Hansjürgen Garstka
Rede zur Einbringung des Tätigkeitsberichts 1996 im Abgeordnetenhaus, 11. September 1997
Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
"In einer Zeit, in der das Internet jedes Unternehmen und
jeden Haushalt erreicht und wir uns der erschreckenden Aussicht
gegenüber sehen, daß private Informationen, sogar medizinische
Unterlagen, in einem einzigen Augenblick für die ganze Welt
erreichbar gemacht werden können, müssen wir angesichts
der neuen technischen Realität neue Schutzvorkehrungen für
die Privatsphäre entwickeln." (Auszug aus einer Rede
des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton vom Mai 1997)
"Die Minister versichern mit Entschiedenheit, daß personenbezogene
Daten der Nutzer von globalen Informationsnetzen nur erhoben und
verarbeitet werden dürfen, wenn der Nutzer seine informierte
Einwilligung gegeben hat oder wenn dies gesetzlich zugelassen
ist, und daß geeignete juristische Schutzvorkehrungen und
technische Sicherungsmaßnahmen vorgesehen werden müssen,
um den Datenschutz zu gewährleisten" (Erklärung
der Europäischen Ministerkonferenz in Bonn vom Juli 1997).
Diese beiden Zitate zeigen, daß angesichts der zunehmenden
Bedeutung der Informationstechnik der Datenschutz weltweit zu
einer zentralen gesellschaftlichen Thematik geworden ist.
Der Jahresbericht, den wir für den Zeitraum des vergangenen
Jahres vorgelegt haben, spiegelt diese Entwicklung deutlich wider:
Die Nutzung des Internet im Lande, auch durch die öffentliche
Verwaltung, die absehbare Tendenz zum Einsatz von Chipkarten in
den verschiedensten Lebensbereichen oder die Bedeutung, die die
Kryptographie für die verläßliche und vertrauliche
Datenübermittlung hat, zeigen die Bandbreite der Probleme,
die die technische Entwicklung aufwirft.
Wie in der zitierten Ministererklärung zum Ausdruck kommt,
sind bei der Lösung der Probleme sowohl die Technik als auch
das Recht gefragt.
Datenschutzfreundliche Techniken sind ein Weg, das Entstehen personenbezogener
Daten und ihrer Spuren von vornherein zu verhindern oder zumindest
auf das unerläßliche Maß zu beschränken.
Die im vergangenen Jahr unter unserer maßgeblichen Beteiligung
vorbereitete und vor kurzem zum Abschluß gebrachte Gesetzgebung
zu Tele- und Mediendiensten auf Bundes- und Landesebene enthält
bahnbrechende Regelungen in dieser Hinsicht.
Jeder Technikeinsatz ist jedoch abhängig von den rechtlichen
Vorgaben, in die er eingebettet wird. Nur wenn das Recht klare
Vorgaben für die Grenzen der Informationsverarbeitung setzt,
wird die Informationstechnik diese Grenzen auch respektieren.
Und - eigentlich müßig zu betonen - nur wenn die vorhandenen
Rechtsvorschriften nicht nur eingehalten, sondern auch im Sinne
der informationellen Selbstbestimmung ausgelegt und fortentwickelt
werden, werden die Folgen der Informationstechnik in der Gesellschaft
akzeptiert werden.
Dies gilt auch dann, wenn noch herkömmliche Verfahren eingesetzt
werden. Auch die Verarbeitung von Daten in Akten verändert
ihren Charakter, wenn sie in ein informationstechnisches Umfeld
eingebunden sind. Die Auseinandersetzung mit dem Landesamt für
Verfassungsschutz über den Inhalt der "Personenzentraldatei"
zeigt dies deutlich. Das Bundesverfassungsgericht formuliert:
Unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung gibt
es kein "belangloses" Datum mehr.
