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Anlage 1

Rede des Berliner Datenschutzbeauftragten vor dem Abgeordnetenhaus von Berlin am 12. September 1996

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist natürlich jetzt schwer, nach der Debatte, der wir gerade gefolgt haben, nun über Datenschutz zu sprechen. Gleichwohl, es ist eine Übung, zur Überweisung unseres Berichts sowie der Stellungnahme des Senats, kurz zum Stand des Datenschutzes in Berlin zu sprechen. Dies möchte ich damit tun. Das wird sich naturgemäß auch ein bißchen in die Gegenwart hinein erstrecken.

Wenn es heute möglich ist, in Sekunden vom Arbeitsplatz oder heimischen Wohnzimmer aus per E-Mail zum Ortstarif oder wenig mehr mit jedem Ort der Welt Nachrichten auszutauschen oder Informationen abzurufen, wenn Unternehmen und Banken darüber nachdenken, in welchem Umfang Geld durch Informationen im Netz oder auf Chipkarten ersetzt werden kann, oder wenn sogar ein Pfarrer anbietet, die Beichte über das Internet abzunehmen, sind dies keine vereinzelten Erscheinungen. Was seit einigen Jahren von Betriebs- und Verwaltungswissenschaftlern, Medien- und Sozialwissenschaftlern vorausgesagt worden ist, vollzieht sich vielmehr derzeit mit kaum mehr nachvollziehbarer Geschwindigkeit: die Umwandlung unserer Gesellschaft in eine Informationsgesellschaft; das heißt in eine Gesellschaftsform, die einerseits geprägt ist durch eine alle Lebensbereiche durchdringende Nutzung der Informationstechnik, die andererseits aber auch abhängig und verletzlich ist durch diese Technik. Zeitliche und räumliche Schranken der traditionellen Informationsverarbeitung fallen. Für jedes Unternehmen und jede Behörde, ja für jede einzelne Person werden zuvor unvorstellbare Informationsressourcen verfügbar. Die Miniaturisierung der Technik, symbolisiert durch Notebook, intelligente Chipkarten, Mobilisierung der Telekommunikation machen die Technik für uns an jedem Ort zugänglich.

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Diese Entwicklung stellt ohne Frage eine gewaltige Herausforderung an die Gewährleistung der informationellen Selbstbestimmung dar. Je mehr Möglichkeiten die Technik eröffnet, desto größer wird der Wunsch, sie auch dort zu nutzen, wo bisher faktische Barrieren die Rechte von Betroffenen schützten. Vernetzte Informationssysteme gestatten Online-Zugriffe auf beliebig große und beliebig entfernte Datensammlungen, Datenabgleiche, Profilbildungen. Es liegt nahe, daß der Ruf nach derartigen Instrumenten zunehmend lauter wird, um Rationalisierungspotentiale auszuschöpfen, Verwaltungsabläufe zu beschleunigen, mehr Nutzerkomfort zu bieten, aber auch, um die Überwachungsdichte in Bereichen zu erhöhen, wo Mißbrauch und Fehlverhalten in jeder Form festgestellt, vermutet oder letztlich nur für möglich gehalten wird.

Die Realisierung dieser Zielvorstellungen birgt erhebliche Risiken. Es mag nicht unmittelbar als Datenschutzprobleme erscheinen, wenn das Haushaltsstrukturgesetz 1996 eingesparte Personalmittel für die Beschaffung von Informationstechnik zugänglich macht. Die Sicherung der Priorität des Menschen vor der Maschine muß gleichwohl Gegenstand kritischer Auseinandersetzung sein.

Wer in der Errichtung von vernetzten Dateien, der Erhebung biometrischer Merkmale ganzer Bevölkerungsteile und deren Abgleich oder - um auch den medizinischen Bereich nicht auszunehmen - der Klassifizierung und Registrierung von Patienten, deren Krankheiten, Ärzten und Behandlungsmethoden ein Allheilmittel für die Lösung gesellschaftlicher Probleme sieht, greift nicht nur tief in die Grundrechte der Betroffenen ein, sondern wird sich auch am Ende getäuscht sehen. Humane Informatisierung der Gesellschaft setzt die Lösung von Problemen voraus. Computer alleine automatisieren die Probleme, nicht deren Lösungen.

Aufgabe der Datenschutzbeauftragten ist es dabei nach meinem Verständnis keineswegs, die positiven Potentiale der Informationstechnik zu behindern. Vielmehr müssen diese erschlossen, gleichzeitig aber eben Grenzen diskutiert werden, die den Nutzungen gesetzt werden müssen. Der Tätigkeitsbericht des Berliner Datenschutzbeauftragten für das Jahr 1995 soll in besonderem Maße diese Bemühungen aufzeigen. Wir haben uns um die Fortentwicklung der Technik ebenso gemüht wie um die Fortentwicklung des Datenschutzrechtes in unserem Lande, in der Bundesrepublik und auch im europäischen und internationalen Rahmen. Besondere Bedeutung hat seit dem Bestehen unserer Dienststelle die Gewährleistung des Datenschutzes bei der Telekommunikation, eine Thematik, bei der Berliner Datenschutzbeauftragte unserer Dienststelle weltweites Renommee genießen.

