Vorbemerkung
Die in den ambulanten Einrichtungen des ehemaligen staatlichen
Gesundheitswesens im Beitrittsgebiet Berlins geführten Patientenakten
sind nicht Verwaltungs- bzw. Behördenakten im Sinne der §§
82, 85 bis 88 GGO I, sondern besonderes Schriftgut im Sinne des
§ 90 GGO I. Wegen der Eigenart des Schriftgutes sind zur
Aufrechterhaltung der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung,
zur Wahrung von Grundsätzen des Datenschutzes und in Beachtung
strafrechtlicher Bestimmungen über die ärztliche Schweigepflicht
besondere Regelungen erforderlich, um eine zweckmäßige,
wirtschaftliche und datensichere Aktenverwaltung sicherzustellen.
1. Allgemeines
1.1 Definition
Patientenakten sind Sammlungen personenbezogener Daten von Patienten.
Diese Daten bestehen aus Angaben zur Person des Patienten sowie
aus ärztlichen Aufzeichnungen über anamnestische Angaben
des Patienten, eigenen oder fremden Untersuchungsbefunden und
diagnostischen und therapeutischen Aufzeichnungen. Die Akten können
aus Karteien, Röntgenbildern und Aufzeichnungen in Text,
Bild- oder Graphikform bestehen. Sie sind Gedächtnisstützen
des behandelnden Arztes und dienen darüber hinaus dem Interesse
des Patienten an einer ordnungsgemäßen Dokumentation.
1.2 Geltungsbereich
Diese Richtlinien gelten für die Verwaltung von Patientenakten
aus aufgelösten oder umstrukturierten ambulanten Einrichtungen
des ehemaligen staatlichen Gesundheitswesens im Beitrittsgebiet
Berlins.
1.3 Verpflichtung zur Aktenverwahrung, Zuständigkeit
(1) Die Verpflichtung zur Aktenverwahrung hat stets der rechtliche
Eigentümer dieser Akten. Dies ist weder der Patient noch
der angestellte Arzt, sondern bei aufgelösten oder teilweise
umstrukturierten Einrichtungen der Rechsnachfolger des Trägers
der ambulanten Einrichtung, mit der meist durch konkludentes Handeln
von Patient und angestelltem Arzt der Behandlungsvertrag zustandegekommen
ist. Der angestellte Arzt handelt insoweit nicht auf eigene Rechnung
und Gefahr und nicht als maßgeblicher Träger der Behandlung.
In der ehemaligen DDR war das Gesundheitswesen mit Ausnahme privater
Arztpraxen in staatlicher Trägerschaft organisiert. Gemäß
§ 1 Absatz 1 Satz 2 der DVO-AZG liegt nunmehr - bis zu einer
Änderung der Anlage zur DVO-AZG - die Zuständigkeit
für aufgelöste oder umstrukturierte ambulante Einrichtungen
beim jeweiligen Bezirksamt.
(2) Es handelt sich dabei nicht um eine im Gesetz über den
öffentlichen Gesundheitsdienst definierte Aufgabe des öffentlichen
Gesundheitsdienstes und ist nicht hoheitlicher Natur. Innerhalb
der Bezirksorganisation kommt jedoch nur eine fachliche Zuweisung
an die Abteilung Gesundheit in Betracht, wobei ein strikte Trennung
vom ÖGD-Handeln des Gesundheitsamtes einzuhalten ist.
(3) Das Betriebsgesundheitswesen in der ehemaligen DDR war mit
dem ambulanten kurativen Gesundheitswesen eng verflochten; Betriebsärzte
waren auch kurativ tätig, behandelnde Ärzte nahmen auch
betriebsärztliche Aufgaben wahr. In den Patientenakten können
sowohl arbeitsmedizinische als auch kurative Daten enthalten sein;
die Obhutspflicht für Daten des ehemaligen Betriebsgesundheitswesens
obliegt somit ebenfalls den Bezirksämtern.
1.4 Datenschutz und Schweigepflicht
(1) Alle mit der Verwaltung von Patientenakten beschäftigten
Mitarbeiter sind nach § 1 des Gesetzes über die förmliche
Verpflichtung nichtbeamteter Personen (Verpflichtungsgesetz) nach
§ 8 des Berliner Datenschutzgesetzes und nach § 203
des Strafgesetzbuches zur Schweigepflicht und datenschutzrechtlichen
Geheimhaltung verpflichtet; hierüber hat eine schriftliche
Belehrung zu erfolgen.
(2) Zutritt zum Patientenaktenlager haben nur die nach Absatz
1 besonders verpflichteten Mitarbeiter.
