Jahresbericht 1998
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2.2 Datenverarbeitung in Berlin |
3. |
SCHWERPUNKTE IM BERICHTSJAHR |
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3.1 |
Wer nicht löschen will, muß büßen |
Eine intensive öffentliche Diskussion löste der Vollzug einer Vorschrift des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) aus, die den Polizeipräsidenten verpflichtet, alle Betroffenen, deren Daten länger als fünf Jahre im Informationssystem Verbrechensbekämpfung (ISVB) gespeichert sind, hierüber zu informieren (§ 43 Abs.3). Der Gesetzgeber hatte diese Vorschrift 1992 in das ASOG in der Erwartung aufgenommen, dass diese Verpflichtung zu einer besonderen Zurückhaltung bei der längerfristigen Speicherung von Daten führen würde. Der Polizeipräsident hat diese Erwartung nicht erfüllt.
So stellte man fünf Jahre nach In-Kraft-Treten des neuen ASOG (also nicht nach Einspeicherung der Daten, mit der eigentlich die Fristen zu laufen beginnen) fest, dass über 750.000 Personen unterrichtet werden mussten - und nicht etwa nur Tatverdächtige, bei denen wegen der Schwere des Tatvorwurfs eine so lange Speicherung zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung erforderlich sein mag. Vielmehr befanden sich darunter in der Mehrzahl Verdächtige weniger schwerer Straftaten und Anzeigeerstatter. Entsprechend empört reagierten die Adressaten der ersten 80.000 Briefe, die die Polizei im Juli 1998 verschickte. Dies auch, weil die Betroffenen zunächst im Unklaren darüber gelassen wurden, ob sie als Tatverdächtige oder Anzeigeerstatter registriert sind. Nicht minder empört waren Öffentlichkeit und Politiker wegen der damit verbundenen Kosten. Leider richtete sich der Zorn häufig gegen die Mitteilungspflicht, nicht aber gegen die Praxis der Polizei, die der Intention des Gesetzgebers zuwider lief und die durch die Missachtung oder zumindest bürgerunfreundliche Interpretation des ASOG überhaupt erst entstanden war.
Wir wurden bei der Vorbereitung der Benachrichtigungsaktion nicht beteiligt. Die später von uns durchgeführte Überprüfung führte zu Ergebnissen, die in mehrfacher Hinsicht eine Änderung der Vorgehensweise der Polizei erforderlich machen.
Wer erwartet hätte, dass das ASOG angesichts der Sensitivität der Daten besonders klar zum Ausdruck bringt, innerhalb welcher Fristen welche Daten zu löschen sind, wird enttäuscht: Entgegen unserem Votum im Gesetzgebungsverfahren zur Neufassung des ASOG sind dort klare Löschungsfristen nur für die Daten von Kontaktpersonen von Verdächtigen, Zeugen, Hinweisgebern und Auskunftspersonen vorgesehen, mithin Personen, die selbst nicht verdächtigt worden sind und gleichwohl eine Speicherung zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung dulden müssen - nämlich drei Jahre. Für die Verdächtigen selbst, egal ob sich der Verdacht bestätigt hat oder nicht, wurden nur Prüffristen festgelegt und zwar nicht im Gesetz selbst, sondern in einer eigenen "Verordnung über Prüffristen bei polizeilicher Datenspeicherung" (Prüffristenverordnung). Überhaupt keine Fristen gibt das ASOG vor, wenn die Daten nicht zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung gespeichert werden, sondern zur Vorgangsverwaltung oder zur Dokumentation - die "zeitlich befristet" sein soll, ohne dass gesagt wird, was das heißt (§ 42 Abs.1 ASOG).
Diese unklaren Vorgaben sind für einen Teil der Probleme verantwortlich.
So legte der Polizeipräsident als Frist für die Speicherung zu Vorgangsverwaltung und Dokumentation pauschal fünf Jahre fest, mit der Folge, dass Daten von Anzeigeerstattern genauso lange im System blieben wie diejenigen von Straftätern und zwei Jahre länger als Daten z.B. von Personen, die enge Kontakte zu Straftätern hatten. Jahrelange Forderungen von uns, die Fristen zu verkürzen, hatten keinen Erfolg.
