Bundesverfassungsgericht- Pressestelle - Pressemitteilung Nr. 74 vom 14.07.1999 "Verbrechensbekämpfungsgesetz/G10" ist zum Teil mit dem GG unvereinbar Der Erste Senat des BVerfG hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15./16. Dezember 1998 im Verfahren "Verbrechensbekämpfungsgesetz/G10" entschieden:
a) § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 G10 Die Vorschrift regelt, daß Beschränkungen des Fernmeldegeheimnisses auch zur Sammlung von Nachrichten über Sachverhalte angeordnet werden dürfen, deren Kenntnis notwendig ist, um die Gefahr im Ausland begangener Geldfälschungen rechtzeitig zu erkennen und abzuwehren. Die Vorschrift verstößt gegen das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG). b) § 3 Abs. 3 S. 2 G10 Die in dieser Vorschrift geregelte Berichtspflicht des Bundesnachrichtendienstes (BND) gegenüber der Bundesregierung verstößt gegen das Fernmeldegeheimnis. c) § 3 Abs. 4 G10 Die Vorschrift ermächtigt den BND zur Prüfung, ob personenbezogene Daten, die durch Maßnahmen nach Abs. 1 erlangt worden sind, für die dort genannten Zwecke erforderlich sind. Sie verstößt gegen das Fernmeldegeheimnis und gegen die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG). d) § 3 Abs. 5 S. 1 i.V.m. § 3 Abs. 3 S. 1 G10 Die Vorschrift enthält die Übermittlungsbefugnis des BND. Danach sind die nach Abs. 1 erlangten Daten vollständig zu den in Abs. 3 bezeichneten Zwecken den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, dem Amt für den Militärischen Abschirmdienst, dem Zollkriminalamt, dem Bundesausfuhramt, den Staatsanwaltschaften und den Polizeien zu übermitteln, soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben des Empfängers erforderlich ist. Die Vorschrift verstößt gegen das Fernmeldegeheimnis und gegen die Pressefreiheit. e) § 3 Abs. 7 S. 1 G10 Die Vorschrift bestimmt, daß die Empfangsbehörden (vgl. Abs. 5) prüfen, ob die erlangten Daten für die in Abs. 3 genannten Zwecke benötigt werden. Die Vorschrift verstößt insoweit gegen das Fernmeldegeheimnis, als es an einer Kennzeichnungspflicht für die Empfangsbehörden fehlt. f) § 3 Abs. 8 S. 2 Die Vorschrift regelt, daß die Benachrichtigungspflicht gegenüber dem Betroffenen unterbleibt, wenn die Daten innerhalb von drei Monaten nach Erlangung vernichtet worden sind. Die Vorschrift verstößt gegen das Fernmeldegeheimnis und gegen die Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG). g) § 9 Abs. 2 S. 3 GG Die Vorschrift regelt die Kontrolle der Maßnahmen durch eine Kommission. Sie verstößt gegen das Fernmeldegeheimnis. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 30. Juni 2001 einen verfassungsmäßigen Zustand herzustellen. In der Zwischenzeit sind die beanstandeten Vorschriften nur eingeschränkt anwendbar (s. S. 11/12 der Pressemitteilung). Im übrigen bleiben die Verfassungsbeschwerden erfolglos. Die Bundesrepublik hat den Beschwerdeführern, die zum Teil recht bekommen haben, die Hälfte ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten. Wegen des Sachverhalts und des Wortlauts der einzelnen Vorschriften wird auf die Pressemitteilung vom 9. Dezember 1998 Nr. 136/98 Bezug genommen. Im einzelnen A. Maßstab I. Schutz des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 GG)
Die öffentliche Gewalt soll grundsätzlich nicht die Möglichkeit haben, sich Kenntnis vom Inhalt des über Fernmeldeanlagen abgewickelten Informations- und Gedankenaustauschs zu verschaffen. Einen Unterschied zwischen Kommunikationen privaten und anderen, etwa geschäftlichen oder politischen, Inhalts macht Art. 10 GG dabei nicht. Auch hinsichtlich der Kommunikationsumstände kann der Staat grundsätzlich keine Kenntnis beanspruchen. Die Nutzung des Kommunikationsmediums soll in allem vertraulich möglich sein. Darüber hinaus erstreckt sich der Schutz auch auf den anschließenden Informations- und Datenverarbeitungsprozeß sowie auf die Verwendung