1.5 Aufbewahrungsfristen
Die Aufbewahrungsfrist beginnt am 1. Januar des auf den letzten
Eintrag nach Abschluß der Behandlung folgenden Kalenderjahres
und beträgt in der Regel mindestens:
30 Jahre:
- für Aufzeichnungen über Röntgenbehandlungen
nach der letzten Behandlung;
- Strahlenschutzkartei;
- Impfkarteien (Kinder);
- Aufzeichnungen über arbeitsmedizinische Untersuchungen
einschließlich Röntgenaufnahmen und Expositionen (längstens
bis zum 75. Lebensjahr des Betroffenen);
10 Jahre:
- für alle sonstigen Patientenakten;
- Impfkarteien (Erwachsene);
- Röntgenaufnahmen;
- Aufzeichnungen über Röntgenuntersuchungen nach der
letzten Untersuchung.
Längere Aufbewahrungsfristen ergeben sich im Einzelfall,
wenn
- es nach ärztlicher Erfahrung geboten ist;
- besondere Rechtsvorschriften längere Fristen vorsehen;
- mit der Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen
zu rechnen ist (insbes. Schadensersatz aus unerlaubter Handlung
gem. § 195 BGB). Hier beträgt die Verjährungsfrist
30 Jahre.
1.6 Rechtsvorschriften
Zu beachten sind ohne Anspruch auf Vollständigkeit vorwiegend
die folgenden Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften:
- Bundesdatenschutzgesetz
- Berliner Datenschutzgesetz
- Strafgesetzbuch (§ 203)
- Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter
Personen (§ 1)
- Sozialgesetzbuch I, V, X (Offenbarung)
- Berufsordnung für Ärzte/Zahnärzte
- GGO I (§ 86 Aktenorganisation)
- VGB 100: Unfallverhütungsvorschrift "arbeitsmedizinische
Vorsorge" (§§ 12, 13)
- Strahlenschutzverordnung (§ 71)
- Röntgenverordnung (§§ 28, 43)
- Berufskrankheitenverordnung (§§ 5, 6, 7)
- Abgabenordnung (§ 102)
- Landeshaushaltsordnung
- Gesetz über Gebühren und Beiträge
- Verwaltungsgebührenordnung
2. Lagerung
Es ist dafür Sorge zu tragen, daß, die Patientenakten
in gehöriger Obhut aufbewahrt werden. Der Begriff der "gehörigen
Obhut" umfaßt
- die Sicherung gegen Verlust;
- die Sicherung gegen den Zugriff Unbefugter;
- die Organisation für einen zulässigen Zugriff.
2.1 Räumliche Anforderungen
An die zur Aufbewahrung von Akten geeigneten Räume sind folgende
Mindestanforderungen zu stellen:
(1) Die Räume müssen trocken und beleuchtet sein. Als
Maßnahme zum Brandschutz gilt Rauchverbot; in Räumen
über 50 qm ist an gut sichtbarer Stelle ein Feuerlöscher
anzubringen, bei kleineren Räumen muß mindestens ein
Feuerlöscher im Zugangsbereich vorhanden sein.
(2) Die Räume müssen mit einer verschließbaren
und selbstschliessenden massiven Tür mit Sicherheitsschloß
und Außenknauf ausgestattet sein. Bei Räumen in Keller
oder Erdgeschoßlagen sind die Fenster gegen Einsteigen zu
sichern. Besteht die Gefahr von Ungeziefer oder Schädlingsbefall,
sind geeignete Vorkehrungen zu treffen.
(3) Sind die Räume nicht ausreichend beleuchtet, belüftbar
und beheizbar oder eignen sie sich aus anderen Gründen nicht
für den dauernden Aufenthalt von Mitarbeitern, müssen
geeignete Verwaltungsräume vorhanden sein, wenn die Akten
vor Ort verwaltet werden. Bestehen Zweifel an der Eignung von
Arbeitsräumen, ist das Landesamt für Arbeitsschutz und
technische Sicherheit zu beteiligen.
(4) Bei der Aufstellung von Regalen ist die zulässige Regallast
sowie die Deckenbelastbarkeit zu beachten. Bei der Aufstellung
von Regalen ist auf eine ausreichende Zugänglichkeit zu achten.
2.2 Aktenorganisation
(1) Die zusammenzuführenden Aktensammlungen befinden sich
zum Teil in ungeordnetem Zustand, zum Teil in nicht kompatiblen
Organisationssystemen. Das manuelle Aufarbeiten und Sortieren
der Akten nach einem Suchkriterium soll unterbleiben, wenn es
unvertretbar hohen Personal und Sachaufwand erfordert.
