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Anlagen zum Jahresbericht 1996

Auszug aus der Polizeilichen Kriminalstatistik 1995 (PKS) Seite 95+96

Organisierte Kriminalität

Vorbemerkungen

"Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- und Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung ihrer von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig

a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen,

b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel, oder

c) unter Einflußnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken" (bundeseinheitliche Definition).

Ein OK-Lagebild läßt sich auch weiterhin nur bedingt und in wenigen Teilbereichen mit (Einzel-)Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik absichern. Für eine bundeseinheitliche Darstellung werden deshalb weitgehend geschäftsstatistische Daten der mit der Materie befaßten Dienststellen erhoben und nach einer vorgegebenen Struktur ausgewertet.

Das Bundeskriminalamt führt die Lagebilder der Länder im Laufe des Folgejahres jeweils zu einem Gesamt-Lagebild für die Bundesrepublik Deutschland zusammen,

Allgemeine Bewertung

Während Analysen zur "Allgemeinen Kriminalität" ab 1991 (Gesamt-Berlin) eher eine Stagnation auf hohem Niveau ergeben, ist im Bereich der OK dagegen im selben Zeitraum eine dynamische Entwicklung mit teilweise massiven Zuwachsraten und einer qualitativen Auswertung festzustellen. Die Stichworte dazu lauten: Morde i.V.m. dem Zigarettenhandel durch Vietnamesen, Rauschgifthandel und -schmuggel, Falschgeldverbreitung, Fälschung von Personal- und Fahrzeugpapieren (insbesondere im Zusammenhang mit Kraftfahrzeugen und Menschenhandel), Kfz-Sachwertdiebstahl und -Verschiebung sowie Kreditkartenbetrug.

Seitenanfang Bereits der "nackte", noch allgemeine Fallzahlenvergleich zur Vorgangsbearbeitung beim Referat für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vermittelt einen ersten Eindruck (PKS-Daten):

1991 = 1.682 erfaßte Fälle; 1.1 67 ermittelte TV; 499 Nichtd. TV

1992 = 3.769 erfaßte Fälle; 2.664 ermittelte TV; 1.685 Nichtd. TV

1993 = 5.088 erfaßte Fälle; 3.942 ermittelte TV; 2.782 Nichtd. TV

1994 = 4.567 erfaßte Fälle; 3.794 ermittelte TV; 2.392 Nichtd. TV

1995 = 4.233 erfaßte Fälle; 3.467 ermittelte TV; 2.1 01 Nichtd. TV

Mit dieser Entwicklung kommt nicht die situationsangepaßte, verstärkte Ausrichtung der Ermittlungsarbeit auf einen personen-/personengruppenbezogenen Ansatz zum Ausdruck, die zur Verifizierung oder Ausräumung eines vermuteten OK-Hintergrundes oder dem Gewinnen von Zusatzerkenntnissen geführt werden müssen. Ein qualitativer Indikator ist darüber hinaus in der besonderen Beteiligung nichtdeutscher Tatverdächtiger zu sehen. Sie liegt z. B. 1995 zu den Ermittlungsverfahren beim Referat für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität bei 60,6%, also erheblich über dem Mittel für Straftaten -insgesamt- der Polizeilichen Kriminalstatistik ( 34.0%).

Setzt man die Zahl der Ermittlungsverfahren des Fachreferates Berlin für 1995 mit den Ergebnissen des BKA-Jahresberichtes OK in Relation, demzufolge nach bundesweiter Erhebung je OK-Verfahren von einer durchschnittlich 10monatigen Ermittlungsdauer auszugehen ist, so ist daraus eine entsprechend dauerhafte Personalbindung abzuleiten. Unter diesen Bedingungen und dem zusätzlich hohen Aufgabendruck sind insbesondere Initiativermittlungen zu sich abzeichnenden OK-Phänomenen nicht immer in dem gewünschten und notwendigen Umfang durchführbar. Hinzu tritt, daß der Tathintergrund einer Vielzahl von Fällen teilweise brutaler (häufig schuß- und/oder kriegswaffenbewehrter) Gewaltanwendungen wegen der Einschüchterung von Zeugen bzw. eigener strafbarer Handlungen Betroffener in den Hauptbetätigungsfeldern der OK ohne statistischen Niederschlag blieb bzw. bleiben mußte,

Spezielle Erscheinungsformen

Rauschgiftkriminalität

OK-Relevanz bei Rauschgiftdelikten stellt sich im wesentlichen über Täter-Gruppenstrukturen, Organisationsgrade und -ablaufe beim illegalen Handel und Schmuggel, über die Abschottungspraktiken und Einflußnahme durch diese Täterkreise dar. Generell ist ein Trend zur Gruppenbildung bei arbeitsteiliger Handlungsweise in den höheren Dealerhierarchien zu beobachten. Bei Mengenverhandlungen, Preisverhandlungen, Lieferungen, Geldentgegennahmen und ggf. Repressalien werden jeweils andere Gruppenmitglieder tätig. Die Wesensmerkmale der Aufbau- und Ablauforganisationen beim Heroinhandel sind derzeitig die, daß Türken (Kurden) beim Einfuhrschmuggel, Großhandel und Kleinhandel dominieren.