erlangter Kenntnisse. Die Anforderungen des Grundrechts beziehen sich schließlich auch auf die Weitergabe der Daten, die unter Aufhebung des Fernmeldegeheimnisses erlangt worden sind. Beschränkungen des Fernmeldegeheimnisses (vgl. Art. 10 Abs. 2 GG) bedürfen einer gesetzlichen Regelung, die einen legitimen Gemeinwohlzweck verfolgt und im übrigen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt. Sie unterliegen darüber hinaus besonderen Anforderungen, die der Erste Senat im Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983 (BVerfGE 65, 1ff.) entwickelt hat. Insbesondere muß der Zweck des Eingriffs präzise bestimmt und das erlangte Datenmaterial für diesen Zweck geeignet und erforderlich sein. Speicherung und Verwendung erlangter Daten sind grundsätzlich an den Zweck gebunden, den das zur Kenntnisnahme ermächtigende Gesetz festgelegt hat. Zweckänderungen sind nur durch Allgemeinbelange gerechtfertigt, die die grundrechtlich geschützten Interessen überwiegen. Ein effektiver Grundrechtsschutz erfordert zudem, daß Betroffene Kenntnis von den - heimlichen - Maßnahmen der Fernmeldeüberwachung erhalten. Um den Zweck des Eingriffs nicht zu gefährden, kann es unter Umständen genügen, den Betroffenen erst später von dem Eingriff zu benachrichtigen. Art. 10 GG gebietet zudem eine Kontrolle durch unabhängige und an keine Weisung gebundene staatliche Organe und Hilfsorgane. Die Kontrolle muß sich auf alle Schritte des Prozesses der Fernmeldeüberwachung erstrecken. Schließlich müssen die erlangten Daten vernichtet werden, sobald sie für die festgelegten Zwecke oder den gerichtlichen Rechtsschutz nicht mehr erforderlich sind. Hinsichtlich der räumlichen Geltung des Schutzes von Art. 10 GG führt der Senat aus, daß dieser sich nicht auf das Inland beschränkt. Vielmehr gilt er auch für Telekommunikationen im Ausland jedenfalls dann, wenn die Kommunikation mit Empfangsanlagen des BND im Inland erfaßt und aufgezeichnet wird. In einem solchen Fall ist eine ausreichende Verknüpfung zwischen Kommunikation im Ausland und staatlichem Handeln im Inland gegeben. Mangels Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde eines ausländischen Beschwerdeführers hatte das Gericht aber nicht zu entscheiden, was im Falle von Kommunikationen ausländischer Teilnehmer im Ausland im einzelnen gilt.
Neben Art. 10 GG (s. oben Ziffer I. 2) kann auch Art. 19 Abs. 4 GG eine Benachrichtigung des Betroffenen gebieten. Das gilt jedenfalls dann, wenn eine solche Benachrichtigung Voraussetzung für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes ist. Art. 19 Abs. 4 GG ist auch bei der grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Vernichtung nicht mehr erforderlicher Daten von Bedeutung. Strebt der Betroffene eine gerichtliche Kontrolle an, so darf diese Verpflichtung den Rechtsschutz nicht unterlaufen oder vereiteln. III. Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) Für im Pressewesen tätige Beschwerdeführer kommt zudem die Pressefreiheit in Betracht. Diese umfaßt auch die Vertraulichkeit der Informationsquellen und das Vertrauensverhältnis zwischen Presse und Informanten (Redaktionsgeheimnis). Das Grundrecht ist deshalb bei der Speicherung, Verwertung und Weitergabe von Daten und Informationen zu berücksichtigen. B. Anwendung des Maßstabs auf Vorschriften des G10 I. § 3 Abs. 1 S. 2 G10 Die Befugnis zur Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs nach § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nrn. 1-6 G10 steht mit Art. 10 GG im wesentlichen in Einklang. Unvereinbar mit diesem Grundrecht ist jedoch die Regelung in § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 G10, nach der die Maßnahmen auf Sammlung von Nachrichten über Sachverhalte zulässig sind, deren Kenntnis notwendig ist, um die Gefahr im Ausland begangener Geldfälschungen rechtzeitig zu erkennen und einer solchen Gefahr zu begegnen.
