|
Anlagen zum Jahresbericht 1996
Zur Befugnis der Kriminalpolizei, erkennungsdienstliche Unterlagen
(Lichtbilder und Fingerabdrücke) aufzubewahren und zu verwerten.
StPO § 81 b
Urteil des 1. Senats vom 9. Februar 1967 - BVerwG 1 C 57.66
I. Verwaltungsgericht München
II. Verwaltungsgerichtshof München
Der Kläger war Gesellschafter und Geschäftsführer
einer Werbeagentur, die im Juli 1961 zahlungsunfähig wurde.
Im September 1961 wurden gegen ihn zwei Ermittlungsverfahren wegen
Betrugs und Wechselreiterei eingeleitet, wobei von ihm Lichtbilder
und Fingerabdrücke hergestellt wurden, die die Kriminalpolizei
auch heute noch aufbewahrt. Eines der beiden Verfahren wurde von
der Staatsanwaltschaft im Oktober 1961 eingestellt, das andere
stellte sie im Januar 1963 "trotz sehr erheblichen Tatverdachts"
ein, daß der in finanzielle Schwierigkeiten geratene Kläger
mit einem ebenfalls zahlungsschwachen Geschäftsfreund Gefälligkeitsakzepte
zum Schaden Dritter ausgetauscht habe. Schon im Jahr 1955 war
der Kläger wegen Betrugs angezeigt, das Ermittlungsverfahren
nach Rücknahme der Anzeige jedoch eingestellt worden. Auch
ein im Jahre 1957 gegen ihn anhängiges Ermittlungsverfahren
wegen Betrugs, Untreue u. a. wurde eingestellt. Im Jahre 1963
wurde gegen ihn ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen Betrugs
eingeleitet, das ebenfalls eingestellt wurde. Der Kläger
war nach den Feststellungen im Berufungsurteil auch in den Jahren
1964 und 1965 in Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdachts verwickelt.
Rechtskräftig verurteilt wurde er bisher lediglich durch
einen Strafbefehl vorn 9. Oktober 1962 wegen einfachen Bankrotts
(Unterlassung der Buchführung und rechtzeitigen Bilanzziehung).
Der Kläger erstrebt die Vernichtung der ihn betreffenden
erkennungsdienstlichen Unterlagen der Kriminalpolizei. Die Beklagte
lehnte dieses Begehren ab. Klage, Berufung und Revision hatten
keinen Erfolg.
|
|
|
Aus den Gründen:
Gemäß § 81 b StPO, der als einzige positiv-rechtliche
Bestimmung in Betracht kommt, dürfen "soweit es für
die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für
die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist", Lichtbilder
und Fingerabdrücke des Beschuldigten "aufgenommen"
werden. Im vorliegenden Fall geht es nicht darum, ob die Behörde
Lichtbilder und Fingerabdrücke des Klägers aufnehmen
darf oder durfte. Vielmehr ist darüber zu entscheiden, ob
die Kriminalpolizei ihre im Rahmen eines schon vor Jahren abgeschlossenen
Strafverfahrens gewonnenen erkennungsdienstlichen Unterlagen auch
weiterhin aufbewahren darf. Hierüber enthält §
81 b StPO keine ausdrückliche Bestimmung. Nach der Rechtsprechung
des Senats (BVerwGE 11, 181 [182]) ergeben sich jedoch aus dieser
bundesrechtlichen Vorschrift, die entgegen der Ansicht der Revision
verfassungsrechtlich einwandfrei ist, auch die Grenzen für
die Berechtigung der Behörde, einmal aufgenommene Unterlagen
aufzubewahren.
