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Anlage 2.3 zum Jahresbericht 1997
Entschließungen der 54.Konferenz der Datenschutzbeauftragten
des Bundes und der Länder am 23./24.Oktober 1997
Die fristgerechte Harmonisierung des Datenschutzes entsprechend
den Vorgaben der europäischen Datenschutzrichtlinie vom 24.Oktober 1995 droht zu scheitern. Die von dieser Richtlinie gesetzte Dreijahresfrist wird heute in einem Jahr ablaufen. Eine gründliche Beratung im Deutschen Bundestag wird durch den baldigen Ablauf der Legislaturperiode in Frage gestellt.
Noch immer gibt es keinen Kabinettsbeschluß; die Bundesregierung
hat bisher noch nicht einmal einen abgestimmten Referentenentwurf
vorgelegt. Sie gefährdet dadurch die rechtzeitige Umsetzung
der Richtlinie und riskiert ein Vertragsverletzungsverfahren vor
dem Europäischen Gerichtshof.
Für die Entwicklung des Datenschutzes ist diese Lage höchst
nachteilig:
- Verbesserungen des Datenschutzes der Bürger, z.B. durch
genauere Information über die Verarbeitung ihrer Daten, verzögern sich;
- dem Datenschutzrecht droht Zersplitterung, weil den Ländern
eine Orientierung für die Anpassung der Landesdatenschutzgesetze fehlt.
Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder appellieren
daher an die Bundesregierung, für eine fristgerechte Umsetzung
der Richtlinie Sorge zu tragen.
Zur Harmonisierung des europäischen Datenschutzrechts empfehlen
die Datenschutzbeauftragten der Bundesregierung und dem Gesetzgeber
folgende Grundsatzentscheidungen:
- weitgehende Gleichbehandlung des öffentlichen und des privaten
Bereichs bei gleichzeitiger Verbesserung der Datenschutzkontrolle,
insbesondere durch generell anlaßunabhängige Kontrolle
und durch die ausdrückliche Festlegung der völligen
Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörden und die Erweiterung
ihrer Eingriffsbefugnisse;
- Bestellung weisungsfreier Datenschutzbeauftragter auch bei öffentlichen
Stellen mit dem Recht, sich jederzeit an den Bundes- oder Landesbeauftragten
für den Datenschutz zu wenden;
- Bürgerfreundlichkeit durch einfache und verständliche
Formulierung des BDSG, z.B. durch einen einheitlichen Begriff
der Verarbeitung personenbezogener Daten entsprechend der Richtlinie;
- Gewährleistung eines einheitlichen, hohen Datenschutzniveaus
durch Beibehaltung der Funktion des BDSG und der Landesdatenschutzgesetze
als Querschnittsgesetze sowie durch Vermeidung eines Gefälles
zwischen den Bereichen, die der EG-Datenschutzrichtlinie unterfallen,
und den übrigen Gebieten, deren Datenschutzregelungen nicht
verschlechtert werden dürfen
- Sonderregelungen für Presse und Rundfunk nur, soweit zur
Sicherung der Meinungsfreiheit notwendig.
