Im Rahmen dieser grundsätzlichen Befugnisnormen ist klar
zwischen der Erforderlichkeit für Zwecke der Strafverfolgung
und für Zwecke der Gefahrenabwehr zu unterscheiden; hiervon
hängt der Umfang und die Dauer der Zulässigkeit von
Speicherungen ebenso ab wie die Frage der Zugriffsberechtigung
einzelner bei der Strafverfolgung beteiligter Stellen.
So habe ich festgestellt, daß nach einer Dienstanweisung
des Polizeipräsidenten den an die Staatsanwaltschaft zu übersendenden
Ermittlungsakten jeweils ein kompletter Ausdruck aus dem Informationssystem
Verbrechensbekämpfung beizufügen ist, dieser Ausdruck
ist nur für die Staatsanwaltschaft bestimmt und wird weder
dem Gericht ausgehändigt noch den Anwälten der Beklagten
zugänglich gemacht. Abgesehen von der Frage, inwieweit dies
mit den Bestimmungen des Bundeszentralregistergesetzes oder dem
Prinzip der Waffengleichheit vor Gericht zu vereinbaren ist, liegt
hier eine problematische Vermengung zweier Aufgabenbereiche vor:
Die Speicherung personenbezogener Daten über Vorgänge,
die zu abgeschlossenen Strafverfahren gerührt haben oder
die aus verschiedenen Gründen (insbesondere fehlender Tatnachweis)
eingestellt wurden, kann nur noch unter dem Aspekt der Gefahrenabwehr
gerechtfertigt werden. Die sogenannte präventive Strafverfolgung
ist dabei dem Bereich der Gefahrenabwehr zuzurechnen.
Da eine Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft zur Gefahrenabwehr
nicht gegeben ist, ist die vollständige Offenbarung der von
der Polizei vorgehaltenen Daten, die in der Regel nur Verdachtsdaten
sind, zur Aufgabenerfüllung nicht erforderlich und damit
jedenfalls nach der derzeitigen Rechtslage rechtswidrig. Vielmehr
ist die Polizei verpflichtet, im Rahmen der eigenen Bewertung
die für die Strafverfolgung erforderlichen Daten auszuwählen.
Im Vorgriff auf entsprechende gesetzliche Regelungen habe ich
die derzeitige Praxis gegenüber dem Polizeipräsidenten
bemängelt.
Erhebung und Verwendung von Informationen
Neben dieser grundsätzlichen Frage besteht ein Regelungsbedarf
bei folgenden polizeilichen Maßnahmen. Sie sind dadurch
charakterisiert, daß sie durch die Erhebung oder Verwendung
personenbezogener Daten in die informationelle Selbstbestimmung
eingreifen (Informationseingriff), und daß darüber
hinaus mitunter die Erhebung der Daten mit einem physischen Eingriff
verbunden ist (Begleiteingriff).
Zwar ist die Identitätsfeststellung bereits jetzt im ASOG
geregelt (§ 15); hier sind jedoch nur die Situationen angeführt,
in denen Identitätsprüfungen vorgenommen werden dürfen,
nicht aber die Befugnisse, die die Polizei anläßlich
einer solchen Prüfung hat. Insbesondere ist nicht geregelt,
welche Abfragen aufgrund der Prüfung vorgenommen werden dürfen.
Die Zulässigkeit maschinenlesbarer Personalausweise setzt
nach Auffassung der Datenschutzbeauftragten eine angemessene Regelung
dieser Frage voraus. Sie muß insbesondere Bestimmungen enthalten,
unter welchen Voraussetzungen ohne Vorliegen konkreter Anhaltspunkte
routinemäßig Ausweiskontrollen vorgenommen werden dürfen.
Zu verbieten ist die Speicherung der Daten, wenn Erkenntnisse
über die geprüfte Person nicht vorliegen, um das Entstehen
serienmäßiger Bewegungsbilder zu verhindern.
Die sogenannte Polizeiliche Beobachtung wird ebenfalls einer ausdrücklichen
Regelung bedürfen. Es handelt sich hier um die - mit Hilfe
des bundesweiten polizeilichen Informationssystems realisierte
- Ausschreibung von Personen, die zwar bestimmter Straftaten verdächtig
sind, bei denen aber die Voraussetzung für die Festnahme
noch nicht vorliegen. Diese früher unter der Bezeichnung
"Beobachtende Fahndung" (BeFa) laufende Maßnahme
hat sich zu einem bedeutenden Instrument der Strafverfolgung entwickelt,
ohne daß bisher auch nur die einfachste gesetzliche Regelung
vorliegt.
