den letzten Jahren eher uneinheitlich. Einerseits wurde mit dem BSI eine Behörde geschaffen, die als zentrale Zertifizierungs- und Schlüsselhortungsstelle fungieren könnte, wenn alles außer staatlicherseits zertifizierter Verschlüsselung verboten wäre. Andererseits ist Verschlüsselungstechnik spätestens seit der Enigma ein deutscher Exportschlager.

Die wichtigste deutsche Firma für derartiges Gerät, die Crypto AG, sitzt in der Schweiz; der Eigentümer ist die Bundesrepublik. Der Bereich Verschlüsselungstechnik nimmt bei Unternehmen wie Siemens, Bosch oder Alcatel einen immer größeren Stellenwert ein, insbesondere im Exportgeschäft. Insofern hat die Industrie nur ein sehr begrenztes Interesse an einer restriktiven Handhabung des Problems. Volkswirtschaftlich betrachtet ist das Risiko, durch unzureichende Verschlüsselung bevorzugtes Opfer von Industriespionage durch gut ausgerüstete Konkurrenten oder ausländische Dienste zu werden, nicht vertretbar.

Wie Beispiele in der jüngsten Vergangenheit (z.B. der Verlust eines großen Bahnprojekts in Südkorea durch ein offenbar abgehörtes internes Fax) zeigten, können die Schäden durch Nachlässigkeit in diesem Bereich erheblich sein.

Das sehen die Bürokraten in der EG nicht ganz so und auch in diversen deutschen Sicherheitsbehörden ist man sich noch nicht ganz sicher, ob denn nun jeder die wirklich guten Briefumschläge benutzen dürfen sollte. Daß Verschlüsselung bereits inkriminiert wird, zeigt sich meist nur in kleinen Details. So wurden etwa bei Hausdurchsuchungen gegen das angebliche Umfeld der in Deutschland verbotenen Autonomen-Postille "radikal" vor allem Rechner mitgenommen, auf denen Verschlüsselungssoftware installiert war.

Die Konferenz der Justizminister registrierte bereits Handlungsbedarf (siehe Dokumentation Seite 6).

In Brüssel werden gerade, vorerst noch halbherzig, europäisch-einheitliche Regelungen zur Verschlüsselung debattiert. Wegen der allgemein bekannten Unfähigkeit der deutschen Vertreter alldort und der ebenfalls bekannten hartnäckigen Neigung insbesondere der Franzosen, ihre nationalen Sicherheitshubereien europaweit auszudehnen, könnte sich auch dort problematisches Zusammenbrauen.

Wenn man bedenkt, daß die EU-Kommision zur Zeit ernsthaft darüber verhandelt, eine europäische Quotenregelung im Internet einzuführen, ahnt man die möglichen Damoklesschwerter. (Da das Internet ein Broadcastmedium ist, muß es ja schließlich unter die EU - Regelungen für Fernsehsender fallen, und die müssen offziell ihr Programm mit 51% europäischen Produktionen bestücken. In der DDR mußten die Radiosender auch 60% Ostmusik spielen ... ) An entsprechender Aufklärungs- und Lobbyarbeit in Brüssel besteht offenbar massiver Bedarf.

Die letzten Nachrichten aus den USA besagen, daß der Clipperchip dank des anhaltenden Widerstands der Bürger- und Cyberrechtsgruppen kaum Akzeptanz findet.

In Senat und Repräsentantenhaus wurde gerade eine parteiübergreifende Gesetzesinitiative eingebracht, die ein deutliche Entschärfung der Restriktionen gegen den Export halbwegs sicherer Cryptoprodukte vorsieht.- Die Chancen dieser Initiative sind bei Redaktionsschluß noch nicht beurteilbar, da sie von relativ wenigen Parlamentariern eingebracht wurde.

Im Lichte der Einstellung des Verfahrens gegen den PGP-Autor Phil Zimmermann scheint sich aber einiges zu bewegen. Bestimmendes Diskussiontherna in den USA ist aber z.Z der Communications Decency Act (CDA), kurz auch Internetzensurgesetz genannt.
frank@ccc.de



 

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