Ein weiterer wesentlicher Mangel des Gesetzentwurfes ist auch
hier wieder die Beschränkung des Akteneinsichtsrechtes des
Betroffenen. Die Akteneinsicht ist eine wesentliche Voraussetzung
für die Gewährleistung des Rechtes auf informationelle
Selbstbestimmung und sollte unter der gleichen Voraussetzung erfolgen
wie die Auskunft und nicht auf das Vorliegen rechtlicher Interessen
beschränkt werden. Der grundsätzliche Ausschluß
der Sicherheitsüberprüfungsakten bei dem mitwirkenden
Bundesamt für Verfassungsschutz oder MAD von der Akteneinsicht
ist mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht zu
vereinbaren. Überwiegende Geheimhaltungsinteressen oder überwiegende
Interessen Dritter, die einer Akteneinsicht entgegenstehen, können
wie bei jeder Entscheidung über eine Akteneinsicht berücksichtigt
werden. Für einen pauschalen Ausschluß der Verfassungsschutzakten
vom Einsichtsrecht besteht keine Notwendigkeit.
Auch zu einem Entwurf über SÜG-Ausführungsvorschriften,
die bis zum Abschluß der parlamentarischen Beratungen des
SÜG-Entwurfes vorliegen sollten, haben wir Stellung genommen:
Bedenklich ist insbesondere der weit gefaßten Personenkreis
für Sicherheitsüberprüfungen. Wir haben angeregt,
eine funktionale Trennung der Organisationseinheit, die für
die Sicherheitsüberprüfung zuständig ist, vorzunehmen.
Die aufgeführten Sicherheitsrisiken bei Ehe und Lebenspartnern
halten wir für zu weitgehend. Eine Anhörung des Betroffenen
über alle gesammelten Informationen sollte soweit wie möglich
sichergestellt werden. Der Betroffene und sein Ehe bzw. Lebenspartner
sind umfassend über den Umfang der Datenerhebungen und der
beabsichtigten Maßnahmen aufzuklären. Die vorgesehene
Befugnis, Daten nicht beim Betroffenen, sondern bei Dritten zu
erheben, ist zu weitgehend. Die genannten Beispiele Aggression
oder Depression bei Konfrontation mit dem möglichen Sicherheitsrisiko
sind bedenklich. Einer möglichen Aggression durch Befragung
Dritter aus dem Weg zu gehen, scheint uns eher im Interesse der
erhebenden Stelle, als im schutzwürdigen Interesse des Betroffenen
zu liegen. Von der Datenerhebung beim Betroffenen darf nur im
zwingenden Ausnahmefall abgesehen werden. Ob der Betroffene so
erheblich in seinen Gesundheitszustand eingreifende Depressionen
bei Offenbarung der Informationen bekommen wird, kann aber vom
Verfassungsschutz oder MAD nicht entschieden werden.
Die Bundesländer sind für den Verfassungsschutz
in ihrem Bereich zuständig. Bei der Senatsverwaltung für
Inneres wird seit März 1993 ein Entwurf eines Berliner Landesgesetzes
erarbeitet, der uns bisher nicht zur Stellungnahme übersandt
wurde. Wir gehen jedoch davon aus, daß unsere zum Sicherheitsüberprüfungsgesetzentwurf
des Bundes geäußerten Bedenken und Vorschläge
berücksichtigt werden.
Zu dem in Berlin gebrauchten Sicherheitsfragebogen, der zum
Teil sogar weitergehendere Datenerhebungen als der Gesetzentwurf
des Bundes enthält, haben wir inhaltliche Bedenken gegenüber
der Senatsverwaltung für Inneres geäußert. Unter
anderem auch deswegen hat der Hauptpersonalrat seine Zustimmung
zu dem Fragebogen gem. § 55 Abs. 2 Ziff. 5 Personalvertretungsgesetz
verweigert. Daraufhin hat die Senatsverwaltung für Inneres
mit Rundschreiben vom 26. November 1993 die Geheimschutzbeauftragten
in der Berliner Verwaltung gebeten, die Vordrucke mit sofortiger
Wirkung nicht mehr auszugeben bzw. zu verwenden. Nachdem eine
Reihe von Verbesserungen inhaltlicher und verfahrensmäßiger
Art vereinbart worden waren, können inzwischen für eine
Übergangszeit trotz fehlender Rechtsgrundlage die Überprüfungen
wieder durchgeführt werden.
Personenlisten über Demonstrationsteilnehmer
Bei Prüfungen haben wir festgestellt, daß die Polizei
Personenlisten an das Landesamt für Verfassungsschutz gesandt
hat, auf denen anläßlich von Demonstrationen und Veranstaltungen
festgestellte oder festgenommene Personen aufgeführt waren.
Diese Listen wurden kurz nach den Veranstaltungen beider Polizei
vernichtet. Beim Verfassungsschutz hingegen wurden die Listen
über Jahre gespeichert.