Auch die Anfertigung erkennungsdienstlicher (ed-) Unterlagen ist
bislang nur teilweise geregelt. So müssen die bestehenden
Bestimmungen (§§ 81 b StPO, 16 ASOG) ergänzt werden
um Regelungen über die Aufbewahrungsdauer, die Aufklärung
der Betroffenen und die Verwertung der Unterlagen. Ungeklärt
ist, in welchen Fällen eine ed-Behandlung vorgenommen werden
darf: Die hierzu bestehenden Verwaltungsvorschriften reichen nicht
aus und sind nicht präzise genug.
Die bestehenden Vorschriften über erkennungsdienstliche Unterlagen
sind die einzigen, wenn auch untauglichen Regelungen für
die photographische oder videotechnische Aufnahme von Personen,
die an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Obwohl derartige
Aufnahmen häufig angefertigt werden, ist bislang unklar,
ob dies überhaupt zulässig ist. Die Rechtsprechung hat
sich bisher lediglich zu dem (seltenen) Fall geäußert,
daß mit Hilfe solcher Maßnahmen gezielt nach einem
bekannten Straftäter gesucht wird. Hier wird man in der Tat
in den Generalklauseln der StPO bzw. des ASOG eine Befugnis sehen
können. In den Fällen, in denen aber lediglich prophylaktisch
Beweise gesichert werden oder Straftäter überhaupt erst
ermittelt werden sollen, reichen diese Bestimmungen nicht aus,
da sie sich im wesentlichen an Nichtbeteiligte richten.
Aufgrund mehrerer Beschwerden über die Videographierung friedlicher
Demonstrationen habe ich mich über die Arbeit der Videogruppe
beim Polizeipräsidenten informiert. Ich stellte fest, daß
zwar Aufnahmen gefertigt werden, diese aber nicht zu einer routinemäßigen
personenbezogenen Auswertung geeignet sind. Die Aufnahmen dienen
daher derzeit fast ausschließlich der Dokumentation des
polizeilichen Vorgehens. Angesichts der zu erwartenden technischen
Entwicklungen, die durchaus eine automatische Erkennung von Personen
einschließen (entsprechende Entwicklungsarbeiten sind bekannt),
wird aber eine datenschutzrechtliche Regelung unumgänglich
sein.
Auch ohne derartige technische Hilfsmittel stellt die Aufzeichnung
von Beobachtungen über den Besuch von Veranstaltungen, aber
auch der Teilnahme am Straßenverkehr zum Zwecke der Strafverfolgung
oder der Gefahrenabwehr einen Eingriff in das informationelle
Selbstbestimmungsrecht dar, das präziser Regelungen bedarf.
Bereits in dem vor einigen Jahren vorgelegten Alternativentwurf
einheitlicher Polizeigesetze des Bundes und der Länder waren
Regelungen für die Ausforschung von Veranstaltungen gefordert
worden. Wie relevant derartige Bestimmungen sein können,
zeigt eine in diesem Jahr in Rheinland-Pfalz durchgeführte
Fahndungsmaßnahme, bei der heimlich sämtliche Autofahrer
auf bestimmten Strecken erfaßt und ihre Personalien bei
den polizeilichen Informationssystemen abgefragt wurden.
Über den Regelungsbedarf für Rasterfahndungen hatte
ich mehrfach berichtet.
Neben diesen primär die Erhebung betreffenden Maßnahmen
müssen die Bestimmungen über die Verwendung polizeilicher
Daten gesetzlich geregelt werden; sie sind bisher lediglich in
Verwaltungsvorschriften (Richtlinien über die Führung
kriminalpolizeilicher personenbezogener Sammlungen, KpS-Richtlinien)
enthalten, die in Berlin trotz meiner mehrfach geäußerten
Empfehlung noch immer nicht veröffentlicht sind. Gesetzlich
geregelt werden sollte, an welche Stellen die Polizei Daten aus
ihren Sammlungen übermitteln darf, in welchen Fällen
die Auskunft aus den Sammlungen an die Betroffenen verweigert
werden darf, wann die Daten gelöscht werden müssen und
welches formelle Verfahren bei der Errichtung einzelner Dateien
oder Aktensammlungen eingehalten werden soll.
Automatische Datenverarbeitung
Diese alle Formen von Datensammlungen betreffenden Regeln müssen
ergänzt werden um spezifische Bestimmungen für die Automatische
Datenverarbeitung, die die Polizei unterhält.
