BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
BvR 96/95
Nicht zur Veröffentlichung bestimmt in der Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde
der türkischen Staatsangehörigen
1. D ....
2. D ....
- Bevollmächtigte: ....
gegen
a) den Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. November 1994 - 12 UZ 2834/94
b) das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 7. September 1994 - 4 E 957/94.A (1) -
und Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Sommer, Jentsch, Hassemer
gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Absatz 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473) am 8. Juli 1996 einstimmig beschlossen:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 7. September 1994 - 4 E 957/94.A (1) verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 16a Absatz 1 des Grundgesetzes in
Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Der Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. November 1994 - 12 UZ 2834/94 - ist gegenstandslos.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Das Land Hessen hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren und das Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Umfang und Inhalt der Belehrung eines Asylbewerbers über seine Pflicht zur Mitteilung von Adressenänderungen gemäß § 10 Abs. 1 und 7 AsylVfG als Voraussetzung für das Eingreifen der Zustellungsfiktion (§ 10 Abs. 2 Satz 4 AsylVfG).
1. Die Beschwerdeführer, Eheleute kurdischer Volkszugehörigkeit und türkischer Staatsangehörigkeit, stellten am 17. November 1992 Asylanträge. Anläßlich der Aufnahme ihrer Anträge durch die Ausländerbehörde des Main-Taunus-Kreises in Schwalbach wurde ihnen ein Belehrungsvordruck über die Vorschrift des § 17 AsylVfG a.F. ausgehändigt, der vom Beschwerdeführer zu 2. unterschrieben und von der Beschwerdeführerin zu 1., einer Analphabetin, mit einem Fingerabdruck gezeichnet wurde. In diesem Belehrungsvordruck wurde in deutscher Sprache darauf hingewiesen, daß alle Adressenänderungen dem Bundesamt, der Ausländerbehörde und gegebenenfalls auch dem Gericht mitzuteilen seien. Die Beachtung dieser Vorschrift sei wichtig und könne bei Nichtbeachtung erhebliche Nachteile zur Folge haben, weil die Anschrift für Zustellungen und den daran anknüpfenden Beginn von Rechtsmittelfristen von Bedeutung sei. Der Text des § 17 AsylVfG a.F. wurde anschließend wörtlich wiedergegeben.
Die Beschwerdeführer wurden im März 1993 nach Bad Hersfeld umverteilt. Das Bundesamt, dem dieser Adressenwechsel nicht bekannt war, sandte an die ihm allein bekannte ursprüngliche Adresse in Gilserberg am 20. August 1993 eine Ladung der Beschwerdeführer zur persönlichen Anhörung sowie am 26. August 1993 eine Betreibensaufforderung gemäß § 33 Abs. 1 AsylVfG. Beide Schreiben gelangten jeweils mit dem Vermerk "Empfänger verzogen" an das Bundesamt zurück.
Mit Bescheid vom 30. September 1993 stellte das Bundesamt das Asylverfahren daraufhin wegen fehlender Mitwirkung gemäß § 33 Satz 1 AsylVfG ein und stellte fest, Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG seien nicht ersichtlich, da die Beschwerdeführer ihr Asylverfahren nicht betrieben hätten. Dieser Bescheid konnte den Beschwerdeführern ausweislich des Vermerks auf der Postzustellungsurkunde am 2. Oktober 1993 nicht zugestellt werden; die zurückkehrende Postzustellungsurkunde war mit dem vermerk "Empfänger verzogen" versehen.
Erst durch die Ausreiseaufforderung der Ausländerbehörde, die am 21. Februar 1994 unter Bezugnahme auf den Bundesamtsbescheid und die darin enthaltene Abschiebungsandrohung erging, erfuhren die Beschwerdeführer von der Existenz des Bescheides und erhoben dagegen am 25. Februar 1994 Klage beim Verwaltungsgericht Kassel. Sie beriefen sich darauf, daß sie nicht in der erforderlichen qualifizierten Form auf ihre Mitteilungspflichten hinsichtlich einer Adressenänderung hingewiesen worden seien. Sie müßten deshalb die Fiktion der Zustellung des Bescheides unter ihrer alten Adresse nicht gegen sich gelten lassen.
