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1 Datenschutz in Berlin 1990

1.1 Datenschutz ist Menschenrecht

Die neue Berliner Verfassung, die seit Januar 1991 für das ganze Berlin gilt, gewährt jedem einzelnen das Recht, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Sie greift damit die Formulierung auf, mit der das Bundesverfassungsgericht den Gehalt des informationellen Selbstbestimmungsrechts umschrieben hat. Datenschutz ist die juristisch-technische Umsetzung dieses Rechtes.

Das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist ein Menschenrecht. Es steht jedermann zu. Dies ist konsequent: Das Gericht führt das informationelle Selbstbestimmungsrecht auf die Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zurück, Rechte, die das Menschsein ausmachen und damit ledern Menschen zukommen.

Daraus folgt für den Datenschutz zweierlei:

Bei der Beurteilung, ob der Datenschutz gewährleistet ist, darf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe keine Rolle spielen. Weder Herkunft noch Stellung oder gar Krankheiten dürfen zum Anlaß einer unsachgerechten Ungleichbehandlung genommen werden. Immer wieder werden Versuche unternommen, gegen diesen elementaren Grundsatz zu verstoßen:

Das neue Ausländergesetz kehrt das Prinzip, daß der Staat nur im Einzelfall in das informationelle Selbstbestimmungsrecht eingreifen darf und dies zu rechtfertigen hat, in sein Gegenteil um: Alle öffentlichen Stellen werden verpflichtet, Meldungen über ausländische Mitbürger zu erstatten, wenn staatliche Maßnahmen erforderlich scheinen. Die individuelle Abwägung erscheint unerwünscht.

Die Presse nimmt immer wieder das Recht in Anspruch, zumindest über prominente Mitbürger nach Belieben sensible Daten veröffentlichen zu können. Gerade am Ende des vergangenen Jahres hat ja in Berlin die Erkrankung eines bekannten Schauspielers zu entsprechenden Schlagzeilen geführt. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit kann nur insoweit Vorrang vor der Privatsphäre der Personen der Zeitgeschichte' haben, als diese in einem Zusammenhang mit deren öffentlicher Tätigkeit steht.

Nicht einmal dem Querulanten ist das Recht auf Datenschutz abzusprechen, auch wenn seine ausholenden Ausführungen dem Beamten auf die Nerven gehen: Gerade bei diesem Personenkreis stellt häufig die Mißachtung seiner informationellen Selbstbestimmung das Anfangsunrecht dar, das ihn in sein Verhalten treibt.

Seitenanfang Und nicht zuletzt: Manch einer Einstellungsbehörde schien bereits die Tatsache, daß jemand im Staatsdienst der DDR stand, Rechtfertigung genug, Daten zu erheben, deren Ermittlung bei uns längst als verfassungswidrig erkannt ist.

Allen diesen Personen kommt das informationelle Selbstbestimmungsrecht in gleichem Maße zu, jede Differenzierung ist im Einzelfall begründungs- und erklärungsbedürftig.

So gesehen erfährt das informationelle Selbstbestimmungsrecht eine weitere Stütze: auch als Recht der Außenstehenden, Gestrauchelten, Mißverstandenen auf informationelle Gleichbehandlung.

Die andere Konsequenz der Menschenrechtsqualität ist die, daß Instanzen, die sich um die Wahrung des Datenschutzes zu bemühen haben und hier steht der Datenschutzbeauftragte an erster Stelle in besonderem Maße den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen stellen müssen. Dies unterscheidet sie gerade von denjenigen, die um der Funktionsfähigkeit der Verwaltung willen lästige Schutzmaßnahmen gerne als Hemmnisse ihrer angeblich wohltuenden Tätigkeit ansehen.

Dies heißt nicht nur, daß den Beschwerden von Bürgern mit besonderem Eifer nachgegangen werden muß. Dies ist in unserer Dienststelle selbstverständlich von Anfang an geschehen.

Darüber hinaus muß versucht werden, den Voreingenommenheit des Bürgers selbst zu begegnen. Derartige Einstellungen finden sich auch noch zehn Jahre nach Inkrafttreten und Umsetzen der Datenschutzgesetze:

Etwa die pharisäische Haltung, jeder könne alles über einen wissen, man habe nichts zu verbergen eine Haltung, die sich in der Regel schlagartig ändert, wenn der Sohn wegen eines Ladendiebstahls von der Polizei verhört oder durch die Post ein Bankauszug in Klarsichtfolie zugestellt wird.

