Tätigkeitsbericht 1998
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Dokument zum Jahresbericht 1998 des Berliner Datenschutzbeauftragten

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DAS PROBLEM IST NICHT, DIE PRIVATSPHÄRE ZU GARANTIEREN,
SONDERN DIEJENIGEN ZU ERZIEHEN, DIE SIE NICHT ZU SCHÄTZEN WISSEN

von Umberto Eco

Heute ist viel von der Privatsphäre die Rede ... Das Problem ist dringend geworden, weil es im Informatikzeitalter möglich geworden ist, jede Bewegung jedes Bürgers von dem Moment an zu registrieren, in dem er Salat kauft oder eine pornographische Zeitschrift mit seiner Kreditkarte bezahlt. Wenn er dann im Internet ein Programm gratis herunterladen möchte, muss er als Gegenleistung dafür Informationen über sich herausgeben, die kaum vertraulich erscheinen, ihn letzten Endes aber doch unter Druck .geraten lassen können.

Dies ist der Hauptgrund , Institutionen ins Leben zu rufen, die die Privatsphäre garantieren. Der Datenschutz sorgt auch dafür, dass die Massenmedien nicht unsere Krankheiten, sexuellen Gewohnheiten oder die Kombination des Tresors preisgeben. [Anm.: Situation in Italien, wo das Datenschutzgesetz im Gegensatz zu Deutschland auch für die Presse gilt]

Merkwürdigerweise jedoch scheint in unserer Gesellschaft niemand mehr den Schutz der Privatsphäre zu wünschen.

In der Vergangenheit war der normale Mensch darauf bedacht, dass seine Angelegenheiten geheim blieben und fürchtete den Tratsch. Betrogene Ehepartner schwiegen, um nichts von ihrem Unglück bekannt werden zu lassen. Um jeden Preis wurde versucht, die schreckliche Krankheit eines Verwandten zu verbergen. Man redete nicht öffentlich über die Höhe des eigenen Einkommen . Kurz gesagt, die „dreckige Wäsche“ (und sogar die saubere) wurde zu Hause gewaschen.

Einzig die Mächtigen trugen zur Schau, was die andere verbargen. Denken wir nur an die „levée du Roi“, der den armen Monarchen zwang, in Anwesenheit des ganzen Hofstaats jeden Morgen das zu tun, was jeder von uns lieber alleine zu tun wünscht. Ganz zu schweigen von den Fällen, in denen die Höflinge die Vollziehung der Ehe bezeugen mussten. Wenn der König eine Geliebte hatte, war dies ein institutionelle Angelegenheit.

Es ist noch nicht lange her, da protzten die Mächtigen mit ihren Statussymbolen wie der 50 Meter langen Yacht, dem Rolls Royce, dem Zylinder und dem Pelzkragen.

In der modernen Mediengesellschaft ist das Gegenteil zu beobachten. Der Millionär kleidet sich unauffällig und reist nicht mehr erster Klasse im Flugzeug. Den eigenen Helikopter nutzt er nur ganz privat, seinen Reichtum verbirgt er diskret auf einer Insel in der Karibik.

Sicher, die Massenmedien sind ihm auf den Fersen. Sie überraschen ihn mit einer leidenschaftlichen Affäre im Restaurant, hören ein schlüpfriges Telefonat ab oder versuchen zu beweisen, dass er sich unausprechlichen Praktiken mit einer Praktikantin hingegeben hat. Der Mächtige aber ist nicht glücklich über diese Art von Öffentlichkeit und würde sie lieber vermeiden.

Ganz anders die kleinen Stars, die sich nach Publizität sehnen. Das Sternchen auf der Suche nach Berühmtheit; Der kleine Schauspieler, der die Presse darüber informiert, dass er in jenem Restaurant mit jener Person speisen wird. Hier kommen wir zur anderen Seite der Medaille , dem Verhalten der unglücklicherweise normalen Menschen, die unter ihrer unspektakulären „Normalheit“ leiden.

Heute wünscht der gewöhnliche Mensch keine Privatsphäre mehr. Wenn er vom Partner betrogen wurde, so rennt er zum Fernsehen, um dort mit seinem untreuen Partner vor Millionen von Zuschauern zu streiten. Wenn er an einer schrecklichen Krankheit leidet, zieht er mit Plakaten in die Öffentlichkeit, um seine und die Rechte seiner Leidensgenossen durchzusetzen . Er benutzt gerne das Handy - und zwar so, daß alle Anwesenden mitbekommen, daß er ein Geliebte hat, die er „Schnuckelchen“ nennt oder noch vor Sonnenuntergang Schulden zu begleichen hat.

Obwohl die Wächter der Privatsphäre eine Menge dafür tun, dass die persönlichen Daten - die wie auch immer erhoben wurden - nicht verbreitet werden, verpasst der gewöhnliche Mensch keine Gelegenheit, seine Daten den Hunden und Schweinen zum Fraß vorzuwerfen. Er lässt ‘zig Garantiescheine für jeden Ramsch ausstellen, den ihm eh niemand mehr repariert, füllt Anträge aus, um immer über Produkte auf dem Laufenden gehalten zu werden, die ihm letztlich völlig unwichtig sind . Er versucht an Umfragen teilzunehmen, um der Öffentlichkeit mitzuteilen, warum er an jenem Abend den Liebesfilm der politischen Diskussion vorgezogen hat und steht wild winkend hinter jedem Fernsehreporter um klarzustellen, dass er an jenem Abend auch dort war und nirgendwo anders.

In den letzten Jahrhunderten sollte die Kleidung den Körper verdecken (die „Leckerbissen“ waren nur initimen Vertrauten vorbehalten). Heute hingegen wird nur noch Kleidung getragen, die den Bauchnabel, die Kurven des Hinterns, die Kette von Mama auf der behaarten Brust, die Wölbung des männlichen Geschlechts, die Brustwarzen und womöglich bald auch die Klitoris zur Schau stellt.

Es versteht sich daher wohl von selbst, dass die eigentliche Aufgabe der Datenschutzbehörden nicht darin liegt, die Privatsphäre der Wenigen zu schützen, die sich um sie sorgen, sondern diejenigen, die so enthusiastisch auf sie verzichten, dazu zu bringen, sie zu schätzen.

Übersetzung: Cristina Vecchi
Überarbeitung: Frank Holzkamp
Orginaltext: L´Espresso, 28.05.1998[LINK]

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 Letzte Änderung:
 am 17.03.1999
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