Lohn motiviert oft nicht
Kreativität und Interesse schwinden, wenn
Gewinnstreben ins Spiel kommt
Laborratten bekommen Leckerbissen, gute Schüler bekommen Einsen, und Arbeitnehmer Gehaltserhöhungen.
Es ist eine Binsenweisheit für die meisten von uns, daß Belohnungen zu besseren Leistungen
führen. Stetig zunehmende Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, daß dieses Gesetz nicht
annähernd so festgefügt ist, wie man zu glauben geneigt ist. Psychologen haben herausgefunden,
daß Belohnungen die Leistungsbereitschaft verringern können, besonders wenn die Leistung
Kreativität erfordert.
Eine verwandte Reihe von Studien zeigt, daß Interesse an einer Aufgabe - die Wahmehmung, daß
etwas aus sich selbst heraus Wert ist, getan zu werden - typischerweine nachlässt, wenn jemand dafür
belohnt wird, es zu tun.
Wenn eine Belohnung - Geld, Preise, Lob, oder der Sieg in einem Wettbewerb - als der Grund gesehen wird, etwas
zu tun, so wird die Tätigkeit als weniger angenehm aus sich selbst heraus empfunden.
Mit Ausnahme einiger Behavioristen, die jegliche Existenz einer intrinsischen Motivation abstreiten, sind diese
Folgerungen in psychologischen Fachkreisen inzwischen weithin akzeptiert.
Zusammengenommen deutet alles darauf hin, daß wir unbewußt Interesse und Engagement unserer Arbeiter,
Studenten und Künstler verschenken.
Die Beobachtung, daß Belohnungen kontraproduktive Effekte haben können, basiert auf mehreren Studien,
die Ergebnisse wie die folgenden gebracht haben: Kleinkinder, die für das Malen belohnt werden, werden
weniger wahrscheinlich selbst malen als Kinder, die "nur zum Spaß" malen. Jugendliche, denen Belohnungen
für Wortspiele angeboten werden, haben weniger Spaß an der Sache und erreichen weniger als andere, die
ohne Belohnungsanreiz spielen. Angestellte, die für das Erreichen der Erwartungen ihres Chefs gelobt werden
[Planerfüllung - der Übersetzer] , erleiden einen Verlust an Motivation.
Ein großer Teil der Forschung über Kreativität und Motivation wurde von Theresa Amabile,
Associate Professor der Psychologie an der Brandeis Univesity, durchgeführt. In einem Forschungsbericht
von Anfang 1986 über ihre (damals) letzten Studien berichtete sie über Experimente mit
Grundschülern und College-Studenten. Beide Gruppen wurden gebeten, "sinnlose" Collagen (Klebebilder)
anzufertigen. Die Jüngeren sollten außerdem Geschichten erfinden.
Die am wenigsten kreativen Arbeiten (nach der Bewertung durch mehrere Lehrer) wurden von Schülern
angefertigt, die sich wegen einer Belohnung am Experiment teilnahmen. Es mag sein, daß vertragsgebundene
Arbeit allgemein weniger kreativ ausfällt als Arbeit, die aus purem Interesse getan wird," gab Frau Amabile
zu bedenken.
In 1985 bat Frau Amabile 72 Schriftsteller in Brandeis und Boston, Gedichte zu schreiben. Einige Studenten
erhielten eine Liste mit extrinsichen (äußeren) Gründen, zu schreiben, zum Beispiel Beeindrucken
der Lehrer, Geldverdienen und Aufnahme in Graduiertenkurse, und wurden angehalten über ihre Dichtung unter
diesen Aspekten nachzudenken. Andere erhielten eine Liste mit intrinsischen Gründen: Das Spielen mit Worten,
sich selbst Ausdrücken, und so weiter. Eine dritte Gruppe bekam keine Liste. Alle wurden dann gebeten, mehr
zu schreiben.