Auch bei der Anwendung der Prüffristenverordnung wird nicht etwa so vorgegangen, dass zugunsten der Betroffenen Prüffristen (die eine Prüfung, nicht etwa schon eine Löschung vorschreiben) möglichst kurz gehalten werden. Vielmehr wird regelmäßig die Höchstfrist von zehn Jahren festgelegt, die verringerte Frist von fünf Jahren bei Fällen von geringer Bedeutung wird äußerst restriktiv gehandhabt, so wird bereits bei einem Schaden von mehr als 100 DM davon ausgegangen, dass es sich um einen schwer wiegenden Fall handelt, der eine Prüfung erst nach 10 Jahren erforderlich macht. Nur bei Jugendlichen und über 70-Jährigen verkürzt die Verordnung selbst auf die Höchstfrist von fünf Jahren. Von den vom Verordnungsgeber vorgesehenen zusätzlichen Verkürzungsmöglichkeiten (das bedeutet bei Erwachsenen Fristen von einem Jahr bis zehn Jahren, nicht mindestens fünf Jahre) wird fast gar kein Gebrauch gemacht.
All dies führte dazu, dass in einer weitaus überwiegenden Zahl der Fälle personenbezogene Daten im ISVB mindestens fünf Jahre gespeichert blieben, bevor sie überprüft (Verdächtige) oder gelöscht wurden. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Prüfung natürlich nicht am Tage des Fristablaufs erfolgen kann, sondern dass es hierbei auch Vorlauf- und Bearbeitungszeiten gibt (nicht unter zwei Monaten). Da aber die Mitteilungspflicht bereits mit fünf Jahren eintritt, erfasst sie nach der bestehenden Praxis auch die Daten, die - eventuell nach Prüfung - nach dieser Frist schon hätten gelöscht werden müssen.
Eine wichtige Konsequenz ergibt sich schon aus diesem systematischen Mangel: Löschungsfristen müssen so festgelegt werden, dass die Daten vor Eintritt der Benachrichtigungspflicht gelöscht sind, Prüffristen bei nicht schwer wiegenden Fällen müssen so eingerichtet werden, dass die Prüfung einschließlich der dabei verfügten Löschung vor Ablauf von fünf Jahren abgeschlossen ist.
Noch gravierender als die Folgen der Fristfestlegung selbst sind die Folgen der Praxis in den Fällen, in denen zu vorhandenen Daten neue Daten hinzukommen. Gleich, ob es sich um Daten von Verdächtigen oder anderen Personen wie Anzeigeerstattern handelt, lässt die Speicherung neuer Daten die Fristen erneut von vorne beginnen: Wem viereinhalb Jahre nach Anzeige eines Fahrraddiebstahls nunmehr die Geldbörse aus der Tasche gezogen wurde, muss damit rechnen, dass der Fahrraddiebstahl fast zehn Jahre, oder - wenn er nach Jahren erneut Opfer von Strafen wird - beliebig lange im System registriert bleibt. Dies führt sinnloserweise wegen der Verlängerung der Speicherungsdauer wiederum zur Benachrichtigungspflicht. Ein großer Teil der Benachrichtigungen kann allein durch die Abschaffung dieser "Fristenspirale" bei Anzeigeerstattern entfallen.
Die für Tatverdächtige zur Erkennung von Wiederholungstätern ersonnene Fristenspirale ist bei der Speicherung von Daten in bestimmten Fällen nicht verhältnismäßig. Wer vor vier Jahren wegen einer Beleidigung registriert wurde, muss nicht hinnehmen, dass diese Datenspeicherung beispielsweise wegen eines Landesdiebstahls um weitere fünf Jahre verlängert wird. Dies hat im Übrigen auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof festgestellt[70].
Diese unbefriedigenden Vorgaben dürfen nicht zu dem Eindruck führen, dass die Polizei keine Mühe auf die Prüfung der Notwendigkeit von Datenspeicherungen verwendet. Vielmehr ist ein aufwendiges Verfahren zur Überwachung der Speicherung entwickelt worden.