Die Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Unterlagen dient hauptsächlich
der repressiven Verbrechensbekämpfung. Sie ist keine Maßnahme
auf dem Gebiet des Strafprozesses. Wenn auch die Herstellung der
erkennungsdienstlichen Unterlagen in Beziehung zu einem bestimmten
Strafverfahren gegen den Kläger gestanden hat, so dient die
Aufbewahrung dieser Unterlagen der Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben
außerhalb einer konkreten Strafverfolgung. Hierzu gehören
gewisse selbständige erkennungsdienstliche Maßnahmen,
insbesondere das Sammeln von Unterlagen für den Dienstgebrauch,
die der Polizei möglicherweise künftige Ermittlungen,
insbesondere die Identifizierung tatverdächtiger Personen,
erleichtern. Da der Kläger keine strafprozessuale, sondern
eine Amtshandlung der Kriminalpolizei auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts
erstrebt ist somit gemäß § 40 VwGO der Verwaltungsrechtsweg
gegeben (BVerfG 16, 89 [94]). Die Frage, ob die Klage auf Vernichtung
der erkennungsdienstlichen Unterlagen eine Verpflichtungsklage
oder eine allgemeine Leistungsklage ist, kann im vorliegenden
Rechtsstreit unentschieden bleiben, da die Sachurteilsvoraussetzungen
beider Klagearten erfüllt sind.
Darüber, ob und wie lange die Kriminalpolizei erkennungsdienstliche
Unterlagen aufbewahren darf, ist gesetzlich nichts Näheres
bestimmt. Ausgangspunkt hat die Feststellung zu sein, daß
nach dem Menschenbild des Grundgesetzes die Polizeibehörde
nicht jedermann als potentiellen Rechtsbrecher betrachten und
auch nicht jeden, der sich irgendwie verdächtig gemacht hat
("aufgefallen ist") oder bei der Polizei angezeigt worden
ist, ohne weiteres "erkennungsdienstlich behandeln"
darf. Eine derart weitgehende Registrierung der Bürger aus
dem Bestreben nach möglichst großer Effektivität
der Polizeigewalt und Erleichterung der polizeilichen Überwachung
der Bevölkerung widerspräche den Prinzipien des freiheitlichen
Rechtsstaates. Auf der anderen Seite gehört es zu den Aufgaben
der Polizei, geeignete Vorbereitungen zur Aufklärung von
Straftaten zu treffen. Solche Maßnahmen dienen dem Schutz
der Allgemeinheit, weil durch Ermittlungen, die schnell zum Erfolg
führen, verhindert werden kann, daß der Täter
weitere Straftaten begeht. Ein wichtiges Hilfsmittel der Polizei
zur Aufklärung von Straftaten stellt die Aufbewahrung von
Lichtbildern und Fingerabdrücken dar. Die im Schrifttum vertretene
Ansicht, solche Vorkehrungen dürften nicht zur Erleichterung
des polizeilichen Vorgehens getroffen werden, es sei ferner zwischen
konkreter und abstrakter Gefahr zu unterscheiden und die Vermutung
künftigen strafbaren Verhaltens sei keine ausreichende Begründung
für die Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Unterlagen,
trifft nicht zu. Denn diese für Polizeiverordnungen und -Verfügungen
geltenden Rechtsgedanken können nicht ohne weiteres auf innerdienstliche
Maßnahmen der Polizei übertragen werden. Die Grenzen
für die Berechtigung der Polizeibehörde zur Aufbewahrung
von erkennungsdienstlichen Unterlagen ergeben sich im Einzelfall
aus der Zweckbestimmung dieser Unterlagen (BVerwGE 11,1 181 [183]).
Liegen nach der konkreten Sachlage keine Anhaltspunkte dafür
vor, daß die erkennungsdienstlich behandelte Person zukünftig
strafrechtlich in Erscheinung treten werde und daß die angefertigten
Unterlagen hierbei die Ermittlungen der Polizei fördern könnten
so ist ihre Aufbewahrung nicht (mehr) gerechtfertigt. Dabei ist
in Betracht zu ziehen, daß die Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen
Unterlagen die persönliche Sphäre des Betroffenen schon
allein wegen des Bewußtseins stark berühren kann von
der Kriminalpolizei als möglicher künftiger Rechtsbrecher
betrachtet zu werden. Sie kann unter Umständen dadurch dem
guten Ruf und der Unbescholtenheit der betreffenden Person abträglich
sein, daß diese Tatsache durch die - kriminalpolizeilich
gerechtfertigte - Verwertung der internen Unterlagen bekannt wird.