Die Resultate waren eindeutig. Die Studenten mit den äußeren Gründen schrieben nicht nur weniger
kreativ als die anderen, wie zwölf unabhängige Dichter beurteilten, sondern die Qualität ihrer
Arbeiten fiel signifikant nach dem Überreichen der Liste. Belohnungen, behauptet Frau Amabile, haben diesen
destruktiven Effekt primär bei kreativen Tätigkeiten, einschließlich dem Lösen komplexerer
Probleme'. Je komplexer die Aktivität ist, umsomer wird sie durch extrinsische Belohnungen betroffen,"
schreibt sie.
Andere Forschungen zeigen, daß Künstler keineswegs die einzigen Betroffenen sind.
In einer Studie unterrichteten Mädchen aus der 5. und 6. Klasse jüngere Kinder weit weniger effektiv,
wenn ihnen für gute Arbeit Kino-Freikarten versprochen wurden. Die Studie, durchgeführt von James
Cabarino (inzwischen Präsident des Erikson Institute for Advanced Studies in Child Development, Chicago),
zeigte, daß für eine Belohnung arbeitende Tutoren länger brauchten, um Ideen zu vermitteln,
leichter frustriert wurden und insgesamt weniger bewirkten als die ohne Belohnungsaussicht arbeitenden.
Solche Ergebnisse stellen den weitverbreiteten Glauben in Frage, daß Geld ein effektives und sogar
notwendiges Mittel ist, Leute zu motivieren. Sie fordern außerdem die behavioristische Ansicht heraus,
daß irgendeine Aktivität wahrscheinlicher stattfindet, wenn sie belohnt wird. Frau Amabile sagt,
daß ihre Forschung "definitiv die Behauptung widerlegt, daß Kreativität wirksam konditioniert
werden kann."
Aber Kenneth McGraw, Associate Professor der Psychologie an der Univesität von Missisippi, gibt zu Bedenken,
daß dies nicht den Behaviorismus als solchen entwertet. "Die grundlegenden Prinzipien von Verstärkung
und Belohnung sind sicherlich wirksam, wenn auch in einem eingeschräkten Kontext" - eingeschränkt auf
Aufgaben, die nicht übermäßig interessant sind.
Die Forscher bieten verschiedene Erklärungen für ihre überraschenden Ergebnisse über
Belohnung und Leistung an.
Zuerst ermuntern Belohnungen Leute, sich eng auf eine Aufgabe zu konzentrieren, sie so schnell wie möglich
zu erledigen und wenig Risiken einzugehen. "Wenn sie fühlen 'dies ist etwas, das ich tun muß, um den
Preis zu bekommen', werden sie weniger kreativ sein," so Frau Amabile.
Zweitens fühlen sich die Leute durch die Belohneng kontrolliert. Sie fühlen sich weniger autonom, und
dies könnte die Leistung beeinflussen. "Insoweit jemanden Erfahrung, ein selbstbestimmtes Wesen zu sein,
begrenzt ist" sagt Richard Ryan, Associate Professor der Psychologie in London, "soweit wird auch seine
Kreativität begrenzt sein."
Endlich können extrinsische Belohnungen intrinsisches Interesse ersticken. Menschen, die sich als für
Geld, Anerkennung oder Wettbewerbserfolg arbeitend betrachten, finden ihre Aufgaben weniger angenehm, und
erledigen sie daher weniger gut.
Die letzte Erklärung reflektiert die 15jährige Arbeit von Ryans Mentor an der Universität
Rochester, Edward Deci. 1971 zeigte Deci, daß langfristig "Geld geeignet ist, jemandes intrinsische
Motivation für eine Aktivität wegzukaufen." Zehn Jahre später demonstrierten Deci und seine
Kollegen, daß der Versuch, andere auszustechen, denselben Effekt hat. Studenten, die versuchten, ein
Rätsel im Wettbewerb schnell zu lösen beschäftigten sich nach dem Experiment weniger leicht
damit als solche, die ohne Wettbewerbsdruck am Experiment teilnahmen.