(2) Die Akten sollen deshalb möglichst in der Organisationsform
verbleiben, in der sie sich zum Zeitpunkt der Zusammenführung
befinden.
(3) Die Inhalte der Einzelakten bleiben unberührt, das manuelle
Auslösen, Umsortieren und Umheften unterbleibt.
(4) Bei der Verlagerung sind die Akten so zu verpacken, daß
sie am neuen Ort in der gleichen Registraturform gelagert werden
können; die bisher verwendeten Registraturschränke sind
am neuen Ort weiterzuverwenden. Für ungeordnete, lose, in
Säcken oder Kartons verpackte Akten kommt eine Lagerung in
einfachen Fächerregalen in Betracht. Die Regale, Regalfächer,
Hängeregistraturreihen usw. sind innerhalb des Lagerraums
zu kennzeichnen.
3. Verwaltung
3.1 Überlassung von Patientenakten an Dritte
(1) Die Zulässigkeit der Weitergabe von Patientenakten sowie
die Erteilung von Auskünften aus diesen Akten an Dritte ist
insbesondere auf der Grundlage der Bestimmungen über die
ärztliche Schweigepflicht (§ 203 StGB), der datenschutzrechtlichen
Bestimmungen und der Berufskrankheitenverordnung zu beurteilen.
(2) Abgesehen von Sonderfällen (z. B. richterliche Beschlagnahme)
ist jede Weitergabe von personenbezogenen Gesundheitsdaten nur
mit Einverständnis des Patienten zulässig. Damit ist
auch eine Weitergabe an Dienststellen des öffentlichen Gesundheitsdienstes,
Gerichte, Arbeits- und Versorgungsämter usw. ohne Einverständnis
des Patienten grundsätzlich unzulässig. Zum Beweis der
zulässigen Weitergabe ist stets eine schriftliche Schweigepflichtentbindungserklärung
(Anlage) des Patienten erforderlich, die bis zur Kassation der
Akte bei der aktenverwaltenden Stelle verbleibt.
3.1.1 Dauerüberlassung
Eine Patientenakte darf auf Dauer überlassen werden, wenn
die Akte ausschließlich Aufzeichnungen eines Arztes (ggf.
dessen Vorgängers gleicher Fachrichtung) enthält und
der letztbehandelnde angestellte Arzt künftig in eigener
Praxis als niedergelassener Arzt die Behandlung des Patienten
fortsetzt. Auch in diesem Fall ist die schriftliche Einverständniserklärung
des Patienten erforderlich.
3.1.2 Überlassung zur Einsichtnahme
Patientenakten können an nachbehandelnde oder Begutachtungsärzte
aufgrund schriftlicher Anforderung zur Einsichtnahme überlassen
werden. Die Einverständniserklärung des Patienten ist
erforderlich. Die Überlassung zur Einsichtnahme für
die Dauer der Ausleihe ist in einer gesonderten Kartei zu dokumentieren;
Anforderung, Einwilligungserklärung und Versandunterlagen
sind der Kartei beizulegen und werden nach Rückgabe der Akte
zugefügt.
3.1.3 Auskünfte aus den Akten
Fordert ein nachbehandelnder oder Begutachtungsarzt Einzelbefunde
oder Teile der Akte an, werden diese nicht aus der Akte entnommen,
sondern als Kopien zur Verfügung gestellt.
3.1.4 Überlassung von Patientenakten an den Patienten
(1) Patienten haben keinen Anspruch auf Überlassung ihrer
Patientenakte. Dies verstieße gegen das Gebot der gehörigen
Obhut (vgl. hierzu Ziffer 2); zudem enthalten Patientenakten sensible
Daten, über deren Bekanntgabe im Einzelfall mit ärztlichem
Sachverstand zu urteilen ist. Die Übergabe der Akte an den
Patienten in verschlossenem, an den anfordernden Arzt adressierten
Umschlag gegen Quittung ist zulässig, sofern nicht die besonderen
Umstände des Einzelfalls entgegenstehen.
(2) Die Herausgabe von Röntgenaufnahmen (ohne Befund) ist
zulässig (§ 28 der Röntgenverordnung).
3.1.5 Akteneinsicht
(1) Patienten haben grundsätzlich Anspruch auf Einsicht in
ihre Patientenakte.
(2) Da Patientenakten auch Aufzeichnungen über Dritte sowie
persönliche, nicht für den Patienten bestimmte Notizen
des Arztes oder Befunde enthalten können, deren Bekanntgabe
an den Patienten die Möglichkeit erheblicher Nachteile für
seinen Gesundheitszustand besorgen läßt, ist über
die Einsichtnahme im Einzelfall mit ärztlichem Sachverstand
zu urteilen.
