HTML ist Hypertext |
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Das HT in HTML steht für "Hypertext". Wenn Sie HTML-Dateien selbst erstellen wollen, sollten Sie sich ruhig mal Gedanken darüber machen, warum die Sprache, mit der Sie da arbeiten, eigentlich so heißt wie sie heißt.
Das Medium "Buch" mit der linearen Anordnung eines in diesem Falle zirka 1,9 Kilometer langen Buchstaben-Bandwurms ist, wie letztlich die Sprache überhaupt, nur bedingt geeignet für das Thema, das ich mir hier vorgenommen habe. Der Versuch, ein Gesamtbild der vernetzten Wirklichkeit zu geben, die eigentlich nur simultan erfaßt werden kann, muß daher zwangsläufig unvollkommen bleiben. aus: Frederic Vester, Das Neuland des Denkens |
Das simultane Erfassen der gesamten Wirklichkeit ist dem Menschen im normalen Zustand wohl nicht möglich. Solange er begreifen will, wie die Wirklichkeit funktioniert, muß er die Wirklichkeit erforschen, sei es wissenschaftlich methodisch oder einfach nur alltäglich durch Erfahrung.
Die daraus gewonnenen Ergebnisse sind natürlich ziemlich umfangreich. Deshalb machen die Menschen auch viel von der Möglichkeit Gebrauch, einmal gewonnene Ergebnisse mit Hilfe von Medien an andere Menschen weiterzugeben. Vieles, was in unseren Köpfen drin ist, haben wir nicht selbst entdeckt oder erfahren, sondern es ist uns durch Medien vermittelt worden.
Damit der Mensch Informationen, die ihm durch Medien vermittelt werden, verarbeiten kann, muß er sich in den vermittelten Inhalten bewegen können. Denn genausowenig, wie sich die Wirklichkeit simultan erfassen läßt, läßt sich die durch Medien vermittelte Information auf einen Schlag erfassen. Ein brauchbares Medium muß Information deshalb irgendwie so vermitteln, daß man sich darin bewegen kann, sich die persönlich erforderliche Zeit nehmen kann, um die Information zu verarbeiten (weshalb, nebenbei bemerkt, etwa das Fernsehen ein unglaublich mieses Medium ist, weil es dem Menschen eine bestimmte Verarbeitungszeit aufzwingt, die er meistens nicht erreicht). Die einfachste Form des Bewegens ist die Bewegung in eine vorgegebene Richtung: "immer geradeaus". Diesem Prinzip folgt das Medium Buch. Ein Buch besteht zwar aus einzelnen Seiten, aber in Wirklichkeit ist es nur eine neuere Form der alten Papyrus-Rollen. Die Buchseiten sind dazu gedacht, der Reihe nach gelesen zu werden.
Hypertext, ein neues Medium, das erst durch Computer sinnvoll nutzbar wird, ist dagegen Bewegen in mehrere Richtungen. Oberflächlich gesehen kindischer: mehr Herumhüpfen und Ausprobieren. Andersherum gesehen aber näher an dem Versuch, der Komplexität der Wirklichkeit gerecht zu werden. Hypertext tut nicht mehr so, als ob die Wirklichkeit einen Anfang und ein Ende oder ein Oben und Unten habe. Die Wirklichkeit, so wissen wir heute, hat zwar jede Menge Strukturen und Ordnungsgefüge, aber sie läßt sich nicht von vorne bis hinten beschreiben. Deshalb ist es nur konsequent, wenn auch die Medien sich verändern. Hypertext ist letztlich die adäquate Ausdrucksform eines Bewußtseins, daß sich von der jahrhundertelangen Zwangsvorstellung befreit hat, die Welt in ein System zu pressen.
Als Hypertext-Anwender sollen Sie nicht mehr sklavisch einem bestimmten Lesepfad folgen, sondern Sie sollen spontan auswählen, was Sie lesen möchten. Außerdem sollen Sie sich jederzeit neu orientieren können und von einzelnen Informationseinheiten zu verwandten oder das Thema vertiefenden Informationseinheiten springen können. Ein guter Hypertext hat die Aufgabe, Ihnen als Anwender all das zu bieten: eine nachvollziehbare Navigationsstruktur, eine Aufteilung der Information in überschaubare, in sich abgeschlossene Informationseinheiten und eine intelligente Vernetzung der Informationseinheiten durch Verweise (Hyperlinks). Dazu müssen sowohl die Hypertext-Autoren als auch die Browser-Hersteller mitwirken. Ein Hypertext-Autor muß projektspezifisch eine angemessene Navigationsstruktur zur Verfügung stellen, und die benutzte Hypertext-Software, der Browser, muß Funktionen enthalten, die das Navigieren erleichtern, etwa Bookmark-Funktionen, History-Funktionen usw.