Allerdings ist es allgemein anerkannt, daß nicht alle Belohnungen denselben Effekt haben. Eine für
alle Teilnehmer gleiche Entlohnung für ein Experiment - ähnlich einem Stundenlohn - reduziert die
intrinsische Motivation üblicherweise nicht. Nur wenn die Belohnung für die Ausführung einer
bestimmten Aufgabe oder die Qalität, analog zu Akkordlohn oder Bonus-Systemen, entwickelt sich das Problem.
Der Schlüssel liegt daher darin, wie eine Belohnung erfahren wird. Wenn wir dazu kommen, unsere Arbeit als
Mittel zum Zweck zu sehen, werden wir sie nicht mehr als aus sich selbst heraus befriedigend wahrnehmen.
Es gibt einen alten Witz, der das Prinzip schön verdeutlicht. Ein älterer Mann, genervt von den
Anpöbelungen der Nachbarskinder, entwickelte einen Plan. Er bot jedem Kind eine Mark an, wenn sie alle am
Dienstag wiederkämen und ihre Beschimpfungen wiederholten. Sie taten dies und bekamen ihr Geld, aber er
teilte ihnen mit, daß er am Mittwoch nur 20 Pfennig bezahlen könne. Als sie wiederkamen, ihn wieder
beschimpften und ihr Geld kassierten, informierte er sie, daß die Rate für Donnerstag nur einen
Pfennig betragen würde. "Vergessen Sie's"; sagten sie - und ließen ihn fortan in Ruhe.
In einer Studie von 1982 zeigt der Stanforder Psychologe Mark L. Lepper, daß jede Aufgabe,
gleichgültig wie interessant sie einst schien, dadurch abgewertet wird, daß sie als ein Mittel
anstelle als ein Ziel gesehen wird. Er sagte einer Gruppe von Vorschülern, daß sie nicht an einer
Aktivität teilnehmen könnten, wenn sie nicht vorher an einer anderen teilgenommen hätten. Obwohl
sie vorher beide Aktivitäten gleich geschätzt hatten, kamen die Kinder dahin, die zuerst zu
erledigende Aufgabe abzulehnen.
Es sollte nicht überraschen, daß eine verbale Rückmeldung, wenn sie als Kontrolle empfunden wird,
denselben Effekt wie Bezahlung haben kann. In einer Studie an Firmenangestellten fand Ryan, daß die
mit "Gut. Sie arbeiten, wie Sie wollten" belohnten "siginfikant weniger intrinsische Motivation aufwiesen wie
jene, die ihre Rückmeldung informational erhielten."
Es gibt laut Ryan einen Unterschied zwischen "Ich gebe Ihnen diese Belohnung, weil ich den Wert Ihrer Arbeit
erkenne" und "Sie bekommen diese Belohnung, weil Sie das (von mit) gesetzte Ziel erreicht haben."
Ein anderes, aber verwandten Problemfeld existiert im Fall der Kreativität. Künstler müssen
natürlich ihren Lebensunterhalt verdienen, aber Frau Amabile betont, daß "der negative Effekt auf die
Kreativität durch Arbeit für Belohnungen minimiert werden kann," indem man die Bedeutung dieser
Belohnungen herunterspielt und versucht, sie nicht in einer beeinflussenden Weise einzusetzen. Die Forschung
läßt den Schluß zu, daß kreative Arbeit nicht erzwungen werden kann; man kann sie nur
geschehen lassen.
Alfie Kohn, Cambridge, Massachusetts, ist der Autor des Buches " No Contest: The Case Against Competition"
Boston, 1987: Houghton Mifflin Co., ISBN 0-395-39387-6 Quelle: Boston Globe, 19.1.87 - zitiert nach: Free
Software Foundation, GnuEMACS 18.54 Softwarepaket.
Übersetzung: pirx. Alle Fehler sind von mir.
Alfie Kohn
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