Das öffentliche Interesse an der Aufbewahrung der erkennungsdienstlichen
Unterlagen einerseits und die damit verbundene Beeinträchtigung
des Betroffenen sowie der mögliche Schaden andererseits,
der ihm durch Verwertung der Unterlagen bei einem nicht gerechtfertigten
Verdacht entstehen kann, müssen daher gegeneinander abgewogen
werden. Es handelt sich hierbei um die Anwendung des Grundsatzes
der Verhältnismäßigkeit, der nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlichen Rang besitzt.
Wesentlich für die Beurteilung sind daher, wie das Berufungsgericht
richtig erkannt hat, die Straftaten, die der Betreffende wirklich
oder möglicherweise begangen hat, der Zeitraum, währenddessen
er kriminalpolizeilich nicht mehr in Erscheinung getreten ist,
und die sonstige Beurteilung der Persönlichkeit in kriminalistischer
Hinsicht.
Der Sachverhalt des vorliegenden Rechtsstreits ist dadurch gekennzeichnet,
daß gegen den Kläger seit dem Jahre 1955 wiederholt
und aus ganz verschiedenen Anlässen Ermittlungsverfahren
wegen Betrugs durchgeführt wurden. Die erkennungsdienstlichen
Unterlagen, deren Beseitigung der Kläger fordert, wurden
nicht schon bei der Bearbeitung der ersten Anzeige, sondern erst
bei einem späteren Ermittlungsverfahren angefertigt. Etwa
zwei Jahre später richtete sich schon wieder gegen ihn ein
Ermittlungsverfahren wegen Betrugs. Auch in den Jahren 1964 und
1965 war er nach den Feststellungen in dem Berufungsurteil in
Ermittlungsverfahren wegen Betrugs verwickelt. Alle diese Verfahren
wurden zwar eingestellt. Daß die Einstellung wegen erwiesener
Unschuld erfolgte, hat der Kläger selbst nicht behauptet.
Das von September 1961 bis Januar 1963 laufende Ermittlungsverfahren
wurde ausdrücklich trotz erheblichen Tatverdachts eingestellt.
Der Kläger stand somit nicht nur einmal, sondern wiederholt
und unter ganz verschiedenen Umständen unter dem Verdacht.,
andere betrogen zu haben. Wenn die Kriminalpolizei es für
möglich hält, ihn mit Hilfe ihrer erkennungsdienstlichen
Unterlagen einmal als Täter einer Straftat feststellen zu
können, so begegnet dies daher keinen Bedenken.
Die Berechtigung der Polizei zur weiteren Aufbewahrung der Lichtbilder
und Fingerabdrücke zum internen Dienstgebrauch enthält
nicht ohne weiteres auch ihre Befugnis, Personen, die nicht das
Amtsgeheimnis zu wahren haben, etwa dem Erstatter einer Anzeige,
Kenntnis vom Vorhandensein ihrer Unterlagen zu geben und ihnen
die Lichtbilder zu zeigen. Indessen müssen auch hier die
einander widerstrebenden Belange der Allgemeinheit und des einzelnen
gegeneinander abgewogen werden. Nach Sachlage des vorliegenden
Falles muß der Kläger in Kauf nehmen daß er bei
der Suche nach einem unbekannten Täter, der des Betrugs verdächtigt
wird, in den Kreis der Tatverdächtigen einbezogen wird und
daß unter Umständen dem Geschädigten oder anderen
Personen sein Lichtbild gezeigt wird. Es liegt kein Anhaltspunkt
dafür vor, daß die Polizei dann von ihren erkennungsdienstlichen
Unterlagen einen unsachgemäßen Gebrauch machen werde.
Der Kläger hat in dem von ihm geschilderten Fall selbst eingeräumt,
daß er mit dem Anzeigeerstatter, dem die Kriminalpolizei
sein Lichtbild gezeigt hat, tatsächlich in den Geschäftsbeziehungen
gestanden hat, durch die sich der andere geschädigt fühlte.
|