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Anlage 1

Rede des Berliner Datenschutzbeauftragten vor dem Abgeordnetenhaus am 15. September 1994

Sehr verehrte Frau Präsidentin,

sehr geehrte Damen und Herren,

Der Berliner Gesetzgeber, und das heißt dieses Haus, hat in beispielhafter Weise das Verfassungsgebot umgesetzt, daß der Bürger bei der Lektüre der Gesetze und der anderen publizierten Rechtsvorschriften erkennen soll, welche öffentlichen Stellen welche Daten über ihn erheben, für die ursprünglichen oder andere Zwecke nutzen oder an wen sie Daten herausgeben. Diesem Beispiel ist übrigens das Land Brandenburg gefolgt. An die Stelle dehnbarer Generalklauseln traten spezialrechtliche Regelungen, die im vergangenen Jahr in weiten Bereichen durch Rechtsverordnungen präzisiert wurden. Verwaltungen, bei denen wir im Jahresbericht das Fehlen derartiger Vorschriften bemängelt hatten, haben dies nachgeholt bzw. werden dies in Kürze tun.

Angesichts dieser, der Verfassung in besonderer Weise entsprechenden Lage wäre es ein schwer vertretbarer Rückschritt, würde man den Grundsatz der einzelgesetzlichen Befugnisregelung zugunsten einer gleichmacherischen Generalklausel zurücknehmen. An der Forderung nach einer derartigen Generalklausel hält der Senat gleichwohl fest. Er meint, durch den Verzicht auf bereichsspezifischen Datenschutz würde der Grundrechtsschutz der Bürger besser gewährleistet. Das Gegenteil ist der Fall: Ein solcher Schritt würde die Entscheidungsspielräume der Verwaltung beim Umgang mit den Daten der Bürger wieder zu deren Lasten erweitern. Ich verkenne dabei nicht, und dies wurde im Unterausschuß Datenschutz bereits beraten, daß es gewisse Ausnahmen geben sollte. Vorschläge sind von uns für den Vollzug von Bundesrecht oder für Querschnittsaufgaben der Verwaltung gemacht worden.

Zum Hintergrund dieser Debatte möchte ich zwei Einzelbeispiele darstellen, weil sie meines Erachtens ein Schlaglicht auf grundsätzliche Probleme werfen:

Mit gewisser Häme verweist der Senat darauf, daß das Gesetz über Datenverarbeitung im Bereich der Kulturverwaltung sogar regele, welche personenbezogenen Daten für den Eintrittskartenvertrieb der staatlichen Bühnen verarbeitet werden dürfen. Bei genauem Hinsehen ist die Regelung allerdings erheblich weniger komisch als dies scheint: Werden die Kultureinrichtungen doch in dieser Bestimmung ermächtigt, nicht nur Daten über Kontonummern, Zahlungsweisen und Zahlungswege zu verarbeiten, sondern auch über Ermäßigungen begründende Sachverhalte, also etwa Behinderungen mir scheint es nicht ulkig, sondern konsequent, daß der Bürger dies durch Lektüre des Gesetzes in Erfahrung bringen kann: Nicht die Selbstverständlichkeiten, die notwendigerweise auch in einem Gesetz stehen müssen, sondern die Besonderheiten machen den wesentlichen Regelungsgehalt aus.

Seitenanfang Zweites Beispiel:

Es wird häufig verkannt, daß die informationelle Selbstbestimmung nicht nur ein Grundrecht der Benachteiligten ist, sondern sich selbstverständlich auch die vom Leben Bevorzugten auf dieses Grundrecht berufen können. Zum Beispiel Eigentümer von Mietshäusern.

Ihnen legt das Bürgerliche Gesetzbuch die Pflicht auf, dem Mieter den bevorstehenden Verkauf einer Wohnung anzuzeigen damit dieser von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch machen kann. Ein fairer Vermieter wird seine Mieter früher benachrichtigen verpflichtet ist er nach dem BGB dazu nicht. Der Senat hält das Schutzbedürfnis der betroffenen Mieter dabei zur Zeit für nicht genügend berücksichtigt: Weil der Datenschutz zu weitgehend sei, solle man nicht nur "für diese, sondern auch für ähnliche Problemlagen" den Behörden gestatten, die Betroffenen über vorbereitende Verwaltungsvorgänge zu informieren hinter dem Rücken der Eigentümer, versteht sich. Auch ich meine, der Mieter sollte frühzeitig informiert werden dann aber aufgrund einer klaren Entscheidung des Gesetzgebers und nicht auf einem datenschutzrechtlichen Schleichweg. Noch mehr entspricht der informationellen Selbstbestimmung natürlich, den Mieter mit Einwilligung des Vermieters zu informieren wie es die Bauverwaltung demnächst erproben will.

Gegen eine gesetzliche Regelung wird wie in anderen Fällen die fehlende Gesetzgebungskompetenz eingewandt. Darauf ist nur zu sagen: Es kann ja wohl nicht wahr sein, daß die Berliner Verwaltung vom Bundesrecht nicht vorgesehene Verfahren einführen kann, deren gesetzliche Regelung dem Berliner Parlament verwehrt sein soll!