Die Überwachung der Prüffristen erfolgt monatlich in vier Phasen:
Am zweiten Tag eines Monats werden bis auf wenige Ausnahmen die Personalien aller Personen, die länger als zwei Jahre verstorben sind und zu denen eine Sterbemitteilung vorliegt, automatisch aus allen Bezugsvorgängen herausgelöst und gelöscht. Über diese Löschung wird eine Druckliste als Protokoll erstellt. Sie enthält Hinweise auf vorhandene Akten. Diese Liste wird der Aktenhaltung und - sofern erkennungsdienstliches Material vorhanden ist - der hierfür zuständigen Stelle übersandt.
Danach werden alle Vorgänge, die länger als zehn Jahre gespeichert sind, hinsichtlich des aktuellen Personen-, Sach- oder Kfz-Fahndungsbestandes überprüft. Der Vorgang wird im ISVB automatisch gelöscht, wenn kein Fahndungsbestand vorhanden ist.
Nunmehr werden die Prüffristen der Tatverdächtigen überprüft. Die Aktenhaltung stellt anhand des Vorganges fest, ob seit dem Zeitpunkt des Festlegens der letzten Prüffrist Angaben zur Person des Betroffenen (Speicherung im ISVB und/oder neue Unterlagen in der Kriminalakte) ergänzt worden sind. Ist dies nicht der Fall, werden die Daten im ISVB gelöscht und die dazugehörigen erkennungsdienstlichen Unterlagen vernichtet. Sofern allerdings während der laufenden Prüffrist weitere Unterlagen bzw. Speicherungen hinzugekommen sind, wird die Frist verlängert sowie im ISVB gespeichert.
In keinem der von uns überprüften Einzelfälle waren die Entscheidungsgründe für eine Festlegung bzw. Verlängerung der Prüffrist in der Akte dokumentiert. Auch inwieweit die Erforderlichkeit des Verbleibes von Altdaten zum Zweck der vorbeugenden Straftatenbekämpfung überprüft wurde, lässt sich anhand des Akteninhaltes nicht verifizieren. Als Beleg für die Durchführung der Überprüfung der Speicherfristen wird der Akte lediglich ein Blatt, auf dem der nächste Prüftermin festgehalten ist, beigefügt. Die Verlängerung der Prüffristen erfolgt schematisch nach den Vorgaben eines internen "Arbeitsbogens". Entweder wird erneut die Höchst- oder die verkürzte Prüffrist vergeben. Eine - auch für den Außenstehenden - nachvollziehbare Revision des behördlichen Handelns bzw. der getroffenen Entscheidung ist so nicht möglich. Verschiedentlich wurde die Verlängerung der Prüffrist lediglich auf den ISVB-Auszug aus der Monatsliste gestützt, ohne dass Unterlagen zu dem Vorgang vorhanden waren.
Im letzten Arbeitsschritt werden die Personendatensätze von Anzeigenden und Geschädigten gelöscht, wenn das letzte Bearbeitungsdatum länger als fünf Jahre zurückliegt und kein Fahndungsbestand vorliegt.
Die Benachrichtigung der Betroffenen
Die Unterrichtung der Personen, deren Daten länger als fünf Jahre im ISVB gespeichert sind, erfolgte in wenig bürgerfreundlicher Weise. Mit Erschrecken lasen viele Bürger den Brief der Polizei, in dem ihnen mitgeteilt wurde, dass ihre Daten im Informationssystem Verbrechensbekämpfung gespeichert sind, aber aus technischen Gründen im Zuge dieser automatisierten Benachrichtigung leider nicht unterschieden werden könne, ob eine Speicherung als Tatverdächtiger oder Anzeigender oder Geschädigter vorgenommen wurde. Kein Wunder, dass die Telefone bei uns und der Polizei daraufhin nicht mehr stillstanden. Die Polizei änderte das Unterrichtungsschreiben bald darauf und klärte in der nächsten Aktion die Betroffenen darüber auf, ob sie als Tatverdächtige oder Anzeigenerstatter registriert sind. Die Beschwerden der Bürger haben seitdem abgenommen. In vielen Fällen führte die Unterrichtung aber nach Auskunftsanträgen der Betroffenen zu Datenlöschungen oder Berichtigungen.
Im Januar 1999 hat die Polizei die Speicherungsdauer für Daten von Anzeigenerstattern im ISVB auf drei Jahre verkürzt. Eine Entscheidung der Polizei über verkürzte Prüffristen auch bei Tatverdächtigen steht noch aus.
3.2 Trautes Heim - Job online |