Dies ergibt sich aus den spezifischen Gefahren, die sich aus den
schnellen und einfachen Zugriffsmöglichkeiten über Datenfernverarbeitung
sowohl innerhalb des Landes als auch im Rahmen des Datenverbundes
im Bundesgebiet ergeben.
Kennzeichnend für die automatisierte Datenverarbeitung bei
der Polizei ist, daß mit einer Datensammlung verschiedene
Funktionen erfüllt werden, für die bei manueller Bearbeitung
unterschiedliche Dokumentationen erforderlich wären.
Hervorzuheben sind dabei drei typische Funktionen, deren Integration
gerade im Berliner Informationssystem Verbrechensbekämpfung
zu beobachten ist:
1. Erfassung von Straftätern und Straftaten: Die ursprünglich
in Ermittlungsakten geführten Daten werden (nach der Abgabe
an die Staatsanwaltschaft) in dem für die weitere polizeiliche
Arbeit erforderlichen Umfang in der Kriminalakte zusammengeführt;
2. Erfassung und Auswertung von Hinweisen und Spuren, aber auch
einzelner Tätermerkmale zur Aufklärung bestimmter Straftaten
oder Tatkomplexe: Zu diesem Zwecke werden traditionellerweise
in den einzelnen für die Aufklärung von Straftaten zuständigen
Stellen (z. B. Kriminalpolizeiinspektionen) unterschiedliche,
jeweils auf die besondere Situation angepaßte Dokumentationen
angelegt (z. B. Spurenakten);
3. Vorgangsnachweise: Einmal um polizeiliches Handeln nachweisen
zu können, aber auch um verschiedene Ermittlungsvorgänge
den richtigen Bearbeitungsstellen zuleiten oder dort solche Vorgänge
zusammenführen zu können, wurden traditionellerweise
Tagebücher geführt, auf die im Bedarfsfalle zurückgegriffen
werden könnte.
Mit Hilfe eines automatisierten Datenverarbeitungssystems können
diese drei Funktionen prinzipiell mit einer einzigen Datensammlung
wahrgenommen werden. Dies führt allerdings dazu, daß
im Hinblick auf die einzelnen erfaßten Personen erheblich
mehr Daten an einer Stelle zusammengeführt werden, als dies
bisher der Fall war.
Insbesondere die Funktion der Vorgangserfassung führt dazu,
daß in einer Datei (Personendatei) jede Person registriert
ist, die mit polizeilichen Maßnahmen in Berührung gekommen
ist. Auf diese Weise finden sich in einer Datei gleichermaßen
Schwerkriminelle, schuldunfähige Kinder, hilflos aufgefundene
Personen, Anzeigeerstatter, Opfer usw..
Eine Differenzierung der einzelnen Personenkreise findet erst
auf einer späteren Stufe des Datenzugriffs statt. Es liegt
auf der Hand, daß hier ein beachtliches Risiko an Fehleinschätzungen
über das erforderliche Ausmaß hinausgehenden Zugriffsmöglichkeiten,
aber auch Mißbrauchsmöglichkeiten zu verzeichnen ist.
Eine gesetzliche Regelung der automatisierten Datenverarbeitung
wird hier insbesondere Einschränkungen des Zugriffs für
einzelne Funktionsträger vorsehen müssen. Zu erörtern
wäre, ob nicht von vornherein eine dateimäßige
Trennung zwischen Daten vorgenommen werden muß, die der
Registrierung von Straftätern dienen, und solchen, die andere
Personen erfassen und lediglich für Zwecke des Vorgangsnachweises
gespeichert werden. Die Voraussetzung für eine Zuordnung
zur Straftäterdatei wäre in diesem Fall ein hinreichender
Tatverdacht bzw. die auf Tatsachen gestützte Annahme, daß
die Wiederholung von Straftaten droht.
Auch soweit es um Strafverdächtige geht, bedarf der Umfang
der derzeit gespeicherten und abrufbaren Daten einer Durchsicht.
Insbesondere die taktischen Hinweise, die auf Anruf jedem Polizeibeamten
mitgeteilt werden, bedürfen der Revision: Es ist durchaus
zweifelhaft, in welchem Umfang Merkmale wie "geisteskrank",
"geistesschwach", "Freitodgefahr", "Prostitution"
gespeichert und auf jede Anfrage zur Verfügung gestellt werden
müssen.