Beide Beispiele machen deutlich, daß der Weg, den dieses Haus bei der Ausgestaltung des Datenschutzrechts eingeschlagen hat, weitergeführt und nicht abrupt und ohne Grund abgebrochen werden sollte.

Allerdings sind auf diesem Weg nicht nur datenschutzrechtliche Errungenschaften erreicht, sondern auch bedauerliche Rückzüge angetreten worden.

In unserem Jahresbericht 1993 haben wir uns ausführlich mit den Auskunfts und Einsichtsrechten des Bürgers befaßt, der Magna Charta des Datenschutzes, wie diese Rechte zutreffend genannt worden sind. Durch spezialgesetzliche Sonderregelungen ist namentlich das im Datenschutzgesetz großzügig und bürgerfreundlich ausgestaltete Einsichtsrecht in eigene Daten zurückgenommen worden. Ins Leere gehende Verweisungen, wie im Ausführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz, erschwerende Begründungspflichten wie im Verfassungsschutzgesetz, oder dem Wortlaut nach anscheinend unverbindliche Kannvorschriften wie im Allgemeinen Sicherheits und Ordnungsgesetz lassen den Verwaltungen die Möglichkeit, die Akteneinsicht je nach Bedarf zu beschränken bis auf Null, wie etwa der Fall bei der Polizei, die sich berechtigt fühlt, jede Akteneinsicht zu verweigern, mit der dem Charakter des Einsichtsrechts hohnsprechenden Begründung, das Einsichtsrecht des ASOG "sei nur als Möglichkeit zur Arbeitserleichterung gedacht".

[Zitat aus einem Schreiben des Polizeipräsidenten v. 1. Juni diesen Jahres].

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Es ist unumstritten, daß unsere Gesellschaft sich von einer Industrie zu einer Informationsgesellschaft entwickelt. Der Mensch wird seine Würde nur noch wahren und seine Persönlichkeit nur noch entfalten können, wenn er die Möglichkeit hat, sich Kenntnis über seine informationellen Abbilder zu verschaffen und mit dieser Kenntnis sein in der Berliner Verfassung garantiertes Grundrecht auf Datenschutz geltend zu machen. Möglichst umfassende Auskunfts und Einsichtsrechte sind hierzu ein unerläßliches Instrument. Ich bitte Sie, bei Gesetzgebung und Verwaltungskontrolle dem so weit wie möglich Rechnung zu tragen.

Das Stichwort "Informationsgesellschaft" führt mich zu den technischen Perspektiven.

Die Landesverwaltung steht hier vor einem bisher nicht dagewesenen Umbruch: Die bevorstehende Einführung oder flächendeckende Einsetzung von Großverfahren in wichtigen Verwaltungsbereichen der Sozialverwaltung, der Personalverwaltung, der Steuerverwaltung, dem Haushaltswesen wird Tausende von Terminals auf die Schreibtische der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bringen. Die Einführung eines hochmodernen Verwaltungsnetzes, der Ersatz der bisherigen Telekommunikationstechnologie durch ISDN, die Öffnung der Verwaltung hin zu weltweiten Telekommunikationsdiensten werden an Datenschutz und Informationssicherheit höchste Anforderungen zu stellen haben.

Und am Horizont zeichnen sich bereits weitere Entwicklungen ab. Ich will nur die Revolution erwähnen, die die demnächst zu erwartende Marktreife von Spracherkennungssystemen in Vorzimmer und Schreibdienste hineintragen wird.

All dies ist Voraussetzung für die gewaltigen Personaleinsparungen, die die bestehende Finanznot der Berliner Verwaltung aufzwingt. Für den Datenschutzbeauftragten bringt die

Entwicklung allerdings nicht nur eine Erhöhung, sondern eine Vervielfältigung der Aufgaben mit sich, wenn man mit dem Bundesverfassungsgericht davon ausgeht, daß die Kontrolle durch den Datenschutzbeauftragten ein notwendiges Pendant zu den Gefährdungen der informationellen Selbstbestimmung darstellt. Die Einlösung dieses hohen Anspruchs ist nur durch die Gewährleistung eines Mindestmaßes an Kontrolldichte möglich.

Dies wird, und ich sage dies in vollem Bewußtsein, was dies bedeutet, nicht ohne zusätzliche Kosten für den Datenschutz zu bewältigen sein.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die dritte Amtsperiode des Berliner Datenschutzbeauftragten geht dem Ende zu. Vieles in den vergangenen Jahren ist von der verspotteten oder gar bekämpften Außenseiterposition zur akzeptierten Verwaltungsroutine geworden. Oder, wie Bertold Brecht formulierte, "auf die Mühen der Gebirge folgten die Mühen der Ebenen".

Ich hoffe, die gemeinsamen Mühen haben sich für den Bürger gelohnt.

Zuletzt geändert:
am 08.02.97

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