Nach früheren Mangelfeststellungen hatte das Landesamt
für Verfassungsschutz zugesagt, die von uns aufgefundenen
Personenlisten zu vernichten. Bei neu entdeckten Listen über
andere Demonstrationen weigert sich das Landesamt für Verfassungsschutz
nun jedoch, diese zu vernichten.
Das Landesamt steht auf dem Standpunkt, daß eine Teilnahme
und insbesondere vorläufige Festnahme bei gewalttätig
verlaufenden Demonstrationen, die von bestimmten Gruppierungen
geplant, organisiert und durchgeführt werden, den Verdacht
der Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen und
damit eine Speicherung rechtfertigt.
Von Maßnahmen des Verfassungsschutzes und dazu gehören
auch die Überprüfung, der Abgleich und die Speicherung
derartiger Personenlisten darf nur derjenige erfaßt werden,
dessen Verhalten konkrete Anhaltspunkte für relevante verfassungsfeindliche
Bestrebungen 1. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Landesverfassungsschutzgesetz
(LfvG) gezeigt hat. Allein die Teilnahme an einer Veranstaltung
oder Demonstration, die von extremistisch eingestuften
Gruppen organisiert oder durchgeführt werden, reicht für
die Annahme, daß die festgestellten Personen selbst verfassungsfeindliche
Bestrebungen vorhatten oder durchführten, nicht aus. Es ist
nicht ausgeschlossen, daß auch Personen auf den Listen
stehen, die keine Verbindung zu diesen Gruppierungen haben.
Die Teilnahme an Demonstrationen, die von einer Gruppierung
durchgeführt werden, die Beobachtungsobjekt des Landesamtes
für Verfassungsschutz ist, mag für eine gewisse Sympathie
der festgestellten Demonstrationsteilnehmer für diese Gruppierung
sprechen, rechtfertigt aber noch nicht den konkreten Verdacht,
alle festgestellten Personen ließen sich bei ihren Tätigkeiten
von Bestrebungen i. S. d. § 6 Abs. 2 LfVG leiten.
Auch die vorläufige Festnahme ist kein hinreichender
Ansatzpunkt. Zum einen waren zum Teil die Umstände der Festnahmen
zweifelhaft. So war der Presseberichterstattung zu einer Demonstration
zu entnehmen, daß die Festnahmen "unter den meist passiven,
mehrheitlich friedfertigen Versammlungsteilnehmern" erfolgten.
Zum anderen handelt es sich um eine Liste, auf der überwiegend
Festnahmen nach dem ASOG enthalten waren, die zudem ohne Angabe
zu dem Verhalten des einzelnen oder dem Ausgang des Ermittlungsverfahrens
übermittelt wurden.
Darüber hinaus ist bei Demonstrationsteilnehmern nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine besondere
Zurückhaltung bei Informationseingriffen erforderlich: "Wer
damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung
... behördlich registriert wird und daß ihm dadurch
Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine
Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG)
verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen
des einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl,
weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines
auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger
begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist."
Da diese Personenlisten für die Aufgabenerfüllung
des Landesamtes für Verfassungsschutz nicht erforderlich
sind, bestand nicht nur keine Verpflichtung der Polizei, sondern
auch keine Befugnis zur Übermittlung dieser Daten. Dies gilt
auch für die Rechtslage nach Inkrafttreten des neuen LFVG.
Die Verpflichtung des Landesamtes für Verfassungsschutz,
nach § 27 Abs. 6 LfVG übermittelte Informationen nach
ihrem Eingang unverzüglich daraufhin zu überprüfen,
ob sie zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind, stellt
nur eine zusätzliche Absicherung dar. Wenn wie bei den Demonstrationsteilnehmerlisten
die mangelnde Erforderlichkeit für die Polizei erkennbar
ist, hat die Übermittlung zu unterbleiben. Daraus folgt,
daß auch eine Speicherung der Personenlisten beim Landesamt
für Verfassungsschutz unzulässig ist.
Kontrollfreier Raum
Nach der Vereinigung erhielten die Landesämter für
Verfassungsschutz Abschriften von Kontrollaufträgen des MfS.
Diese Unterlagen betrafen Telefonkontrollen, die das MfS vorgenommen
hatte. Das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz erhielt
etwa 5 000 Kontrollaufträge zur Prüfung, inwieweit es
ausgespäht wurde. Berlin war das einzige Land, das dem Beschluß
der Innenministerkonferenz auf Vernichtung der Kontrollaufträge
nicht nachgekommen war und konnte deshalb die Unterlagen Ende
1991 dem Generalbundesanwalt für ein Ermittlungsverfahren
gegen einen leitenden Mitarbeiter des MfS übergeben.
Die Senatsverwaltung für Inneres hat vor der Weiterleitung
der Kontrollaufträge die G10-Kommission unterrichtet und
diesen parlamentarischen Gremien zur Prüfung stichprobenartig
Einsicht in die Unterlagen gewährt. Bei Maßnahmen,
die vor der Wiedervereinigung in Berlin vorgenommen wurden und
über die personenbezogene Daten in den Unterlagen des Verfassungsschutzes
vorhanden sind. Dies betrifft nicht nur die Unterlagen des MfS
(für die mit dem Stasi-Unterlagengesetz inzwischen ohnehin
eine Ablieferungspflicht besteht), sondern auch Unterlagen, die
von den West-Alliierten an das Landesamt für Verfassungsschutz
gelangt sind.