Als ebenso vordringlich betrachten die Datenschutzbeauftragten
eine Anpassung der noch von der Großrechnertechnologie der
siebziger Jahre bestimmten gesetzlichen Regelungen an die heutige
Informationstechnologie und an die Verhältnisse der modernen
Informationsgesellschaft. Dazu gehören insbesondere folgende Punkte:
- Verbindliche Grundsätze für die datenschutzfreundliche
Gestaltung von Informationssystemen und -techniken, so zur Datensparsamkeit,
zur Anonymisierung und Pseudonymisierung, zur Verschlüsselung
und zur Risikoanalyse;
- mehr Transparenz für die Verbraucher und mehr Eigenständigkeit
für die Anbieter durch Einführung eines Datenschutzaudits;
- Erweiterung des Schutzbereichs bei Bild- und Tonaufzeichnungen,
Regelung der Video-Überwachung;
- Sonderregelungen für besonders empfindliche Bereiche, wie
den Umgang mit Arbeitnehmerdaten, Gesundheitsdaten und Informationen
aus gerichtlichen Verfahren;
- Einführung einer Vorabkontrolle für besonders risikoreiche
Datenverarbeitung, namentlich bei Verarbeitung sensitiver Daten;
- Regelungen für Chipkarten-Anwendungen;
- Verstärkung des Schutzes gegenüber Adressenhandel
und Direktmarketing, unter anderem auch mindestens durch die Festlegung
von Hinweispflichten hinsichtlich der Möglichkeit des Widerspruchs;
vorzuziehen ist in jedem Fall eine Einwilligungsregelung;
- Verstärkung des Schutzes gegenüber der Einholung von
Selbstauskünften vor Abschluß von Miet-, Arbeits- und
ähnlich existenzwichtigen Verträgen;
- Datenexport nach Inlandsgrundsätzen nur bei angemessenem
Schutzniveau im Empfängerstaat; Festlegung, unter welchen
Voraussetzungen ein Mitgliedstaat Daten, die er im Anwendungsbereich
der Richtlinie (also nach Inlandsgrundsätzen) erhalten hat,
außerhalb ihres Anwendungsbereichs verwenden darf;
- möglichst weitgehende Ersetzung der Anmeldung von Dateien
bei der Aufsichtsbehörde durch Bestellung weisungsfreier
Datenschutzbeauftragter; Beibehaltung des internen Datenschutzbeauftragten
auch bei Sicherheitsbehörden;
- Stärkung der Kontrollrechte des Bundesbeauftragten und
der Landesbeauftragten für den Datenschutz durch uneingeschränkte
Kontrollbefugnis bei der Verarbeitung personenbezogener Daten in Akten einschließlich solcher über Sicherheitsüberprüfungen.
Die Konferenz weist ferner auf die Rechtspflicht der Länder
hin, ihr Datenschutzrecht ebenfalls der EG-Richtlinie fristgerecht anzupassen.
Überlegungen des Gesetzgebers und eine beginnende öffentliche
Diskussion, moderne Dokumentationstechnik der Wahrheitsfindung
und dem Zeugenschutz in gerichtlichen Verfahren nutzbar zu machen,
liegen auch im Interesse des Datenschutzes. Dabei ist allerdings
zu beachten, daß Bild-Ton-Aufzeichnungen von Vernehmungen
im Strafverfahren einen erheblichen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht
darstellen. Sie spiegeln die unmittelbare Betroffenheit der Beschuldigten
oder Zeugen in Mimik und Gestik umfassend wider. Zweck und Erforderlichkeit
dieses Eingriffs bedürfen einer sorgfältigen Begründung
durch den Gesetzgeber. Sie bildet den Maßstab, der über
Möglichkeiten, Grenzen und Verfahren der Videotechnologie
im Strafprozeß entscheidet. Erkennbar und nachvollziehbar
sollte sein, daß der Gesetzgeber die Risiken des Einsatzes
dieser Technologie, insbesondere die Verfügbarkeit der Aufzeichnungen
nach den allgemeinen Vorschriften über die Beweisaufnahme
bedacht und bewertet hat. Ferner sollte erkennbar und nachvollziehbar
sein, daß Alternativen zur Videotechnologie, namentlich
die Verwendung von Tonaufzeichnungen, in die Erwägungen des
Gesetzgebers aufgenommen wurden.
Nach Auffassung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der
Länder sollten die vorliegenden Gesetzentwürfe des Bundesrates
(BT-Drs. 13/4983 vom 19.06.1996) sowie der Fraktionen der CDU/CSU
und F.D.P. (BT-Drs. 13/7165 vom 11.03.1997) in einem umfassenderen
Bedeutungs- und Funktionszusammenhang diskutiert werden.
Zunehmend tritt das Anliegen der Praxis hervor, Bild-Ton-Aufzeichnungen
auch mit anderer Zielsetzung zu verwerten:
Bild-Ton-Aufzeichnungen ermöglichen eine vollständige
und authentische Dokumentation nicht nur des Inhalts, sondern
auch der Entstehung und Begleitumstände einer Aussage. Die
Beurteilung ihres Beweiswerts wird dadurch deutlich verbessert.
