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5.8 Kulturelle Angelegenheiten

Opfernamen auf Denkmälern

Im vergangenen Jahr wurde mehrfach die Frage öffentlich diskutiert, wie in Form eines Mahn- oder Denkmals der Judenvernichtung in der Zeit des Nationalsozialismus gedacht werden kann. Im Bezirk Steglitz wurde eine Spiegelwand aufgestellt, auf der die Namen von 2.000 ermordeten jüdischen Menschen eingraviert sind. Dagegen sind die Pläne für ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz bisher nicht verwirklicht worden. Der von der Jury ausgewählte Entwurf sieht vor, auf einer begehbaren Platte, die fast 100 x 100 Meter groß sein und 11 Meter aus dem Boden ragen soll, die Namen von 4,2 Millionen Opfern des Holocaust, soweit sie bekannt sind, anzubringen.

Nach der Vorstellung der Urheber dieses Entwurfs für ein Mahnmal, der sich die Jury angeschlossen hat, sollten den in den Konzentrationslagern mit Nummern versehenen Opfern ihre Namen und damit ihre Würde zurückgegeben werden. Dagegen sei ein Gedenken an anonymen Denkmälern, seien es abstrakte Darstellungen oder figürliche Symbole, "verhältnismäßig oberflächlich". Der Betrachter könne sich der individuellen Betroffenheit leichter entziehen [146].

Der ausgewählte Entwurf für das Holocaust-Mahnmal ist von verschiedenen Seiten heftig kritisiert worden. Dabei haben auch Gesichtspunkte des Datenschutzes eine Rolle gespielt. Die Historiker Arno Lustiger und Julius Schoeps haben angekündigt, daß sie gerichtlich gegen eine Nennung der Namen ihrer ermordeten Angehörigen auf dem Mahnmal vorgehen und sich dabei auf den Datenschutz stützen würden [147]. Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz ist von Angehörigen der Ermordeten angerufen worden, die befürchteten, daß durch das Bekanntmachen von Namen auf einem jedem zugänglichen Denkmal Hinweise auf jüdische oder vermeintlich jüdische Familien gegeben werden könnten.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, hat seinerseits darauf hingewiesen, daß die bloße Nennung der Nachnamen der Ermordeten nicht ausreicht, um ihnen ihre Individualität zurückzugeben, da bestimmte jüdische Nachnamen sehr häufig sind. Es müßten - wenn man diesem Vorschlag folgen wolle - Vornamen, Geburts- und Todesdatum dazukommen. Dementsprechend seien in Frankfurt die Namen von über 11.000 Frankfurter Juden in die dortige Friedhofsmauer mit Geburts-, Todes- oder Deportationsdaten eingefügt worden. Bei sechs Milionen Opfern sei dies nicht möglich. Bubis wörtlich: "Da entsteht der Eindruck eines Registers" [148].

Seitenanfang Es ist nicht Sache des Datenschutzbeauftragten, sich zur Angemessenheit der Form eines Mahnmals für diesen Zweck zu äußern. Da aber die Angehörigen der Ermordeten selbst diese Frage aufgeworfen haben, sollte im weiteren Verlauf der noch nicht beendeten Diskussion über das nationale Mahnmal am Potsdamer Platz der Gesichtspunkt des Datenschutzes stärker miteinbezogen werden. Auch 50 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur muß das Persönlichkeitsrecht der Opfer des Holocaust sehr sorgfältig bedacht werden. Die Überlegung der Befürworter des Entwurfs für die begehbare Grabplatte mit den Namen, damit könne eine persönliche Betroffenheit des Betrachters ausgelöst werden, erscheint zwar plausibel. Mit dem Argument, die namentliche Nennung der Ermordeten würde diesen ihre Würde zurückgegeben, können deren persönlichkeitsrechtliche Belange aber nicht einfach überspielt werden. Vielmehr müssen die Angehörigen zumindest ein Mitspracherecht erhalten, wenn der ausgewählte Entwurf überhaupt in dieser Form realisiert werden sollte. Die monumentale Nennung aller bekannten Opfernamen unter Hinwegsetzung über die Gefühle und Interessen der Angehörigen würde die Opfer vielmehr zum Instrument einer Politik des öffentlichen Gedenkens machen und sie damit erneut entwürdigen. Dieser Eindruck würde sich noch dadurch verstärken, daß die geplante Grabplatte begehbar sein soll und die Namen der Opfer nicht nur betrachtet, sondern auch "betreten" werden sollen.