Außerdem stellten sie hilfsweise einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die gegebenenfalls versäumte Klagefrist und führten zur Begründung aus, nach dem Umzug an die neue Adresse hätten sie die zuständige Sozialarbeiterin aufgesucht und gebeten, die Änderung ihrer Adresse den zuständigen Behörden mitzuteilen. Sie legten ein Schreiben der Sozialarbeiterin vor, in der diese am 22. Februar 1994 gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten der Beschwerdeführer erklärt, der Wohnsitzwechsel der Beschwerdeführer sei von ihr dem Sozialamt Bad Hersfeld und der Ausländerbehörde Bad Hersfeld mitgeteilt worden. Wie bei allen anderen Asylbewerbern sei es Aufgabe der Ausländerbehörde, weitere Ummeldungen vorzunehmen. Die Beschwerdeführer beriefen sich darauf, unter diesen Umständen hätten sie alles zur Erfüllung ihrer Mitteilungspflicht Erforderliche getan. Es könne ihnen nicht angelastet werden, daß die Sozialarbeiterin nicht auch dem Bundesamt von dem Adressenwechsel Mitteilung gemacht habe.
Nachdem die Beschwerdeführer im Klageverfahren außerdem erklärt hatten, der Inhalt des Belehrungsvordrucks nach § 17 AsylVfG a.F. sei ihnen bei der Asylantragstellung nicht übersetzt worden, vernahm das Verwaltungsgericht den bei der Ausländerbehörde seinerzeit tätig gewesenen Dolmetscher als Zeugen. Dieser gab an, er habe jeweils immer nur das übersetzt, was ihm die Behördenmitarbeiter gesagt hätten. Den Belehrungsvordruck habe er nicht übersetzt. Manche Mitarbeiter der Ausländerbehörde hätten die Belehrung nicht so ernst genommen, sondern teilweise schneller arbeiten wollen. Auch wenn der betreffende Mitarbeiter der Ausländerbehörde nachlässig gehandelt habe, habe er es sich selbst zur Routine gemacht, immer über die Verpflichtung zur Mitteilung einer eventuellen Adressenänderung zu belehren. Er habe den Asylbewerbern erklärt, daß dies ein Papier vom Bundesamt sei und daß dort eine Anhörung stattfinde. Außerdem habe er erklärt, die Adressenänderung müsse nach Zirndorf mitgeteilt werden. Genau habe er gesagt, daß die Adressenänderung an das Bundesamt "hauptsächlich" mitgeteilt werden müsse. Die Aufgliederung der Behörden in Ausländerbehörde, Sozialamt und Bundesamt habe er den Asylbewerbern nicht erklärt. Das wäre immer schwer zu erklären gewesen und sei außerdem nicht seine Aufgabe. Für Analphabeten zu übersetzen sei sehr schwer gewesen. Er habe die Leute zwar gefragt, ob sie verstanden hätten. Manche hätten sich aber sicherlich geschämt zuzugeben, daß sie nicht verstanden hätten. Nach der Anhörung habe ein erster Transfer der Asylbewerber nach Gießen stattgefunden. Dort hätten sie dann teilweise monatelang bis zu einem zweiten Transfer warten und danach dem Bundesamt die neue Adresse schicken müssen. Insbesondere Analphabeten hätten nicht verstehen können, was das überhaupt sei. Diesen eine Adresse des Bundesamtes mitzugeben, sei unmöglich gewesen. Im übrigen habe er das im Irak gesprochene Kurdisch bei der Übersetzung verwendet. Das in der Türkei gesprochene Kurdisch (Zaza) beherrsche er nicht. Beim Übersetzen könne es Mißverständnisse geben.