Zugleich dient eine nur einmalige Vernehmung, die möglichst
zeitnah zum Tatgeschehen durchgeführt und aufgezeichnet wird,
der Wahrheitsfindung und erhöht die Qualität der gerichtsverwertbaren
Daten ("Vermeidung kognitiver Dissonanzen"). Ausgehend
von diesen Überlegungen, hat der Gesetzgeber unter Einbeziehung
von Erkenntnissen der Vernehmungspsychologie zu prüfen, ob
und inwieweit eine wortgetreue Abfassung von Vernehmungsniederschriften
ausreicht und eine Aufzeichnung der Aussage nur im Wort auf Tonband
für die Zwecke des Strafverfahrens in ihrer Beweisqualität
der Videotechnologie sogar überlegen ist.
Für Videoaufzeichnungen des Betroffenen, die zu seinem Schutz
gefertigt werden sollen, ist dessen Einwilligung unverzichtbare
Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Bild-Ton-Aufzeich-nung
im Strafverfahren. Sofern der Betroffene nicht in der Lage ist,
die Bedeutung und Tragweite einer Bild-Ton-Aufzeichnung und ihrer
Verwendungsmöglichkeiten hinreichend zu beurteilen, hat der
Gesetzgeber festzulegen, wer anstelle des Betroffenen die Einwilligung
erteilen darf. Vor Abgabe der Einwilligungserklärung ist
der Betroffene umfassend aufzuklären, insbesondere auch über
alle zulässigen Arten der weiteren Verwertung und über
die Möglichkeit des Widerrufs der Einwilligung für die
Zukunft. Die Aufklärung ist zuverlässig zu dokumentieren.
Entsprechendes gilt für die Herausgabe von Videoaufzeichnungen.
Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder fordern
wirksame Vorkehrungen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts
bei Verwendung von Bild-Ton-Aufzeichnungen im Strafverfahren.
Unabhängig von der Frage, welche Zielsetzung mit Bild-Ton-Aufzeichnungen
im Strafverfahren verfolgt werden soll, sind hierbei insbesondere
folgende Gesichtspunkte von Bedeutung:
- Es ist sicherzustellen, daß der Eindruck des Aussagegeschehens
z.B. durch Zeitlupe, Zeitraffer, Einzelbildabfolge, Standbild
und Zoom nicht gezielt verfremdet oder verzerrt wird.
- Einsatz und Verwertung von Bild-Ton-Aufzeichnungen sind so
zu regeln, daß gesetzliche Zeugnisverweigerungsrechte gewahrt
bleiben. Insbesondere ist eine weitere Nutzung der Aufnahme, auch
zum Zwecke des Vorhalts, ausgeschlossen, wenn sich ein Zeuge auf
sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft.
- Vorbehaltlich des o.g. Einwilligungserfordernisses darf eine
Übermittlung von Videoaufzeichnungen an Stellen außerhalb
der Justiz, wenn überhaupt, nur in Ausnahmefällen erlaubt
sein, da nur so ein wirksamer Schutz vor Mißbrauch, etwa
durch kommerzielle Verwertung, gewährleistet werden kann.
Soweit der Gesetzgeber aus Gründen eines fairen, rechtsstaatlichen
Strafverfahrens die Weitergabe von Videokopien an Verfahrensbeteiligte
zuläßt, müssen jedenfalls wirksame Vorkehrungen
gegen Mißbrauch gewährleistet sein, z.B. sichtbare
Signierung und strafbewehrte Regelungen über Zweckbindungen
und Löschungsfristen.
- Eine Verwertung der Aufzeichnungen im Rahmen eines anderen
Strafverfahrens ist nur zulässig, soweit sie auch für
die Zwecke dieses anderen Verfahrens hätten angefertigt werden
dürfen.
- Soweit eine Verwertung in einem anderen gerichtlichen Verfahren
- etwa zur Vermeidung erneuter Anhörung kindlicher Zeugen
vor dem Familien- oder Vormundschaftsgericht - zugelassen werden
sollte, sind in entsprechenden Ausnahmeregelungen präzise
Voraussetzungen hierfür abschließend zu bestimmen und
enge Verwendungsregelungen zu treffen.