Datenschutz in Staatskirchenverträgen

Die herausgehobene verfassungsrechtliche Stellung der Religionsgesellschaften, insbesondere der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, der Katholischen Kirche (Erzbistum Berlin) und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, macht es erforderlich, die rechtlichen Beziehungen zwischen dem Land Berlin und den Kirchen staatsvertraglich zu regeln. Dabei sind auch datenschutzrechtliche Fragen von Bedeutung.

Während der Staatsvertrag über die Beziehungen des Landes Berlin zur Jüdischen Gemeinde zu Berlin ohne unsere Beteiligung ausgehandelt worden und im Februar 1994 in Kraft getreten war [149], beteiligte uns die Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten frühzeitig an den Verhandlungen, die seit Ende 1994 mit der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und dem Erzbistum Berlin geführt werden.

Auch wenn die Verhandlungen mit beiden Kirchen noch nicht zum Abschluß gekommen sind, kann festgehalten werden, daß zumindest in dem Staatsvertrag mit der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg voraussichtlich eine Regelung des Beichtgeheimnisses und der Seelsorge aufgenommen werden wird, wonach Geistliche in Verfahren, die dem Landesrecht unterliegen, zur Verweigerung des Zeugnisses über das berechtigt sind, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut oder bekannt geworden ist. Ursprünglich wollte sich das Land Berlin lediglich dazu verpflichten, dafür einzutreten, daß die gesetzlichen Bestimmungen zu diesem Bereich aufrechterhalten bleiben.

Im Bereich des Meldewesens konnte in einem Zusatz zum Schlußprotokoll zum Entwurf des Staatsvertrages mit der Evangelischen Kirche klargestellt werden, daß entsprechend der Regelung im Meldegesetz das Land aufgrund der von der Kirche vorzulegenden kirchengesetzlichen Regelungen sowie deren Umsetzung feststellt, ob im Bereich der Kirche ausreichende Datenschutzmaßnahmen bestehen.

Es bleibt zu hoffen, daß entsprechende Regelungen auch in den angestrebten Staatsvertrag mit der Katholischen Kirche aufgenommen werden.

5.9 Schule, Berufsbildung und Sport

Integration von behinderten Kindern

Seit knapp zwanzig Jahren gibt es die Möglichkeit, behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam zu unterrichten. Den anfänglichen Schulversuchen folgte 1989 die Ergänzung des Schulgesetzes um eine Regelung zur Integration von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf (§ 10 a Schulgesetz). Nach dieser Rechtsvorschrift sind bis zum Schuljahr 1996/97 die Voraussetzungen für das uneingeschränkte Wahlrecht der Erziehungsberechtigten von Schülern mit festgestelltem sonderpädagogischem Förderbedarf zu schaffen. Die Eltern können zwischen einer allgemeinen Schule und einer Sonderschule wählen. Jährlich werden ungefähr fünfhundert behinderte Schüler in allgemeine Schulen aufgenommen.

Die Regelung zu den Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Berliner Schulgesetz ermächtigt das für Schulwesen zuständige Mitglied des Senats, eine Rechtsverordnung für die konkrete Umsetzung zu schaffen. Eine solche Rechtsverordnung ist erforderlich, wie im vergangenen Jahr die Probleme einer zunehmenden Zahl von Schülern, die den Grundschulbereich verlassen und in den Sekundarbereich I übergehen, zeigten. Die Schuldatenverordnung gibt den Förderauschüssen eine Befugnis zur Verarbeitung personenbezogener Daten einschließlich des Verfahrens der Kind- Umfeld-Diagnostik, sowie zur Verarbeitung medizinischer und psychologischer Daten. Rechtlich noch nicht festgeschrieben hingegen sind die Aufgaben und die Zusammensetzung des Förderausschusses selbst.