(3) Die Patientenakte kann daher nach Maßgabe der Ziffer
3.1.2 von einem Arzt angefordert werden. Dieser kann Einsicht
in die Akte gewähren bzw. über die Bekanntgabe von Befunden
an den Patienten entscheiden.
3.2 Kosten
(1) Die Überlassung von Akten bzw. die Anfertigung von Kopien
aus Teilen der Akte erfolgt gegen Erstattung der Auslagen und
pauschalierter Verwaltungskosten.
(2) Die Verwaltungskosten wurden anhand eines Mittelwertes der
Durchschnittssätze für die Vergütungsgruppen IV
b und VIII/VII BAT-O bei einer angenommenen durchschnittlichen
Bearbeitungsdauer von 20 Minuten sowie eines Sachmittelzuschlages
von 100 % in Höhe von DM 15,-- ermittelt.
(3) Für die Anfertigung von Kopien sind gemäß
Tarifstelle 1101 des Gebührenverzeichnisses der Verwaltungsgebührenordnung
Kosten in Höhe von DM 1,-- für jede Seite zu erheben.
(4) Bei Selbstabholung sind die Kosten in bar zu zahlen; der Postversand
erfolgt gegen Nachnahme, sofern die Kosten nicht vorausgezahlt
werden. Die Rücksendung muß porto- und spesenfrei erfolgen.
3.3 Aussonderung von Altakten
(1) Nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen sind Altakten auszusondern.
Dabei ist zu beachten, daß es vom Regelfall abweichende
längere Aufbewahrungsfristen geben kann (vgl. Ziffer 1.5).
Die Aussonderung muß mit der gebotenen Sorgfalt, jedoch
unter Berücksichtigung, des vertretbaren Aufwandes erfolgen.
(2) Bei der Personalauswahl der Mitarbeiter des Patientenaktenarchivs
ist deshalb vorzusehen, daß mindestens eine Dienstkraft
mit einer mindestens zweijährigen Ausbildung in einem Medizinalfachberuf
vorhanden ist, die aufgrund ihrer Ausbildung in Krankheitslehre
mit der ärztlichen Terminologie vertraut ist. Diese Medizinalfachperson
ist unter ärztlicher Anleitung ggf. durch Ärzte des
ÖGD in Amtshilfe soweit anzuweisen, daß sie eine weitestgehende
Grobsortierung der Altakten (Aussonderung, Aufbeahrung und Zweifelsfälle)
vornehmen kann. In Einzelfällen, in denen ohne ärztlichen
Sachverstand nicht zu entscheiden ist, ist die Patientenakte aufzubewahren.
(3) Die Aussonderung von arbeitsmedizinischen Dokumentationen,
auch als Bestandteil von Patientenakten, sollte nur nach Rücksprache
mit dem für den Bezirk zuständigen Gewerbearzt des Landesinstituts
für Arbeitsmedizin erfolgen.
3.4 Vernichtung von Altakten
(1) Die kostengünstigste Maßnahme der Altaktenbeseitigung
ist die Verbrennung in der Müllverbrennungsanlage. Die Altakten
sind dazu in den besonderen Säcken zu sammeln und bis zur
Abholung unter Verschluß zu halten. Die Kassation ist listenmäßig
zu dokumentieren.
(2) Für die Vernichtung von Altakten sind die Bestimmungen
des § 88 Abs. 2 der GGO I maßgebend.
5. Personal und Sachmittelausstatung
5.1 Personalbedarf
Die Beschäftigungspositionen sind 1993 im Rahmen der Haushaltswirtschaft
zu finanzieren. Sollten die bezirkseigenen Möglichkeiten
am Jahresende ausgeschöpft sein, wird die Senatsverwaltung
für Inneres entsprechende Verstärkungsanträge befürwortend
an die Senatsverwaltung für Finanzen weiterleiten. Die stellenplanmäßigen
Konsequenzen sind mit der Dienstkräfteanmeldung 1994 zu ziehen.
5.2 Sachmittelbedarf
(1) Die Sachmittelausstattung ist auf das notwendige Maß
zu beschränken. Über den Bedarf im einzelnen entscheidet
auf Antrag die Senatsverwaltung für Finanzen im Benehmen
mit der Senatsverwaltung für Gesundheit.
(2) Sonstige Aufwendungen (Mieten, Betriebskosten usw.) werden
ebenfalls anhand von Einzelanträgen durch die Senatsverwaltung
für Finanzen bewilligt.
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