Das Ausführungsgesetz zu Art. 10 GG enthält hierüber
keine Regelungen. Es sieht nach seinem Wortlaut für derartige
Datensammlungen keine Zuständigkeit der für die Kontrolle
von Eingriffen des Landesamtes für Verfassungsschutz in das
Post und Fernmeldegeheimnis eingerichteten G10-Kommission vor.
Wir halten es für unerläßlich, daß für
diese Unterlagen eine Instanz vorgesehen wird, die den Umgang
mit diesen zum Teil erheblich in das Persönlichkeitsrecht
eingreifenden Datenspeicherungen kontrolliert. Eine Lösungsmöglichkeit
wäre es, die Kontrollaufgaben der G10-Kommission insoweit
zu erweitern. Dabei könnte eine weitere Lücke geschlossen
werden. Ausdrücklich sollte geregelt werden, in welchem Umfang
die G10-Kommission nicht nur bei der Anordnung der Maßnahmen
bzw. der Löschung der Daten einerseits und der Benachrichtigung
der Betroffenen andererseits, sondern auch bei der Verwendung
der Daten insbesondere der Weitergabe der Daten an andere Behörden
mitwirken soll. Da gerade hierin ein schwerwiegender, zur heimlichen
Überwachung hinzukommender Eingriff in die informationelle
Selbstbestimmung liegt, würden entsprechende Kontrollrechte
einen erheblichen Gewinn für die Legitimität derartiger
Maßnahmen bringen.
Der Senator für Inneres hat unsere Anregungen aus verschiedenen
Gründen nicht aufgegriffen. Eine Fraktion hat unsere Vorschläge
zur Besprechung im Ausschuß für Verfassungsschutz des
Abgeordnetenhauses angemeldet.
Organisation der Datenverarbeitung
Die NADIS-Richtlinien, die die Grundsätze für den
Betrieb des bundesweiten Datenverbunds- der Verfassungsschutzämter
regeln, sind unter Berücksichtigung des novellierten Bundesverfassungsschutzgesetzes
überarbeitet worden und sollen demnächst nach Billigung
der Innenminister/-senatoren in Kraft treten.
Wir haben u. a. gegen die Regelungen über die Verantwortlichkeit
für die in NADIS eingegebenen Daten Bedenken geäußert.
Es muß sichergestellt sein, daß die speichernde Verfassungsschutzbehörde
nach den für sie geltenden gesetzlichen Bestimmungen nicht
nur über Umfang, Inhalt und Dauer der Datenspeicherungen,
sondern auch über die Übermittlung der eingegebenen
Daten an andere Stellen entscheiden kann. Dies ist nach dem Entwurf
der Richtlinie nicht der Fall.
Gemäß § 12 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz
sind personenbezogene Daten in Dateien nicht zu löschen,
sondern stattdessen zu sperren, wenn Grund zu der Annahme
besteht, daß die Löschung schutzwürdige Interessen
des Betroffenen beeinträchtigt würden. Im Bundesamt
für Verfassungsschutz ist dazu ein Sperrverfahren eingerichtet
worden, das anders als die vorangegangene Planung den datenschutzrechtlichen
Bedenken besser Rechnung trägt. Das Verfahren wird allerdings
vom Landesamt für Verfassungsschutz noch nicht genutzt, da
amtsinterne Regelungen über die Nutzung und den Umgang mit
gesperrten Daten noch ausstehen. Wir haben einige Verfahrensvorschläge
hierzu vorgelegt.
Das Landesamt für Verfassungsschutz hat unmittelbar nach
Aufhebung des Löschungs und Vernichtungsverbotes für
die vorhandenen Datensammlungen im April 1992 mit den Maßnahmen
zur Durchführung des Bereinigungsprozesses begonnen. Die
Löschung der gesperrten Daten im Nachrichtendienstlichen
Informationssystem (NADIS) ist erfolgt. Die Anzahl der Personendatensätze
hat sich um 71% reduziert. Es wurden zehntausende von
Akten und Unterlagen gesperrt. Entgegen dem Beschluß des
Ausschusses für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses
konnten allerdings wegen fehlender Räumlichkeiten in vielen
Bereichen die Altakten nicht räumlich getrennt von den Aktenbeständen
der laufenden Bearbeitung untergebracht werden. Nachdem inzwischen
das Landesarchivgesetz verabschiedet wurde, können die Akten
dem Landesarchiv zur Übernahme angeboten und die nicht archivwürdigen
Unterlagen vernichtet werden. Dadurch dürfte sich das Raumproblem
etwas entschärfen. Dennoch muß sichergestellt sein.
daß in der Zwischenzeit eine räumliche Trennung erfolgt
und Maßnahmen zur Lösung des Raumproblems ergriffen
werden.
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