Zweites Beispiel:
Es wird häufig verkannt, daß die informationelle Selbstbestimmung
nicht nur ein Grundrecht der Benachteiligten ist, sondern sich
selbstverständlich auch die vom Leben Bevorzugten auf dieses Grundrecht
berufen können. Zum Beispiel Eigentümer von Mietshäusern.
Ihnen legt das Bürgerliche Gesetzbuch die Pflicht auf, dem Mieter den
bevorstehenden Verkauf einer Wohnung anzuzeigen damit dieser von seinem
Vorkaufsrecht Gebrauch machen kann. Ein fairer Vermieter wird seine Mieter
früher benachrichtigen verpflichtet ist er nach dem BGB dazu nicht.
Der Senat hält das Schutzbedürfnis der betroffenen Mieter dabei
zur Zeit für nicht genügend berücksichtigt: Weil der Datenschutz
zu weitgehend sei, solle man nicht nur "für diese, sondern auch für
ähnliche Problemlagen" den Behörden gestatten, die Betroffenen
über vorbereitende Verwaltungsvorgänge zu informieren hinter dem
Rücken der Eigentümer, versteht sich. Auch ich meine, der Mieter
sollte frühzeitig informiert werden dann aber aufgrund einer klaren
Entscheidung des Gesetzgebers und nicht auf einem datenschutzrechtlichen
Schleichweg. Noch mehr entspricht der informationellen Selbstbestimmung
natürlich, den Mieter mit Einwilligung des Vermieters zu informieren
wie es die Bauverwaltung demnächst erproben will.
Gegen eine gesetzliche Regelung wird wie in anderen Fällen die fehlende
Gesetzgebungskompetenz eingewandt. Darauf ist nur zu sagen: Es kann ja wohl
nicht wahr sein, daß die Berliner Verwaltung vom Bundesrecht nicht
vorgesehene Verfahren einführen kann, deren gesetzliche Regelung dem
Berliner Parlament verwehrt sein soll!
Beide Beispiele machen deutlich, daß der Weg, den dieses Haus bei der
Ausgestaltung des Datenschutzrechts eingeschlagen hat, weitergeführt
und nicht abrupt und ohne Grund abgebrochen werden sollte.
Allerdings sind auf diesem Weg nicht nur datenschutzrechtliche Errungenschaften
erreicht, sondern auch bedauerliche Rückzüge angetreten worden.
In unserem Jahresbericht 1993 haben wir uns ausführlich mit den Auskunfts
und Einsichtsrechten des Bürgers befaßt, der Magna Charta des
Datenschutzes, wie diese Rechte zutreffend genannt worden sind. Durch
spezialgesetzliche Sonderregelungen ist namentlich das im Datenschutzgesetz
großzügig und bürgerfreundlich ausgestaltete Einsichtsrecht
in eigene Daten zurückgenommen worden. Ins Leere gehende Verweisungen,
wie im Ausführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz, erschwerende
Begründungspflichten wie im Verfassungsschutzgesetz, oder dem Wortlaut
nach anscheinend unverbindliche Kannvorschriften wie im Allgemeinen Sicherheits
und Ordnungsgesetz lassen den Verwaltungen die Möglichkeit, die
Akteneinsicht je nach Bedarf zu beschränken bis auf Null, wie etwa der
Fall bei der Polizei, die sich berechtigt fühlt, jede Akteneinsicht
zu verweigern, mit der dem Charakter des Einsichtsrechts hohnsprechenden
Begründung, das Einsichtsrecht des ASOG "sei nur als Möglichkeit
zur Arbeitserleichterung gedacht".
[Zitat aus einem Schreiben des Polizeipräsidenten v. 1. Juni diesen
Jahres].
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!
Es ist unumstritten, daß unsere Gesellschaft sich von einer Industrie
zu einer Informationsgesellschaft entwickelt. Der Mensch wird seine Würde
nur noch wahren und seine Persönlichkeit nur noch entfalten können,
wenn er die Möglichkeit hat, sich Kenntnis über seine informationellen
Abbilder zu verschaffen und mit dieser Kenntnis sein in der Berliner Verfassung
garantiertes Grundrecht auf Datenschutz geltend zu machen. Möglichst
umfassende Auskunfts und Einsichtsrechte sind hierzu ein
unerläßliches Instrument. Ich bitte Sie, bei Gesetzgebung und
Verwaltungskontrolle dem so weit wie möglich Rechnung zu tragen.
Das Stichwort "Informationsgesellschaft" führt mich zu den technischen
Perspektiven.
Die Landesverwaltung steht hier vor einem bisher nicht dagewesenen Umbruch:
Die bevorstehende Einführung oder flächendeckende Einsetzung von
Großverfahren in wichtigen Verwaltungsbereichen der Sozialverwaltung,
der Personalverwaltung, der Steuerverwaltung, dem Haushaltswesen wird Tausende
von Terminals auf die Schreibtische der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
bringen. Die Einführung eines hochmodernen Verwaltungsnetzes, der Ersatz
der bisherigen Telekommunikationstechnologie durch ISDN, die Öffnung
der Verwaltung hin zu weltweiten Telekommunikationsdiensten werden an Datenschutz
und Informationssicherheit höchste Anforderungen zu stellen haben.
Und am Horizont zeichnen sich bereits weitere Entwicklungen ab. Ich will
nur die Revolution erwähnen, die die demnächst zu erwartende Marktreife
von Spracherkennungssystemen in Vorzimmer und Schreibdienste hineintragen
wird.
All dies ist Voraussetzung für die gewaltigen Personaleinsparungen,
die die bestehende Finanznot der Berliner Verwaltung aufzwingt. Für
den Datenschutzbeauftragten bringt die
Entwicklung allerdings nicht nur eine Erhöhung, sondern eine
Vervielfältigung der Aufgaben mit sich, wenn man mit dem
Bundesverfassungsgericht davon ausgeht, daß die Kontrolle durch den
Datenschutzbeauftragten ein notwendiges Pendant zu den Gefährdungen
der informationellen Selbstbestimmung darstellt. Die Einlösung dieses
hohen Anspruchs ist nur durch die Gewährleistung eines Mindestmaßes
an Kontrolldichte möglich.
Dies wird, und ich sage dies in vollem Bewußtsein, was dies bedeutet,
nicht ohne zusätzliche Kosten für den Datenschutz zu bewältigen
sein.
Sehr geehrte Damen und Herren,
die dritte Amtsperiode des Berliner Datenschutzbeauftragten geht dem Ende
zu. Vieles in den vergangenen Jahren ist von der verspotteten oder gar
bekämpften Außenseiterposition zur akzeptierten Verwaltungsroutine
geworden. Oder, wie Bertold Brecht formulierte, "auf die Mühen der Gebirge
folgten die Mühen der Ebenen".
Ich hoffe, die gemeinsamen Mühen haben sich für den Bürger
gelohnt.
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