Zur aktuellen Situation zu den Herkunftsländern und den Transportwegen/-mitteln ist festzustellen, daß harte Drogen, insbesondere Heroin, noch immer überwiegend aus der Türkei stammen. Es wird von türkischen und arabischen Tätergruppen meist in dafür präparierten Kraftfahrzeugen nach Deutschland geschmuggelt. Während lange Zeit die sog. Balkanroute eine Rolle spielte, zeichnet sich nunmehr ab, daß eine Verschiebung der Transportwege nach Norden stattfindet, d. h. über die GUS und Polen nach Deutschland. Grund dafür könnte sein, daß der Krieg im ehem. Jugoslawien mehr und mehr ein Ausweichen notwendig macht.

Kokain wird weiterhin auf verschiedenen Schmuggelwegen durch Bewohner südamerikanischer Anbauländer nach Deutschland verbracht. Das bevorzugte Transportmittel ist dabei das Fluggepäck, jedoch wurde auch Körperschmuggel festgestellt. Haschisch wird in den meisten Fällen von den Niederlanden nach Berlin verbracht. Hierbei sind die Täter überwiegend Deutsche, die sowohl Kraftfahrzeuge als auch die Bahn benutzen.

Auswirkungen des OrgKG und des Gewinnaufspürungsgesetzes (GWG) für den OK-Bereich der Rauschgiftkrirminalität sind noch nicht in nennenswerter Weise festzustellen.

Geldwäsche (verfahrensunabhängige Finanzermittlungen)

Der Straftatbestand der Geldwäsche gem. § 261 StGB wird seit dem 1.1.1994 in der Polizeilichen Kriminalstatistik ausgewiesen. Für das erste Erfassungsjahr kamen (nur) 2 Fälle zur statistischen Erfassung; für 1995 war kein Fall zu registrieren.

Mit dem kriminalstatistischen Ergebnis für 1995 kommt zum Ausdruck, daß in keinem Fall der verfahrensunabhängigen Finanzermittlung die Tatbestandsmerkmale des § 261 StGB als erfüllt angesehen werden konnten. Nur dieser Umstand hätte zu einer Registrierung in der polizeilichen Kriminalstatistik geführt.

Hintergrund dieser Aussage sind jedoch 157 sog. "Verdachtsanzeigen", 180 Erkenntnisanfragen des BKA und anderer Länder, 11 IP-Anfragen und 5 Rechtshilfeersuchen.

Der Deliktsbereich weist Zusammenhänge mit der Wirtschaftskriminalität, teilweise aber auch mit der Organisierten Kriminalität auf.

Kraftfahrzeug-Sachwertdiebstahl

In dem Deliktsbereich Kraftfahrzeugdiebstahl ist der (organisierte) Sachwertdiebstahl nur ein relativ kleiner, vom Schaden und der kriminellen Intensität her jedoch ein zunehmend bedeutender Bereich.

Merkmale bzw. Indikatoren organisierter Kfz-Diebstähle/Verschiebungen sind insbesondere:

* mögliche Tatobjekte werden vorab listenmäßig erfaßt,

* Residenten bestellen danach im Ausland das Fahrzeug mit den gewünschten Ausstattungsmerkmalen,

* speziell hergestelltes Werkzeug, besondere Fälschungsmittel,

* Verwendung vorbereiteter ausländischer Zulassungen und Kennzeichen,

* gruppenweise Fahrzeugüberführungen mit sichernden Begleitfahrzeugen,

* hohe Gewaltbereitschaft bei Grenzdurchbrüchen in Fahrzeugkolonnen,

* Vorbereitung auf evtl. Festnahmen durch Bereitstellung von Rechtsanwälten,

* zunehmend auch Grenzübertritt über die grüne Grenze im Konvoi.

Die dramatisch zu nennende Steigerung der Kfz-Verschiebungen in den Ostblock zeigt sich z. B. deutlich im Vergleich der Zahlenreihe 1988 - 1994 allein für Diebstähle von Pkw der Marke Mercedes-Benz, die nicht älter als 2 Jahre waren und auf Dauer abhanden gekommen sind:

1988 = 25 Pkw

1989 = 40 Pkw

1990 = 126 Pkw

1991 = 195 Pkw

1992 = 409 Pkw

1993 = 457 Pkw

1994 = 801 Pkw
1995 = 233 Pkw

Der starke Rückgang der entwendeten Mercedes-Fahrzeuge 1994/1995 ist auf die Außerbetriebnahme der Militärflughäfen Groß-Dölln und Sperenberg sowie mit dem Abzug der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte in Verbindung zu bringen.

Die Problematik der Bearbeitung dieses Deliktsfeldes liegt in dem Auseinanderfallen von Tatort und Festnahme-/Sicherstellungsort. Letztere verlagerten sich fast vollständig in Richtung polnische Grenze, was die Zusammenarbeit mit den örtlich zuständigen Polizeibehörden bzw. Staatsanwaltschaften erheblich erschwert.