Neu für uns waren im Berichtszeitraum die Aufgaben der Aufsichtsbehörde für den Datenschutz im privaten Bereich. Mit der von diesem Hause beschlossenen Novellierung des Berliner Datenschutzgesetzes wurde einer von uns viele Jahre lang vorgebrachten Empfehlung nachgekommen und die Kontrolle des Datenschutzes in eine Hand gelegt. Mit der neuen damit erworbenen Zuständigkeit für die Deutsche Bahn AG und damit für die datenschutzrechtlich brisante Behandlung der neuen Bahn-Card waren vom ersten Tag an Probleme von erheblicher Reichweite zu lösen. Ich denke, im Zusammenwirken aller Beteiligten ist eine Lösung gefunden, die vorbildlich ist und die demnächst auch im internationalen Rahmen diskutiert wird.

Neben diesen übergreifenden Themen bleiben allerdings auch die Alltagsprobleme des Datenschutzes bestehen. Im öffentlichen Bereich hat dieses Haus mit einer vorbildlichen Datenschutzgesetzgebung einen Rahmen geschaffen, der nicht nur in Deutschland seinesgleichen sucht. Auch ist die Aufgeschlossenheit der Berliner Verwaltung für Probleme des Datenschutzes von mir in den vergangenen Jahren mehrfach hervorgehoben worden. Die Berliner Privatwirtschaft hat in den wenigen Monaten unserer Zuständigkeit große Kooperationswilligkeit bewiesen.

Dies ändert allerdings nichts daran, daß die Umsetzung der informationellen Selbstbestimmung in einzelnen Bereichen besonders mühsam war. Vor allem in den Sicherheitsbehörden stellen sich hier naturgemäß Probleme. Die Stellungnahme des Senats, etwa zu Fragen des Datenschutzes im Landesamt für Verfassungsschutz oder beim Polizeipräsidenten, zeigt dies deutlich. Gerade in diesen Bereichen fällt es offensichtlich besonders schwer, Mängel einzuräumen oder gar die Verwaltungspraxis zu ändern. Besonders deutlich wurde dies zu Beginn der Woche im Innenausschuß, wo nur mühsam eingestanden wurde, daß die Art und Weise der erkennungsdienstlichen Behandlung rumänischer Staatsangehöriger in den vergangenen Jahren mit den Grundrechten dieser Personen kaum in Übereinstimmung zu bringen waren; ein Vorgang übrigens, den wir zum Anlaß einer datenschutzrechtlichen Prüfung genommen haben, deren Ergebnis dieses Haus - denke ich - noch beschäftigen wird.

Daß es auch andere Bereiche gibt, in denen noch ein erheblicher Nachholebedarf besteht, zeigt die umfassende Prüfung, die wir in der Vollzugsanstalt Tegel durchgeführt haben. Auch Strafgefangene haben ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, auch wenn deren Gewährleistung unter den Bedingungen des Strafvollzugs besondere Herausforderungen stellt. Die Beseitigung der Mängel ist - das weist die Stellungnahme des Senats auch nach - engagiert in Angriff genommen worden.

Bedenklicher ist die Situation in Bereichen, in denen es einen natürlichen Konflikt zwischen den Belangen des Datenschutzes und denen des Verwaltungsvollzuges gibt, ist eine beobachtbare Tendenz der Berliner Verwaltung, die sich aus für uns unerklärlichen Gründen in den vergangenen Monaten deutlich verstärkt hat. Zunehmend werden Probleme des Datenschutzes nicht nur vernachlässigt, sondern mehr und mehr wird auch unserer Kontrolltätigkeit gegenüber Widerstand geleistet. Ausstehende Reaktionen auf unsere Nachfragen, ja unsere Mängelfeststellungen und Beanstandungen sind an der Tagesordnung. Prüfungen vor Ort werden erschwert. Die eine oder andere Verwaltung erklärt inzwischen sogar unumwunden, man denke nicht daran, sich an datenschutzrechtliche Vorgaben zu halten. Ich zitiere aus dem Schreiben eines bezirklichen Wohnungsamts von Ende August:

Die in Ihrem Schreiben gestellten Forderungen, nur Daten zu erheben, die durch die derzeit noch gültige Regelung des § 2 a Zweckentfremdungsbeseitigungsgesetz gedeckt sind bzw. für die der Verfahrensbeteiligte ausdrücklich schriftlich sein Einverständnis erklärt hat,

- dies ist unsere Forderung, einfach rechtmäßig vorzugehen -

können und werden wir nicht erfüllen.

Oder aus einem Schreiben der damaligen Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe vom August 1995:

Der Datenschutzbeauftragte vertritt die Auffassung, daß im Falle einer unzulässigen Datenübermittlung die dadurch erlangten Kenntnisse nicht verwertet werden dürfen und beruft sich hierbei auf § 42 Absatz 1 ASOG.

- Da steht ausdrücklich, daß nur rechtmäßig erhobene Daten verarbeitet werden dürfen. -

Diese Auffassung halten wir für abenteuerlich.

Dieses Gesetz ist vor einigen Jahren in diesem Haus in dieser Fassung des § 42 Absatz 1 neu beschlossen worden.

Ich habe in meinen kurzen Reden, die ich jährlich anläßlich der Einbringung unseres Berichtes halte, stets meine Hoffnung ausgedrückt, daß dieses Land, das als Bundeshauptstadt hinsichtlich der Gewährleistung von Bürgerrechten aus meiner Sicht besondere Verpflichtungen hat, seine Vorreiterrolle bei der Durchsetzung des Datenschutzes nicht aufgibt.

Ich denke, es sollte gemeinsame Aufgabe mit dem vor kurzem wieder eingerichteten und sich demnächst konstituierenden Unterausschuß Datenschutz des Innenausschusses sein, diese Stellung in Berlin zu wahren. - Ich danke Ihnen!

Zuletzt geändert:
am 10.04.97

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