2. Mit Urteil vom 7. September 1994 wies das Verwaltungsgericht Kassel die Klage der Beschwerdeführer wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig ab. Aufgrund der Zustellungsfiktion des § 17 Abs. 2 Satz 3 AsylVfG a.F. (§ 10 Abs. 2 Satz 4 AsylVfG n.F.) sei den Beschwerdeführern der Bescheid des Bundesamtes mit der Aufgabe zur Post (l. Oktober 1993) wirksam zugestellt worden. Die Klagefrist sei deshalb gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG n.F. am 15. Oktober 1993 abgelaufen. Die erst am 25. Februar 1994 erhobene Klage sei damit verfristet. Die Beschwerdeführer seien ordnungsgemäß über ihre Mitteilungspflichten belehrt worden. Einen entsprechenden Belehrungsvordruck hätten sie mit Unterschrift bzw. Fingerabdruck quittiert. Auch die Vernehmung des Dolmetschers ergebe nichts Gegenteiliges. Zwar sei davon auszugehen, daß die Belehrungsvordrucke je nach Engagement des Sachbearbeiters nicht übersetzt, sondern nur ausgehändigt worden seien. Gleichwohl habe der Dolmetscher erklärt, routinemäßig und unabhängig vom Engagement des Sachbearbeiters der Ausländerbehörde die Asylbewerber darüber belehrt zu haben, daß Adressenänderungen auf jeden Fall an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mitzuteilen seien. Auch wenn sich der Dolmetscher an die Belehrung der Beschwerdeführer konkret nicht mehr erinnern könne, sei deshalb davon auszugehen, daß auch diese von ihm im Zuge der routinemäßigen Belehrung über die Mitteilungspflicht unterrichtet worden seien. Der Hinweis der Beschwerdeführer auf die unterschiedlichen Dialekte, das Analphabetentum der Beschwerdeführerin zu 1. und überhaupt die Schwierigkeit, Adressenänderungen verständlich gemacht zu bekommen, ändere daran nichts. Wie ihr Verhalten zeige, sei ihnen die Verpflichtung zur Mitteilung von Adressenänderungen an die Behörden sehr wohl bewußt gewesen. Sie selbst hätten nämlich im Wiedereinsetzungsantrag erklärt, die zuständige Sozialarbeiterin nach dem Umzug an die neue Adresse aufgesucht und gebeten zu haben, die Änderung ihrer Adresse den zuständigen Behörden mitzuteilen. Das zeige, daß sie eine Belehrung in qualifizierten Sinne erhalten hätten. Die Aushändigung einer schriftlichen Belehrung, die in einer ihnen geläufigen Sprache abgefaßt sei, stelle nicht die einzig in Betracht kommende Möglichkeit der vom Bundesverfassungsgericht geforderten qualifizierten Belehrung dar. Im vorliegenden Fall genüge die mündliche Belehrung durch den Dolmetscher.
Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist komme nicht in Betracht, da sich die Beschwerdeführer nicht auf die Sozialarbeiterin hätten verlassen dürfen. Aufgrund der Belehrung sei ihnen klar gewesen, daß auch das Bundesamt habe informiert werden müssen. Eine Zusage der Sozialarbeiterin, auch das Bundesamt von Adressenwechsel zu informieren, sei mit dem vorgelegten Schreiben gerade nicht belegt worden.
3. Die Beschwerdeführer stellten daraufhin rechtzeitig einen Antrag auf Zulassung der Berufung beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Zur Begründung führten sie aus, das Urteil des Verwaltungsgerichts weiche vom Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 10. März 1994 (2 BvR 2371/93) ab. In der hiernach erforderlichen qualifizierten Weise seien sie nicht belehrt worden. Der Dolmetscher habe lediglich erklärt, eine Adressenänderung müsse an das Bundesamt "hauptsächlich" mitgeteilt werden. Den Behördenaufbau und die Verschiedenartigkeit der Behörden habe er ihnen nicht erklärt. Nach seinen Angaben sei es auch unmöglich gewesen, Analphabeten die Adresse des Bundesamtes mitzugeben. Schließlich habe er in einer anderen Dialektversion des Kurdischen übersetzt, was nach seinen eigenen Angaben Mißverständnisse aufwerfen könne.