Zwar berechtigt Art. 73 Nr. 1 GG den Bundesgesetzgeber nicht dazu, dem BND Befugnisse einzuräumen, die auf die Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten als solche gerichtet sind. Bei den Regelungen des § 3 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1-6 G10 steht jedoch die Aufklärung auswärtiger Gefahren im Vordergrund. Ihr Primärzweck ist die Informationsgewinnung für die Aufgaben des BND. Der Gesetzgeber muß aber durch eine hinreichende Bestimmung des Verwendungszwecks, angemessene Zweckbindungen, eine darauf abgestimmte Ausgestaltung der Befugnisse und sachgerechte Schutzvorkehrungen dafür Sorge tragen, daß die Ermächtigungen und die auf ihnen beruhenden Maßnahmen auf die Aufgabe des BND bezogen bleiben und anderweitige Verwendungsmöglichkeiten die Primärfunktion nicht überlagern. In materieller Hinsicht schränkt allerdings § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 G10 das Fernmeldegeheimnis unverhältnismäßig ein. a) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt einen angemessenen Ausgleich zwischen Allgemein- und Individualinteressen. Dabei spielt bei den Individualinteressen eine Rolle, unter welchen Voraussetzungen welche und wie viele Grundrechtsträger wie intensiven Beeinträchtigungen ausgesetzt sind. Kriterien sind also die Gestaltung der Einschreitschwellen, die Zahl der Betroffenen und die Intensität der Beeinträchtigungen. b) Die Beeinträchtigung des Fernmeldegeheimnisses durch die angegriffene Vorschrift ist danach schwerwiegend. Zwar ist die Überwachung und Aufzeichnung begrenzt auf den internationalen nicht leitungsgebundenen Verkehr. Eingrenzungen ergeben sich ferner aus dem Erfordernis der Bestimmung und Anordnung von Beschränkungen des Fernmeldeverkehrs, die wiederum eine hinreichende Darlegung der Gefahrenlage durch den BND und die Erwartung eines hinreichenden Ertrags voraussetzen. Wie sich gezeigt hat, können sie ihre begrenzende Wirkung in der Praxis auch tatsächlich entfalten. Denn hinsichtlich der Gefahrenfelder des internationalen Terrorismus und des Drogenschmuggels sind die Anordnungen wegen des geringen Ertrags der Überwachung nicht verlängert worden. Andererseits sind die Gefahren durch die Hinzufügung der Nrn. 2-6 erheblich ausgeweitet worden. Das gilt sowohl für den geographischen Bereich als auch für den Umfang der erfaßten Fernmeldeverkehrsbeziehungen, der sich durch die Beobachtung von Satellitenradien beträchtlich vergrößert. Auch ist die Anonymität der Kommunikation nicht mehr in derselben Weise gewährleistet wie früher. Das liegt zum einen an der technischen Entwicklung, die es ermöglicht, Verbindungsdaten mitzuerfassen und vorzuhalten. Zum anderen geht die Individualisierung darauf zurück, daß die neu in das Gesetz aufgenommenen Gefahren im Unterschied zur Kriegsgefahr stärker subjektbezogen sind und auch nach der Darlegung des BND vielfach erst im Zusammenhang mit der Individualisierung der Kommunikationspartner die angestrebte Erkenntnis liefern. Bei der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung fällt weiter ins Gewicht, daß jeder Teilnehmer am internationalen Telekommunikationsverkehr den Überwachungsmaßnahmen ausgesetzt ist, ohne daß dies mit seinem Verhalten in irgendeiner Weise in Beziehung gebracht werden könnte. Inhaltlich werden Kommunikationsbeiträge jeder Art in vollem Umfang erfaßt. Die Kenntnisnahme durch Mitarbeiter des BND ist dabei nicht ausgeschlossen. Gleiches gilt für die Anonymität der Kommunikationsteilnehmer. Der Personenbezug der Erkenntnisse bleibt nicht auf die Erfassungs- und Aufzeichnungsphase beschränkt. Er wird vielmehr in der Praxis aufrechterhalten. Nach den Darlegungen des BND ist dies im Rahmen der Auswertung jedenfalls teilweise nötig, damit die Erkenntnisse beurteilt und eingeordnet werden können. c) Auf der anderen Seite fällt ins Gewicht, daß die Grundrechtsbeschränkungen dem Schutz hochrangiger Gemeinschaftsgüter dienen. Das gilt nicht nur für das rechtzeitige Erkennen eines bewaffneten Angriffs (§ 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 G10), sondern