Des weiteren wurde deutlich, daß die Tätigkeit der Förderausschüsse sowie die sonderpädagogische Förderarbeit eine Reihe von Datenerhebungen erforderlich machen, für die gegenwärtig keine Rechtsgrundlage besteht. So werden zwischen der Schule und der Schulaufsicht Daten übermittelt, denen man sicherlich eine Relevanz bezüglich der Förderarbeit nicht absprechen kann, die jedoch weit über den zulässigen Rahmen der Schuldatenverordnung hinausgehen. So wird beispielsweise erfragt, seit wann die Familie in Deutschland lebt, welche Besonderheiten das schulische Lernen beeinträchtigen oder welches die bevorzugte Sprache der Familie ist. Ein bloßer Hinweis auf die Vertraulichkeit dieser Angaben auf den Erhebungsbogen legitimiert jedoch nicht deren Erhebung. Gegenwärtig erfolgt die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs auf Grundlage eines Rundschreibens, das Übergangsregelungen für das Schuljahr 1993/94 traf und erst mit Inkrafttreten der Rechtsverordnung nach § 10 a Schulgesetz aufgehoben werden soll.

Schulverwaltungsprogramme

Aufgrund einer Ausschreibung der Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport prüfte eine Arbeitsgruppe von Lehrern bei der Landesbildstelle die Praktikabilität und Anwendbarkeit von Datenverarbeitungsprogrammen für Zwecke der Schulverwaltung. Diese Arbeitsgruppe empfahl drei Programmpakete. Daraufhin prüften wir aus datenschutzrechtlicher Sicht die Anwendbarkeit dieser Programme. Für die Programmteile "Stundenplan- und Vertretungsplanerstellung" haben wir das Informationsverarbeitungsgesetz als hinreichende Rechtsgrundlage angesehen. Allerdings teilten wir sowohl der Senatsschulverwaltung als auch den Personalräten mit, daß für die Nutzung einzelner Felder sowie für die Bestimmung des Sicherheitsstandards, der Abschluß einer Dienstvereinbarung erforderlich ist. So ist bei den Vertretungsplanprogrammen eine Abgrenzung von Zwecken der Personaldatenverarbeitung, für deren Verarbeitung die Schule selbst keine Befugnis hat, notwendig.

In unsere Stellungnahmen flossen auch eine Reihe von Gedanken der Teilnehmer am "Runden Tisch Datenschutz in der Schule" ein, der sich unter dem Dach der Technologieberatungsstelle beim Deutschen Gewerkschaftsbund zusammengefunden hat.

Elternadressen

Die Schuldatenverordnung regelt abschließend den Umgang mit Elternadressen und Telefonnummern innerhalb der Schule. Namen, Anschrift und Telefonnummern der Elternvertreter können an die Eltern der Klasse und an den Vorsitzenden der Gesamtelternvertretung weitergegeben werden. Auch die Angaben des Vorsitzenden dürfen den Elternvertretern mitgeteilt werden. Für alle darüber hinausgehenden Übermittlungen ist die Einwilligung der Betroffenen erforderlich. An vielen Schulen tauschen die Eltern anläßlich von Elternabenden freiwillig die Adressen aus.

Nicht geregelt ist hingegen der Umgang mit Adreßdaten gewählter Vertreter in Bezirks- bzw. Landesgremien. Eine besondere Regelung ist auch nicht erforderlich. Diese Gremien dürfen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben auch ohne Einwilligung des Betroffenen (gewählten Vertreters) Angaben verarbeiten, soweit dies für die allgemeine Verwaltungstätigkeit des Gremiums erforderlich ist und schutzwürdige Belange des Betroffenen nicht entgegenstehen. Eine Übermittlung von Adreß- und Telefonangaben gewählter Elternvertreter von der Schule an die Bezirks- bzw. Landesgremien ist zulässig, wenn nicht auf die Vertraulichkeit dieser Angaben hingewiesen wurde. Die Nutzung durch die Gremien muß sich jedoch auf die Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben beschränken.