Mit Beschluß vom 25. November 1994 lehnte der Hessische Verwaltungsgerichtshof die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ab: Zwar weiche das Urteil von dem genannten Kammerbeschluß des Bundesverfassungsgerichts ab, auf dieser Abweichung jedoch beruhe das Urteil nicht. Das Verwaltungsgericht habe nämlich jedenfalls festgestellt, daß den Beschwerdeführern ihre Verpflichtung zur Mitteilung der Adressenänderung an die Behörden sehr wohl bewußt gewesen sei, da sie die Sozialarbeiterin gebeten hätten, die Änderung ihrer Adresse den zuständigen Behörden mitzuteilen. Das Urteil beruhe damit auch auf der Feststellung, die Beschwerdeführer seien über die Einzelheiten ihrer Mitteilungspflicht unterrichtet gewesen.
1. Mit der rechtzeitig erhobenen Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 16a Abs. 1, 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 GG. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletze den aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anspruch auf ein faires Verfahren. Danach müßten sie sich eine Zustellungsfiktion nicht ohne schuldhaftes Verhalten entgegenhalten lassen. An einem solchen Verschulden fehle es hier. Außerdem sei ihnen der Zugang zu den Gerichten, verwehrt worden, da das Verwaltungsgericht zu Unrecht von der Verfristung der Klage ausgegangen sei, wie der Hessische Verwaltungsgerichtshof zu Recht festgestellt habe, weiche das Urteil des Verwaltungsgerichts von dem genannten Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ab; entgegen der Ansicht des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs beruhe es auch auf dieser Abweichung. Daß sie die Sozialarbeiterin beauftragt hätten, die Adressenänderung den zuständigen Behörden mitzuteilen, habe das Gericht nicht als eigenständig tragenden Grund für seine Entscheidung über die Unzulässigkeit der Klage herangezogen, sondern lediglich als Indiz dafür, daß die Belehrung offenbar doch so gründlich gewesen sei, daß sich die Beschwerdeführer ihrer Mitteilungspflicht in dem erforderlichen Umfang bewußt gewesen seien. Das sei aber nach dem oben Ausgeführten nicht der Fall.
Die Zurückweisung des Antrags auf Zulassung der Berufung verletze auch ihr Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG. Die Tatsache, daß eine Sozialarbeiterin mit der Mitteilung der Anschriftenänderung beauftragt worden sei, beweise die genaue Kenntnis der Mitteilungspflicht nicht. Damit sei weder festgestellt, welche Vorstellungen sie über ihre Verpflichtung gehabt hätten, noch wen sie für die zuständige Behörde gehalten hätten. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verkenne, daß zu einer ordnungsgemäßen Belehrung auch die Belehrung über die Folgen der Nichterfüllung der Mitteilungspflicht notwendig sei. Da das Verwaltungsgericht eine solche qualifizierte Belehrung gerade nicht für notwendig gehalten habe, hätte es aus dem Umstand der bloßen Bitte an die Sozialarbeiterin auch nicht ableiten dürfen, daß sie sich ihrer Mitteilungspflicht im erforderlichen qualifizierten Umfang bewußt gewesen seien. Indem der Hessische Verwaltungsgerichtshof diese Schlußfolgerung als das Urteil selbstständig tragend gewertet habe, habe er eine Überraschungsentscheidung getroffen, zu der die Beschwerdeführer kein rechtliches Gehör erhalten hätten. Wären sie dazu angehört worden, hätten sie eingewandt, daß sie der Sozialarbeiterin bei ordnungsgemäßer Belehrung auch mitgeteilt hätten, wer genau zu benachrichtigen sei, und sich anschließend auch erkundigt hätten, ob sie das auch getan habe.
2. Das Bundesverfassungsgericht hat den Anhörungsberechtigten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Hessische Staatskanzlei hält die Verfassungsbeschwerde für begründet.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchst. b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 BVerfGG offensichtlich begründet; die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Voraussetzungen der Zustellungsfiktion in bezug auf den Bundesamtsbescheid seien gegeben; damit sei die Klagefrist versäumt; insbesondere seien die Beschwerdeführer in der erforderlichen qualifizierten Weise über ihre Verpflichtung belehrt worden, Adressenänderungen mitzuteilen. Damit hat es im vorliegenden Fall die verfassungsrechtlichen Vorgaben, die sich aus Art. 16a Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ergeben, nicht beachtet.