auch für die neuen Überwachungsfelder (§ 3 Abs. 1 S. 2 Nrn. 2-6 G10). In diesen Bereichen haben sich gesteigerte Gefahren wegen der Zunahme international organisierter Kriminalität, insbesondere im Bereich des illegalen Handels mit Kriegswaffen und Rauschgift oder der Geldwäsche, entwickelt. Auch wenn diese Aktivitäten einem bewaffneten Angriff an Gewicht nicht völlig gleichzustellen sind, werden die außen- und sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik dadurch jedenfalls in erheblichem Maß berührt. d) Bei einer diese Gesichtspunkte einbeziehenden Abwägung ist zwar § 3 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1-4 und Nr. 6 G10 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wohl aber Nr. 5 dieser Vorschrift. Bei der Geldfälschung handelt es sich nicht um eine Gefahr, die in ihrer Schwere einem bewaffneten Angriff nahekommt oder derart gewichtige Rechtsgüter betrifft wie die übrigen in § 3 G10 eingefügten Gefahrentatbestände. Das gilt auch im Hinblick auf das von der Geldfälschung ausgehende Gefahrenpotential. Geldfälschungen bilden keine notwendig mit dem Ausland verbundene und nicht zwingend eine erhebliche Gefahr für Bestand und Sicherheit der Bundesrepublik. Das schließt es nicht aus, daß in einzelnen Fällen Geldfälschungen großen Stils die Geldwertstabilität der Bundesrepublik und damit die Wirtschaftskraft des Landes in einem Maß beeinträchtigen, das den anderen Gefahren nahekommt. Die Norm nimmt aber eine Eingrenzung auf solche Fälle nicht vor. Das Ausmaß der Gefahr und das Gewicht der Grundrechtsbeeinträchtigung geraten insofern außer Verhältnis. § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 G10 kann durch entsprechende Eingrenzungen eine mit dem GG vereinbare Fassung erhalten. Er ist daher nicht für nichtig, sondern nur für unvereinbar mit dem GG zu erklären. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, einen verfassungsgemäßen Zustand herzustellen. II. § 3 Abs. 5 S. 1 i.V.m. Abs. 3 S. 1 G10 Die Regelung, die den BND verpflichtet, aus der Fernmeldeüberwachung erlangte Daten anderen Behörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu übermitteln, ist ebenfalls nicht in vollem Umfang mit den Maßgaben des Art. 10 GG und des ergänzend hinzutretenden Art. 5 Abs. 1 S. 2 vereinbar.
Die Zwecke sind ferner mit dem ursprünglichen Zweck, der die Erhebung der Daten unter Beschränkung von Art. 10 GG gerechtfertigt hat, vereinbar. Die verdachtslose Fernmeldeüberwachung ist zwar nur zur strategischen Kontrolle zulässig. Ihr Charakteristikum besteht darin, daß sie nicht auf Maßnahmen gegenüber bestimmten Personen abzielt, sondern internationale Gefahrenlagen betrifft, über die die Bundesregierung unterrichtet werden soll. Nur dieser begrenzte Verwendungszweck rechtfertigt die Breite und die Tiefe der Grundrechtseingriffe. Art. 10 GG schließt aber nicht jegliche Übermittlung an Behörden aus, denen eine Fernmeldeüberwachung nicht zugestanden werden dürfte. Da der BND aufgrund der ihm gestatteten Methode notwendig eine Vielzahl von Fernmeldevorgängen erfaßt, die von vornherein für die Empfangsbehörden irrelevant sind, muß allerdings sichergestellt sein, daß diesen nicht der Zugang zu dem vollen Datenbestand eröffnet wird. Dagegen widerspricht es dem Primärzweck nicht, daß diejenigen Erkenntnisse, die für die Verhinderung, Aufklärung oder Verfolgung von Straftaten relevant sind, nach sorgfältiger Prüfung an die in § 3 Abs. 5 G10 genannten Behörden weitergegeben werden. Der Gesetzgeber ist jedoch den Anforderungen, die der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn an grundrechtsbeschränkende Regelungen stellt, nicht ausreichend gerecht geworden. Dieser Grundsatz verbietet Grundrechtseingriffe, die ihrer Intensität nach außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den vom Bürger hinzunehmenden Einbußen stehen. Bedeutung der Grundrechte und Grundrechtsbegrenzungen sind vielmehr in ein angemessenes Verhältnis zu bringen. a) Die Schwere des Eingriffs ergibt sich daraus, daß mit der Datenübermittlung nicht nur ein weiterer Personenkreis