Anlage 2.4
Beschluß der 47. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des
Bundes und der Länder am 09./10. März 1994 in Potsdam
Abbau des Sozialdatenschutzes
(gegen die Stimme Bayerns)
Der Gesetzgeber hat in den vergangenen Monaten die Möglichkeit der
Überprüfung von Sozialleistungsempfängern ohne deren vorherige
Befragung oder Kenntnis in drastischem Umfang vermehrt. Insbesondere durch
das seit dem 1. Juli 1993 geltende Gesetz zur Umsetzung des Föderalen
Konsolidierungsprogramms ist das Kontrollinstrumentarium von Sozial- und
Arbeitsämtern noch einmal erheblich erweitert worden. Ohne Rücksicht
auf konkrete Anhaltspunkte für einen unberechtigten Leistungsbezug im
Einzelfall sind künftig automatisierte Datenabgleiche zwischen
Sozialhilfeträgern sowie zwischen diesen und der Arbeitsverwaltung bzw.
der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung gestattet.
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
ist sehr besorgt über diese Entwicklung, die zu einem immer dichteren
Datenverbundsystem im Sozialleistungsbereich und zu immer nachhaltigeren
Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aller Betroffenen,
d. h. auch und gerade der großen Mehrheit rechtstreuer Antragsteller
und Leistungsbezieher, führt.
Mit Nachdruck wenden sich die Datenschutzbeauftragten gegen Versuche von
Sozialverwaltungen, bei der Umsetzung der neuen Kontrollregelungen durch
extensive Interpretation über den gesetzlich vorgegebenen Rahmen
hinauszugehen. So erlaubt beispielsweise der neu gefaßte § 117
Abs. 3 des Bundessozialhilfegesetzes entgegen der Handhabung einzelner Kommunen
keinen automatisierten Datenabgleich zwischen Sozialhilfedatei und
Kraftfahrzeug-Register, sondern nur den Vergleich von Angaben in
Verdachtsfällen.
Die dargestellte Entwicklung macht es erneut notwendig, auf die
verfassungsrechtliche Qualität des Grundsatzes der Datenerhebung beim
Betroffenen hinzuweisen. An dem Prinzip, daß bei der
Überprüfung der Leistungsberechtigung und der Nachweise Auskünfte
zunächst beim Antragsteller anzufordern sind und nur aufgrund konkreter
Verdachtsmomente Nachfragen bei dritten Stellen oder Datenabgleiche erfolgen
dürfen, muß für den Regelfall festgehalten werden, soll der
Einzelne mündiger Bürger bleiben und nicht zum bloßen Objekt
staatlicher Verhaltenskontrolle werden.
Sorge äußert die Konferenz auch über die hartnäckigen
Bestrebungen, Datenbestände der Sozialverwaltung für immer neue
Zwecke und Adressaten zu öffnen. Beispiele dafür sind die im
Gesetzgebungsverfahren zum 2. SGB-Änderungsgesetz im letzten Augenblick
gescheiterten Anträge, Polizei und Staatsschutz in unvertretbarem Umfang
Zugriff auf Daten Arbeitsloser und sonstiger Sozialleistungsempfänger
zu geben. Das Sozialgeheimnis muß ein wirksamer Sonderschutz für
die besonders sensiblen Daten in der Sozialverwaltung bleiben. Nur dies
entspricht der Abhängigkeit des Einzelnen von staatlichen Leistungen
und der sich daraus ergebenden speziellen Verletzlichkeit seines Rechts auf
informationelle Selbstbestimmung.
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