Eine Übermittlung von Anschriften der Mitglieder und Vorsitzenden von Bezirks- oder Landesausschüssen an Dritte ist dagegen anders zu bewerten. Hier steht nicht die Arbeitsfähigkeit der Gremien selbst im Mittelpunkt, sondern die "Erreichbarkeit" bzw. "Ansprechbarkeit" der Mitglieder der Gremien durch andere Personen. Möchte also ein Dritter zu einer Veranstaltung Elternvertreter einladen, so wäre es nur zulässig, den Namen sowie die Anschriften der von ihnen gesuchten bzw. vertretenen Schulen zu übermitteln. Eine Herausgabe von Telefonnummern und Privatadressen ist nicht erforderlich und damit auch nicht zulässig.

5.10 Soziales

Noch immer: Datenerbe des Krieges

Die Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen Deutschen Wehrmacht (Wehrmacht-Auskunftsstelle - WASt -) ist, vermutlich auch einigungsbedingt, seit Jahren in besonderem Maße mit datenschutzrechtlichen Fragestellungen konfrontiert. So stellt sich die Frage, inwieweit die Deutsche Dienststelle befugt ist, amerikanischen Behörden Auskunft zu erteilen.

Mit dem Gesetz über die Datenverarbeitung bei der Deutschen Dienststelle [150] ist eine Auskunfts- und Datenübermittlungsregelung geschaffen worden, die die Aufgabenstellungen der WASt definiert. Jedoch gibt es weder hier noch in der aufgrund dieses Gesetzes ergangenen Verordnung vom 29. März 1994 [151]eine ausdrückliche Befugnis zur Datenübermittlung an Stellen außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes. Zwar verweist das Gesetz über die Verarbeitung personenbezogener Daten bei der WASt auf Vorschriften des zweiten Kapitels des Sozialgesetzbuchs X. Regelungen sind hier jedoch nicht einschlägig. Die Übermittlung personenbezogener Daten aus der Deutschen Dienststelle an Einwanderungsbehörden der USA ist von der Einwilligung der Betroffenen abhängig zu machen. Denn nach § 67b Abs. 1 SGB X ist die Verarbeitung von Sozialdaten außer "nach den nachfolgenden Vorschriften" auch zulässig, soweit der Betroffene eingewilligt hat. Der § 77 SGB X ist nicht als entgegenstehende Regelung für Sonderfälle im nationalen Recht anzusehen, weil diese Vorschrift gerade den Datenexport ins Ausland generell regelt. Die Einwilligung ist allerdings eine Obliegenheit des Betroffenen. Ihre Verweigerung kann dazu führen, daß die US-Einwanderungsbehörden den Antrag eines Betroffenen auf Einwanderung/Einbürgerung ablehnen. Darauf sollte der Betroffene hingewiesen werden. Außerdem sollte ihm - ähnlich wie bei der Erteilung eines polizeilichen Führungszeugnisses aus dem Bundeszentralregister - die Möglichkeit gegeben werden, selbst Kenntnis von den bei der Deutschen Dienststelle über ihn vorhandenen Unterlagen zu nehmen, bevor er seine Zustimmung zur Übermittlung an Dienststellen in den Vereinigten Staaten gibt.

Um eine Dissertation in einem wichtigen Punkt abschließen zu können, wurde zum Thema: "Täter-Opfer-Dichotomie am Beispiel des Konzentrationslagers Bergen-Belsen" im Rahmen des "Antisemitismus-Forschungsprogramms" bei uns nachgefragt, inwieweit eine Einsicht in Unterlagen des Krankenbuchlagers und der Deutschen Dienststelle möglich sei. Es waren dabei bereits erhebliche Vorarbeiten geleistet, doch wurden weitere Daten über das SS-Überwachungspersonal des KZ Bergen-Belsen benötigt und vermutet, daß diese Angaben aus dem Krankenbuchlager Berlin in Verbindung mit der WASt ermittelt werden könnten. Sowohl vom Krankenbuchlager als auch von der Deutschen Dienststelle waren einzelne Auskünfte zunächst abgelehnt worden.