1. Gegen die in § 10 Abs. 1 AsylVfG 1992/93 normierte Verpflichtung des Asylbewerbers zur Angabe jeder Anschriftenänderung und deren Sanktionierung durch eine Zustellungsfiktion (§ 10 Abs. 2 Satz 4 AsylVfG 1992/93) ist von Verfassungs wegen im Grundsatz nichts zu erinnern (vgl. dazu näher die Kammerbeschlüsse vom 10. März 1994 - 2 BvR 2371/93 und 2516/93 -, InfAus1R 1994, S. 324). Der Nachteil, den der Asylbewerber infolge der Zustellungsfiktion erleiden kann, ist allerdings nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Betroffene auf die gesetzliche Regelung hingewiesen wird. Dieser letztlich in dem alle staatlichen Organe verpflichtenden Gebot eines fairen Verfahrens (vgl. BVerfGE 30, 1 <27>; 38, 105 <111>; 57, 250 <283>) wurzelnden rechtsstaatlichen Anforderung hat der Gesetzgeber mit den Vorschriften der §§ 10 Abs. 4 AsylVfG 1992, 10 Abs. 7 AsylVfG 1993 entsprochen.
Soll der danach vorgeschriebene Hinweis seiner Aufgabe gerecht werden, gerade mit Blick auf den Ausnahmecharakter der Norm für Rechtsklarheit zu sorgen (BVerfGE 60, 1 <6>) muß er den Besonderheiten des Adressatenkreises Rechnung tragen. Es ist zu berücksichtigen, daß der Asylbewerber sich in einer ihm fremden Umgebung befindet, mit dem Ablauf des deutschen Asylverfahrens nicht vertraut und in aller Regel der deutschen Sprache nicht mächtig ist (vgl. BVerfGE 64, 135 <145, 156>). Es ist demnach erforderlich, daß dem Asylbewerber durch eine erläuternde Belehrung mit der gebotenen Deutlichkeit vor Augen geführt wird, welche Obliegenheiten ihn im einzelnen treffen und welche Folgen bei deren Nichtbeachtung entstehen können. Der Hinweis kann sich deshalb zum einen nicht auf die gesetzlichen Vorschriften als solche beschränken, sondern muß sich auf die hieraus folgenden Konsequenzen sowohl im behördlichen Verfahren als auch für die fristgerechte Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes erstrecken. Zum anderen reicht eine bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts vor dem Hintergrund des Verständnishorizonts des Asylbewerbers nicht aus. Vielmehr bedarf es einer verständlichen Umschreibung des Inhalts der gesetzlichen Bestimmungen. Diesem Gebot wird in aller Regel schon durch die in der ganz überwiegenden Anzahl der Fälle erforderliche Übersetzung der Vorschriften in eine dem Asylbewerber geläufige Sprache genügt, weil sich dabei aus Gründen der Praktikabilität eine sinngemäße, nicht strikt an juristischen Begrifflichkeiten orientierte Übertragung anbietet. Insoweit reicht es allerdings aus, dem Asylbewerber, sofern er des Lesens kundig ist, die erforderlichen Hinweise in schriftlicher Form zugänglich zu machen.