Fahrzeuge, die nach einem Monat nicht wieder aufgefunden sind, gelten in diesem Deliktbereich als auf Dauer entwendet. Ihr Anteil lag in Berlin im Jahre 1994 bei ca. 60 %.

Umweltkriminalität

Kernbereiche der OK bei Delikten der Umweltkriminalität sind die illegale Entsorgung von Sonderabfällen und der Handel und Schmuggel von/mit radioaktivem Material. Es handelt sich bisher zwar nur um einige wenige Einzelfälle der schweren Umweltkriminalität mit Bezügen zur OK, jedoch ist wegen der hohen finanziellen Anreize, die sonst so nur im Rauschgifthandel zu erzielen sind, von einer Ausweitung dieser Deliktsformen auszugehen.

Straftaten im Zusammenhang mit dem Nachtleben

(insbesondere Menschenhandel, Schutzgelderpressung, Zuhälterei, Prostitution, illegales Glücksspiel) stellen keine eigenständige statistische Kategorie dar und sind unter verschiedenen Schlüsselzahlen erfaßt. Dazu gehören u. a. "1440 Menschenhandel", "1420 Zuhälterei" und teilweise "1410 Förderung der Prostitution".

Aus den Kontrollaktivitäten im "Rotlichtmilieu" resultierte auch 1995 eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren.

Dabei hat sich insbesondere bei der Überprüfung bordellartiger Betriebe der Eindruck verstärkt, daß zunehmend Prostituierte aus den Ländern des früheren Ostblocks und aus Thailand das Bild bestimmen.

OK-relevante Merkmale/Indikatoren begründen sich in diesem Milieu insbesondere auf folgende Feststellungen:

  • hierarchischer Aufbau der Zuhältergruppen mit jeweils einer dominierende Person an der Spitze,
  • konsequente Abschottung dieser Gruppen sowohl nach innen als auch nach außen,
  • psychische und physische Druckausübung auf Gruppenmitglieder, die gegen interne Regeln
  • verstoßen bzw. sich aus der Gruppe lösen wollen (betr- auch Aussagen ggü. der Polizei),
  • Versuche der Einflußnahme auf die Polizei (Bestechungsversuche),
  • Investitionen in legale Geschäfte, um Geld zu "waschen" sowie den Anschein von Seriosität zu wahren oder zu erlangen.

Fälschungen und Fälschungsbereiche

Der Bereich der OK-relevanten Fälschungen betrifft insbesondere die Geld- und Wertzeichenfälschungen und die Fälschungen mit Kfz-Bezug.

Im ersteren Deliktsbereich wurden 1995 356 Fälle registriert, was ggü. dem Vorjahr eine Abnahme um -220 Fälle (-38,2%) bedeutet.

Arbeitsrechtliche Bezüge zur OK

Diesem Bereich der Kriminalität liegen häufig Mischtatbestände zugrunde, die mit illegaler Beschäftigung, illegaler Einreise, Schleusertätigkeit und entsprechenden Randbereichen zu tun haben.

Demgemäß lassen sich auch OK-Zusammenhänge weniger statistisch als durch beschreibende' Kriterien darstellen. Als Stichworte sind hier zu nennen: Einschleusung von Kriegsflüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina und von Prostituierten, Fälschung von Legitimationspapieren (Arbeitspapiere, Landesausweise), organisierte Vermittlungen von Scheinehen zur Sicherung eines legalen Aufenthaltes u. ä.

Insbesondere aufgrund der Verschärfung des Asylrechts, des weiterhin bestehenden Wirtschaftsgefälles zu den osteuropäischen Ländern und der hiesigen, bundesrepublikanischen Rezessionstendenzen wird sich die Qualität dieses Deliktbereiches i. S. von organisiertem, zumindest aber strukturiertem, Vorgehen verstärken.

Bei der Bearbeitung der Vielzahl von Ermittlungsverfahren gegen illegal Beschäftigte nichtdeutsche Arbeitnehmer und tatverdächtige/betroffene Arbeitgeber wurden immer wieder Netzstrukturen und Bezüge zur OK festgestellt.

Beteiligung ethnischer Gruppierungen

Insbesondere nach der Vereinigung beider Stadtteile haben Angehörige verschiedener ethnischer Gruppierungen auf unterschiedlichen Kriminalitätsfeldern besondere Aktivitäten entwickelt, die unter den Definftionselementen der OK einzuordnen sind. Durch die Einrichtung einer Reihe von ethnisch orientierten kriminalpolizeilichen Arbeitsgruppen wurden entsprechende Ermittlungsschwerpunkte gesetzt.

Schußwaffen und OK

Aufsehenerregende Ermittlungsfälle (meist gerichtet gegen ehem. Jugoslawen, Chinesen und Vietnamesen) standen 1995 oftmals i.V.m. der Verwendung von Schußwaffen. Global betrachtet (Straftaten - insgesamt-) hat jedoch die Fachdienststelle zur Bearbeitung der OK 1995 in diesem Bereich keine Zunahme der Verwendung von Schußwaffen festgestellt ("gedroht", "geschossen", "mitgeführt").

Zuletzt geändert:
am 02.03.97

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