Vor diesem Hintergrund habe ich im Vorjahr an dieser Stelle die
Hoffnung geäußert, daß gerade dieses Land, das
als Bundeshauptstadt hinsichtlich der Gewährleistung von
Bürgerrechten aus meiner Sicht besondere Verpflichtungen
hat, seine Vorreiterrolle bei der Durchsetzung der informationellen
Selbstbestimmung, die es anerkanntermaßen hatte, nicht aufgeben
wird. Auch wirtschaftliche Probleme, veränderte Kriminalitätsformen
oder politische Stimmungen dürfen nicht dazu führen,
daß das erreichte Niveau der Grundrechtssicherung in Frage
gestellt und abgebaut wird. Das schließt selbstverständlich
gewisse Korrekturen bei Regelungen, die sich nicht als praktikabel
erweisen, nicht aus. Die in den vergangenen Jahren eingeführten
Erleichterungen bei der Verarbeitung von Trivialdaten oder unser
im Jahresbericht vorgebrachter Vorschlag, das Dateienregister
zu entbürokratisieren, belegen dies.
Wie die Stellungnahme des Senats zeigt, gibt es an vielen Stellen
eine große Bereitschaft, den Belangen des Datenschutzes
den richtigen Stellenwert einzuräumen. In vielen Fällen
konnten gemeinsam Lösungen gefunden werden, die sowohl den
Belangen der Verwaltung als auch der informationellen Selbstbestimmung
gerecht werden.
Dies gilt vor allem für die Verwaltungen, die für die
Informations- und Kommunikationstechnik verantwortlich sind. So
gab es, wie aus dem Ihnen vorliegenden Bericht ersichtlich, mit
dem Landesamt für Informationstechnik eine sehr kooperative
Zusammenarbeit. Viele andere Stellen haben unsere Beratung bereitwillig
in Anspruch genommen.
Dies gilt auch für die Privatwirtschaft. Entgegen den Befürchtungen,
die Übertragung der Datenschutzaufsicht von der Innenverwaltung
auf den Datenschutzbeauftragten würde zu Unwillen bei den
Unternehmen führen, wird es allseits begrüßt,
daß der Datenschutz nunmehr in einer Hand liegt. Das "Berliner
Modell" wird europaweit als eine im besonderen Maße
der europäischen Datenschutzrichtlinie entsprechende Organisationsform
gerühmt und hoffentlich im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie
auch in anderen Bundesländern Nachahmer finden.
Überhaupt genießt die Umsetzung des Datenschutzes in
Berlin nicht nur in der Bundesrepublik und Europa, sondern weltweit
im Rahmen der Internationalen Konferenz der Datenschutzbeauftragten
Ansehen. Das Vertragswerk, das zwischen der Deutschen Bahn, der
Citibank und deren amerikanischen Partnern zur Gewährleistung
des Datenschutzes unter Beteiligung des Berliner Datenschutzbeauftragten
zustande gekommen ist, wird inzwischen weltweit als Modell für
grenzüberschreitende Datenverarbeitung diskutiert.
Leider gibt es allerdings auch vermehrt Bestrebungen in diesem
Lande, den Datenschutz als inakzeptables Hemmnis der Verwaltung
darzustellen. Zunehmend wird versucht, Maßnahmen unter Interpretationen
rechtlicher Bestimmungen, die dem Stellenwert des Grundrechts
auf informationelle Selbstbestimmung nicht gerecht werden, oder
gar entgegen dem Gesetzeswortlaut durchzusetzen oder gebotene
Maßnahmen zu unterlassen. Ich bedauere es sehr, daß
gerade die Senatsverwaltung für Inneres, die die Zuständigkeit
für den Datenschutz für den Senat beansprucht, den Anschein
erweckt, als sei in ihrem Geschäftsbereich diese Einstellung
verbreitet.
Der Stellungnahme des Senats zu unserem Jahresbericht können
Sie an mehreren Beispielen entnehmen, daß nahezu jede Empfehlung,
die wir im Geschäftsbereich der Innenverwaltung ausgesprochen
haben, zurückgewiesen wurde. Mitunter wurden Anfragen und
Bitten um Stellungnahmen nicht hinreichend oder gar nicht bearbeitet.
Auch der Ton, der manche Schreiben kennzeichnet, entspricht durchaus
nicht den Erwartungen, die man an den Schriftwechsel mit einem
Verfassungsorgan knüpft.