von Inhalt und Umständen der Telekommunikation Kenntnis erhält. An die Kenntnisse können sich vielmehr weitere Maßnahmen gegen die Betroffenen (z.B. strafrechtliche Verfolgung) anschließen. Zwingend geboten ist daher ein hohes Gewicht des jeweils in Rede stehenden Rechtsguts, dessen Schutz die Übermittlung dienen soll. Zwingend geboten ist außerdem eine hinreichende Tatsachenbasis für den Verdacht, daß Straftaten geplant oder begangen werden. Beschränkt sich der Gesetzgeber bei der Bestimmung des Schutzguts auf wenige hochrangige Rechtsgüter und ist der Schaden, der diesen droht, außergewöhnlich groß, so ist es ihm nicht verwehrt, die Übermittlungsschwelle relativ niedrig zu halten. Weitet er dagegen den Katalog der Schutzgüter beträchtlich aus und bezieht auch Handlungen ein, die einen relativ geringen Gefährdungsgrad aufweisen, muß er umgekehrt die Übermittlungsschwelle hoch ansetzen. b) Diese Ausgewogenheit ist nicht vollständig erreicht. Der Katalog von Straftaten erfaßt nicht nur Verbrechen (Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr), sondern auch Vergehen aus dem mittleren Kriminalitätsfeld (z.B. Subventionsbetrug). Hinzu kommt, daß als Verdachtsbasis bereits tatsächliche Anhaltspunkte ausreichen und auch bereits die Planung von Straftaten die Datenübermittlung erlaubt. Nimmt man die vom Gesetzgeber gewählte Tatsachenbasis und die Vorverlagerung in das Planungsstadium zusammen mit dem Straftatenkatalog, der die Verwendung der Erkenntnisse des BND rechtfertigt, so können die beiden ersten Voraussetzungen nur bei einem weiter beschränkten Katalog verfassungsmäßig sein. Umgekehrt läßt sich der Umfang des Katalogs nur bei höheren Anforderungen an die Sicherheit der Prognose rechtfertigen. Überdies kann das Tatbestandsmerkmal "tatsächliche Anhaltspunkte" den verfassungsrechtlichen Anforderungen im Ansatz nur genügen, wenn eine einengende Auslegung sicherstellt, daß nicht im wesentlichen Vermutungen, sondern konkrete und im gewissen Umfang verdichtete Umstände als Tatsachenbasis für den Verdacht vorliegen. Schließlich sind auch die Vorkehrungen zum Schutz des Art. 10 GG verfassungsrechtlich nicht völlig ausreichend. Es fehlt an einer Verpflichtung, die Übermittlung - wie auch die Durchführung sowie die Vernichtung und Löschung der Daten - zu protokollieren. Unter diesen Umständen kann eine hinreichende Kontrolle der Übermittlungen durch die dafür vorgesehenen Gremien oder auch im Wege des Gerichtsschutzes nicht stattfinden. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine verfassungsmäßige Regelung zu treffen. III. § 3 Abs. 7 S. 1 G10 Diese Vorschrift ist ebenfalls mit Art. 10 GG unvereinbar. Es fehlt an einer Kennzeichnungspflicht für die Empfangsbehörden (vgl. § 3 Abs. 5 G10). Ohne eine solche Pflicht könnten die Daten derart abgespeichert werden oder sich vermischen, daß ihre Herkunft aus einer strategischen Fernmeldekontrolle nicht mehr erkennbar ist. Die in § 3 Abs. 3 G10 vorgesehene Verwendungsbeschränkung wäre damit unterlaufen. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, einen verfassungsmäßigen Zustand herzustellen. IV. § 3 Abs. 8 S. 2 G10 Die Regelung, daß eine Mitteilungspflicht unterbleibt, wenn die Daten vom BND oder einer Empfängerbehörde innerhalb von drei Monaten vernichtet worden sind, verstößt gegen das Fernmeldegeheimnis und gegen die Rechtsschutzgarantie. Die Vorschrift stellt allein auf den Vernichtungszeitpunkt ab. Was während der Dreimonatsfrist mit den Daten geschehen ist, spielt für die Mitteilung keine Rolle. Der bloße Zeitablauf erlaubt aber nicht den Schluß, die Daten seien in dieser Zeit auch nicht verwendet worden. Abgesehen davon, daß der Eingriff, gegen den grundsätzlich Rechtsschutz möglich sein muß, bereits in der Erfassung der Daten liegt, ist es die Verwendung, die sich in der Regel als besonders belastend für den Betroffenen auswirkt. Ein Verzicht auf die Benachrichtigung ließe sich unter diesen Umständen allenfalls dann rechtfertigen, wenn die erfaßten Daten ohne weitere Schritte sogleich als irrelevant vernichtet worden sind.