Natürlich gibt es Textsorten, bei denen ein Aufsplitten des Gesamttextes in kleine Einheiten mit anschließender Vernetzung keinen Sinn macht. Einen Abenteuerroman etwa möchte man lieber von vorn bis hinten lesen, und eigentlich auch gar nicht an einem heute üblichen Bildschirm. Aber bei jeder Art von Sachtext ist Hypertext eine sinnvolle Alternative zum herkömmlichen Buchmedium. Denn Sachbücher enthalten eigentlich alles, was ein Hypertext auch braucht: Kapitel, Abschnitte, Inhaltsverzeichnis, Stichwortverzeichnis, Querverweise. Das Problem ist nur, daß niemand Lust hat, in einem Buch dauernd von einer Stelle zu einer ganz anderen zu springen, weil das Suchen und Blättern dann so viel Energie in Anspruch nimmt, daß die Konzentration leidet. Der übliche Weg, ein solches Buch zu lesen, bleibt daher das Lesen Seite für Seite. Anders bei den anklickbaren Verweisen eines Hypertextes: hier können Sie, je nachdem, wie gut die Navigationsstrukturen sind, ebenfalls seitenweise durch die angebotenen Informationseinheiten blättern. Gleichzeitig ist es jedoch viel einfacher, sich neu zu orientieren oder Querverweisen zu folgen. Denn an die Stelle des Blätterns tritt reine Rechenzeit.
Noch deutlicher werden die Unterschiede, wenn man ein Buch mit weltweitem Online-Hypertext wie dem World Wide Web vergleicht. Viele Bücher enthalten Verzeichnisse mit weiterführender Literatur. Wenn Sie sich für eines der anderen Bücher interessieren, müssen Sie das Buch kaufen gehen oder in eine Bibliothek rennen und möglicherweise wochenlang auf eine Fernleihe warten. Beim Klick auf einen Verweis kommen Sie sofort an die gewünschte Information, auch wenn diese auf einem Internet-Hostrechner liegt, der viele tausend Kilometer weit von Ihnen entfernt ist. Sie bekommen die Information in dem Moment, wo Sie sich dafür interessieren. Das ist ein "intellektueller Mehrwert", dessen Tragweite noch gar nicht recht erkannt worden ist.
Moderne Computer-Anwender wollen allerdings noch mehr als nur auf Hyperlinks klicken. Sie wollen auch keine ellenlangen Texte lesen. Informationsdarstellung am Bildschirm muß auch noch andere Darstellungsformen bieten als es in Büchern üblich ist. Anwender, die mit einem Computer in einem Informationsangebot navigieren, wollen sich etwa Information individuell auf einer Seite zusammenstellen, um beispielsweise Angebote miteinander zu vergleichen. Wenn etwas erklärt wird, wollen sie auf Wunsch eine grafische oder akustische Animation aufrufen, die Zusammenhänge oder Vorgehensweisen demonstriert. Oder sie wollen einfach eine Runde spielen, sei es zur Entspannung oder um "spielend" etwas zu lernen. Es spricht nichts dagegen, auch solche Dinge unter dem Begriff "Hypertext" zusammenzufassen. Insofern sind auch neuere Techniken wie Dynamisches HTML in Verbindung mit Scriptsprachen waschechte Hypertext-Features.
Medien haben viel mit Gewohnheit zu tun. An Bücher sind wir alle gewöhnt, von frühesten Kindertagen an sind wir mit Bilderbüchern konfrontiert worden, in der Schule hatten wir Schulbücher. Deshalb reagiert die Mehrheit der Menschen mit heftigem Widerstand, wenn man ihnen erzählen will, daß elektronischer und weltweit vernetzter Hypertext in vielen Bereichen das Zeug hat, Bücher zu ersetzen.
Es hat wohl auch wenig Sinn, zu predigen - aus dem Predigerzeitalter sind wir nämlich auch raus. Wer sich für das neue Medium, für Hypertext, begeistern kann, und wer Lust hat, in diesem Medium Information weiterzugeben, sollte dies aber berücksichtigen: nur wenn die eigenen Hypertext-Projekte so gut, so praktisch sind, daß man schon verbohrt sein muß, um sich ihnen zu verweigern - nur so kann sich Hypertext leichter durchsetzen. HTML und seine Ergänzungssprachen sind das interessanteste Werkzeug, das wir derzeit für diese Zwecke haben.
Weitere Informationen zum Thema Hypertext und HTML finden Sie im Abschnitt Informationsverteilung und Dateiorganisation.
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