Wir haben die Anfrage zum Anlaß genommen, Grundsatzfragen der wissenschaftlichen Forschung anhand der Unterlagen des Krankenbuchlagers und der Deutschen Dienststelle zu klären. Sowohl im Krankenbuchlager als auch in der Deutschen Dienststelle befinden sich Personaldaten und medizinische Daten, also Daten, die der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen, und grundsätzlich nicht für wissenschaftliche Forschung vorgehalten werden. Vielmehr haben beide Einrichtungen die Aufgabe, die Klärung sozialrechtlicher Ansprüche zu unterstützen. Tatsächlich sind dort Datenbestände, die für die eigentliche Aufgabenerfüllung der beiden Einrichtungen nicht mehr benötigt werden, weil die Vorfälle weit zurückliegen und die Betroffenen schon vor Zeiträumen verstorben sind, die bei archivrechtlicher Betrachtungsweise einer Nutzung dieser Daten nicht mehr entgegenstehen würden. So geht das Krankenbuchlager bis weit in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg zurück. Bei einem großen Teil der Datenbestände handelt es sich somit um Unterlagen, die eigentlich, weil sie für eine aktuelle Aufgabenerfüllung mit sozialer Zielrichtung nicht mehr benötigt werden, dem Landesarchiv angeboten werden müßten und dort auch der wissenschaftlichen Forschung zugänglich wären. Das Landesarchivgesetz, welches unmittelbar nur für die Landesarchivalien gilt, regelt die Nutzbarkeit von personenbezogenem Archivgut und hat in Weiterentwicklung des "Mephisto-Urteils" des Bundesverfassungsgerichts maßgebliche Aussagen zum Fortwirken des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach dem Tode des Betroffenen gemacht. Schon in diesem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach dem Tode des Betroffenen nur noch einem abnehmenden Schutz unterliegt und die rechtliche Schutzwirkung dann erlischt, wenn ein angemessener Zeitraum seit dem Tode verstrichen ist [152]. Das Archivgesetz hat diesen Zeitraum bei Unterlagen über Verstorbene, die vor mehr als dreißig Jahren entstanden sind, generell auf zehn Jahre nach dem Tod oder neunzig Jahre nach der Geburt, wenn der Todeszeitpunkt nicht feststeht, festgelegt.

Die Forschung darf allerdings nicht dadurch schlechter gestellt werden, daß bestimmte Datenbestände allein aufgrund organisationstechnischer Umstände noch nicht dem Landesarchiv übergeben worden sind. Denn die Besonderheit der bei der Deutschen Dienststelle und beim Krankenbuchlager vorgehaltenen Datenbestände liegt darin, daß hier auch auf längere Sicht noch nicht damit zu rechnen ist, daß der Gesamtbestand an das Landesarchiv übertragen wird. Vielmehr soll der Gesamtbestand als Einheit erhalten werden. Aufgrund der gleichartigen Interessenlage haben wir daher empfohlen, daß die beiden Dienststellen die Nutzungsregelung des § 8 Landesarchivgesetz hier zumindest entsprechend heranziehen, um auch insoweit der Forschung eine Nutzung der Daten zu ermöglichen. Voraussetzung wäre jedoch, daß durch die Dienstellen jeweils festgestellt ist, daß ein Schutzbedürfnis wegen des Todes des Betroffenen oder eines entsprechend abgelaufenen Zeitraumes nach dem Archivgesetz nicht mehr besteht. Auch die Schutzvorschriften nach dem Sozialgesetzbuch würden nicht mehr entgegenstehen. Dieses Ergebnis stimmt mit § 4 BlnDSG überein, wonach personenbezogene Daten Verstorbener der Schutzwirkung des Datenschutzgesetzes nicht mehr unterliegen, wenn schutzwürdige Belange der Betroffenen nicht mehr beeinträchtigt werden können. Auch nach § 35 Abs. 5 SGB I gelten die Sozialdaten Verstorbener nur noch in eingeschränktem Umfang als schutzbedürftig. Sie dürfen verarbeitet und genutzt werden, "wenn schutzwürdige Interessen des Verstorbenen oder seiner Angehörigen dadurch nicht beeinträchtigt werden können". Da das Sozialgesetzbuch keine festen Fristen für die Zeit nach dem Tode vorgegeben hat, könnte auch eine kürzere Frist als die zehnjährige nach dem Landesarchivgesetz in Betracht kommen. Denn auch nach dem Landesarchivgesetz, welches die zehnjährige Frist nur als Regelfall vorschreibt, können mitunter kürzere Fristen angesetzt werden, wenn das öffentliche Interesse, insbesondere an der zeitgeschichtlichen Forschung, überwiegt. Dies ist bei Untersuchungen zum Tätermillieu des Wachpersonals in in nationalsozialistischen Vernichtungslagern der Fall.