Oder umgekehrt die Resignation, die der Empörung über einen Datenmißbrauch folgt; auch sie ist verfehlt, denn die Datenschutzgesetze enthalten ein mannigfaltiges Instrumentarium zur Folgenbeseitigung, aber auch zum präventiven Schutz vor Mängeln. Schon gar nicht angezeigt ist Furcht vor negativen Konsequenzen. Selbst ein Auskunftsersuchen beim Verfassungsschutz darf nicht dazu führen, daß dieses zur Ursache einer Erfassung als Verdächtiger wird.

Derartige Einstellungen stellen den Datenschutzbeauftragten vor besondere Aufgaben. Er muß aufklären, motivieren, Furcht abbauen. Wir haben unser Augenmerk im vergangenen Jahr in besonderem Maß auf diese Aufgabe gelenkt, wenn auch wiederum mit den zur Verfügung stehenden personellen und materiellen Mitteln, vor allem aber in der zur Verfügung stehenden Zeit, nur ein Bruchteil des Erforderlichen geleistet werden konnte.

Das eigene Engagement des Bürgers ist dabei unerläßlich. Die Datenschutzgesetze geben ihm zumal nach der Verabschiedung der Novellen in Bund und Land wichtige Mittel in die Hand: Die datenverarbeitenden Stellen sind verpflichtet, den Umfang ihrer Datenverarbeitung gegenüber dem Datenschutzbeauftragten transparent zu machen. Die Meldungen können eingesehen werden; Mittel, Auszüge daraus auszudrucken oder zu kopieren, stehen zur Verfügung. Die Stellen müssen den Bürger mehr als zuvor individuell über den Umfang der Datenverarbeitung aufklären, und zwar bereits bei der Datenerhebung dies kann den Anstoß für eine Nachfrage geben.

Der entscheidende Schritt ist allerdings, daß der Bürger entschlossen ist, sich tatsächlich über die über ihn gespeicherten Daten zu informieren. Jede Stelle, inzwischen auch die Sicherheits- und Finanzbehörden, sind verpflichtet, ihm die gewünschten Auskünfte zu geben. Ausnahmen müssen begründet werden. Der Auskunft folgen effektive Rechte: Ansprüche auf Berichtigung, auf Löschung, auf Unterlassung, im schlimmsten Fall auf Schadensersatz und Schmerzensgeld oder gar die Möglichkeit, einen Strafantrag zu stellen. Niemand sollte Scheu haben, diese Rechte wahrzunehmen.

Der Bürger selbst hat allerdings ebenfalls Pflichten.

Auch hier muß dafür geworben werden, daß jeder sich für das informationelle Selbstbestimmungsrecht des anderen einsetzt. Daß dies noch keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt die geringe Beachtung, die manche der Diskretion in Warteschlangen beimessen. Zwar haben viele Einrichtungen, etwa die Berliner Sparkasse, auf Drängen der Datenschutzbeauftragten Hinweise auf die gebotene Vertraulichkeit angebracht. Die Beobachtung zeigt aber, daß sich das Verhalten kaum geändert hat. Anders nur bei Geldautomaten: Motiv sollte hier allerdings ebenfalls der Respekt vor dem anderen sein und nicht die Furcht, daß die eigene Geheimzahl ausgespäht werden könnte.

Noch wichtiger wird die Achtung vor den Rechten anderer dann, wenn private Informationstechnik eingesetzt wird. Auch hier ist noch viel zu tun: Es überrascht uns nicht mehr, wenn wir feststellen, daß derselbe Lehrer, der im Unterricht vehement die Ziele des Datenschutzes vertritt, auf seinem häuslichen PC intensive Auswertungen der Leistungen, aber auch der Fehlleistungen und -zeiten seiner Schüler vornimmt, ohne die vorgeschriebenen Meldungen vorgenommen zu haben. Angesichts eines Standes der Technik, bei dem taschenkalendergroße Computer gestatten, gewaltige Datenmengen zu verarbeiten, treffen die datenschutzrechtlichen Pflichten jedermann.

Daraus folgt, daß die Intensität der Nutzung der Datenverarbeitung auch eine entsprechende Kenntnis der Folgen und Risiken der Datenverarbeitung begleiten muß. Im Berichtsjahr haben wir uns bemüht, in verstärktem Maße aufzuklären und zu beraten.

Daß es dabei häufig zu kontroversen Diskussionen kommt, ist klar: Ist doch die Euphorie verständlich, die die zunehmenden Nutzungsmöglichkeiten der Informationstechnik begleitet. Das Bewußtsein für die Risiken sollte allerdings mit der entstehenden Informationsgesellschaft Schritt halten und nicht erst einsetzen, wenn uns diese unserer Privatsphäre beraubt hat.

Zuletzt geändert:
am 09.02.97

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