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DIE VERWANDELTE ERDE


Wunder, die unsere Kinder vielleicht erleben werden

Der wissenschaftliche Widerspruch von heute ist der Gemeinplatz von morgen. Seit einigen Monaten hat es den anschein, daß die Radio-Television, das heißt die Übertragung eines lebenden Bildes von einem Sender aus, im Laboratorium verwirklicht worden ist. In wenigen Jahren wird man bestimmt mit Hilfe eines Apparates, der drahtlos funktioniert und vielleicht Telephotophon heißen wird, seinen Partner zur gleichen Zeit sehen und sprechen hören. Und "Taschenmodelle" werden die Fortsetzung einer angefangenen Unterhaltung mit einen Freund auch auf einer Reise oder einem Spaziergang ermöglichen. Liebespaare werden sich für 4 Uhr 20 Min. 16 Sek. auf Wellenlänge 452 verabreden.

Diese zweifache, ununterbrochene Gegenwart von gesicht zu Gehör wird das Leben mächtig umgestalten. Das Lügen wird sehr erschwert werden. Die Damen können sich dann am Telefon nicht mehr verleugnen, indem sie die Stimme ihrer Zofe nachahmen. Eine gewisse Zeitlang wird man Gesichtsverbindungen regeln, sie wunschgemäß herstellen oder verweigern können, aber später wird zweifellos ein mit einer Seelenplatte versehenes Objektiv alles vermitteln, was man vom Flugzeug aus in einem Garten oder in einem ganzen Land sehen kann. So wie man schon heute Flugzeuge von Boden aus drahtlos leitet, so wird man auch kleine Apparate erfinden, die ein jeder vom Bett aus oberhalb einer Karte dirigieren kann, während auf einer Leinwand dann die wechselnden Bilder der überflogenen Städte, Straßen, Geschöpfe abrollen.

Ein englischer Physiker droht uns sogar für das kommende Jahrhundert mit einer noch bösartigeren Erfindung. "Es steht fest", behauptet er, "daß der menschliche Gedanke, da er aus Bildern und Worten zusammengesetzt ist, der Emission gewisser Strahlen und Schallwellen entsprechen muß. Diese Strahlen und diese Wellen wird man eines Tages auffangen, es ist nur eine Frage der Zeit. Von da an wird es dank eines Radioskop, das jeder Mensch in der Tasche trägt, möglich sein, die Gedanken seines Partners, so wie sie sich bilden, zu lesen und zu gleicher Zeit mit ihm selbst die von ihm wachgerufenen Bilder zu betrachten. Eine Unterhaltung wird dann große Ähnlichkeit mit einer einsamen, stummen Meditation von heute haben. A wird B einige Minuten lang denken sehen, dann denkt er seine Antwort, und B sieht ihn denken. Das bedeutet notgedrungen erzwungene Natürlichkeit und den Tod aller Heuchelei."

Schwerer wird die vollständige Änderung unserer Methode sein, Energie zu erzeugen. Kohle und Petroleum werden durch "Zentralen" ersetzt, die sich die Temperaturdifferenz zweier übereinandergeschobener Strömungen zunutze machen, und durch den Wind, dessen Kräfte vervollkommnete Akkumulatoren sammeln werden. Durch diese Erfindungen wird sich die Verteilung der Industriegebiete auf dem ganzen Erdball verschieben. Alle Betriebe, die sich um Kohlenzentren gruppieren, müssen langsam in Gegenden mit "konstantem" Wind auswandern, und manche heute öden Wüsten werden sich zu den bevölkertsten Distrikten der Erde entwickeln. Zu gleicher Zeit ungefähr wird es der Chemie gelungen sein, den größten Teil der Nahrungsmittel auf synthetischem Wege mittels athmosphärischen Stickstoffs herzustellen, so daß die Landwirtschaft überflüssig wird. Das Gesicht der Erde muß sich ändern: Wälder, Gärten treten an Stelle der Felder. Beleuchtung wird kaum noch etwas kosten. Unsere heutigen Lichtquellen sind durchaus primitiv. "Es sind Wärmekörper", sagt Professor Haldane, "und 95 % ihrer Strahlen sind unsichtbar. Eine Lampe als Lichtquelle anzuzünden, ist eine Energieverschwendung, die ungefähr damit zu vergleichen wäre, ein Haus in Brand zu stecken, um eine Schnitte Brot zu rösten. Man darf mit aller Sicherheit behaupten, daß das Licht in fünfzig Jahren nur noch den fünfzigsten Teil seines heutigen Preises kosten und die Dunkelheit in allen Städten abgeschafft sein wird."

Es ist abscheulich, aber die Biologen sind noch beuruhigender. Sie sind jetzt überzeugt, daß sie unser Körper- und Gefühlsleben durch ein Übermaß oder ein Fehlen von Sekretionen gewisser Drüsen erklären können. Es besteht die Möglichkeit, Menschen aufbrausend und schüchtern zu machen, gefühlvoll oder empfindungslos, je nach Wunsch, durch einfache Injektionen dieser Drüsenausscheidungen.

Paradox? Gewiß. Trotzdem erzählte mir ein großer französischer Gelehrter folgendes Experiment: Man setzt jungfräuliche Mäuse mit neugeborenen Mäusen zusammen; sie spielen, essen, laufen ruhig weiter, ohne sich um die kleinen Mäuschen zu kümern, sie würden sie sogar ruhig neben sich sterben lassen. Man macht den gleichen Mäusen eine Injektion, die müterliche Instinkte in ihnen wachrufen soll. Und im Nu sind diese Tiere in bewundernswerte Mütter verwandelt. Sie kümmern sich nur noch um diese Kinder, die ihnen nicht gehören, sie sterben sogar, um sie zu verteidigen. Es wird später einmal Laboratorien geben, in denen Biologen, Romantiker und Gelehrte zusammenarbeiten und z.B. zarte Freundschaftsliebe herstellen. Sollen wir diese großen Veränderungen fürchten? Ich meine, nein. Hätte man den Menschen 1880 genau das Leben beschrieben, das wir heute führen, sie hätten es bestimmt gräßlich gefunden.

Quelle: Berliner Illustrirte Zeitung, 1928

 

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