- Spätestens mit dem rechtskräftigen Abschluß
des Strafverfahrens sind grundsätzlich die Aufzeichnungen
unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft zu vernichten. Der Betroffene
ist davon zu benachrichtigen. Soweit der Gesetzgeber ausnahmsweise
zur Wahrung vorrangiger Rechtsgüter eine längere Aufbewahrung
der Aufzeichnungen zuläßt, müssen Voraussetzungen,
Umfang und Fristen der weiteren Aufbewahrung klar und eng geregelt
werden.
Moderne Informations- und Telekommunikationstechnik (IuK-Technik)
gewinnt in allen Lebensbereichen zunehmende Bedeutung. Die Nutzer
wenden diese Technik z.B. in Computernetzen, Chipkartensystemen
oder elektronischen Medien in vielfältiger Weise an und hinterlassen
dabei zumeist umfangreiche elektronische Spuren. Dabei fällt
in der Regel eine Fülle von Einzeldaten an, die geeignet
sind, persönliche Verhaltensprofile zu bilden.
Den Erfordernissen des Datenschutzes wird nicht in ausreichendem
Maße Rechnung getragen, wenn sich der Schutz der Privatheit
des einzelnen lediglich auf eine Beschränkung des Zugangs
zu bereits erhobenen, gespeicherten und verarbeiteten personenbezogenen
Daten reduziert. Daher ist es erforderlich, bereits vor der Erhebung
und Speicherung die zu speichernde Datenmenge wesentlich zu reduzieren.
Datensparsamkeit bis hin zur Datenvermeidung, z.B. durch Nutzung
von Anonymisierung und Pseudonymisierung personenbezogener Daten,
spielen in den unterschiedlichen Anwendungsbereichen der IuK-Technik,
wie elektronischen Zahlungsverfahren, Gesundheits- oder Verkehrswesen,
bisher noch eine untergeordnete Rolle. Eine datenschutzfreundliche
Technologie läßt sich aber nur dann wirksam realisieren,
wenn das Bemühen um Datensparsamkeit die Entwicklung und
den Betrieb von IuK-Systemen ebenso stark beeinflußt wie
die Forderung nach Datensicherheit.
Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder wollen
in Zusammenarbeit mit Herstellern und Anbietern auf datenschutzgerechte
Lösungen hinarbeiten. Die dafür erforderlichen Techniken
stehen weitgehend schon zur Verfügung. Moderne kryptographische
Verfahren zur Verschlüsselung und Signatur ermöglichen
die Anonymisierung oder Pseudonymisierung in vielen Fällen,
ohne daß die Verbindlichkeit und Ordnungsmäßigkeit
der Datenverarbeitung beeinträchtigt werden. Diese Möglichkeiten
der modernen Datenschutztechnologie, die mit dem Begriff "Privacy
enhancing technology (PET)" eine Philosophie der Datensparsamkeit
beschreibt und ein ganzes System technischer Maßnahmen umfaßt,
sollten genutzt werden.
Vom Gesetzgeber erwarten die Datenschutzbeauftragten des Bundes
und der Länder, daß er die Verwendung datenschutzfreundlicher
Technologien durch Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen forciert.
Sie begrüßen, daß sowohl der Mediendienste-Staatsvertrag
der Länder als auch das Teledienstedatenschutzgesetz des
Bundes bereits den Grundsatz der Datenvermeidung normieren. Der
in den Datenschutzgesetzen des Bundes und der Länder festgeschriebene
Grundsatz der Erforderlichkeit läßt sich in Zukunft
insbesondere durch Berücksichtigung des Prinzips der Datensparsamkeit
und der Verpflichtung zur Bereitstellung anonymer Nutzungsformen
verwirklichen. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der
Länder bitten darüber hinaus die Bundesregierung, sich
im europäischen Bereich dafür einzusetzen, daß
die Förderung datenschutzfreundlicher Technologien entsprechend
dem Vorschlag der Kommission in das 5.Rahmenprogramm "Forschung
und Entwicklung" aufgenommen wird.
Neben Anbietern von Tele- und Mediendiensten sollten auch die
Hersteller und Anbieter von IuK-Technik bei der Ausgestaltung
und Auswahl technischer Einrichtungen dafür gewonnen werden,
sich am Grundsatz der Datenvermeidung zu orientieren und auf eine
konsequente Minimierung gespeicherter personenbezogener Daten achten.
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