Des weiteren darf bei der gebotenen inhaltlichen Ausgestaltung des Hinweises nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden, daß der Asylbewerber mit dem deutschen Behördenaufbau in Asylsachen vertraut ist. Die staatlichen Einrichtungen, denen er sich in seiner Eigenschaft als Asylbewerber gegenübersieht, stellen sich für ihn zunächst als eine Einheit dar. Deshalb bedarf es eines ausdrücklichen Hinweises darauf, daß die Pflicht, dem Bundesamt jede Adressenänderung mitzuteilen (§ 10 Abs. 1 AsylVfG 1992/93), auch dann Beachtung fordert, wenn der Asylbewerber auf behördliche Veranlassung von einer ersten bzw. zentralen Aufnahmeeinrichtung, die erkennbar nur der vorläufigen Unterbringung dient, einer anderen Unterkunft zugewiesen wird (vgl. die Beschlüsse der erkennenden Kammer vom 10. März 1994 - 2 BvR 2371/93, a.a.O., vom 7. Juni 1994 - 2 BvR 334/94 -, AuAS 1994, S. 212 und vom 29. Juli 1994 - 2 BvR 725/94 und 726/94 -). Gerade weil in dieser Situation die Annahme des Asylbewerbers nachvollziehbar ist, daß sich die verschiedenen Behörden bei einer behördlich verfügten Adressenänderung untereinander darüber verständigen, bedarf es eines ausdrücklichen Hinweises, daß die Mitteilungspflicht auch in dieser speziellen Situation Beachtung fordert, d.h. daß in jedem Fall und unabhängig davon, ob eine der beteiligten Behörden schon von der Adressenänderung unterrichtet ist bzw. diese selbst verfügt hat, der Asylbewerber immer und unbedingt von sich aus dem Bundesamt gegenüber Mitteilung machen muß.
2. a) Im vorliegenden Fall, in dem noch die mit § 10 AsylVfG 1992/93 im wesentlichen übereinstimmende Vorschrift des § 17 AsylVfG a.F. angewandt worden ist, ist nicht ersichtlich, daß die Beschwerdeführer in dieser inhaltlich qualifizierten weise belehrt worden sind. Zwar hat das Verwaltungsgericht festgestellt, die Beschwerdeführer seien vom Dolmetscher - unabhängig vom Inhalt des ihnen in deutscher Sprache überreichten Merkblattes - darauf hingewiesen worden, daß sie von einer Adressenänderung auf jeden Fall dem Bundesamt Mitteilung zu machen hätten. Zwar ist das Verwaltungsgericht ferner davon ausgegangen, daß die Beschwerdeführer trotz der von ihnen gerügten Übersetzungsschwierigkeiten und des Analphabetentums der Beschwerdeführerin zu 1. diese Belehrung auch verstanden haben; dies hat es daraus entnommen, daß sie sich nach der Verlegung an den neuen Wohnort mit der Bitte an die dort zuständige Sozialarbeiterin gewandt haben, den zuständigen Behörden die Adressenänderung mitzuteilen. Daß die Beschwerdeführer in der gebotenen Weise auch über die Folgen der Nichtbeachtung dieser Mitteilungsverpflichtung belehrt worden sind, hat das Verwaltungsgericht hingegen nicht festgestellt; dies ist auch der Zeugenaussage des Dolmetschers nicht zu entnehmen. Ebensowenig hat das Verwaltungsgericht festgestellt, daß den Beschwerdeführern eine Belehrung zuteil geworden ist, die geeignet war, ihnen klar zu machen, daß es im Asylverfahren verschiedene zuständige Behörden (Ausländerbehörde, Bundesamt, gegebenenfalls Gericht) gibt, die jeweils unabhängig voneinander von der Adressenänderung in Kenntnis zu setzen sind. Schließlich fehlt eine Feststellung dazu, sie seien auch darüber belehrt worden, daß diese Verpflichtung auch in solchen Situationen unbedingte Beachtung erfordert, in denen für den Asylbewerber Anlaß für die Annahme bestehen kann, eine solche Mitteilung sei überflüssig, da sich die Behörden untereinander in Kenntnis setzen würden bzw. die eine Behörde sich die Kenntnis der anderen Behörde wegen der angenommenen Einheitlichkeit der
Verwaltung zurechnen lassen müsse.