Der Gesetzgeber ist verpflichtet, einen verfassungsmäßigen Rechtszustand herzustellen. V. § 9 Abs. 2 S. 3 GG Die Vorschrift, die die Kontrolle der Beschränkungsmaßnahmen durch die Kommission vorsieht, ist mit Art. 10 GG unvereinbar. Sie gewährleistet nicht hinreichend, daß die Kontrolle den gesamten Prozeß der Erfassung und Verwertung der Daten umfaßt. Überdies ist dafür Sorge zu tragen, daß die Kommission angesichts der durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz erheblich ausgeweiteten Überwachungstätigkeit des BND personell so ausgestattet ist, daß sie ihrer Aufgabe in effektiver Weise nachzukommen vermag. Ferner muß sichergestellt sein, daß auch im Bereich der Landesverwaltung eine ausreichende Kontrolle existiert. VI. Der Senat führt aus, daß § 9 Abs. 6 G 10 (Ausschluß des Rechtswegs) und die Vorschriften über die Datenvernichtung (§ 3 Abs. 6 und Abs. 7 S. 2 und 3 sowie § 7 Abs. 4 G10) mit dem GG vereinbar sind. C. Folgen der Entscheidung Soweit der Gesetzgeber verpflichtet ist, einen verfassungsmäßigen Zustand herzustellen, steht ihm dafür eine Frist bis zum 30. Juni 2001 zur Verfügung. In der Zwischenzeit gilt folgendes: - § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 G10 darf nur dann angewendet werden, wenn von Geldfälschungen, die im Ausland begangen werden, eine Gefahr ausgeht, die die Geldwertstabilität in der Bundesrepublik bedroht. - § 3 Abs. 3 S. 2 G10 ist mit der Maßgabe anzuwenden, daß die in dem Bericht an die Bundesregierung enthaltenen personenbezogenen Daten zu kennzeichnen sind und an die Zwecke gebunden bleiben, die ihre Erhebung gerechtfertigt haben. - § 3 Abs. 4 G10 ist mit der Maßgabe anzuwenden, daß die Daten gekennzeichnet und nicht zu anderen als den in § 3 Abs. 1 G10 genannten Zwecken verwendet werden. - § 3 Abs. 5 S. 1 i.V.m. Abs. 3 S. 1 G10 ist mit der Maßgabe anwendbar, daß personenbezogene Daten nur unter den Voraussetzungen der am 5. Juli 1995 vom Ersten Senat des BVerfG erlassenen einstweiligen Anordnung übermittelt werden dürfen und die Übermittlung protokolliert wird (die Pressemitteilung vom 13. Juli 1995 wird auf Anfrage übersandt). - § 3 Abs. 7 S. 1 G10 ist mit der Maßgabe anzuwenden, daß die Daten einer Kennzeichnungspflicht unterliegen. - § 3 Abs. 8 S. 2 G10 ist mit der Maßgabe anwendbar, daß vor der Vernichtung keinerlei Verwendung der Daten stattgefunden hat. - § 9 Abs. 2 S. 3 G10 ist mit der Maßgabe anwendbar, daß sich die Kontrollbefugnis der Kommission auch auf die Maßnahmen gemäß § 3 Abs. 3, 5, 6 und 8 G10 erstreckt. Urteil vom 14. Juli 1999 - Az. 1 BvR 2226/94, 1 BvR 2420/95, 1 BvR 2437/95
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Letzte Änderung: am 15.07.1999 | |||