Die automatisierte Speicherung und Verarbeitung von Spuren- und
Hinweisdaten in sog. Spurendokumentations-Systemen (SPUDOKs) bedarf
ebenfalls einer besonderen Regelung. Gerade hier wird es erforderlich
sein, eine Vielzahl von Daten über Nichtbeteiligte, über
Hinweisgeber, zu Unrecht Verdächtigte u. ä. geben. Die
hierin liegenden Risiken müssen durch strenge Zweckbindung
und präzise Löschungsregelungen ausgeglichen werden.
Besondere Errichtungsanordnungen für jeden Ermittlungskomplex
müssen sicherstellen, daß die Beschränkungen,
denen Straftäterdateien unterworfen werden, nicht mit Hilfe
derartiger Systeme umgangen werden.
Weiterhin ungelöst ist das Problem, daß mangels einer
regelmäßigen Rückmeldung des Ausgangs der Strafverfahren
durch Gerichte und Staatsanwaltschaften weder eine Vervollständigung
der Datensätze von Verdächtigen noch die von den KpS-Richtlinien
vorgeschriebene Tilgung der Daten von Unschuldigen möglich
ist. Das inzwischen eingeführte automatisierte Verfahren
der Staatsanwaltschaft würde hierfür zwar geeignete
technische Voraussetzungen schaffen, die beteiligten Stellen haben
sich aber zu den erforderlichen Maßnahmen noch nicht bereitgefunden.
Es ist zu hoffen, daß entsprechende Bemühungen, im
Rahmen einer Revision der Anordnung über Mitteilungen in
Strafsachen (MiStra) ein bundeseinheitliches Verfahren zu entwickeln,
hier zu einer Besserung führen werden.
Der Berliner Landesgesetzgeber ist aufgerufen, sobald wie möglich
hinreichende gesetzliche Grundlagen für die polizeiliche
Informationsverarbeitung zu schaffen. Dies hat auch der Senat
in seinem Bericht über die Auswirkungen der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 zum Volkszählungsgesetz
1983 zum Ausdruck gebracht.
Eine Arbeitsgruppe der Konferenz der Datenschutzbeauftragten wird
hierfür Formulierungsvorschläge unterbreiten, die ich
umgehend dem Senator für Inneres zuleiten werde.
Überprüfungen im Einzelfall
Einzelfallüberprüfungen wurden in allen Fällen
vorgenommen, in denen sich Betroffene über ihrer Ansicht
nach mangelhafte Datenverarbeitung bei der Polizei beschwert haben.
Wesentliche Mängel konnten dabei nicht festgestellt werden.
Insbesondere hat die Umsetzung der KpS-Richtlinien weitere Fortschritte
gemacht. Eine eigens geschaffene Arbeitsgruppe beim Referat Dienstleistungen
der Direktion Verbrechensbekämpfung ist mit der Anlage, Übermittlung
und Aussonderung von Kriminalakten befaßt. Ihr obliegt auch
die Auswahl derjenigen Datensätze, die an das Bundeskriminalamt
zur Einstellung in den bundesweiten Kriminalaktennachweis (KAN)
gemeldet werden. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern ist
der Anteil derjenigen Daten, auf die ein bundesweiter Zugriff
besteht, im Hinblick auf die Gesamtzahl der Datensätze im
ISVB gering. Zum Zeitpunkt des Informationsgesprächs waren
etwa 100000 Akten gesichtet, von denen 50000 vernichtet wurden.
Aus 2 000 Akten wurden personenbezogene Daten an den KAN gemeldet.
Auch die Überprüfung einzelner Dienststellen von Amts
wegen ergab keinen Anlaß zu formellen Beanstandungen. U.
a. wurden überprüft die Ermittlungsgruppe Illegale Einreise
und Beschäftigung beim Referat U/G der Direktion Verbrechensbekämpfung,
das Kommissariat Gruppen-/Rohheitstaten, Rocker im Referat Organisiertes
Verbrechen in der Direktion Verbrechensbekämpfung sowie drei
zufällig ausgewählte Abschnitte. Die dabei zu Tage getretenen
Probleme (Zulässigkeit der Führung von Arbeitskarteien,
Speicherung Strafunmündiger im ISVB, Protokollierung der
ISVB-Aktivitäten, Zugriffsberechtigung auf ISVB-Daten) müssen
in größerem Zusammenhang erörtert werden.
Die Durchführung datenschutzrechtlicher Überprüfungen
beim Polizeipräsidenten fand jederzeit die erforderliche
Unterstützung, wenn auch die Praxis, mich auch bei geringen
Anlässen nur auf dem Dienstweg über den Senator für
Inneres zu unterrichten, zu Erschwernissen führt - ein Problem,
das auch in anderen Geschäftsbereichen besteht.
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