Der durch den fünfzigsten Jahrestag der Ausschwitzbefreiung aufgerüttelten Öffentlichkeit wäre es schwer zu vermitteln, daß ausgerechnet für diese Täter ein Schutzbedürfnis bejaht werden sollte. Wir meinen vielmehr, daß gerade hier kürzere Fristen hingenommen werden können, wenn das öffentliche Interesse an der Forschung und Aufklärung überwiegt. Die Deutsche Dienststelle, das Krankenbuchlager und das Landesarchiv haben sich diesen datenschutzrechtlichen Standpunkt zu eigen gemacht.

Ein Petent stammte aus einer Ehe, die frühzeitig geschieden wurde. Da das Verhältnis zum Vater immer schlecht war, hat er nie etwas über dessen Leben erfahren. Um die letzte Möglichkeit wahrzunehmen, zumindest einen Teil seines Lebens etwas näher zu beleuchten, hatte er an die Deutsche Dienststelle in der Hoffnung geschrieben, durch Einblick in die Personalakte des Vaters aus seiner Zeit bei der deutschen Wehrmacht mehr über ihn zu erfahren. Von dort bekam er die Auskunft, daß ihm aus Datenschutzgründen erst zehn Jahre nach dem Tod des Vaters Auskunft erteilt werden könne. Der Tod des Vaters lag jedoch erst fünf Jahre zurück.

Gemäß § 6 der Verordnung über die Verarbeitung personenbezogener Daten bei der Deutschen Dienststelle dürfen personenbezogene Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereiches unter anderem dann übermittelt werden, wenn nächste Angehörige des Betroffenen eingewilligt haben oder eine Einwilligung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht oder nur unter einem unverhältnismäßig hohen Aufwand erreicht werden kann und aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu vermuten ist, daß der Betroffene oder dessen nächster Angehöriger einwilligen würden. In entsprechender Anwendung von § 8 des Landesarchivgesetzes, der eine verkürzte Nutzungsfrist vorsieht, wenn nächste Angehörige der Nutzung zugestimmt haben, vertraten wir auch hier den Standpunkt, daß, wenn der Angehörige sogar Dritten die Einsicht verschaffen kann (mit seiner Einwilligung), er natürlich auch selbst das Recht haben muß, in die betroffenen Unterlagen Einblick zu nehmen. Datenschutzrechtliche Bedenken bestanden somit gegen das Vorhaben des Petenten nicht.