Aber auch in anderen Verwaltungsbereichen ist Unwille zu beobachten,
datenschutzrechtliche Vorgaben zu erfüllen. Um nur drei Beispiele
zu nennen:
Die Aktenführung in dem für die Erteilung der Fahrerlaubnisse
zuständigen Referat des Landeseinwohneramtes, die ein besonderer
Schwerpunkt im Berichtsjahr war, ist seit Jahren Gegenstand unserer
Kritik, ohne daß es zu Veränderungen im Sinne des Datenschutz
gekommen wäre.
Die Jugendverwaltung ist seit Jahren nicht willens, die Erhebung
sehr persönlicher Daten normenklar zu regeln, die für
die Zuteilung eines Kindertagesstättenplatzes erforderlich
sind.
Zur Bekämpfung der Zweckentfremdung von Wohnraum werden erheblich
mehr Daten erhoben als die entsprechende Rechtsvorschrift zuläßt.
Die Auseinandersetzung um die Frage, ob der nächste Vorsprachtermin
von Sozialleistungsempfängern auch dann an Sicherheits- und
Ordnungsbehörden weitergegeben werden kann, wenn sie sich
keiner schweren Straftat verdächtig gemacht haben und kein
Richter die Herausgabepflicht bestätigt hat, ist ein besonderes
Bespiel für die Situation, in der sich der Datenschutz befinden
kann, ein Beispiel, das mich persönlich sehr betroffen macht.
Weil ich gemäß meinen Amtspflichten darauf hingewiesen
habe, daß die entsprechenden Rundschreiben sowie - für
den Fall der Ausländer, die sich hier ohne Aufenthaltsgenehmigung
oder Duldung aufhalten - die zusätzlich vom Senat beschlossene
Allgemeine Verwaltungsvorschrift des Senats aus meiner Sicht dem
Sozialgesetzbuch und dem Ausländergesetz widersprechen, wurde
mir persönlich der Vorwurf gemacht, ich stelle "auf
beklagenswerte Weise unter Beweis, daß ich die Wahrnehmung
der Aufgabe des Datenschutzes nicht in gesamtstaatliches Handeln
einordne" - als ob nicht der Gesetzgeber, sondern die Verwaltung
die Abwägung zwischen Belangen der Allgemeinheit und den
Persönlichkeitsrechten der Betroffenen zu treffen habe.
Daß im politischen Raum mit dem Vorwurf, unter mir "verkomme
der Datenschutz zum Täterschutz" noch eines obenauf
gesetzt wurde, stellt nicht nur eine kränkende Personifizierung
eines grundrechtsfeindlichen Schlagworts dar, sondern läßt
- auch angesichts der völlig vernachlässigbaren Fallzahlen,
um die es nach übereinstimmender Aussage der Sozialbehörden
geht - jedes Gespür für Angemessenheit in einer in der
Tat nicht einfachen Debatte vermissen. In unserem Jahresbericht
haben wir den bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz
zitiert, der dieses Schlagwort zu recht als einen "Kampfbegriff
an der Grenze zur Verleumdung" bezeichnet hat.
Dieses Haus hat mich für die Aufgabe gewählt, unabhängig
und nur dem Gesetz unterworfen die Einhaltung der Datenschutzvorschriften
zu kontrollieren, Empfehlungen für die Verbesserung des Datenschutzes
zu geben und alle Behörden entsprechend zu beraten. Weder
Senatsbeschlüsse noch Beschimpfungen oder gar Drohungen werden
mich davon abhalten, das für diese Aufgabe Erforderliche
zu tun.
Trotz allem bin ich überzeugt, daß es gelingen wird,
auch und gerade in Berlin das Bewußtsein für die Bedeutung
des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, das in der
Berliner Verfassung verankert ist, für die Informationsgesellschaft
nicht nur zu wahren, sondern weiter zu fördern. Mit den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern unserer Dienststelle werden wir uns weiter darum
mühen. Ich möchte an Sie appellieren, hierzu beizutragen.
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