Da der Dolmetscher den Beschwerdeführern eigenen Angaben zufolge den Behördenaufbau gerade nicht erklärt und sie offenbar auch nicht über ihre unbedingte Mitteilungsverpflichtung gegenüber allen beteiligten Behörden unterrichtet hat und schließlich auch keine Unterrichtung über die einschneidenden Folgen der Nichtbeachtung der so qualifizierten Mitteilungspflicht stattgefunden hat, genügte seine Belehrung, sie hätten sich "jedenfalls" bzw. "hauptsächlich" an das Bundesamt zu wenden und diesem die Adressenänderung mitzuteilen, nicht den oben genannten Anforderungen an eine qualifizierte Belehrung.
b) Der Umstand, daß sich die Beschwerdeführer nach dem behördlich verfügten Umzug an die Sozialarbeiterin des neuen Wohnorts mit der Bitte gewandt haben, diese möge "den zuständigen Behörden" Mitteilung von der Adressenänderung machen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Dieses Verhalten spiegelt im Rückschluß allenfalls einen Kenntnisstand der Beschwerdeführer über ihre Verpflichtung zur Mitteilung der Adressenänderung wider, wie er aufgrund der zuvor zuteil gewordenen Belehrung nur vorhanden sein konnte. Diesem Verhalten der Beschwerdeführer läßt sich jedenfalls nicht entnehmen, es sei ihnen klar gewesen, daß es nicht genügte, daß die Sozialarbeiterin nur die Ausländerbehörde, nicht hingegen zusätzlich und unabhängig davon auch das Bundesamt in Kenntnis setzte. Schon die pauschale Formulierung der Bitte, "den zuständigen Behörden" Mitteilung zu machen, zeigt, daß dies den Beschwerdeführern mit der zuvor erteilten Belehrung nicht in ausreichendem Maße klar gemacht worden ist. Auch daß sie die Erfüllung der Pflicht in der festgestellten Weise delegierten, zeigt, daß ihnen die gravierenden Folgen einer nicht vollständigen Erfüllung der Pflicht nicht in ausreichendem Maße bewußt gewesen sind. Jedenfalls läßt sich ihre Einlassung nicht widerlegen, sie hätten es bei voller Kenntnis der Folgen einer ungenügenden Erfüllung der Pflicht nicht dabei bewenden lassen, die Sozialarbeiterin zu bitten, sondern hätten durch spätere Nachfrage auch die Erfüllung ihrer Bitte kontrolliert. Wie schwer verständlich bei einer behördlich verfügten Adressenänderung der genaue Umfang der Mitteilungsverpflichtung ist, zeigt sich übrigens im vorliegenden Fall daran, daß offenbar auch der Sozialarbeiterin als einer mit dem deutschen Behördenwesen vertrauten Person nicht bekannt war, daß eine Adressenänderungsmitteilung nur gegenüber der Ausländerbehörde nicht genügte. Umso weniger kann von einem Asylbewerber in seiner speziellen Situation und bei Berücksichtigung seines Empfängerhorizonts erwartet werden, daß er ohne qualifizierte Belehrung die Zusammenhänge durchschaut.
3. Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auch auf den genannten Verfassungsverstoß. Es enthält keine die Klagabweisung selbständig tragende Feststellung dahin, das Verhalten der Beschwerdeführer lasse unabhängig von der ihnen durch den Dolmetscher zuteil gewordenen Belehrung auf einen anderweit bei ihnen vorhandenen qualifizierten Kenntnisstand über den Umfang ihrer Mitteilungsverpflichtung schließen mit der Folge, daß eine unzureichende Belehrung durch den Dolmetscher für die Versäumung der Klagefrist zumindest nicht kausal wäre. Vielmehr hat das Gericht das spätere Verhalten der Beschwerdeführer lediglich als Indiz dafür herangezogen, daß diese trotz der von ihnen gerügten Verständnisschwierigkeiten bei der Übersetzung den Inhalt der Dolmetscherbelehrung ausreichend verstanden hätten. Da die Beschwerdeführer aber - wie dargelegt - hierdurch nicht in der erforderlichen qualifizierten Weise belehrt worden sind, lagen die Voraussetzungen der Zustellungsfiktion nicht vor.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist aufzuheben; die Sache ist zur erneuten Entscheidung über die Zulässigkeit und gegebenenfalls Begründetheit der Klage an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).
Damit ist der zugleich angegriffene Beschluß des HessischenVerwaltungsgerichtshofs gegenstandslos (BVerfGE 69, 233 <248>).
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung hat sich durch die Entscheidung in der Hauptsache erledigt (vgl. BVerfGE 7, 99 <109>).
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Sommer, Jentsch, Hassemer