Sozialgeheimnis auch für Ausländer

Auch nach Inkraftsetzung der vorläufigen Anwendungshinweise zu den §§ 75, 76 und 77 Ausländergesetz (AuslG) [153] wirft das Verhältnis von Ausländergesetz und Sozialgesetzbuch Fragen auf. Nach § 77 AuslG unterbleibt eine Übermittlung personenbezogener Daten, soweit besondere gesetzliche Verwendungsregelungen entgegenstehen. Das Sozialgeheimnis ist eine solche besondere Verwendungsregelung, die eine Datenübermittlung somit nur dann erlaubt, wenn sie im Sozialgesetzbuch selbst geregelt ist. In § 71 SGB X ist eine solche informationsrechtliche Regelung zu sehen, die mit § 76 Ausländergesetz abgestimmt ist: § 71 SGB X und § 76 AuslG unterscheiden zwischen Auskünften, die "auf Ersuchen" der Ausländerbehörde zu erteilen sind und Unterrichtungspflichten, die ohne Ersuchen der Ausländerbehörde und der Leistungsbehörde einzuhalten sind. Die Auskunftspflicht "auf Ersuchen" ist in § 71 Abs. 1 SGB X differenziert geregelt. Die Unterrichtungspflicht nach § 71 Abs. 2 SGB X, die der Unterrichtungspflicht im § 76 Abs. 2 Ausländergesetz entspricht, enthält demgegenüber jedoch nur eine Pauschalregelung, deren Anwendungsbereich gerade wegen ihrer allgemeinen Formulierung problematisch erscheint. Die Anwendungshinweise zu § 76 Ausländergesetz (AuslG) enthalten eine restriktive Auskunftsregelung.

Danach ist insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Sind die mit der Übermittlung verbundenen Nachteile für den Betroffenen so schwerwiegend, daß die öffentlichen Interessen an der Datenübermittlung überwiegen, hat die Informationsweitergabe zu unterbleiben (vorl. Anwendungsweise Nr. 76.0.7). Für Ausländer, die einem besonderen Ausweisungsschutz unterliegen, besteht keine Übermittlungspflicht (Nr. 76.2.3.0.5). Da die in § 48 Abs. 1 und 3 AuslG genannten Ausländergruppen nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und die in § 48 Abs. 2 AuslG angegebenen Minderjährigen oder Heranwachsenden nur wegen der Begehung bestimmter Straftaten ausgewiesen werden dürfen, ist der Sozialhilfebezug und Jugendhilfebezug kein Ausweisungsgrund, der gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 3 AuslG zu übermitteln wäre. Die Unterrichtung der Ausländerbehörde muß in diesen Fällen mangels Rechtsgrundlage unterbleiben [154].

Nach der grundsätzlichen Einigung der Bundesrepublik Deutschland und Vietnam über die Rückführung der nach dem Ende der DDR in Deutschland verbliebenen Vietnamesen forderte die Polizei ein Sozialamt auf, Auskunft über den nächsten Kontaktbesuch eines Vietnamesen beim Sozialamt zu erteilen, weil dieser an seinem gemeldeten Wohnsitz nicht für die bevorstehende Abschiebung aufgegriffen werden konnte.

Aufgrund des Ersuchens war das Sozialamt nur berechtigt, darüber Auskunft zu erteilen, daß der Aufenthalt des Betroffenen illegal war (§ 76 Abs. 1 Ziffer 2 AuslG). Für diese Tatsachen bestand jedoch kein Mitteilungsbedarf, weil sie der Ausländerbehörde bereits bekannt war. Gegen eine Auslegung des § 76 Abs. 2 AuslG dahingehend, daß über den momentanen Aufenthalt beim Sozialamt Auskunft zu erteilen sei, spricht der eindeutig formulierte Gesetzeswortlaut. Um die erwünschten Informationen vom Sozialamt zu erhalten, müßte die Polizei von sich aus bei der Beantragung des Ausweisungshaftbefehls die notwendige richterliche Anordnung nach § 73 SGB X zur Erteilung angemessener Auskünfte für die Durchsetzung des Ausweisungs- oder Abschiebeverfahrens mitbeantragen. Dabei käme auch die Offenbarung des nächsten Kontaktbesuches beim Sozialamt mit in Betracht, wenn sie von der richterlichen Anordnung abgedeckt ist. Dieses Ergebnis stimmt mit der Rechtslage bei deutschen Sozialhilfeempfängern überein. Auch in diesem Fall steht § 68 SGB X der Mitteilung des augenblicklichen Aufenthaltsorts entgegen, wenn nicht ein Richter die Offenbarung ausdrücklich genehmigt.

Fragen des Sozialgeheimnisses

Für das Widerspruchsverfahren enthält § 114 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) die Regelung, daß ein Beirat "einzuschalten" ist. Gemäß § 114 Abs. 2 sind in diesem Beirat sozial erfahrene Personen vertreten, die vor dem Erlaß eines Bescheides über einen Widerspruch "beratend zu beteiligen" sind. Fraglich ist, in welchem Umfang den Beiräten ein Akteneinsichtsrecht zusteht.

Der Beirat hat ein Mitsprache-, jedoch kein Entscheidungsrecht. Die Entscheidung über den Widerspruch liegt allein bei dem Leiter der Verwaltung. Jedoch stellt die Nichtbeteiligung sozial erfahrener Personen im Widerspruchsverfahren einen erheblichen Verfahrensmangel dar. Weder das Berliner Ausführungsgesetz zum BSHG noch das BSHG selbst haben die Datenübermittlung im Rahmen dieses Verfahrens geregelt. Es ist somit auf die allgemeinen Vorschriften des Sozialgesetzbuches, insbesondere auf § 69 SGB X zurückzugreifen. Die Mitwirkung des Beirates bringt es naturgemäß mit sich, daß seine Mitglieder personenbezogene Daten zur Kenntnis nehmen. Ihnen gerade diese Daten vorzuenthalten, würde der Aufgabenstellung dieses "sozial erfahrenen" Personenkreises widersprechen. Wir sehen in § 114 BSHG eine hinreichende Grundlage für die Beteiligung des Sozialbeirates, wobei natürlich auch hier der datenschutzrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt. Die dem Beirat zur Kenntnis gegebenen Daten müssen geeignet und auf den erforderlichen Umfang beschränkt sein. Dies verlangt aber auch eine Belehrung der Mitglieder des Sozialbeirates über das Sozialgeheimnis nach § 35 SGB I sowie eine entsprechende Verpflichtung.

In einem Bezirksamt wurden Empfänger von Sozialhilfe zu gemeinnützigen Arbeiten im Sozialamt herangezogen und beim Anlegen von Sozialhilfeakten und Karteikarten sowie beim Fertigen von Bedarfsberechnungen und Bewilligungsverfügungen eingesetzt. Die Hilfeempfänger hatten Zugang zu Leistungsdaten und Leistungsverhältnissen anderer Sozialhilfeempfänger und somit die Möglichkeit, über sehr persönliche Verhältnisse Kenntnis zu erhalten (z.B. familiäre Verhältnisse, gesundheitliche Verhältnisse, Arbeits- und Einkommensverhältnisse usw.).

Dies war ein unannehmbares Verfahren,das wir unverzüglich einstellen ließen.

In Bezirksämtern bestand Unsicherheit darüber, ob es zulässig ist, Kopien von Reisepässen und Personalausweisen in den Leistungsakten aufzubewahren.

Wir haben dagegen grundsätzlich keine Bedenken, weil es zum Grundbestand des Leistungsverhältnisses gehört, die Identität des Leistungsempfängers eindeutig festzustellen. Die Identität ist in zuverlässiger Form nur durch die Vorlage des Personalausweises oder Reisepasses zu überprüfen. Die Erhebung der Nummer des Personalausweises oder die Aufbewahrung einer Kopie des Ausweises in der Leistungsakte halten wir deshalb für unbedenklich. Die Verwendung dieser Daten bleibt zweckgebunden und unterliegt dem Sozialgeheimnis nach § 35 SGB I. Dies bedeutet jedoch nicht, daß eine Pflicht besteht, eine vollständige Kopie des Personalausweises zu den Akten zu nehmen; denn es ist durchaus nicht immer vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gedeckt, wenn eine Ablichtung des Personalausweises zu den Akten genommen wird. Zum Beispiel dann nicht, wenn die Identität des Hilfeempfängers ohnehin schon aufgrund des Erstantrages feststeht, wenn eine persönliche Bekanntheit vorliegt und lediglich ein Verlängerungsantrag auf eine Leistung gestellt worden ist. Auch müssen nicht erforderliche Daten (z.B. besondere Merkmale) geschwärzt werden.

Zuletzt geändert:
am 08.02.97

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